Einleitung
Schon die Beobachter des ersten erfolgreichen Kernwaffentests in Alamogordo in der Wüste von New Mexico am 16. Juli 1945 fassten ihre Eindrücke in Superlative: "Es war wie ein Sonnenaufgang, wie die Welt ihn nie zuvor gesehen hatte, eine große grüne, an Kraft alles überstrahlende Sonne." Während die einen den nuklearen Lichtblitz mit dem biblischen Schöpfungsakt verglichen, sahen andere "eine Warnung vor dem Jüngsten Tag". Die an der Spitze des Manhattan-Projekts stehenden Physiker wurden als "Geburtshelfer eines neuen Zeitalters" gefeiert. Atomenergie schien "die Verwirklichung der Träume aller Zeitalter in Reichweite des Menschen" zu bringen.
Rief "die Bombe" auch bald Skepsis hervor und weckte soziale Ängste vor Vernichtung und Tod, so wurden im Kontrast hierzu lange Zeit kaum Zweifel an den megalomanen Visionen eines mit ziviler Nuklearkraft betriebenen modernen Garten Eden laut. Bis in die 1970er Jahre priesen auch Kritiker der atomaren Hochrüstung das "friedliche Atom". Als 18 führende deutsche Kernforscher 1957 mit dem "Göttinger Manifest" gegen Pläne zur atomaren Bewaffnung der Bundeswehr protestierten, betonten sie gleichzeitig, es sei äußerst wichtig, "die friedliche Verwendung der Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern."
Kernkraftwerke haben im Vergleich zu Atombombenexplosionen in der Kulturgeschichte nur wenige Spuren hinterlassen. Der düsteren Nuklearsatire "Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb" von Stanley Kubrick (1964) fehlt das zivile Pendant, jedenfalls was Qualität und Wirkung betrifft. Dieses Ungleichgewicht dauert an, trotz der Unfälle in den Kernkraftwerken von Windscale (1957), Harrisburg (1979), Tschernobyl (1986) und jüngst Fukushima (2011). Hollywood nahm sich seit den späten 1970er Jahren gelegentlich der Gefahren der zivilen Nutzung der Kernenergie an. Doch neben der visuellen Gewalt zeitgleich produzierter militärnuklearer disaster movies wirken "The China Syndrome" (1979) und "Silkwood" (1983) zahm. Auch Japan, mit seiner hoch entwickelten nuklearen Populärkultur hat mit "Träume" (1990) nur einen signifikanten Film hervorgebracht, der einen zivilen Störfall visualisiert. Das durch Atombomben auferweckte Urzeitmonster "Godzilla" darf dagegen in inzwischen 28 Filmen Angst und Schrecken verbreiten.
Warum ist das so? Ich kann darüber nur spekulieren, weil es an historischen Forschungen noch fehlt: Ein Grund dürfte in dem lokalen Zuschnitt der Anti-AKW-Bewegung liegen. Erst mit dem GAU von Tschernobyl wurden zivilnukleare Angstszenarien von breiteren literarischen Strömungen aufgegriffen (mit "Störfall" von Christa Wolf, "Die Wolke" von Gudrun Pausewang und "Die Rättin" von Günter Grass), obwohl die politische Debatte über "Die Angst des Bürgers vor dem Atom" seit Mitte der 1970er Jahre breite Kreise zog.
Ein zweiter Grund dürfte im gesellschaftlichen Kontext und in der Erinnerungskultur liegen, die vor allem im Kalten Krieg Ängste aufgrund von internationalen Konflikten kulturell höher bewertete als solche aufgrund von Alltagsrisiken.
Ein dritter Grund für die unterschiedliche Resonanz ziviler und militärischer nuklearer Katastrophenszenarien liegt in der "Dramaturgie der Furcht." Diese ist jeweils eine andere. Ein ziviler Störfall kündigt sich schleichend, nachgerade heimlich und ohne das explosive Donnergrollen der dramatisch aufsteigenden Atompilze an. In unserer auf visuelle Codes getrimmten Kultur bietet selbst ein Super-GAU wie Tschernobyl nur beschränkte Möglichkeiten der theatralischen Inszenierung. In Atomkonflikten stehen sich klar definierte Lager gegenüber, die personalisiert werden können. Das Drama-Potenzial der Atomkraftwerke bleibt dahinter deutlich zurück. Auch ist bisher niemand auf die Idee gekommen, ein Kernkraftwerk zu einer fiktionalen Waffe umzufunktionieren.
Ein vierter Grund liegt in dem durch die Kulturgeschichte und ihre Traditionen gesteckten Rahmen. Apokalyptische Szenarien gehören zum gesunkenen Kulturgut westlicher Gesellschaften. Sie sind selbst unter nicht bibelfesten Zeitgenossen jederzeit kulturell abrufbar. Nur ein Atomkrieg bietet das Szenario einer massenhaften Vernichtung menschlichen Lebens mit entsprechender postapokalyptischer Katharsis. Nukleare Weltuntergänge eröffnen weite Felder für utopische Zukunftsentwürfe, während imaginierte Störfälle in Kernkraftwerken an die Komplexität der gegenwärtigen Probleme erinnern, mit schwierigen Abwägungsfragen und geordneten politischen Prozessen. Auch katastrophalste Reaktorunfälle (siehe Fukushima) scheinen nicht das Potenzial zur fiktionalen Apokalypse zu haben.
Dieser Beitrag ist ein Versuch, Schneisen in die Kulturgeschichte der deutschen Nuklearangst in ihrer internationalen Verflechtung zu schlagen. Er konzentriert sich auf kulturelle Produktion im engeren Sinne, auf Romane, Gedichte, die bildenden Künste, Musik und Film. Die hier manifest werdenden Beschreibungen des "atomaren Todes" greifen, gerade in ihren populären Formen, zentrale gesellschaftliche Problemstellungen auf. Sie sind für eine Politik- und Sozialgeschichte der beiden deutschen Staaten essenziell. Das gilt besonders für die in diesen Quellen kommunizierten Ängste, die stets als Chiffre für die Beschäftigung mit der Zukunft dienen. Sie spiegeln gesellschaftliche Befindlichkeiten wider, wirken aber auch als Antrieb in politischen Entscheidungssituationen.
Unwille zur Angst? Die frühen Jahre
Die verstörende Gewalt der ersten nuklearen Explosionen im Sommer 1945 hat tiefe Spuren in der Kulturgeschichte hinterlassen. Daher haben Hiroshima und Nagasaki rückblickend Deutungen nahe gelegt, wonach sich mit dem Abwurf der ersten Atombomben eine weltgeschichtliche Wende vollzog. Schon 1947 legte der Schriftsteller Max Frisch in seiner Farce "Die Chinesische Mauer" einem der Protagonisten das Wort in den Mund: "Zum ersten Mal (...) (und darum, meine Herren, hilft uns keine historische Routine mehr!) stehen wir vor der Wahl, ob es die Menschheit geben soll oder nicht. Die Sintflut ist herstellbar."
Tatsächlich gab es aber historische Referenzpunkte zur Verständigung über "die Bombe". Geht man kulturelle Manifestationen des nuklearen Todes durch, so verfestigt sich rasch der Eindruck, dass die Forderung des "Philosophen des Atomzeitalters", Günther Anders, die Vermessung des Daseins "unter dem Zeichen der Bombe" bedürfe neuer Formen des Nachdenkens, die Menschheit nicht sonderlich beeindruckt hat.
Bestimmte "apokalyptische" Wahrnehmungsmuster "der Bombe" waren daher als kulturelle Standards bereits etabliert, als es 1945 zu den ersten nuklearen Explosionen kam. Dennoch konstatierten zeitgenössische Beobachter wie Anders eine "Apokalypse-Blindheit" der Menschen, eine "Unfähigkeit zur Angst".
Ängste richteten sich in den 1940er Jahren nicht auf die unsichtbaren Gefahren "des Atoms", sondern waren allgemeine Kriegs- und Zukunftsängste: Angst vor Inflation, Arbeitslosigkeit und dem Kommunismus. Nukleare Explosionen wurden in grell bunten Bildern ästhetisiert, Aufnahmen atomarer Explosionen zu einem positiv besetzten Symbol "politischer Macht und technischen Fortschritts" ikonisiert.
Die atomic culture trieb in den USA skurrile Blüten. Aber auch in Deutschland wurde "die Bombe" verharmlost und trivialisiert. Von den Atomtests ging ein faszinierendes, aber oberflächliches Grauen aus. Die Tests auf dem Bikini-Atoll riefen naive Technikbegeisterung und groteske Verharmlosungen hervor, einschließlich des bekannten Terminus-Transfers in die weibliche Bademode. "Wir leben im Dauerzustand der Katastrophe, und wenn wir uns auch vor der dunklen Wolke fürchten", so kommentierte der Schriftsteller Friedrich Sieburg 1954 etwas kopfschüttelnd die Situation: Die "Furcht [ist] doch auch mit einem heimlichen Vergnügen vermischt."
Glückliche Drachen und atomare Monster
Mitte der 1950er Jahre verdichteten sich die bis dahin selten thematisierten Gefahren der Radioaktivität zu gesellschaftlichen Ängsten. Wichtiger Auslöser war ein Unglücksfall bei der Erprobung der ersten einsatzfähigen Wasserstoffbomben 1954 auf dem Bikini-Atoll, wodurch die Mitglieder eines japanischen Fischerbootes, "Glücklicher Drache Nr. 5", verstrahlt worden waren. Einer der Fischer starb bald nach der Rückkehr.
Das Schicksal des "Glücklichen Drachen" zog in der Populärkultur weite Kreise. Der erste Godzilla-Film wurde noch 1954 in Japan uraufgeführt. Er ist direkt von dem Bikini-Vorfall inspiriert: Ein atomarer Test weckt ein in der Tiefsee verborgenes urzeitliches Monster, das kein Stacheldraht und kein Kampfflugzeug aufhalten kann.
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, der atomaren Planspiele der NATO und der gesellschaftlichen Proteste über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr, wirkten diese phantastischen Inszenierungen auf das gebildete deutsche Publikum leicht lächerlich. Indes: Trotz traditioneller Abwehrhaltung gegenüber der US-Populärkultur dürften diese Filme auch hierzulande ein Publikum gefesselt haben, zumal sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen regelmäßig wiederholt wurden. Kann man diesen Filmen auch Verharmlosung und Eskapismus zum Vorwurf machen (wie zum Beispiel Susan Sontag dies tat), so zeigt doch ihr massenhaftes Auftreten, was den Mainstream bewegte.
Physiker-Dramen und Hiroshima-Gedenken
Die Jahre bis nach der Kubakrise (1962) sind für die Kulturgeschichte der Atomangst ein fruchtbares Jahrzehnt. Für die zweite Hälfte der 1950er Jahre sind Dutzende von literarischen, lyrischen und auch philosophischen Thematisierungen des nuklearen Tods überliefert. Die Palette reicht von Wolfgang Weyrauchs preisgekröntem Hörspiel "Die japanischen Fischer" (1955) bis zu den Dichtungen von Marie-Luise Kaschnitz, Stefan Hermlin und Anna Seghers.
Populärwissenschaftliche Arbeiten fanden einen breiten Markt. Vielleicht, weil im deutschen Fall historische Ängste und Erinnerungen durch die Gefahr des Atomkriegs angesprochen wurden, spielte sich die Auseinandersetzung mit dem Atomtod in weniger fiktionalen Genres ab (im augenscheinlichen Kontrast zu Japan, das mit Deutschland die Luftkriegserfahrung teilte). In den "Angstsemantiken" (Holger Nehring) der Friedensbewegung wurde auf "reale" Fiktionen zurückgegriffen, die in der Presse in Wort und Bild leicht zugänglich waren, drohten doch in NATO-Manövern mit immer höheren Einsätzen an Nuklearwaffen Millionen deutscher Opfer.
Mit der "Kampf dem Atomtod"-Kampagne wurzelte sich nun auch "Hiroshima" als zentraler Referenzpunkt der deutschen Nuklearangst ein. "Nie wieder Hiroshima" war das wichtigste Schlagwort der deutschen Friedensbewegung, es entstand eine umfangreiche Hiroshima-Lyrik,
Der ignorierte Nukleartod und seine Wiederkehr
Ein paradoxes Resultat der "Kampf dem Atomtod"-Bewegung war die klare Aufspaltung der Atomenergie in eine "gute" zivile Variante, und eine in Deutschland von der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnte militärische Nutzung.
Zwar kamen auch in den 1960er Jahren noch filmische und literarische Zeugnisse auf den Markt, die sich mit Nuklearkriegen auseinandersetzten oder an die Verantwortung der Wissenschaft appellierten, in ihrer Mehrheit aber hörten die Menschen für anderthalb Jahrzehnte auf, sich um "die Bombe" zu sorgen. Sie mochten sie vielleicht nicht gerade lieben, wie Stanley Kubrick pointiert behauptete, doch mit der Unterzeichnung des Atomteststoppabkommens 1963 waren Atomängste evozierende Pilzwolken weitgehend passé. Der nukleare Tod stand am Rande. Aktivisten der Studenten- und Friedensbewegung konzentrierten sich auf Probleme wie den Algerien- und den Vietnam-Krieg, die Dekolonisierung und die Nord-Süd-Problematik.
Auf breiter Front kehrte die Atomangst mit dem Ende der Fortschrittsgläubigkeit zu Beginn der 1970er Jahre zurück.
Die Anti-AKW-Songs folgten dem Muster "David gegen Goliath". Angstszenarien wurden hier aber nicht entworfen, um das Publikum mit Schaudergeschichten zu unterhalten. Sie sollten Mut einflößen, um sich gegen die Übermacht des Staates und Kapitalinteressen zu wehren. Die Songs dienten dem eminent praktischen Zweck, die Protestler bei Platzbesetzungen und Demonstrationen im Angesicht der Polizei durch Singen zu stärken. Hier war ein Verständnis von Angst nicht als einer lähmenden, sondern rationalen Kraft verbreitet, wie es später auch für die Friedensbewegung typisch wurde.
Im Vergleich zu anderen sozialen Bewegungen der 1970er Jahre haben die Anti-AKW-Proteste weniger kulturelle Spuren hinterlassen. Zivile Atomängste wurden entweder aus Hollywood importiert, wie in dem kurz vor dem Unfall in Harrisburg angelaufenen Film "The China Syndrome" (1979) oder dann, nach Tschernobyl, von ökopessimistischen Autorinnen wie Gudrun Pausewang breitenwirksam in literarische Bilder gefasst. Nicht zu vergessen ist auch die ironische Brechung der Ängste, etwa in der Zeichentrickserie "The Simpsons" (seit 1989). Das Science-Fiction-Genre hat der zivilnukleare Tod dagegen nur marginal beschäftigt. Die dramaturgischen Potenziale des "unsichtbaren Todes", der von einem "ganz normalen" Kernkraftwerk ausgeht, waren offensichtlich begrenzt.
Apokalypsen in der Friedensbewegung
Erst mit dem NATO-Doppelbeschluss 1979 fanden nukleare Apokalypsen wieder weitere Verbreitung in der Populärkultur. Amerikanische Punk-Rock-Bands widmeten der Neutronenbombe eigene Stücke, Kurt Vonnegut malte sich in "Deadeye Dick" (1982) ihre Folgen aus. In Großbritannien ging eine Welle postapokalyptischer nuklearer Visionen der politischen Debatte voraus. Und in Deutschland wurde der Song "Das weiche Wasser bricht den Stein" mit der eingängigen Eröffnungszeile "Europa hatte zweimal Krieg/der dritte wird der letzte sein" zu einem der Schlager der Friedensbewegung.
Nukleare Angstszenarien waren in der populären Musik der Jahre auf dem Höhepunkt der Nachrüstungsdebatte 1982/1983 so ubiquitär, dass es eigener Untersuchungen bedarf.
Filme und Romane folgten. Die bekanntesten Beispiele sind das amerikanische TV-Drama "The Day After", das den nuklearen Weltuntergang am Beispiel einer mittwestlichen Kleinstadt drastisch inszeniert, und der britische Zeichentrickfilm "When the Wind Blows" (beide 1983).
Im Unterschied zu den monströsen oder galaktischen, meist postapokalyptischen Utopien der 1950er Jahre bilden die Szenarien der 1980er Jahre sowohl in ihren filmischen als auch in ihren literarischen Formen (mit Anton-Andreas Guhas "Ende. Tagebuch aus dem Dritten Weltkrieg", 1983, als markantes Beispiel) nicht die Welt nach dem nuklearen Armageddon ab, sondern schildern den Untergang selbst. Der deutsche Bestseller "Die letzten Kinder von Schewenborn", wartet mit plastischen Details aus der Ereigniskette eines Atomkriegs auf. Wie in "The Day After" wird die Vogelperspektive vermieden. Anders als der amerikanische Film, der die Möglichkeit menschlichen Überlebens andeutet, geht bei Pausewang mit den "letzten Kindern" die Weltgeschichte zu Ende.
Bei der Thematisierung von Nuklearängsten stechen die Unterschiede zu den 1950er Jahren hervor. "Angst" konnte in einer sich individualisierenden, demokratisierten Gesellschaft als positiv besetzter Topos sowohl in der Anti-AKW- als auch Friedensbewegung Geltung beanspruchen.
Resümee
Ein Überblick über die Kulturgeschichte der deutschen Nuklearangst hinterlässt ein Paradox, das der näheren geschichtswissenschaftlichen Aufklärung bedarf. Der friedliche Anti-AKW-Protest, der in Wyhl, Kalkar und Wackersdorf erfolgreich agierte und auf Bundesebene ein Moratorium der nuklearen Ausbaupläne erreichen konnte bzw. mit der jüngsten Wende sogar den "Atomausstieg", hat trotz seiner auch im internationalen Vergleich bemerkenswerten politischen Erfolge kaum den Atomkriegsphantasien vergleichbare populär- und hochkulturelle Fiktionen der Angst hervor gebracht.
Es fehlen also für die zivile Seite, trotz der signifikanten Ausnahme der Protestlieder, die Weiterungen in fast allen der hier untersuchten Bereiche kultureller Produktion. Dagegen ist die Kulturgeschichte Europas und Nordamerikas, vom vorübergehenden Rückgang der Atomangst in den 1960er Jahren einmal abgesehen, voll von postapokalyptischen und katastrophischen Fiktionalisierungen eines nuklearen militärischen Schlagabtauschs, der häufig mit einer weitgehenden Vernichtung menschlichen Lebens endet.
Eine Ausnahme in dieser relativen kulturgeschichtlichen Nicht-Thematisierung der Gefahren der zivilen Nutzung der Kernenergie stellt die nukleare Havarie von Tschernobyl dar (und vielleicht künftig auch die von Fukushima). Aber auch hier handelt es sich meist um dokumentarische Romane und nicht um fantastische Fiktionen. Tschernobyl hat (wie jüngst Fukushima) eine intensive publizistische Auseinandersetzung über die "Angst der Deutschen" bewirkt. Es half gesellschaftliche Ängste zu fokussieren, zumal hier das Entweichen von Radioaktivität keine Fiktion blieb, sondern die Wirklichkeit herausforderte (beschrieben von Christa Wolf).
Es ist ein wenig verwunderlich, dass atomare Reaktoren, die in der unmittelbaren Nachbarschaft vieler Künstler, Schriftsteller und Intellektueller standen (und stehen), als Projektionsfläche albtraumhafter Nuklearfiktionen offenbar unbrauchbar sind. Aufgrund der von weiten Kreisen gefürchteten Realität der Bedrohung schien es fiktiver Nachhilfen nicht zu bedürfen. Im Umkehrschluss ließe sich aber auch spekulieren, ob militärnukleare Untergangsszenarien vielleicht häufiger sind, weil sie einen hypothetischen Ernstfall betreffen, der außerhalb unserer tatsächlich vorstellbaren Realität liegt.