Einleitung
Es ist eher ungewöhnlich, das Thema Eliten mit dem Fokus auf das weibliche Geschlecht zu behandeln. Wir sind es gewohnt, Eliten als männlich anzusehen - nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Tatsächlich sind Frauen innerhalb der Eliten immer noch unterrepräsentiert: So ist nach 25 Jahren Frauenförderung in Deutschland keine wesentliche Erhöhung der Anteile von Frauen in Spitzenpositionen in Wissenschaft und Wirtschaft zu verzeichnen. Es drängt sich die Frage nach den Gründen dafür auf. Hier interessieren die Strukturen der Rekrutierung von Eliten und der Reproduktion sozialer Macht in modernen westlichen Industrienationen,
In diesem Beitrag werden Ergebnisse aus vier Forschungsfeldern mit dem Ziel zusammengeführt, Synergieeffekte zu erreichen: Forschungslücken können so wechselseitig geschlossen werden. Dies ist erstens die Eliteforschung - ein Forschungsbereich vor allem der Sozialwissenschaften, wobei hier insbesondere die Pädagogik mit ihrem Forschungsfeld Bildungselite zu nennen ist. Ein Elitediskurs wird neuerdings auch in der feministischen Forschung geführt. Die Themen der Forschung sind die Rekrutierung von Eliten in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, aber auch im Sport und in anderen Bereichen. Zweitens wird der Forschungsbereich der Hochbegabung vorgestellt, hier mit dem Fokus auf Mädchen und Frauen. Drittens wird den Gründen für die Unterrepräsentation von Frauen in Eliten nachgegangen, wobei Forschungen zur weiblichen und männlichen Sozialisation herangezogen werden. Hier sind auch Forschungsergebnisse zur Karriere von Wissenschaftlerinnen relevant. Mit dem Ziel, Alternativen zum "Verschwinden" der Frauen - hier am Beispiel der Wissenschaft - aufzuzeigen, werden Ergebnisse einer Studie
Eliteforschung
Als Elite bezeichnen Wilhelm Bürklin und Hilke Rebenstorf in der "Potsdamer Elitestudie" Führungsgruppen oder eine Führungsschicht in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Verwaltung, Kultur, Kirchen, Gewerkschaft, Militär, Verbänden und Massenmedien.
Themen der Eliteforschung sind Rekrutierung, Werte der Eliten und Elitenkohäsion bzw. Konsens in der Demokratie u.a. Mit dem Begriff Elite ist zugleich ein Ungleichheitsverhältnis verbunden.
Auch der Begriff der Macht nimmt im feministischen Diskurs eine wichtige Stellung ein. Macht kann im Sinne der frauenpolitischen und/oder demokratischen Forderungen als Verantwortung für diejenigen Gruppen definiert werden, die von den Machtinhabern vertreten werden. Die Art und Weise der Machtausübung sollte durch eine kritische weibliche Elite sinnvoll weiterentwickelt werden. Die feministische Elitediskussion enthält deshalb kritische Aspekte der oft androzentrisch geführten Debatte und zielt auf eine gleichberechtigte Teilhabe und Repräsentanz von Frauen an den Funktions- und Bildungseliten. Dazu gehören immer auch Aspekte der Eliteförderung oder Elitebildung derjenigen Frauen, die Interesse an der Übernahme von Verantwortung haben und Macht ausüben wollen. Bildung, Wissen und Macht sind eng miteinander verbunden. Daraus bezog schon die erste Frauenbewegung ihre Ziele, und daran hat sich nichts geändert. Universitäten widmen sich heute dem Thema der Rekrutierung weiblicher Eliten mit dem Ziel der Exzellenz.
Hoch begabte Mädchen und Frauen
Die Forschung zur Hochbegabung richtet sich auf die Personengruppe, die möglicherweise in die Elite - in der Regel die Leistungselite - aufsteigen kann. Elitenzugehörigkeit hängt mit den Faktoren Begabung und Ausbildung zusammen. Das heißt, eine Begabung muss erkannt und gefördert werden, wenn die Betreffenden später der Leistungselite angehören sollen. Lernen ist der entscheidende Mechanismus bei der Transformation hoher Begabung in exzellente Leistung.
Die Forschungsergebnisse liefern ein differenziertes Bild geschlechtstypischer Verhaltensweisen sowohl hoch begabter Mädchen und Jungen als auch von deren Eltern und Lehrer/innen. Hoch begabte Mädchen sind in Bezug auf das Erkennen, Fördern und die Nachhaltigkeit der Begabung im Nachteil gegenüber hoch begabten Jungen - so die Argumentationslinie der Forschung. Dies wird mit Ergebnissen aus Untersuchungen in Schulen, zum Beispiel dem Überspringen von Klassen, ebenso belegt wie durch Aussagen von erwachsenen Frauen über ihre Kindheit.
Unter "Hochbegabung" wird eine intellektuelle, kreative, psychomotorische oder soziale Begabung verstanden. Hoch begabte Kinder sind "auf Grund hervorragender Fähigkeiten in der Lage ..., hohe Leistungen zu zeigen"
Hoch begabte Mädchen unterscheiden sich in wesentlichen Punkten von hoch begabten Jungen.
1. die Schulleistungen: Mädchen erbringen im Durchschnitt heute in allen Altersstufen und Schulformen die besseren Leistungen und verfügen über höhere Schulabschlüsse als Jungen, seit 1990 absolvieren zum Beispiel regelmäßig mehr Mädchen als Jungen das Abitur.
2. die Spitzenwerte: In der Grundschule fällt die Begabung von Mädchen weder so deutlich noch in so frühem Alter auf wie bei Jungen, und: "Werden Hochbegabte durch Test ermittelt, so tauchen Mädchen am extremen oberen Ende der Leistungsskala seltener auf als Jungen."
3. die Definition von Hochbegabung: Hoch begabte Mädchen zeigen nicht wie Jungen unangepasste Verhaltensweisen und extreme Leistungsunterschiede. Sie verhalten sich eher angepasst. Ihre Probleme werden andererseits auch weniger wahrgenommen. Die Definition der Hochbegabung orientiert sich am "unangepassten" Verhalten der Jungen und lässt hoch begabte Mädchen eher unentdeckt.
4. das "Verschwinden" der Hochbegabung: Mädchen erzielen in Testverfahren in stärkerem Maße als Jungen im Laufe der Schulzeit geringere Punktzahlen. Die Kriterien und Maßstäbe für die Definition und Selektion der Hochbegabten müssen daraufhin überprüft werden.
5. die Akzeleration: Beim Überspringen von Klassen überwiegen zahlenmäßig in der Grundschule die Mädchen, in den weiterführenden Schulen dann die Jungen.
6. die Breite der Begabungen: Anders als bei durchschnittlich Begabten verwischen sich bei Hochbegabten die Geschlechtsunterschiede; allerdings scheinen hoch begabte Mädchen über ein breiteres Interessenspektrum zu verfügen als hoch begabte Jungen.
7. die Arbeitsstile: Auch im Arbeitsstil finden sich Unterschiede. Mädchen besitzen einen besseren Ordnungssinn, eine größere Übersichtlichkeit und Vielseitigkeit.
Über die Gründe für diese Unterschiede herrscht in der Forschung keine Einigkeit; entsprechend unterschiedlich sind die Ergebnisse. Eine Argumentationslinie stützt sich auf geschlechterdifferente Attribuierungsmuster,
Selbstkonzepte und Erwartungshaltungen von hoch begabten Mädchen werden vor allem durch Eltern beeinflusst und stark durch tradierte Erziehungsziele bestimmt. Wenngleich sich die gesellschaftlichen Erziehungsnormen für beide Geschlechter generell immer mehr angleichen und sich kaum mehr Verhaltensunterschiede zwischen den Geschlechtern finden, sind die Identitäten von Jungen und Mädchen nach wie vor durch geschlechtsdifferente Interessen und Orientierungen gekennzeichnet. Das kulturelle Milieu gibt Geschlechterrollen, verbunden mit in der Gesellschaft vorherrschenden Vorstellungen hinsichtlich geschlechtstypischer Wahl von Schulfächern und Berufswegen, vor, die gegenüber Änderungen relativ resistent sind. Es besteht ein Widerspruch zwischen äußerem Wandel und unbewusster Tradierung von Geschlechterrollen, der sich bis in die Fächerwahl der Mädchen in Schule und Universität und die Berufswahl hinein auswirkt. Ein Beispiel dafür ist die mangelnde Bereitschaft von Mädchen, sich in der Schule für Fächer aus Naturwissenschaft und Technik zu entscheiden.
Für die Herausbildung geschlechtstypischer Identitäten von Mädchen und Jungen ist also nach wie vor die Erziehung der Eltern ausschlaggebend. Deren implizite Wertungen, ihre Ziele und Vorstellungen über die (geschlechtstypische) Berufswahl der Kinder basieren auf traditionellen Rollen.
Als Beispiel für die Wirksamkeit der Determinanten wird das Fach Mathematik herangezogen. Hieran lässt sich die Verschränkung von Vorgaben und individuellen Konstruktionen der Mädchen sehr gut erklären. Die durchschnittlichen Leistungen von 12- bis 13-jährigen Mädchen in Mathematik weisen, gemessen an einem einmaligen Test in der gesamten Jahrgangsstufe, keinen Unterschied gegenüber denen der Jungen auf.
Gemäß der Kontrollüberzeugung der Mädchen ist ein Erfolg in Mathematik nur durch Anstrengung zu erreichen, Misserfolg wird mit mangelnder Fähigkeit, also intrinsisch, erklärt. Dem Fach wird ein geringer Nutzen zugesprochen, weil es als männliche Domäne klassifiziert wird. Eine niedrige Erfolgserwartung korrespondiert mit einer geringen Erwartung der Erfüllung eigener Bedürfnisse und der Furcht vor Misserfolg. Eltern und Lehrer "unterfüttern" diese Erwartungen und Einstellungen: Eltern, indem sie den Nutzen von Mathematik für Mädchen ebenfalls als gering einschätzen, und Lehrer dadurch, dass sie bei Mädchen eine geringe Erfolgserwartung im Fach Mathematik hegen. Nur bei den Mädchen, die sich mit ihrer Begabung durchsetzen, wirkt sich dies nicht entmutigend aus.
Albert Ziegler verweist auf Studien zum geringeren Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl von Mädchen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich.
Eine andere generalisierende Argumentationslinie besteht in der "Unsichtbarkeit" und dem Underachievement begabter Mädchen. Sie zeichnen sich in Bezug auf ihre Begabung eher durch "Zurücknehmen", "Verschwinden" und "Erfolg vermeiden" aus.
So zeigt das Verhältnis von 6 : 1 zwischen hoch begabten Jungen und Mädchen wahrscheinlich nicht die wirkliche Verteilung der geschlechterbezogenen Begabungen. Die Definition und die Kriterien für die Erkennung von Hochbegabung führen zu einer Verschiebung zuungunsten der Mädchen.
Man kann die Forschungsergebnisse in vier Phänomenen zusammenfassen. Hoch begabte Mädchen und Frauen
- "verschwinden", bevor sie in die Elite aufsteigen können;
- werden mit zunehmendem Alter unsichtbarer;
- vermeiden Erfolg und
- werden vergessen.
Es muss also nach alternativen Möglichkeiten und Wegen gesucht werden, (hoch) begabte Mädchen aufzuspüren und ihnen bessere Strategien und Taktiken für die Herausbildung von Kompetenzen zu vermitteln. An die Stelle der Entmutigung muss eine Kultur der Ermutigung treten.
Risiken und Potenziale - Ergebnisse von Geschlechterstudien
Bisher wurde das Fehlen weiblicher Eliten und die mangelnde Förderung hoch begabter Mädchen konstatiert. Es soll nun - auf Basis von Forschungsergebnissen aus Geschlechterstudien - versucht werden, die beschriebenen Ergebnisse zur Eliteforschung und Hochbegabtenforschung mit dem Ziel zu erweitern und zu interpretieren, die Ursachen für die mangelnde Eliterekrutierung von Mädchen und Frauen zu verdeutlichen. Die Forschungen zu den Themen "weibliche Eliten" und "Hochbegabung von Mädchen" sind auf die Beschreibung des Zustandes beschränkt; es wird nicht definiert, wodurch die beschriebenen Folgen verursacht werden, auch werden Forschungsergebnisse aus anderen Bereichen nur unzureichend aufgegriffen. Um eine bessere Eliterekrutierung von Frauen zu gewährleisten, gilt es, die Ursachen für den bestehenden Mangel zu erkennen und - darauf aufbauend - gezielte Maßnahmen zu ergreifen.
Ich vertrete die These, dass die Forschungsergebnisse aus Geschlechterstudien einen Symptomkomplex von Wirkungen in Bildungsprozessen und in der weiblichen bzw. männlichen Sozialisation als Mädchen bzw. Junge beschreiben. Beide Geschlechter leiden heute unter der einseitigen, auf das jeweilige Geschlecht zugeschnittenen Sozialisation; ihr individuelles Potenzial kann sich nicht voll entwickeln. Andererseits ergeben sich sowohl spezifische Risiken als auch Potenziale für die Geschlechter. Die Fähigkeit zu pragmatischem, flexiblem Handeln, die Frauen durch ihre Doppelrolle in Beruf und Familie erwerben, erweist sich im Arbeitsleben ebenso als Chance wie etwa die Durchsetzungsfähigkeit der Männer. Die Studien zeichnen - wenn man die verschiedenen Ergebnisse zusammenfügt - ein differenziertes Bild der tendenziellen Folgen von Erziehung und Bildung in Kindheit und Jugend.
Weibliche und männliche Identität und Subjektivität entstehen durch die Übernahme tradierter gesellschaftlicher Rollen, Normen und Handlungen, die von den Individuen selektiv angeeignet werden und zu eigenen Identitätskonstruktionen führen. Die Aneignung erfolgt nicht im Sinne einer direkten Übernahme, vielmehr wird zwischen unterschiedlichen Geschlechtsrollen und Berufen gewählt.
Im Erwachsenenalter werden die verschiedenen Einflüsse individuell zu Strategien der biografischen Lebensplanung weiterentwickelt. Auch wenn sich die Erziehungsstile der Eltern gegenüber beiden Geschlechtern einander heute immer stärker annähern, so befördert das unbewusste Handeln von Vätern und Müttern, Lehrerinnen und Lehrern doch die Übernahme stereotyper Leistungs- und Verhaltensmuster ebenso wie stereotype Berufswahl.
Eine Einschränkung der Möglichkeiten der individuellen Lebensplanung sowohl der Mädchen als auch der Jungen ist die Folge. Auf diese Weise kommen aber auch geschlechtstypische Potenziale und Kompetenzen zur Geltung. Die polarisierenden und typisierenden Wirkungen des Erziehungs-, Sozialisations- und Bildungsprozesses, den Jungen und Mädchen durchlaufen, gehen heute nicht mehr auf ein konsistentes zweigeschlechtliches Rollenmodell in der Gesellschaft zurück. Sie sind mehrheitlich auf unbewusste und nicht öffentlich thematisierte Normen zurückzuführen. Auch biologische Unterschiede, die sich in verschiedenen Verhaltensweisen der Geschlechter äußern, hat die Forschung nur in wenigen und marginalen Bereichen wie dem räumlichen Sehvermögen u. Ä. gefunden, so dass dieser Aspekt heute zu vernachlässigen ist. Dagegen zeigen sich schon in der Kindheit Unterschiede im Verhalten der Geschlechter, die nicht mehr auf biologische Ursachen zurückführbar sind, so zum Beispiel die größere Gewaltbereitschaft der Jungen. Einzelne Ergebnisse der Forschung werden nun zu Themenkomplexen gebündelt.
Balance zwischen zwei Welten bei Mädchen versus Berufsorientierung der Jungen
Die Identitätskonstruktionen der Mädchen sind - wie Geschlechterstudien belegen - nach wie vor an Familie und Beruf orientiert. Regina Becker-Schmidt nennt dies die "doppelte Sozialisation" oder die "doppelte Vergesellschaftung". Ihre Lebensziele richten sich gleichmäßig auf die Gestaltung eines Familienlebens und die Planung des Berufslebens. Beziehungen und Familie als Modell spielen in der Sozialisation der Mädchen eine große Rolle. Sie werden zu Empathie, Fürsorge und Sensibilität erzogen.
Angehörige von Eliten investieren in aller Regel mehr Zeit in ihre Qualifikation als in Familienarbeit. Die immer noch weitgehend einseitige Lastenverteilung erweist sich für die Rekrutierung weiblicher Eliten als Handicap.
Auch wenn die schulische Bildung der Mädchen heute mit jener der Jungen vergleichbar, ja ihr sogar leicht überlegen ist, hat das nicht zur Folge, dass die Mädchen sich ähnlich hohe berufliche Ziele wie die Jungen setzten. Auch werden keine dem Ausbildungsstand entsprechenden hohen Statuspositionen erreicht. Ein Risiko der weiblichen Sozialisation besteht - wie oben geschildert - in der Entmutigung: Mädchen werden von Erwachsenen in Familie und Schule insgesamt zu wenig ermuntert, ihre Begabungen und die individuellen Potenziale wertzuschätzen. Sie werden zu wenig dazu angehalten, in ihre berufliche Zukunft zu investieren, sei es in Bezug auf hohe Ziele, sei es in Bezug auf Anstrengung und Erfolgsmotivation.
Auf der individuellen Ebene haben - wie oben ausgeführt - die erworbenen geschlechtstypischen Attribuierungsmuster bei den Mädchen die Folge, dass Leistung zu wenig internal als Erfolg gewertet werden kann und deshalb auch zu wenig sich selbst und der eigenen Begabung zugerechnet wird. Dadurch fällt es schwerer, eine sich selbst verstärkende Erfolgszuversicht aufzubauen.
Die Normen der Gesellschaft, so kann man die Ergebnisse der Untersuchungen, die bislang vorliegen, interpretieren, veranlassen Mädchen dazu, sich anzupassen, anstatt sich auf ihre Interessen und deren individuelle Förderung zu konzentrieren. Das Erkennen der individuellen Begabungen und Potenziale von Mädchen ist allerdings auch schwieriger und gelingt seltener, weil diese - wie oben ausgeführt - nicht dem bekannten Bild des männlichen Hochbegabten entsprechen. Auch normal begabte Mädchen werden eher weniger gefördert und gefordert.
Jungen hingegen, so zeigen neuere Forschungsergebnisse, werden im Sozialisations-, Erziehungs- und Bildungsprozess darauf "gedrillt", sich ausschließlich am Beruf zu orientieren und Familie sowie zwischenmenschliche Beziehungen zu vernachlässigen. Zum anderen entwickeln sie ein riskanteres Gesundheitsverhalten, weil sie sich - wie ihre Väter - zu wenig um ihre Gesundheit kümmern und schon im Jugendalter gesundheitlich unterversorgt sind. Im Durchschnitt haben Männer eine um sieben Jahre kürzere Lebenserwartung als Frauen.
Work-Life-Balance
Die Herstellung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf - Work-Life-Balance - liegt weitgehend in der Verantwortung der Frauen.
Frauen und Führung: Potenziale bzw. Kompetenzen
Wie oben ausgeführt, ist die Diskussion um Führungsqualitäten von Frauen eine verdeckte Elitediskussion. Die durch ihre Sozialisation erworbenen Fähigkeiten erweisen sich heute als innovative Qualifikationen für Führungspositionen, bei denen es darum geht, Macht und Verantwortung in der Balance zu halten. Weitere Stichwort sind in diesem Zusammenhang Teamfähigkeit, Netzwerkbildung, effektive Konfliktlösungsstrategien und dichte Kommunikationsnetze.
In der "Augsburger Studie" gaben Wissenschaftlerinnen an, dass sie in der Kindheit nicht nur nicht gefördert wurden, sondern dass sie in Schule und Elternhaus darüber hinaus wegen ihres Ehrgeizes eher diskriminiert wurden. Andererseits hat man ihnen jedoch auch schon in früher Jugend viel Verantwortung aufgebürdet. Gegen alle Widerstände haben sie sich durchgesetzt und behauptet, und sie formulieren retrospektiv die Erfahrung, sich selbst entworfen und durchgesetzt zu haben.
Relationale Aggression
Ein Risiko der Sozialisation von Mädchen und Frauen liegt auch in mangelnden Ausdrucksmöglichkeiten für Wut und Aggression. Im Sozialisations-, Erziehungs- und Bildungsprozess werden diese bei Mädchen negativ sanktioniert. Diese entwickeln deshalb Strategien, ihre Aggressionen auf andere Art auszuleben, etwa auf diskriminierende Weise unter den Mädchen. Relationale Aggression ist ein Begriff von Rachel Simmons, der die verdeckten Aggressionen der Mädchen untereinander in Schulen bezeichnet. Durch das Fehlen von produktiven Strategien, die nicht zum normierten Bild des Mädchens passen, werden Wut, Zorn, Neid und Konkurrenz zwar nach außen hin verleugnet, aber als zerstörerische Energie in die Interaktionen eingebracht.
Die verborgene Aggressionskultur mit ihren Intrigen als Gewalt zu qualifizieren und aufzudecken, so Simmons, setzt ihre Verbalisierung sowie die Intervention der Eltern und Lehrer voraus. Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, dass Mädchen Aggressionen haben und wie sie sie handhaben.
Gesundheitsverhalten
Stereotype Einstellungen im Bewusstsein von Eltern und Pädagogen bleiben unbewusst erhalten mit der Folge sich fortschreibender Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Bei Jungen und Männern führt dies u.a. zu einem höheren Risiko, Gesundheitsvorsorge zu vernachlässigen und Gewaltbereitschaft zu entwickeln bzw. auch Opfer von Gewalthandlungen zu werden. Bei Mädchen und Frauen besteht das Risiko, weniger Körperkraft und Selbstbewusstsein auszubilden und verstärkt die Angst von Erwachsenen zu übernehmen, die sie in Bezug auf hohe Ziele bremsen. Sie bleiben dann nicht selten hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Rekrutierung weiblicher Eliten durch Gender Mainstreaming
Maßnahmen zur Rekrutierung weiblicher Eliten durch Gender Mainstreaming werden heute in allen Organisationen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung durchgeführt. Damit wird an die Stelle der Entmutigung von Frauen eine Kultur der Ermutigung gestellt. Gender Mainstreaming ist ein Konzept der Gleichstellungspolitik und ein Steuerungsinstrument für Organisationen, um Qualität durch Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern. Gender Mainstreaming verbindet eine Bottom-up-Strategie der Frauenförderung, wie sie bisher von der Frauenbeauftragten an Hochschulen schon geleistet wurde, mit einer Top-down-Strategie, bei der die Hochschulleitung in die Verantwortung mit einbezogen wird.
Wie kann die Rekrutierung weiblicher Eliten durch Gender Mainstreaming gefördert werden? Im Gender-Mainstreaming-Prozess an der Universität Augsburg werden unter anderem folgende Maßnahmen durchgeführt:
1. Begabte Studierende und junge Wissenschaftlerinnen sollen auf dem Wege der Spurensuche identifiziert, informiert und durch Beratungsmaßnahmen unterstützt werden.
2. Es werden Workshops und Mentoring-Programme zur Vermittlung von Karrierestrategien und zum Aufbau von Netzwerken mit dem Ziel angeboten, die Erfolge und das Selbstbewusstsein junger Frauen zu stärken und gegenseitig Erfahrungen auszutauschen.
3. Weibliche Potenziale und Leistungen in der Universität werden durch Reflexion der wissenschaftlichen Leistungen dargestellt und kenntlich gemacht.
4. Auf Web-Sites und innerhalb der Universität werden die Maßnahmen des Gender Mainstreaming nach außen kommuniziert, um die Familienfreundlichkeit und die besondere Akzeptanz der weiblichen Studierenden und Wissenschaftlerinnen zu betonen. Allerdings wird keine Diskriminierung der männlichen Wissenschaftler gewünscht.
5. Durch das Schaffen von Kinderbetreuungseinrichtungen wird die Voraussetzung geschaffen, dass Mütter und Väter als Wissenschaftler beruhigt arbeiten können.