Die Kluft zwischen Vorstellung und Wirklichkeit
Trotz des sich vertiefenden Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern besteht heute in Israel selbst, und sogar zwischen Israelis und Palästinensern, kaum eine Meinungsverschiedenheit über die Wahrnehmung der sie umgebenden Realität und das Prinzip des Konflikts.
In der Tat werden heute auf israelischer Seite die Wahlversprechungen von linken wie rechten Parteien als hohle Deklarationen gelesen, die von der Realität widerlegt sind: einerseits die idealistischen Hoffnungen und Prophezeiungen der Osloer Abkommen zur Zeit von Jitzhak Rabin und Schimon Peres, andererseits die bis vor kurzem geäußerten Versprechungen von Frieden und Sicherheit bei fortgesetztem Siedlungsbau und florierender Wirtschaft durch Ministerpräsident Ariel Scharon an der Spitze des rechtsnationalen Lagers. Angesichts der rechten Opposition und geschwächt von strafrechtlich relevanten Anschuldigungen ruft Scharon heute von der politischen Mitte aus zu Schritten auf, die unmittelbar aus dem politischen Forderungskatalog der israelischen Linken schöpfen: schmerzhafte Verzichte, einseitiger Rückzug aus Gaza, Anerkennung eines Palästinenserstaates, Bau eines Trennzauns, Abbau von Siedlungen - all das unter Beschuss und anhaltendem Terror, der die israelische Gesellschaft peinigt, und bei wirtschaftlicher Rezession und politischer Lähmung.
Der Konflikt und die Stärke der Gesellschaft: Israel und Palästina
Angesichts dieser Situation irren meiner Ansicht nach jene, die meinen, die beiden Seiten seien des Kampfes müde. Sämtliche Umfragen der letzten Jahre zeigen zwar eine stark wachsende Bereitschaft in Israel, bis zur Aufgabe von Gebieten wie dem Gaza-Streifen und wenigstens einem Teil der Westbank zu gehen sowie einer Evakuierung von Siedlungen zuzustimmen. Manch einer in Israel sieht darin eine "Kapitulation vor dem Terror" oder eine Schwächung der Gesellschaft. Andere Studien zeigen jedoch, dass das Bild weitaus komplizierter ist. Bei Israelis wie Palästinensern sind Solidarität und sogar Entschlossenheit im Kampf zu einer nicht unbedeutenden öffentlichen, psychologischen Kraft geworden. In Bezug auf die israelische Gesellschaft stellt einer ihrer kritischsten Soziologen fest, dass Israel trotz eines "vielschichtigen Kulturkampfs" und einer Institutionalisierung der gesellschaftlichen und kulturellen Verschiedenheit ein "kräftiger, starker Staat" sei, nicht nur in militärischer Hinsicht, sondern auch bezüglich seiner gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Fähigkeiten.
Ein zusätzlicher, längerfristiger Einflussfaktor in der Auseinandersetzung kann in der Korrumpierung der Stellung politischer Ideologien und der politischen Lager in Israel gefunden werden: Die traditionelle Rechte hat sich in Richtung Mitte bewegt, und die Unterstützung für religiös-messianische Parteien ist geschrumpft. Der linke, sozialistische Flügel in Israel ist hingegen verschwunden. Die Merez-Partei (seit April 2004 "Jachad") samt den Bewegungen der Linken konzentriert sich auf die Probleme des Palästinenserkonflikts, und die kommunistische Partei Israels, die in der Vergangenheit Juden und Araber vereinte, hat sich praktisch zu einem Flügel der arabisch-palästinensischen nationalen Bewegung verwandelt. Statt über Fragen der Ideologie streiten Falken und Tauben heute um Fragen der "Sicherheit". So erklärt Schlomo Avinery
Der Genfer Effekt
Das Genfer Abkommen verdeutlicht diese Thesen sehr gut. In weiten Teilen Europas und der Welt wurde das Dokument, das einen Vorschlag zu einer dauerhaften Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern präsentierte, im Dezember 2002 als Durchbruch dargestellt, als mutige Chance, aus der Sackgasse herauszukommen und gemeinsam das Ziel zu erreichen: zwei Staaten, die in Frieden nebeneinander leben. Eine Propagandakampagne in Presse und Fernsehen erzeugte den Eindruck, es handle sich um einen historischen Prozess, der von der israelischen und palästinensischen Öffentlichkeit unterstützt werde. Die Medien und herrschende Kreise von Politik und Öffentlichkeit in Europa mobilisierten in nie dagewesener Weise die Förderung der Initiative. Unterstützt wurden sie von Regierungschefs und Außenministern, Vorsitzenden von Parteien, Forschungsinstitutionen und der Öffentlichkeit, Kirchen und der Zivilgesellschaft. Und dann verschwand die Initiative aus den Schlagzeilen und von der öffentlichen Tagesordnung in Israel und Palästina ebenso schnell, wie sie aufgetaucht war. Wenige Monate nach seiner Veröffentlichung fand das Dokument kaum noch Erwähnung.
76 Prozent aller Israelis lehnten die Genf-Initiative ab, 24 Prozent stimmten ihr zu - Ergebnisse, die völlig im Gegensatz zu der sich in der israelischen Öffentlichkeit ausbreitenden Tendenz zu massiver Unterstützung eines territorialen Kompromisses standen, mit einseitigem Rückzug und sogar Errichtung eines palästinensischen Staates. Dieses Paradox hat mehrere Gründe: Zunächst wurde das Genf-Dokument in Israel über die Medien verbreitet und an jeden Haushalt mit einer riesigen Werbekampagne verteilt. Obwohl etwa 80 Prozent der Israelis seinen Inhalt registrierten, haben nur wenige das Dokument genauer gelesen (und noch weniger bei den Palästinensern, da es dort in der Bevölkerung nicht verbreitet wurde). Viele bezweifelten auch die politische Fähigkeit der Initiative, ihre Absichten in die Tat umzusetzen, wenn hinter ihr keine effektive öffentliche Unterstützung steht. Die politischen Parteien distanzierten sich mehrheitlich von der Initiative, und auch unter den Anhängern fanden sich etliche, welche die Legitimation einer im Ausland geführten politischen Verhandlung - hinter dem Rücken der Regierung und fremdfinanziert - in Frage stellten. Darüber hinaus hielt man das Dokument und seine Unterzeichner als von der Wirklichkeit vor Ort losgelöst.
Die Worte Abdel Monem Saids
Vier Ebenen der öffentlichen Meinung in Israel
Tatsächlich hat die lange israelisch-palästinensische Auseinandersetzung viele Dimensionen. Der Konflikt ist ein internationaler und regionaler, er ist national, territorial und politisch, juristisch, religiös, kulturell, ökonomisch und sozial, menschlich und historisch. Darüber hinaus ist er sicher der von den Medien am besten dokumentierte Konflikt der Welt. Im Folgenden werde ich die Einflüsse und Prozesse, die in der letzten Zeit die öffentliche Meinung in Israel formten, auf vier Ebenen behandeln, in die ich einige der zentralen Charakteristika des Konflikts einordne. Meine zentrale These ist, dass diese vier Ebenen von Ereignissen wie auch die Art der Berichterstattung darüber ein komplexes, paradoxes und dialektisches Bild der öffentlichen Meinung in Israel entstehen lassen. Dieses Bild bleibt den internationalen Medien größtenteils verborgen, wie ein Eisberg unter der Meeresoberfläche, trotz ihrer massiven Präsenz vor Ort und der ununterbrochenen Berichterstattung über Israel und den Nahen Osten.
Die innergesellschaftliche Ebene
Trotz der scharfen politischen Meinungsverschiedenheiten zwischen der Rechten und der Linken ist die jüdisch-israelische Gesellschaft heute weniger gespalten, als sie es von Ende der siebziger Jahre an bezüglich der Hauptthemen auf der politischen Tagesordnung war. Dies kommt zum einen in der breiten und konsequenten Unterstützung einer Mehrheit der jüdischen Öffentlichkeit in Israel für die Etablierung einer Einheitsregierung zum Ausdruck, welche Rechte, die Mitte und Linke einschließen soll. Gleichzeitig ist die Mehrheit der Israelis über das gesellschaftliche Auseinanderfallen und über die Polarisierung und Gewalt in der israelischen Gesellschaft beunruhigt. Dabei geht es nicht um die Art der sektoralen und ethnischen Polarisation, die sich seit den siebziger Jahren verstärkte und ihren Höhepunkt in den neunziger Jahren erreicht hatte.
Gleichwohl nahm die politisch-ideologische Polarisation in der jüdischen Gesellschaft nicht zu. Die extreme Rechte (das sind die Gegner des Friedensprozesses und Befürworter eines Großisraels) wird von einer Minderheit der Wählerschaft unterstützt, während die Linke auf dramatische Weise abfiel. Umfragen ergeben einerseits eine permanente Mehrheit für einen politischen Kompromiss mit territorialen und anderen Verzichten, andererseits wachsen Zweifel an der Fähigkeit der Politiker, überhaupt irgendwelche Schritte in die Tat umzusetzen. Praktisch entwickelt sich hier eine Haltung, die man "a-politisch" oder sogar "anti-politisch" nennen könnte.
Das "Democracy Barometer 2003" deckte eine Reihe Besorgnis erregender Prozesse und Phänomene in der israelischen Gesellschaft auf. So fand es u.a. heraus, dass immer weniger Israelis die Demokratie als bevorzugtes Regierungssystem befürworten: Von 90 % im Jahre 1999 fiel die Zustimmung auf 77 % im Jahre 2003. Ausgesprochen hohe Umfragewerte ergab die Wahrnehmung von gesellschaftlichen Spaltungen - besonders die zwischen Juden und Arabern: 89 % der Befragten sind der Ansicht, dass die Beziehungen zwischen den beiden Nationalitäten furchtbar seien. Aber auch die anderen Risse in der Gesellschaft bleiben im Bewusstsein: Spannungen zwischen Religiösen und Säkularen verurteilen 76 %, die Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche 75 %, Aschkenasim gegenüber Sefardim 57 % und zwischen neuen und alten Immigranten 51 %. Dennoch offenbart die Umfrage, dass es ein hohes Maß an Vertrauen in die demokratischen Institutionen gibt. Das höchste Vertrauen genießt der Oberste Gerichtshof (42 %), die Medien erzielen 26, der Ministerpräsident 18 und die Knesset nur 14 %.
Ausgewählte Themen
Selbstidentifikation in Fragen des Friedens und der Sicherheit: Folgendermaßen identifizierten sich die Israelis (Yaar, September 2003) hinsichtlich ihrer politischen Orientierung (Vorgabe: rechts-Mitte-links): 49 % der Befragten ordneten sich "rechts" zu (davon 23 % "rechts", 26 % "gemäßigt rechts"), 20 % der Mitte, 19 % links, 12 % wählten keine Zuordnung. Diese Identifizierung kann jedoch nicht exakt in Parteipolitik übersetzt werden. Die Option einer nationalen Einheitsregierung erscheint auch heute plausibel wie vor den Wahlen 2001, und die Mehrheit der Parteien, welche die jüdische Öffentlichkeit in Israel repräsentieren, sind "funktionale Partner" unterschiedlichster Koalitionen: Gemäß den Wahlergebnissen von 2001 ist die extrem national-religiöse Rechte heute mit 13 Mandaten von 120 Sitzen in der Knesset vertreten, die israelische und arabische Linke mit 14, und die restlichen 93 Abgeordneten der Parlamentsfraktionen sind funktionale Partner der Einheitsregierung. Haupthindernis für die Etablierung einer breiten Regierung bleibt die säkular-religiöse Spaltung in der Öffentlichkeit wie in den Parteien und nicht die Fragen von Frieden oder Sicherheit.
Persönliche Sicherheit und Zufriedenheit: Der Faktor, der die öffentliche Meinung in den Jahren seit dem Beginn der Intifada am meisten beeinflusst hat, ist zweifellos der Terror. Bei diesem Thema unterscheiden die Israelis heute mehr als je zuvor zwischen der Frage der persönlichen Sicherheit und dem nationalen sicherheitspolitischen Kampf Israels. Arian führt an, dass 83 % der Israelis fürchten, sie oder ihre Familienangehörigen könnten bei Terroranschlägen verletzt werden. Das ist zwar ein etwas niedrigeres Ergebnis als 2002 - dem Jahr mit dem schlimmsten Umfrageergebnis mit einer Zustimmung von 92 % der Befragten -, dennoch spiegelt es in aller Deutlichkeit eine tiefe und umfassend existentielle Furcht wider. Eine Untersuchung der nationalen Stimmung (Panorama, Dezember 2003) hingegen fördert andere Ergebnisse zutage. Auf die Frage: "Was beunruhigt Sie besonders zum Jahresende 2003?" nannten 37,5% die wirtschaftliche Situation, 34,8% die gesellschaftliche Polarisierung, und nur 27,7 % wählten die Sicherheitslage. Diese Ergebnisse spiegeln eine große Unklarheit in der Einschätzung der momentanen Situation der israelischen Gesellschaft wider und stehen im deutlichen Widerspruch zu den Äußerungen, dass sich die Befürchtungen hinsichtlich der persönlichen Sicherheit der Befragten verschlimmern.
Extreme Stimmungsschwankungen: Im Verhältnis zur Wahrnehmung der objektiven Lage offenbart die subjektive Messziffer in einigen Bereichen (besonders die persönliche, berufliche und familiäre Situation) starke Schwankungen gegenüber dem Durchschnitt der Umfragen und gegenüber den Erwartungen. Populäre Umfragen, die nahezu wöchentlich in der Presse veröffentlicht werden, enthüllen heftige Schwankungen und eine demonstrativ kritische Einstellung, bisweilen nahezu Verzweiflung, die sich mit kurzlebiger Hoffnung abwechselt.
Zum Beispiel: Laut Dahaf vom 13. April 2004 sind 65 % der Befragten der Ansicht, Israel befinde sich in einem wirtschaftlichem Zusammenbruch. 73 % meinen, das Land sei in gesellschaftlicher Auflösung begriffen, 79 % beschuldigen die Regierung einer grausamen Behandlung sozial Schwacher und 69 % sogar einer absichtlichen Verletzung sozialer Solidarität. 88 % sind der Meinung, dass es in Israel keinen einflussreichen gesellschaftlichen Protest gebe, 76 % stimmen zu, dass die israelische Gesellschaft gewalttätig sei, und laut Aussage von 70 % ist auch das Gefühl von Solidarität und Einigkeit in der israelischen Gesellschaft in den letzten zwei bis drei Jahren schwächer geworden. Umfragen dieser Art sind ein Seismograph für Zufallsprotest und kein Ausdruck ernsthafter Tendenzen wie jene Einstellungen, die immer wieder in breiteren, tiefer gehenden Befragungen gemessen werden. So ergab zum Beispiel eine Umfrage des Zentralen Statistikamtes von 2002, dass 83 % der Israelis mit ihrem Leben zufrieden oder sehr zufrieden sind, 40 % von einer Verbesserung ihrer Situation ausgehen, 82 % mit ihrer Arbeit zufrieden oder sehr zufrieden sind sowie 94 % mit ihren Familienbeziehungen, Nachbarn, ihrem Wohnort und ihrer gesundheitlichen Verfassung.
Das Standhaltevermögen der israelischen Gesellschaft angesichts der anhaltenden Gewalt: Laut Yaar, September 2003, bewertet die Mehrheit der Befragten (53 %) die Bewältigung der israelisch-palästinensischen Konfrontation in der israelischen Gesellschaft als gut oder sehr gut - gegenüber 42 %, die sie als ziemlich oder sehr schlecht einschätzen (5 % ohne Meinung). Im Vergleich zu einer früheren, im August 2001 durchgeführten Studie ist zwar eine gewisse Zermürbung erkennbar, was das Durchhaltevermögen der israelischen Gesellschaft angeht - damals lagen die Zahlen bei 60 % zu 40 % -, trotzdem bewertet die Mehrheit die israelische Durchhaltekraft positiv.
Die nationale Ebene
In einer Periode anhaltender politischer Erstarrung konzentriert sich die Parteipolitik in Israel um die politische Mitte. Nach Meinung der Öffentlichkeit haben politische, wirtschaftliche und andere Fehlschläge seit der Ermordung Ministerpräsident Rabins dazu geführt, dass allgemein das Vertrauen in die Politiker abgenommen hat. In der Tat haben die Wähler bis zu den Wahlen 2002, die in einer Zeit des Kampfes abgehalten wurden und daher eine Anomalie darstellen, seit Jitzhak Schamir, der den Friedensprozess mit der Madrider Konferenz im Oktober 1991 einleitete, keinem einzigen amtierenden Regierungschef für die Dauer einer ganzen Amtsperiode ihr Vertrauen geschenkt. Alle Wahlsiege von Anfang der neunziger Jahre bis 2002 waren in der Praxis Niederlagen der amtierenden Ministerpräsidenten, ohne gleichzeitig Zustimmung zu den Botschaften ihrer Konkurrenten zu bedeuten: Schamir wurde im Jahre 1992 von Rabin besiegt, weil er als "Fossil" und seine Partei als verfilzt angesehen wurde. Rabin wurde im November 1995 von einem politischen Attentäter der extremen Rechten ermordet. Sein Nachfolger Peres wurde bei den Wahlen im Mai 1996 von Benjamin Netanjahu geschlagen, da man ihn als hilflos gegenüber der Terrorwelle im Frühjahr 1996 ansah. Netanjahu wurde nach den Wahlen 1999 von Ehud Barak abgelöst, da er als unerfahren, seine Versprechen verleugnend und als nicht führungskompetent galt. Barak schließlich wurde von Scharon im Jahre 2001 besiegt, weil er sowohl hinsichtlich des Friedensabkommens wie auch in der Entgegnung auf den Ausbruch der Intifada im Herbst 2000 als Versager angesehen wurde.
Ausgewählte Themen
Wer würde eine Krise besser bewältigen? Laut "Panorama", Dezember 2003 (wie viele andere Umfragen), gibt die Mehrheit der Israelis einer Einheitsregierung den Vorzug vor der gegenwärtigen (52% gegenüber 31%). Die Behandlung der wichtigsten Probleme des Staates durch die Regierung wird als Fehlschlag angesehen: Nach Arian, 2003, sind 76% der Ansicht, dass die Regierung ihre Funktion schlecht oder "nicht befriedigend" erfüllt (gegenüber 78% im Jahre 2002), und das trotz breiter Unterstützung Scharons bei den nur ein Jahr davor abgehaltenen Wahlen und angesichts der überraschenden Zufriedenheit der Israelis mit der Regierung hinsichtlich ihrer Bewältigung des zentralen Problems auf der öffentlichen Tagesordnung - des Terrors (61 %).
Israelische Araber: Dieses Thema stellt die Öffentlichkeit in Israel vor eine gesellschaftliche und politische Herausforderung, speziell seit Beginn der Intifada im Herbst 2000. Damals waren bei einer Demonstration 13 israelische Araber getötet worden. Gleichzeitig werden immer wieder Nachrichten über die Beteiligung israelischer Araber an Terrorakten und ihre Unterstützung des nationalen palästinensischen Kampfes öffentlich. Nachdem Benjamin Netanjahu in einer Rede im Dezember 2003 festgestellt hatte, dass die israelischen Araber eine demographische Gefahr für die Existenz Israels als jüdischer Staat verkörpern, stimmten laut Yaar, Dezember 2003, 71% der jüdischen Israelis dieser Aussage zu, und 58% waren der Ansicht, dass die israelischen Araber einem (zukünftigen) palästinensischen Staat gegenüber loyaler sein würden als gegenüber Israel. Dennoch antworteten 54 %, dass sie gleiche Rechte für die Araber mit israelischer Staatsbürgerschaft befürworteten (gegenüber 44 % Ablehnung).
Die Konfliktebene zwischen Israel und den Palästinensern
Die Meinung der israelischen Öffentlichkeit tendiert in den letzten Jahren klar zum territorialen Verzicht, zur Erlangung eines Kompromisses und zur Anerkennung der Realität in den besetzten Gebieten. Allerdings änderte sich die Stimmung im Gefolge der letzten Erklärung von Ministerpräsident Scharon, in der er die Chance auf das Erreichen eines Abkommens zwischen beiden Seiten bezweifelte, und die Unterstützung einseitiger Abkommen wuchs. Die Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit unterstützt Scharons Initiative in den prinzipiellen Fragen: unnachgiebiger Krieg gegen den Terror inklusive Liquidierung der Anführer, Errichtung des Trennzauns, Räumung des Gaza-Streifens und Opposition gegen die Genfer Initiative.
Ein von Ascher Arian durchgeführtes Forschungsprojekt stellte über zehn Jahre die Frage: "Wird ein Friedensabkommen zwischen Israel und den Palästinensern den Konflikt zwischen den Seiten beenden?" Hier liegt meiner Meinung nach einer der Hauptgründe für die prinzipielle und entscheidende Veränderung in der öffentlichen Meinung (vgl. die Abbildung: PDF-Version).
Die Abbildung (s. PDF-Version) veranschaulicht den Ernüchterungsprozess hinsichtlich der Osloer Abkommen von 1993. Während eine Mehrheit in der israelischen Öffentlichkeit - jenseits ihrer politischen, ethischen, kulturellen und ökonomischen Verortung - das Abkommen 1993 unterstützte, befinden sich die Befürworter eines Abkommens (Version Oslo oder Genf) heute in der Minderheit. Im Jahre 2002 sank die Rate sogar auf einen Tiefstand von 26 % ab. Der gemäßigte Anstieg im Jahre 2003 auf 35 % Befürworter ist nur durch die Einschätzung erklärbar, dass einseitige Abkommen, die Israel umsetzen würde, Wege für ein zukünftiges Abkommen mit den Palästinensern bahnen könnten.
Ausgewählte Themen
Verhandlungen und Palästinenserstaat: Die Mehrheit der Israelis vertritt die Ansicht, dass Verhandlungen mit den Palästinensern in verschiedenen Bereichen durchaus möglich seien. Einer der Gründe dafür ist, dass sich die israelische Öffentlichkeit der spezifischen Realität des israelisch-palästinensischen Konflikts sehr bewusst ist: Wirtschaftliche wie andere Beziehungen zwischen den beiden Seiten werden, trotz Feindseligkeit und Gewalt, nahezu ununterbrochen aufrechterhalten. So unterstützt eine überwältigende Mehrheit (75 %) den Versuch, weiterhin ein Abkommen zu erreichen (Yaar, November 2003), und 65 % befürworten die Errichtung eines palästinensischen Staates, auch im Kreise der Likud-Wähler (63 % dafür, 33 % dagegen). Einer der Hauptgründe für diese Bereitschaft ist die wachsende Furcht vor einem binationalen Staat, der die Parteien und die Meinungen in der jüdischen Öffentlichkeit in Israel teilt. Laut Yaar vom Oktober 2003 fürchten sich 67 % der Israelis vor einem binationalen Staat, nur 6 % sprechen sich dafür aus. Das Prinzip "zwei Staaten für zwei Völker" hat daher in dieser Umfrage große Zustimmung errungen (78 %). Die Majorität der Israelis befürwortet sogar Abkommen mit extremen palästinensischen Organisationen in diversen Fragen - vom Austausch von Kriegsgefangenen bis hin zum Waffenstillstand. Die Auswertungen (Yaar, Januar 2004) ergaben, dass 67 % der Befragten die Verhandlungen mit der Hisbollah über einen Austausch der israelischen Gefangenen gegen palästinensische Häftlinge unterstützten, der tatsächlich im Januar 2004 stattfand. Nur 28 % waren dagegen. 54 % der Befragten sprachen sich sogar für die Möglichkeit von Verhandlungen solcher oder anderer Art mit der Hamas aus, 41 % lehnten sie ab. Es muss betont werden, dass von jenen Palästinenserorganisationen die Rede ist, die in Israel im gegenwärtigen Konflikt als die bittersten Feinde angesehen werden.
Einseitige Abtrennung: Laut Yaar, Dezember 2003, bevorzugen 59 % eine einseitige israelische Loslösung von den Palästinensern in der nächsten Zeit. Die Alternative, auf eine Regelung mit den Palästinensern hinzuarbeiten, auch wenn der Prozess viel Zeit beanspruchen wird, unterstützen heute nur 29 %, 12 % haben keine klare Präferenz. Laut "Panorama", 24. Dezember 2003, waren 59 % für eine Ablösung, 22 % dagegen. Dafür stimmte auch eine kleine Mehrheit der Likud-Wähler - 41 % zu 38 %. Eine neuere Umfrage ergab, dass die Unterstützung des Scharon-Plans in der Likud-Partei im Verhältnis von 51 % (dafür) zu 36 % (dagegen) steht. Yaar (Februar 2004) fand heraus, dass die Befürwortung des Plans in der breiten Öffentlichkeit sogar bei 62 % gegenüber nur 28 % Ablehnung liege. Man muss hervorheben, dass sich eine ähnliche Mehrheit für eine Ablösung bei den Wählern aller großen Parteien findet, einschließlich der linken Merez-Partei (53 % dafür, 36 % dagegen). Die unmittelbare Gegenüberstellung der Alternativen: sofortige Ablösung oder Erarbeitung eines Friedensabkommens über einen längeren Zeitraum ergibt eine klare Präferenz für Ersteres (51 % gegenüber 36 %).
Der Trennzaun: Hier ist die öffentliche Zustimmung ganz klar und überwältigend. Laut Yaar, Februar 2004, ist die jüdisch-israelische Öffentlichkeit, trotz in- und ausländischer Kritik an der Errichtung des Zauns, mit 84 % fast einhellig dafür (13 % sind dagegen, 3 % unentschieden). Obwohl nur 16,5 % glauben, dass der Zaun und die anderen Mittel einer physischen Abtrennung die Terroranschläge vollständig verhindern können, glauben immerhin 70 %, dass solche Maßnahmen sie bedeutend reduzieren. Die breite öffentliche Unterstützung des Zauns geht quer durch die Parteien: In Wählerkreisen von Schinui, Likud und Arbeitspartei beträgt sie annähernd 90 %, bei den Wählern der nationalen Einheit, der national-religiösen Mafdal, der Schass und der Merez liegt sie etwas niedriger (ca. 60 % bis nahe 70 %). Bezüglich der Kennzeichen des Zauns schätzen etwa zwei Drittel der gesamten jüdischen Öffentlichkeit, dass er nach den sicherheitsrelevanten Erwägungen der Regierung aufzubauen ist, das heißt auch auf palästinensischem Gebiet, trotz des Protests und des Leids, das den Anwohnern dadurch verursacht wird. Nur eine Minderheit - ca. 20 % - vertritt die Meinung, dass er sich mit der "Grünen Linie" decken müsse.
Liquidierungen und Maßnahmen gegenüber den Palästinensern: Auch die Befürwortung der Liquidierung palästinensischer Anführer und Aktivisten ist laut Yaar, Oktober 2003, besonders hoch (75 % dafür, 19 % dagegen). In der Rechten liegt sie bei 88 %, in der politischen Mitte bei 79 %, und in der Linken - von der die Initiative zur Errichtung des Zauns ausging - bei 42 %. Nur wenige bringen moralische Begründungen für ihre Ablehnung vor. Viele sind aus pragmatischen Gründen (Verstärkung des Terrors, Ineffektivität) dagegen. Auch für die Maßnahmen von Regierung und Armee gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten gibt es starke Unterstützung (Arian, 2003): 58 % sind der Ansicht, dass diese Maßnahmen richtig sind, 29 % meinen sogar, dass sie "zu weich" seien. Nur 13 % der Befragten finden die Schritte "zu hart".
Siedlungen: Dieses Thema spaltet die Israelis seit Beginn der Ansiedlung jenseits der "Grünen Linie" im Gefolge des Sechstagekriegs von 1967. In letzten Jahren ist allerdings eine klare Tendenz in der Öffentlichkeit in Richtung "Tauben" erkennbar. So sahen laut Arian, 2003, 50 % der Befragten in den Siedlungen ein Hindernis für den Frieden, gegenüber 43 % im Jahre 2002. 59 % sind demnach bereit, die Siedlungen zu räumen, ausgenommen zentrale Siedlungsblöcke, gegenüber 50 % im Jahre 2002. Laut Yaar, November 2003, sind 60 % zu einer Räumung des Gaza-Streifens bereit, und 58 % stimmen einer Räumung der Einzelsiedlungen im Westjordanland zu.
Rückkehrrecht und die Zukunft Jerusalems: Hier ist die überwältigende Opposition effektiv bestehen geblieben (Yaar, August 2003): 68 % lehnen ein Rückkehrrecht total ab, 16 % der Befragten stimmen der Aufnahme von einigen Tausend Palästinensern zu, 7 % sind unentschieden, und nur 9 % votieren für das Rückkehrrecht. Gleichzeitig geht man davon aus, dass die überwiegende Mehrheit der Palästinenser voraussichtlich überhaupt nicht beabsichtigt, dieses Recht wahrzunehmen, auch wenn es gegeben wäre. Außer den Wählern der Merez ist die Mehrheit in allen jüdischen Parteien entschieden gegen das Rückkehrrecht und sogar gegen eine grundsätzliche Anerkennung (ohne Verwirklichung) dieses Rechts (66 % aller Befragten). Hinsichtlich Jerusalems registriert Yaar eine große Mehrheit (November 2003) gegen eine Übergabe der arabischen Viertel der Hauptstadt in palästinensische Herrschaft (61 % zu 33 %). Hier fällt die parteiliche Aufteilung auf: 91 % der Merez-Wähler und 68 % der Arbeitspartei befürworten eine Übergabe, während die klare Mehrheit in den übrigen jüdischen Parteien Israels dagegen ist.
Die regionale und die internationale Ebene
Die sicherheitspolitische und strategische Lage Israels wurde in den letzten Monaten in der öffentlichen israelischen Meinung als sicherer betrachtet. Das ist eine Folge des Kriegs der Amerikaner gegen den Irak und von Saddam Husseins Sturz; diese Einschätzung ist auch auf die Isolierung Syriens, die Wendung von Libyens Staatsführung zum Westen hin und teils auch auf Stimmen aus dem Iran, Sudan und weiteren Staaten zurückzuführen. Dennoch führt der anhaltende Konflikt mit den Palästinensern zu einer erheblichen Verschärfung und Radikalisierung in den Beziehungen Israels zu den arabischen Staaten sowie gegenüber der islamischen Welt insgesamt und zu einer Verschärfung der Feindseligkeit gegen Israel in der Meinung der Weltöffentlichkeit - besonders in Europa. Israel stellt zum Beispiel in einer Umfrage des "Eurobarometer" der Europäischen Union im Jahre 2003 nach mehrheitlicher Meinung "die Hauptgefahr für den Frieden in der Welt" dar.
Israel, Europa und die Vereinigten Staaten
Im Gegensatz zu der stabilen und breiten Sympathie in Israel für die Vereinigten Staaten zeigt eine umfassende, kürzlich durchgeführte Befragung (Dahaf-Europa 2004), dass etwa 65 % der Israelis der Feststellung zustimmen, "die Einstellung der Europäischen Union zu Israel ist Antisemitismus in der Maske moralischer Grundsätze". Etwa 80 % sind der Ansicht, dass der Antisemitismus in Europa wächst, hauptsächlich auf Grund des Einflusses der muslimischen Bürger Europas - aber auch unter dem Einfluss der Medien und infolge der Politik Israels in den besetzten Gebieten. Die Mehrheit der Israelis ist jedoch trotz allem daran interessiert, sich der Europäischen Union anzuschließen (85 %), und sieht in der Union einen "positiven Beitrag" für Europa und auch für Israel selbst (90 %). Die Tabelle (s. PDF-Version) zeigt einige Empfindungen in der israelischen Öffentlichkeit bezüglich der "Fairness" Europas beim Thema des palästinensisch-israelischen Konflikts im Vergleich zur Meinung über die Vereinigten Staaten.
Das Gefühl, "die ganze Welt ist gegen uns", ist üblich und weit verbreitet in Israel. Die UNO-Weltkonferenz gegen Rassismus im August 2001 in Durban, Südafrika, veranschaulichte der öffentlichen Meinung in Israel eine weltweite Verschärfung von Anti-Israelismus und Anti-Amerikanismus, ebenso die Verhandlung am internationalen Gerichtshof in Den Haag im Februar 2004 zur Frage des Sicherheitszauns sowie europäische Berichte, die einen steilen Anstieg des Antisemitismus auf dem Kontinent bezeugen. Die tiefe Ungewissheit bezüglich der Erfolgsaussichten der Amerikaner im Irak und die internationale Terrorwelle führen zu einer anhaltenden Destabilisierung in der Region und zur Unfähigkeit der Vereinigten Staaten - die den Präsidentschaftswahlen entgegengehen -, eine aktive politische Rolle im Nahen Osten zu spielen.
Friedensaussichten in der Region nach dem Irak-Krieg
Parallel dazu ist infolge des Irak-Kriegs in Israel eine gedankliche Wendung eingetreten, nämlich eine Tendenz, die Chancen für einen Frieden in den nächsten Jahren deutlich höher einzuschätzen (Arian, 2003): Während im Jahre 2002 noch 79 % der Israelis meinten, dass in der Region ein Krieg ausbrechen werde, sank dieser Prozentsatz dramatisch, bis weit unter die Hälfte, auf 34 %, im Jahre 2003. Parallel dazu wuchs der Anteil derer, die meinen, ein Frieden in der Region sei innerhalb der nächsten drei Jahre möglich, von 21 % im Jahre 2002 auf über das Doppelte - 43 % im Jahr darauf. Ebenso stieg der Anteil derer, die der Meinung sind, dass zur Erreichung eines Abkommens Friedensgespräche mit den Palästinensern effektiver seien als militärische Gewalt: von 36 % Befürwortern gegenüber 45 % Gegnern im Jahre 2002 auf 49 % Unterstützung gegenüber 34 % Ablehnung im Jahr 2003.
Der Terror, die politisch Kultur, die Medien und die öffentliche Meinung in Israel
Zweifellos befindet sich die politische Kultur Israels in einer ernsten Krise. Das politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum ist so stark, dass es Alternativen und Vorschläge für eine bedeutendere politische Veränderung - bzw. jeden kulturellen und politischen Horizont, der anders ist als der, den die herrschende Mitte diktiert (Gramsci) - eliminieren kann.
Die ideologische, gesellschaftliche und kulturelle Segmentierung in Israel - besonders Fragen der Gruppenidentität, die sich vor über einem Jahrzehnt in ethnische Komponenten spaltete - und Fragen von Religion und Staat wurden durch die Intifada und speziell durch den allgegenwärtigen Terror in den Hintergrund gedrängt. Die hier angeführten Daten rechtfertigen meines Erachtens die Schlussfolgerung, dass der Terror weder als Erschütterung der elementaren politischen und sicherheitspolitischen Anschauungen in Israel, noch der Zentralen der Armee und Sicherheitsorgane angesehen werden kann - obwohl einige ihrer Sprecher heute zugeben, dass sie im Kampf gegen den Terror gescheitert sind -, sondern vielmehr als Bedrohung der "persönlichen Sicherheit". Dieser Terminus wurde in den Terrorreportagen in den Medien festgelegt, der hauptsächlichen Arena des "Terror-Theaters". Er schließt ein: Kinder, Verwandte und Freunde, aber auch Israelis aus nicht führenden Bereichen wie Immigranten aus Russland, Orthodoxe, israelische Araber und sogar Fremdarbeiter.
Die gesellschaftliche Solidarität und eine Haltung des "Opfertums" sind es meiner Meinung nach, die neben der Auflösung der persönlichen Sicherheit zur Lähmung der israelischen Politik und Staatsführung beigetragen haben, zu einer Art De-Politisierung des Konflikts, der in Dimensionen einer politischen Theologie rezipiert wird: Der Feind hat sich von einem politischen Konkurrenten, mit dem man pragmatische politische Abkommen erreichen kann, zu einer Art Satan gewandelt. Er steht außerhalb der menschlichen Spezies, ist ein Feind der Menschheit, der Geschichte, der jüdisch-israelischen Identität und Existenz. Die Terroristen unterstützen diesen Prozess der Dämonisierung: Sie selbst rufen zum Dschihad auf, zum Heiligen Krieg, und nennen ihre Selbstmordattentäter "Schahids", heilige Märtyrer.
Das öffentliche Bewusstsein in Israel lebt in den letzten Jahren von einem Anschlag zum anderen, zwischen dem Terrormarathon im Fernsehen und dem Rückzug in den brennenden inneren Schmerz. So sieht, in einer Art Parallelprozess, natürlich auch die Welt vieler Palästinenser aus. Die Bedeutung, die jedem Einzelnen der Terroranschläge in den Medien gegeben wird und entsprechend den Opfern, die in ihrem Verlauf ermordet wurden - sei sie theologisch, historisch, philosophisch oder menschlich -, wird als viel tiefer und schicksalhafter angesehen als die "bloße" Politik. Sie verdrängt und löscht die politisch demokratischen Grundlagen der traditionellen ideologischen Diskussion aus und lässt die kollektive Bewusstseinslage eines "Notstands" entstehen, in ähnlichem Sinne wie von Carl Schmitt
Seit den Ereignissen des 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten sowie dem Krieg gegen den Terror und insbesondere gegen den Irak hat sich die Kultur des "Notstands", die Amerika und in ihrer Folge die amerikanischen und internationalen Medien als offizielle Politik adoptiert haben, zu einer globalen gewandelt. Die Medien, darunter die israelischen, legen in letzter Zeit Denkrahmen, kollektive Tagesordnungen und die politische, ökonomische und kulturelle Agenda fest. Robert Putnam übte in den neunziger Jahre einschneidende Kritik am Zerfall der amerikanischen bürgerlichen Gesellschaft und beschuldigte das amerikanische Fernsehen, ein zentraler Faktor dieses Prozesses zu sein.
Die Bedeutung der Medien und ihrer Zentralen ist wegen der Ereignisse dramatisch gewachsen: Einerseits kooperieren die Medien mit den globalen herrschenden Kreisen auf Grund ihrer institutionellen und kulturellen Nähe zu Eliten und ihren wirtschaftlichen Interessen. Andererseits sind sie Hauptschauplatz der Terrorereignisse selbst - von den explodierenden Zwillingstürmen in New York über Bilder des Grauens von Anschlägen in Israel und in der Welt, von Bali bis Istanbul und Madrid. Mehr noch: Die Medien dienen auch den Terroristen als Sprachrohr, zum Beispiel mittels Kassetten von Osama bin Laden und seiner Gefährten, die zu universalen Kulturhelden wurden, oder durch Videobänder von Selbstmördern der Hamas und der Fatah sowie Interviews mit ihren Anführern. Als globaler Hauptschauplatz bei der Bildung der öffentlichen Meinung erfüllen die Medien auch in Israel eine dialektische Rolle: Sie dokumentieren die Konfrontation und den Terror, üben Kritik, erklären seine Antriebskräfte, zeigen seine verschiedenen und schrecklichen Gesichter - doch gleichzeitig halten sie seine Vitalität und Stärke aufrecht und entfachen sie bisweilen.