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Ausgaben für Bildung im internationalen Vergleich

Manfred G. Schmidt

/ 16 Minuten zu lesen

Andere Staaten geben mehr für Bildung aus als Deutschland. Eine Studie über Bildungsausgaben im internationalen Vergleich geht den Gründen für den niedrigen Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am deutschen Sozialprodukt nach.

Einleitung

Wie teuer kommt Deutschlands Bildungswesen den Steuerzahler? 4,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes - des Wertes der jährlich gefertigten Güter und Dienstleistungen - entfallen auf die Finanzierung der Bildungspolitik aus Steuermitteln, so besagen die neuesten international vergleichbaren Zahlen. 4,3 Prozent des Wirtschaftsproduktes, rund 85 Milliarden Euro, sind eine stolze Summe. Pro Kopf der Bevölkerung sind das 1 035 Euro. Aber wie verhalten sich die 4,3 Prozent zu den Bildungsausgaben anderer Staaten? Im internationalen Vergleich sind 4,3 Prozent für Bildung nicht viel. Mit ihnen rangiert Deutschland unter dem Durchschnitt der Bildungsausgaben der Mitgliedstaaten der Europäischen Union - er betrug 1999 5,1 Prozent - und unter dem der Mitgliedstaaten der OECD (4,9 Prozent). Anderswo gibt der Staat mitunter erheblich mehr für die Bildung aus: bis zu 6,5 Prozent des Sozialproduktes in Schweden und Norwegen, gefolgt von Dänemark. Auch Frankreich, die Schweiz, Österreich, die USA und viele andere Länder widmen dem Bildungssystem einen erheblich größeren Anteil ihres Wirtschaftsproduktes als Deutschland. Selbst Polens und Portugals öffentliche Bildungsausgabenquoten und neuerdings auch die Mexikos übertreffen den entsprechenden Anteil Deutschlands (Schaubild 1).


Das ist ein erstaunlicher Befund. Er zeigt, dass Deutschland relativ wenig in ein Feld investiert, das für die Zukunft des Landes besonders wichtig ist: Bildung, Qualifikation, die kulturelle Eingliederung der Kinder und Jugendlichen sowie die wirtschaftliche Entwicklung. Denn die Bildung hoch qualifizierter Arbeitskräfte - die Formierung von "Humankapital" - ist zugleich eine wichtige Voraussetzung für Wirtschaftswachstum.

Warum ist der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am Sozialprodukt in Deutschland niedrig? Warum halten sich die öffentlichen Haushalte in Deutschland ausgerechnet bei Zukunftsinvestitionen wie den Bildungsausgaben zurück? Diese Fragen führen größtenteils in Forschungsneuland. Sie sollen hier anhand von Zwischenergebnissen einer Studie über Deutschlands Bildungsausgaben im internationalen Vergleich beantwortet werden.

Wer nach den Bestimmungsfaktoren der relativniedrigen öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland sucht, muss mit vielen Ursachen rechnen. Mangelnde Vergleichbarkeit der Bildungsausgaben könnte eine Ursache sein, die bessere Nutzung der eingesetzten Geldmittel eine zweite, die relative Wirtschaftskraft der Bundesrepublik eine dritte. Doch alle drei Faktoren tragen nicht. Die Bildungsausgaben sind mittlerweile leidlich vergleichbar - mit ihren Schwächen kann man Deutschlands niedrige Bildungausgabenquote nicht erklären. Zudem sprechen die Befunde der PISA-Studien - vor allem die relativ schlechten Leseleistungen, mathematischen Leistungen und naturwisssenschaftlich-technischen Fähigkeiten 15-jähriger Schüler in Deutschland - nicht für eine besonders produktive Nutzung der Bildungsausgaben. Und mit geringer Wirtschaftskraft lässt sich der niedrige Rang der Bildungsfinanzierung auch nicht erklären, denn Deutschland zählt nach wie vor zu den ökonomisch reichen Staaten, leistet sich aber auch im Verhältnis zu seinem volkswirtschaftlichen Pro-Kopf-Reichtum relativ niedrige öffentliche Bildungsausgabenquoten.

I. Quellen der Bildungsausgaben in Deutschland

Wer nach den Gründen dieses Missverhältnisses sucht, muss viele Faktoren prüfen. Gesellschaftlich-wirtschaftliche Bedarfslagen und Ressourcen sind zentrale Faktoren, besagt eine Theorie; Machtressourcen gesellschaftlicher Gruppen, wie das Druckpotenzial von Verbänden, sind wichtig, eine zweite. Ihr sekundiert eine dritte Theorie, der zufolge die politische Richtung der Regierungsparteien die Höhe der Bildungsausgaben prägt: Linksparteien spendierten meist mehr für Bildung, Mitteparteien und liberale Regierungsparteien weniger. Politische Institutionen hingegen sieht eine vierte als zentralen Faktor, internationale Konstellationen eine fünfte und historische Erblasten, z.B. die Vernachlässigung des Bildungswesens im Nationalsozialismus, eine sechste Schule der Erklärung. Hinzu kommen Effekte der Arbeitsteilung von Staat und Markt bei der Finanzierung der Bildung. In Skandinavien ist Bildung fast ausschließlich Sache des Staates. Aber in anderen Ländern spielen auch private Bildungsausgaben mitunter eine große Rolle, also Aufwendungen für Bildung und Ausbildung, die von privaten Haushalten, Stiftungen oder privaten Unternehmen finanziert werden.

Die privaten Bildungsausgaben sind von Land zu Land unterschiedlich hoch. Am höchsten ist ihr Anteil am Wirtschaftsprodukt in Südkorea, nämlich 2,7 Prozent (1999). Dort gelten, wie in allen anderen wachstumsstarken Ländern Ostasiens, Bildungsausgaben, auch private, als zukunftsweisende Investitionen in das Humankapital. Beträchtliches Gewicht haben die privaten Bildungsausgaben zudem in den USA (1,6 Prozent), Australien (1,4 Prozent), Kanada (1,3 Prozent) und Japan (1,1 Prozent), also in den Staaten, die Nachzügler der Sozialpolitik sind, dafür aber mehr in die Bildung investierten.

Wichtig sind die privaten Bildungsausgaben allerdings auch - und das ist auf den ersten Blick überraschend - in der Bundesrepublik Deutschland, die doch gemeinhin als ein Land gilt, in dem der Staat der Hauptzuständige für Soziales, aber auch für Ausbildung ist. Doch bei den privaten Bildungsausgaben hält Deutschland mit einem Anteil am Sozialprodukt von 1,2 Prozent den fünften Rangplatz im Vergleich der Industriestaaten im Jahre 1999. Mehr als die Hälfte der privaten Bildungsausgaben hier zu Lande entfällt auf die betriebliche Ausbildung im Rahmen der dualen Bildung, die in Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft, insbesondere von Berufsschulen und Betrieben, erbracht wird. Auf dem zweiten und dem dritten Platz der privaten Bildungsausgaben folgen die Aufwendungen für betriebliche Weiterbildung in den Unternehmen der Privatwirtschaft und die private Finanzierung der vorschulischen Erziehung.

Fügt man die privaten Bildungsausgaben den öffentlichen hinzu, erscheint die Bildungsfinanzierung der Bundesrepublik in etwas milderem Lichte. Denn öffentliche und private Bildungsausgaben summieren sich - nach Berücksichtigung von Rundungsfehlern - immerhin zu 5,6 Prozent des Wirtschaftsproduktes. Die überdurchschnittliche private Bildungsfinanzierung lindert demnach die Malaise der niedrigen öffentlichen Bildungsausgaben. Das legt eine erste Antwort auf die Frage nahe, warum die staatliche Bildungsfinanzierung in Deutschland nur eine mäßige Höhe erreicht: Die Politik kann dabei auf einen beachtlichen Beitrag der privaten Bildungsinvestitionen setzen. Weitere Ursachen der niedrigen öffentlichen Bildungsinvestitionen in Deutschland treten bei der Erkundung der sektoralen Zusammensetzung der Bildungsausgaben zu Tage: Der Primarbereich und der untere Sekundarbereich des Bildungswesens in Deutschland werden unterdurchschnittlich finanziert - gemessen an der öffentlichen und auch an der privaten Bildungsausgabenquote für diese Sektoren. Der obere Sekundarbereich hingegen wird finanziell überdurchschnittlich gut ausgestattet. Der Tertiärbereich schließlich ist durch öffentliche Finanzmittel durchschnittlich ausgestattet, hinsichtlich der privaten Bildungsausgaben aber beträchtlich unterfinanziert.

Die Mittelverteilung im deutschen Bildungswesen bevorzugt den oberen Sekundarbereich und zudem die berufliche Bildung, die finanziell erheblich aufwändiger als die Ausbildung in der gesamten Hochschullandschaft ist. Diese Zahlen deuten auf ein typisches Muster der deutschen Bildungspolitik hin: Einer ihrer Finanzierungsschwerpunkte und ihre relative Stärke liegt in der Ausbildung für mittlere bis höhere Berufspositionen einer Industriegesellschaft und der zugehörigen Staatsverwaltung. Schwächen zeigt die Bildungsfinanzierung hier zu Lande vor allem unterhalb wie oberhalb dieses Niveaus: bei der Bildung und Qualifizierung von Zugewanderten, bei der Ausbildung der besonders begabten Schüler und bei der Vorbereitung für hoch qualifizierte Positionen in der Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. Deutschlands Bildungsfinanzierung schwächelt also ausgerechnet dort, wo es um die Wirtschaftssektoren des 21. Jahrhunderts und um Spitzenförderung geht, während sie für die Wirtschaftssektoren, die im 20. Jahrhundert Ton und Takt angaben, und für die Ausbildung der breiten Masse, einschließlich der Facharbeiterschaft sowie der mittleren und gehobenen Angestellten- und Beamtenschaft, hinlänglich gerüstet ist.

Noch ein weiterer Befund zu den sektoralen Quellen der öffentlichen Bildungsfinanzen ist berichtenswert: die Entlohnung der Lehrkräfte. Im Unterschied zur mittelmäßigen Finanzausstattung des Bildungswesens insgesamt ist die Entlohnung der hauptangestellten Lehrkräfte in Deutschland - der internationale Vergleich zeigt es - gut bis ausgezeichnet. Nach Lohn und Gehalt zu urteilen, lehrt es sich in Deutschlands Schulen komfortabel - besser nur in der Schweiz und in Japan. Das kann man an den Lehrergehältern im Primarbereich und im Sekundarbereich ablesen, die im OECD-Länder-Vergleich vordere Positionen einnehmen. Deutschlands Bildungsfinanzierung setzt demnach Prioritäten nicht nur bei der industriewirtschaftlichen Ausrichtung, sondern auch bei den Gehältern des Lehrpersonals im Schulbereich und obendrein bei der weit reichenden arbeits- und sozialrechtlichen Absicherung der hauptamtlichen Lehrkräfte. Erkauft wird dies durch knappere Personalausstattung - im Unterschied zu Staaten wie Großbritannien, die mehr in die bessere Personalausstattung des Bildungswesens investieren - und mit oftmals ungünstigerer Zahlenrelation zwischen Schülern oder Studierenden und Lehrenden.

II. Fundamente der niedrigen öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland

Wie bei der Analyse aller Staatsausgaben lohnt sich auch bei den Bildungsausgaben neben der Sondierung ihrer sektoralen Quellen die Erkundung ihrer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Fundamente.

Ein Teil der Fundamente der vergleichsweise niedrigen öffentlichen Bildungsausgabenquote in Deutschland ist in der relativen Größe der Bevölkerung im Ausbildungsalter und in der Bildungsbeteiligung zu suchen.

a) Der erste Befund betrifft die Hauptadressaten des Bildungswesens. Alle bildungswichtigen Altersgruppen sind in Deutschland, so die Zahlen vom Ende des 20. Jahrhunderts, unterdurchschnittlich besetzt - gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil: Die Hauptadressatengruppen der Bildungspolitik liegen bis zu 25 Prozent unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Insoweit ist die Nachfrage nach Bildungsfinanzierung in Deutschland geringer als dort, wo die Altersgruppen im Ausbildungsalter einen größeren Bevölkerungsanteil stellen, beispielsweise in Nordamerika oder in Frankreich. Die tiefere Ursache ist die weit fortgeschrittene Alterung der deutschen Gesellschaft - die Gesellschaften der USA und Kanadas etwa sind viel jünger. Und damit ist - neben den privaten Bildungsausgaben und der industriegesellschaftlichen Ausrichtung - ein dritter Faktor benannt, der die niedrigen öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland erklärt: die unterdurchschnittliche Größe der Altersgruppen im Ausbildungsalter - und damit auch das wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch unterdurchschnittliche Gewicht der Adressaten der Bildungspolitik.

b) Hinzu kommt der Effekt der Bildungsbeteiligung im tertiären Sektor des Bildungswesens, also im Fachhochschulwesen und in den Universitäten: Trotz Bildungsexpansion ist die Bildungsbeteiligung im tertiären Sektor in Deutschland immer noch von nur mäßiger Höhe. Auch das entlastet die öffentlichen Bildungsfinanzen und trägt zur Erklärung ihres relativ niedrigen Niveaus bei.

Aber warum hinkt die Bildungsbeteiligung im tertiären Bereich in Deutschland anderen Ländern hinterher? Wiederum sind viele Ursachen im Spiel, und nur die drei wichtigsten sollen hier erwähnt werden. Mitverantwortlich für die zurückhaltende tertiäre Bildungsbeteiligung ist die Überfüllung der Universitäten. Das schreckt ab. Mitverantwortlich sind auch die hohe Arbeitslosigkeit und die Insider-Outsider-Spaltung am Arbeitsmarkt. Die Arbeitsplatzbesitzer sind in Deutschland arbeitsrechtlich ziemlich gut geschützt, die Erwerbsquote (also der Anteil aller Erwerbspersonen an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) ist nur von mittlerer Höhe - und Arbeitssuchende haben das Nachsehen. Auch das mindert die Bildungsbeteiligung im Tertiärsektor. Hinzu kommt die - oben schon erwähnte - große Bedeutung der beruflichen Bildung. Durch Berufsausbildung in den Betrieben und den Berufsschulen wird ein erheblicher Teil der deutschen Jugendlichen im Alter von 15 Jahren in einen Ausbildungsgang gelenkt, der eine Lehrstelle mit schulischer Ausbildung in der Berufsschule verknüpft. Nach Beendigung der Schulpflicht verlassen diese Jugendlichen die Vollzeitschule. Im Unterschied zu Deutschland und den wenigen anderen Staaten mit einem ähnlichen Berufsbildungssystem, wie die Schweiz, Österreich, die Niederlande, haben die Jugendlichen in anderen Ländern nicht die Wahl einer beruflichen Ausbildung nach deutschem Muster. Sie strömen nach dem Ende der Schulpflicht entweder direkt in die Betriebe oder - in stärkerem Maße als in Deutschland - in die weiterführenden Schulen und Universitäten.

III. Öffentliche Bildungsaus- gabenquoten und parteipolitische Konstellationen

Hier ergibt sich ein uneinheitliches Bild: Im internationalen Vergleich geben Regierungen, die von Linksparteien geprägt sind, tendenziell mehr für die Bildung aus als Regierungen anderer politischer Couleur. Das stützt die These, dass Linksregierungen mit der Bildungsausgabenpolitik eine Art sozialverträgliche angebotsorientierte Politik praktizieren. Andererseits gibt es auffällige Gegenbeispiele. Der Linksparteieneffekt zugunsten der Bildung ist nur in Skandinavien besonders kräftig, auf dem Kontinent jedoch schwächer und auf Seiten der Labour-Parteien der englischsprachigen Demokratien nur in Spuren nachweisbar. Mehr noch: Was im zwischenstaatlichen Vergleich gilt, muss nicht unbedingt auch innerhalb einzelner Staaten gelten. In den deutschen Bundesländern spielt der Parteienfaktor in der Bildungspolitik allgemein ebenfalls eine beträchtliche Rolle, aber bei der Bildungsfinanzierung ist der Sachverhalt komplizierter und der Parteieneffekt schwächer oder nicht existent.

Der tiefere Grund hierfür liegt darin, dass die Bildungsfinanzierung in Deutschland zutiefst geprägt wird von der Kulturhoheit der Länder und vom "unitarischen Bundesstaat". Bildungsfinanzierung steht in Deutschland im Zeichen der Kulturhoheit der Länder: Der allergrößte Teil der gesamten öffentlichen Bildungsausgaben wird von den Ländern finanziert (rund 73 Prozent im Jahre 2000); 16 Prozent bestreiten die Gemeinden und 11 Prozent entfallen auf den Bund, was seine Außenseiterrolle in der Bildungspolitik widerspiegelt. Hinzu kommt der umfassende Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern und zwischen den Ländern, der für Deutschlands "sozialen Bundesstaat", so der Grundgesetzartikel 20 Absatz I, charakteristisch ist. Der Finanzausgleich kommt einem tiefen Griff in die Taschen der wohlhabenderen Länder gleich. Auf diese Weise werden so viele Finanzmittel an die wirtschaftlich und finanzpolitisch schwächeren Gliedstaaten umverteilt, dass im Endeffekt etwas Erstaunliches herauskommt: Am höchsten ist die Bildungsausgabenquote - also der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am Sozialprodukt - in den ostdeutschen Bundesländern und in Berlin. Mit erheblichem Abstand folgen die westlichen Bundesländer, auch die, welche den Länderfinanzausgleich finanzieren, also Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Genau genommen ist die Bildungsausgabenquote im Osten Deutschlands nicht nur besonders hoch, weil die ostdeutschen Länder von den westdeutschen Gliedstaaten und vom Bund kräftig alimentiert werden, sondern auch deshalb, weil auch im 12. Jahr der deutschen Einheit die wirtschaftliche Produktivität hier immer noch weit unter dem westdeutschen Stand liegt.

IV. Föderalismus, Programm- konkurrenz und Bildungsausgaben

Somit ist ein weiterer Erklärungsfaktor für die Bildungsfinanzen in Sichtweite gelangt: der Unterschied zwischen Einheits- und Bundesstaat. In Einheitsstaaten dominiert meist die zentralstaatliche Ebene die Bildungspolitik, in den Bundesstaaten hingegen sind die Gliedstaaten hauptverantwortlich für das Bildungswesen - so auch in der Bundesrepublik Deutschland. Doch die Länderhaushalte befinden sich seit Jahr und Tag in chronischer Finanznot. Diese Not hat viele Ursachen. Unter anderem schultern die Länder als Hauptzuständige für die Staatsverwaltung einen besonders hohen Personalkostenanteil. Hinzu kommt, dass die Landesgesetzgeber im Unterschied zum Bundesgesetzgeber einen wichtigen Teil ihrer Gesetze nicht mit Sozialbeiträgen bzw. Sozialbeitragserhöhungen finanzieren können. Sie müssen sich vielmehr an das Steueraufkommen halten - oder sich verschulden, was weitere hohe Folgekosten nach sich zieht. Die Finanzierung aus dem Steueraufkommen stößt allerdings alsbald an Grenzen. Denn der Anteil der Steuern am Sozialprodukt ist in Deutschland nur verhalten gestiegen - im Unterschied zu den Sozialbeiträgen und zur Staatsverschuldung, die beide stark expandiert sind. Somit blieb der Einnahmerahmen für die Länderhaushalte eng - auch wenn der zunehmende Anteil der Länder am Steueraufkommen die ärgste Not linderte - und damit auch der Spielraum für die Bildungsfinanzierung bescheiden.

Insoweit stehen die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland im Zeichen ungünstiger Finanzierungsbedingungen: Sie stehen im harten Wettbewerb mit anderen Aufgaben der Länder um knappe steuerfinanzierte Haushaltsmittel. Die Bildungshaushalte der Länder, also der allergrößte Teil der öffentlichen Bildungsbudgets, konkurrieren mit landespolitisch wichtigen bodenständigen Politikfeldern, vor allem Polizei und Sicherheit, Landwirtschaft, regionaler Wirtschaftsförderung und sozialpolitischen Aufgaben der Länder und Kommunen. Konkurrenz besteht zudem mit den hohen Personalkosten der Länder und den Finanzmitteln, die für Zins und Tilgung der Staatsschulden anfallen. Das fällt besonders ins Gewicht, weil der Aufwand für die Deckung der Zinslast auf öffentliche Schulden mit 2,8 Prozent des Sozialprodukts (2000), wovon ein beträchtlicher Teil auf die Länder entfällt, überdurchschnittlich hoch ist. Zudem gerät die Bildungsfinanzierung unter die Räder der Finanzierung der Sozialpolitik, die mit rund 27 Prozent des Sozialproduktes, so die neuesten Zahlen der OECD, das rund Sechsfache der Bildungsausgaben konsumiert - eine Lücke zwischen Sozial- und Bildungspolitik, die in Deutschland besonders groß ist.

All dies bremst die Bildungsfinanzen. Besonders kräftig greifen die Bremsen, wenn die Wirtschaft und somit die Steuereinnahmen nur langsam wachsen, stagnieren oder schrumpfen. Der Spielraum für eine deutliche Steigerung der Bildungsausgaben wird größer, wenn die Wirtschaft und das Steueraufkommen wachsen und der Länderanteil am Steueraufkommen zunimmt. Das war von der Mitte der sechziger bis in die erste Hälfte der siebziger Jahre der Fall. Größer wird dieser Spielraum zudem durch zunehmende direkte finanzielle Beteiligung von dritter Seite - seien es Private oder der Bund.

Beim Kampf um knappe Mittel ist das Bildungswesen, das muss im selben Atemzug gesagt werden, in einer schlechten Position. Die Finanzierungsbedingungen sind im Unterschied zu denen der Sozialpolitik ungünstig; hinzu kommt, dass die politische Macht des Bildungswesens relativ gering ist. Der Vergleich mit der Alterssicherungspolitik oder der Gesundheitspolitik verdeutlich, wie bescheiden die Marktmacht des Bildungswesens ist. Während es bei letzterer nur um 4,3 Prozent geht, werden bei den Gesundheitsausgaben und der Alterssicherung jeweils mehr als 10 Prozent des Sozialproduktes ins Feld geführt. Die Macht der Verbände des Bildungswesens ist ebenfalls gering. Sie können mit den schlagkräftigen Interessenvertretungen des Gesundheitswesens und der Alterssicherung nicht mithalten. Zudem mangelt es dem Bildungswesen an homogener Wählerstimmenmacht: Die meisten Professoren wählen schwarz oder gelb; die meisten Lehrer wählen rot oder grün (im Westen) bzw. rot bis dunkelrot (im Osten), wenn sie denn überhaupt zur Wahl gehen; die Angestellten und Beamten der Bildungsverwaltung teilen sich größtenteils auf CDU/CSU und SPD auf. Die in der Ausbildung befindlichen Wähler stimmten bei der Bundestagswahl 2002 wie folgt: 38 Prozent für die SPD, 28 Prozent für die CDU/CSU, 16 Prozent für die Grünen, 10 Prozent für die FDP, 5 Prozent für die PDS und 3Prozent für sonstige Parteien. Die Beschäftigten und die Nutzer des Bildungswesen sind auf dem Wählerstimmenmarkt demnach keine einheitliche Macht, sondern ein vielstimmiger Chor ohne klares parteipolitisches Profil. Auch das mindert das politische Gewicht des Bildungswesens.

V. Bilanz

Die wichtigsten Ursachen dafür, dass Deutschlands öffentliche Bildungsausgaben im internationalen Vergleich auffällig niedrig sind, sind vor allem im Zusammenwirken von sieben Faktoren zu suchen:

1. eine überdurchschnittlich hohe private Bildungsausgabenquote;

2. ein nachfrageseitiger Faktor, insbesondere die unterdurchschnittliche Stärke der Altersklassen im Ausbildungsalter;

3. die gedämpfte Bildungsbeteiligung im tertiären Bildungsbereich;

4. die hier zu Lande gepflegte Tradition, vor allem den mittleren und höheren Qualifikationssektor im Schulwesen und in der beruflichen Bildung zu fördern und damit die Fortführung einer Bildungspolitik, die vor allem für mittlere und höhere Positionen in einer Industriegesellschaft geeignet ist;

5. die Konkurrenz zweier großer Sozialstaatsparteien, die der Sozialpolitik die Vorfahrt geben;

6. ein Föderalismus, der die Bildungsfinanzen aufgrund der Finanzierungsstruktur der Länderhaushalte am kurzen Zügel führt, und

7. die Programmkonkurrenz um knappe öffentliche Mittel, in der das Bildungswesen aufgrund geringer Markt-, Verbände- und Wählerstimmenmacht hintangestellt wird und in Gefahr gerät, unter die Räder der schier unaufhaltsamen Finanzierung des Sozialstaates zu geraten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zu den öffentlichen Bildungsausgaben zählen im Wesentlichen die öffentlichen Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden für a) öffentliche Vorschulen, Schulen und Hochschulen, b) private Vorschulen, Schulen und Hochschulen, c) die duale Ausbildung, d) die betriebliche Weiterbildung, e) die Unterrichtsverwaltung und sonstige Bildungseinrichtungen, f) die Förderung von Bildungsteilnehmern z.B. durch das Bafög oder g) die Bundesanstalt für Arbeit sowie h) Kindergeld für Bildungsteilnehmer zwischen 19 und 25. Die unter b, c und d genannten Felder werden allerdings überwiegend durch private Bildungsausgaben finanziert. Die Zahlen gelten für 1999. Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), Education at a Glance. OECD Indicators, 2002 edition, Paris 2002; vgl. auch OECD, Education at a Glance. OECD Indicators. 2001 edition, Paris 2001; Heinz-Werner Hetmeier/Manfred Weiß, Bildungsausgaben, in: Wolfgang Böttcher/Klaus Klemm/Thomas Rauschenbach (Hrsg.), Bildung und Soziales in Zahlen. Statistisches Handbuch zu Daten und Trends im Bildungsbereich, Weinheim-München 2001, S. 39 - 55.

  2. Vgl. OECD, Education at a Glance, 2002 edition (Anm. 1), S. 170.

  3. Vgl. Robert J. Barro, Determinants of Economic Growth. A Cross-Country Empirical Study, Cambridge, Mass. - London 1998.

  4. Die Ergebnisse entstammen den Vorarbeiten zu einem ab Herbst 2003 aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekt zur Erkundung der Bestimmungsfaktoren öffentlicher und privater Bildungsausgaben. Der Vergleich erfasst im Wesentlichen die im Schaubild 1 erwähnten Länder. Er führt die Analyse weiter, die in Manfred G. Schmidt, Warum Mittelmaß? Deutschlands Bildungsausgaben im internationalen Vergleich, in: Politische Vierteljahresschrift, 43 (2002) 1, S. 3 - 19, begonnen wurde.

  5. Vgl. Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.), PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich, Opladen 2001; Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.), PISA 2000 - Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich, Opladen 2002.

  6. Vgl. hierzu ausführlich Manfred G. Schmidt (Hrsg.), Wohlfahrtsstaatliche Politik. Institutionen, politischer Prozess und Leistungsprofil, Opladen 2001.

  7. Vgl. OECD, Education at a Glance, 2002 edition (Anm. 1), S. 170.

  8. Vgl. ebd., S. 170.

  9. Vgl. OECD, Education at a Glance, 2001 edition (Anm. 1), S. 81. Die Werte liegen - 1998 - bis zu 20 Prozent unter dem OECD-Durchschnitt (Berechnungsbasis ebd., S. 81). Ähnlich ist die Lage 1999, vgl. OECD, Education at a Glance, 2002 edition (Anm. 1), S. 171.

  10. Vgl. OECD, Education at a Glance, 2001 edition (Anm. 1), S. 82.

  11. Vgl. ebd., S. 81f., und OECD, Education at a Glance, 2002 edition (Anm. 1), S. 171.

  12. Vgl. auch H.-W. Hetmeier/M. Weiß (Anm. 1), S. 49f.

  13. Mit 33,4 Mrd. 1998, vgl. ebd., S. 41 und leicht abweichend S. 45.

  14. Vgl. ebd., S. 41. Nicht berücksichtigt sind die - rund 15Mrd. umfassenden - Mittel für Forschung und Entwicklung der Hochschulen.

  15. Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu den Beitrag von Cornelia Kristen in dieser Ausgabe.

  16. Vgl. OECD, Education at a Glance, 2001 edition (Anm. 1), S. 25, und OECD Education at a Glance, 2002 edition (Anm. 1), S. 339.

  17. Vgl. OECD, Education at a Glance, 2001 edition (Anm. 1), S. 37.

  18. Vgl. OECD, Education at a Glance, 2001 edition (Anm. 1), S. 77, 148 - 156 und 159.

  19. Vgl. Arnold J. Heidenheimer, Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Japan und der Schweiz: Innenpolitische' Staatsaufgaben im Wandel, in: Dieter Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, Frankfurt/M. 1996, S. 585 - 611, hier S. 588; ferner OECD, Education at a Glance, 2001 edition (Anm. 1), S. 143.

  20. Vgl. Charles Boix, Political Parties and the Supply Side of the Economy: The Provision of Physical and Human Capital in Advanced Economies, 1960 - 90, in: American Journal of Political Science, 41 (1997) 4, S. 814 - 845.

  21. Vgl. Jutta Stern, Programme versus Pragmatik. Parteien und ihre Programme als Einfluss- und Gestaltungsgröße aufbildungspolitische Entscheidungsprozesse, Frankfurt/M. 2000.

  22. Konrad Hesse, Der unitarische Bundesstaat, Karlsruhe 1962.

  23. Berechnet auf der Basis von Online-Daten des Statistischen Bundesamts für das Haushaltsjahr 2001 (Soll-Zahlen der Grundmittel der öffentlichen Haushalte für Bildung, Wissenschaft und Kultur). Quelle: (www.destatis.de/basis/d/biwiku/ausgtab1.htm).

  24. Legt man die Nettoausgaben zugrunde, so variiert der Anteil der öffentlichen Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturausgaben von Ländern, Gemeinden und Zweckverbänden am Bruttoinlandsprodukt im Jahre 2000 sehr stark: 7,8 % in Thüringen, 7,5 % in Mecklenburg-Vorpommern, 7,4 % in Sachsen-Anhalt, 7,0 % in Sachsen, 6,9 % in Brandenburg und 5,9 in Berlin. Erheblich niedrigere Ausgabenquoten berichten die alten Bundesländer, die allesamt wirtschaftskräftiger sind als die neuen Länder und deshalb ein - die Ausgabenquoten unter sonst gleichen Bedingungen senkendes - höheres Pro-Kopf-Sozialprodukt erzielen (Baden-Württemberg 4,0 %, Bayern 3,7 %, Bremen 3,9 %, Hamburg - das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Sozialprodukt - 2,9 %, Hessen 3,4 %, Niedersachsen 4,4 %, Nordrhein-Westfalen 4,1 %, Rheinland-Pfalz 4,4 %, Saarland 3,9 %, Schleswig-Holstein 4,1 %). Basis: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Finanzen und Steuern. Rechnungsergebnisse der öffentlichen Haushalte für Bildung, Wissenschaft und Kultur 2000. Fachserie 14/Reihe 3.4, Wiesbaden 2003, S. 94 - 95; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2001 für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 2001, S. 38 - 39.

  25. Vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2001 (Anm. 24), S. 32 - 33 und 38 - 39.

  26. Vgl. ebd., S. 38 - 39.

  27. Der Anteil der Steuern am Bruttosozialprodukt stieg von 23 Prozent 1965 auf den Höchststand von 24,9 Prozent 1989 und nahm zwischen 1994 und 1998 wieder leicht ab. Der Bundesminister für Wirtschaft, Leistung in Zahlen '80, Bonn 1982, S. 104; Der Bundesminister für Wirtschaft, Leistung in Zahlen '89, Bonn 1990, S. 106; Institut der Deutschen Wirtschaft, Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, Köln 2001.

  28. Er wuchs von 29,8 Prozent 1960 auf 40,6 Prozent im Jahre 2000. Quelle: Bundesministerium für Finanzen (http://www.bundesfinanzministerium.de/Anlage 5892.)

  29. Gemäß der OECD-Statistik der Sozialleistungsquoten einschließlich der privat erbrachten Pflichtleistungen. Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 1997. Vgl. OECD, Social expenditure data base, CD-ROM, Paris 2001; OECD, Education at a Glance, 2001 edition (Anm. 1).

  30. Gleiches zeigt der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben an allen Staatsausgaben. Auch dieser Anteil liegt in Deutschland mit 15 Prozent zusammen mit Griechenland (14 %) am untersten Ende der OECD-Länder. Zum Vergleich: USA 26 % und Japan 20 %: Berechnungsbasis: OECD, Social expenditure data base (Anm. 29), und OECD, Education at a Glance, 2002 edition (Anm. 1).

  31. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen, Bundestagswahl. Eine Analyse der Wahl vom 22. September 2002, Mannheim 2002, S. 59.

Dr. phil., geb. 1948; Professor für Politische Wissenschaft an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Anschrift: Universität Heidelberg, Marstallstr. 6, 69117 Heidelberg.
E-Mail: E-Mail Link: Manfred.Schmidt@urz.uni-heidelberg.de

Veröffentlichungen u.a.: Wörterbuch zur Politik, Stuttgart 1995; Demokratietheorien, Opladen 20003; (Hrsg.) Wohlfahrtsstaatliche Politik, Opladen 2001; Political Institutions in the Federal Republic of Germany, Oxford 2003;