Einleitung
Wie teuer kommt Deutschlands Bildungswesen den Steuerzahler? 4,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes - des Wertes der jährlich gefertigten Güter und Dienstleistungen - entfallen auf die Finanzierung der Bildungspolitik aus Steuermitteln, so besagen die neuesten international vergleichbaren Zahlen.
Das ist ein erstaunlicher Befund. Er zeigt, dass Deutschland relativ wenig in ein Feld investiert, das für die Zukunft des Landes besonders wichtig ist: Bildung, Qualifikation, die kulturelle Eingliederung der Kinder und Jugendlichen sowie die wirtschaftliche Entwicklung. Denn die Bildung hoch qualifizierter Arbeitskräfte - die Formierung von "Humankapital" - ist zugleich eine wichtige Voraussetzung für Wirtschaftswachstum.
Warum ist der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am Sozialprodukt in Deutschland niedrig? Warum halten sich die öffentlichen Haushalte in Deutschland ausgerechnet bei Zukunftsinvestitionen wie den Bildungsausgaben zurück? Diese Fragen führen größtenteils in Forschungsneuland. Sie sollen hier anhand von Zwischenergebnissen einer Studie über Deutschlands Bildungsausgaben im internationalen Vergleich beantwortet werden.
Wer nach den Bestimmungsfaktoren der relativniedrigen öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland sucht, muss mit vielen Ursachen rechnen. Mangelnde Vergleichbarkeit der Bildungsausgaben könnte eine Ursache sein, die bessere Nutzung der eingesetzten Geldmittel eine zweite, die relative Wirtschaftskraft der Bundesrepublik eine dritte. Doch alle drei Faktoren tragen nicht. Die Bildungsausgaben sind mittlerweile leidlich vergleichbar - mit ihren Schwächen kann man Deutschlands niedrige Bildungausgabenquote nicht erklären. Zudem sprechen die Befunde der PISA-Studien - vor allem die relativ schlechten Leseleistungen, mathematischen Leistungen und naturwisssenschaftlich-technischen Fähigkeiten 15-jähriger Schüler in Deutschland - nicht für eine besonders produktive Nutzung der Bildungsausgaben.
I. Quellen der Bildungsausgaben in Deutschland
Wer nach den Gründen dieses Missverhältnisses sucht, muss viele Faktoren prüfen. Gesellschaftlich-wirtschaftliche Bedarfslagen und Ressourcen sind zentrale Faktoren, besagt eine Theorie; Machtressourcen gesellschaftlicher Gruppen, wie das Druckpotenzial von Verbänden, sind wichtig, eine zweite. Ihr sekundiert eine dritte Theorie, der zufolge die politische Richtung der Regierungsparteien die Höhe der Bildungsausgaben prägt: Linksparteien spendierten meist mehr für Bildung, Mitteparteien und liberale Regierungsparteien weniger. Politische Institutionen hingegen sieht eine vierte als zentralen Faktor, internationale Konstellationen eine fünfte und historische Erblasten, z.B. die Vernachlässigung des Bildungswesens im Nationalsozialismus, eine sechste Schule der Erklärung.
Die privaten Bildungsausgaben sind von Land zu Land unterschiedlich hoch. Am höchsten ist ihr Anteil am Wirtschaftsprodukt in Südkorea, nämlich 2,7 Prozent (1999).
Wichtig sind die privaten Bildungsausgaben allerdings auch - und das ist auf den ersten Blick überraschend - in der Bundesrepublik Deutschland, die doch gemeinhin als ein Land gilt, in dem der Staat der Hauptzuständige für Soziales, aber auch für Ausbildung ist. Doch bei den privaten Bildungsausgaben hält Deutschland mit einem Anteil am Sozialprodukt von 1,2 Prozent den fünften Rangplatz im Vergleich der Industriestaaten im Jahre 1999. Mehr als die Hälfte der privaten Bildungsausgaben hier zu Lande entfällt auf die betriebliche Ausbildung im Rahmen der dualen Bildung, die in Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft, insbesondere von Berufsschulen und Betrieben, erbracht wird. Auf dem zweiten und dem dritten Platz der privaten Bildungsausgaben folgen die Aufwendungen für betriebliche Weiterbildung in den Unternehmen der Privatwirtschaft und die private Finanzierung der vorschulischen Erziehung.
Fügt man die privaten Bildungsausgaben den öffentlichen hinzu, erscheint die Bildungsfinanzierung der Bundesrepublik in etwas milderem Lichte. Denn öffentliche und private Bildungsausgaben summieren sich - nach Berücksichtigung von Rundungsfehlern - immerhin zu 5,6 Prozent des Wirtschaftsproduktes.
Die Mittelverteilung im deutschen Bildungswesen bevorzugt den oberen Sekundarbereich
Noch ein weiterer Befund zu den sektoralen Quellen der öffentlichen Bildungsfinanzen ist berichtenswert: die Entlohnung der Lehrkräfte. Im Unterschied zur mittelmäßigen Finanzausstattung des Bildungswesens insgesamt ist die Entlohnung der hauptangestellten Lehrkräfte in Deutschland - der internationale Vergleich zeigt es - gut bis ausgezeichnet. Nach Lohn und Gehalt zu urteilen, lehrt es sich in Deutschlands Schulen komfortabel - besser nur in der Schweiz und in Japan. Das kann man an den Lehrergehältern im Primarbereich und im Sekundarbereich ablesen, die im OECD-Länder-Vergleich vordere Positionen einnehmen.
II. Fundamente der niedrigen öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland
Wie bei der Analyse aller Staatsausgaben lohnt sich auch bei den Bildungsausgaben neben der Sondierung ihrer sektoralen Quellen die Erkundung ihrer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Fundamente.
Ein Teil der Fundamente der vergleichsweise niedrigen öffentlichen Bildungsausgabenquote in Deutschland ist in der relativen Größe der Bevölkerung im Ausbildungsalter und in der Bildungsbeteiligung zu suchen.
a) Der erste Befund betrifft die Hauptadressaten des Bildungswesens. Alle bildungswichtigen Altersgruppen sind in Deutschland, so die Zahlen vom Ende des 20. Jahrhunderts, unterdurchschnittlich besetzt - gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil: Die Hauptadressatengruppen der Bildungspolitik liegen bis zu 25 Prozent unter dem Durchschnitt der OECD-Länder.
b) Hinzu kommt der Effekt der Bildungsbeteiligung im tertiären Sektor des Bildungswesens, also im Fachhochschulwesen und in den Universitäten: Trotz Bildungsexpansion ist die Bildungsbeteiligung im tertiären Sektor in Deutschland immer noch von nur mäßiger Höhe.
Aber warum hinkt die Bildungsbeteiligung im tertiären Bereich in Deutschland anderen Ländern hinterher? Wiederum sind viele Ursachen im Spiel, und nur die drei wichtigsten sollen hier erwähnt werden. Mitverantwortlich für die zurückhaltende tertiäre Bildungsbeteiligung ist die Überfüllung der Universitäten. Das schreckt ab. Mitverantwortlich sind auch die hohe Arbeitslosigkeit und die Insider-Outsider-Spaltung am Arbeitsmarkt. Die Arbeitsplatzbesitzer sind in Deutschland arbeitsrechtlich ziemlich gut geschützt, die Erwerbsquote (also der Anteil aller Erwerbspersonen an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) ist nur von mittlerer Höhe - und Arbeitssuchende haben das Nachsehen. Auch das mindert die Bildungsbeteiligung im Tertiärsektor. Hinzu kommt die - oben schon erwähnte - große Bedeutung der beruflichen Bildung.
III. Öffentliche Bildungsaus- gabenquoten und parteipolitische Konstellationen
Hier ergibt sich ein uneinheitliches Bild: Im internationalen Vergleich geben Regierungen, die von Linksparteien geprägt sind, tendenziell mehr für die Bildung aus als Regierungen anderer politischer Couleur. Das stützt die These, dass Linksregierungen mit der Bildungsausgabenpolitik eine Art sozialverträgliche angebotsorientierte Politik praktizieren.
Der tiefere Grund hierfür liegt darin, dass die Bildungsfinanzierung in Deutschland zutiefst geprägt wird von der Kulturhoheit der Länder und vom "unitarischen Bundesstaat"
IV. Föderalismus, Programm- konkurrenz und Bildungsausgaben
Somit ist ein weiterer Erklärungsfaktor für die Bildungsfinanzen in Sichtweite gelangt: der Unterschied zwischen Einheits- und Bundesstaat. In Einheitsstaaten dominiert meist die zentralstaatliche Ebene die Bildungspolitik, in den Bundesstaaten hingegen sind die Gliedstaaten hauptverantwortlich für das Bildungswesen - so auch in der Bundesrepublik Deutschland. Doch die Länderhaushalte befinden sich seit Jahr und Tag in chronischer Finanznot. Diese Not hat viele Ursachen. Unter anderem schultern die Länder als Hauptzuständige für die Staatsverwaltung einen besonders hohen Personalkostenanteil.
Insoweit stehen die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland im Zeichen ungünstiger Finanzierungsbedingungen: Sie stehen im harten Wettbewerb mit anderen Aufgaben der Länder um knappe steuerfinanzierte Haushaltsmittel. Die Bildungshaushalte der Länder, also der allergrößte Teil der öffentlichen Bildungsbudgets, konkurrieren mit landespolitisch wichtigen bodenständigen Politikfeldern, vor allem Polizei und Sicherheit, Landwirtschaft, regionaler Wirtschaftsförderung und sozialpolitischen Aufgaben der Länder und Kommunen. Konkurrenz besteht zudem mit den hohen Personalkosten der Länder und den Finanzmitteln, die für Zins und Tilgung der Staatsschulden anfallen. Das fällt besonders ins Gewicht, weil der Aufwand für die Deckung der Zinslast auf öffentliche Schulden mit 2,8 Prozent des Sozialprodukts (2000), wovon ein beträchtlicher Teil auf die Länder entfällt, überdurchschnittlich hoch ist. Zudem gerät die Bildungsfinanzierung unter die Räder der Finanzierung der Sozialpolitik, die mit rund 27 Prozent des Sozialproduktes, so die neuesten Zahlen der OECD,
All dies bremst die Bildungsfinanzen. Besonders kräftig greifen die Bremsen, wenn die Wirtschaft und somit die Steuereinnahmen nur langsam wachsen, stagnieren oder schrumpfen. Der Spielraum für eine deutliche Steigerung der Bildungsausgaben wird größer, wenn die Wirtschaft und das Steueraufkommen wachsen und der Länderanteil am Steueraufkommen zunimmt. Das war von der Mitte der sechziger bis in die erste Hälfte der siebziger Jahre der Fall. Größer wird dieser Spielraum zudem durch zunehmende direkte finanzielle Beteiligung von dritter Seite - seien es Private oder der Bund.
Beim Kampf um knappe Mittel ist das Bildungswesen, das muss im selben Atemzug gesagt werden, in einer schlechten Position. Die Finanzierungsbedingungen sind im Unterschied zu denen der Sozialpolitik ungünstig; hinzu kommt, dass die politische Macht des Bildungswesens relativ gering ist. Der Vergleich mit der Alterssicherungspolitik oder der Gesundheitspolitik verdeutlich, wie bescheiden die Marktmacht des Bildungswesens ist. Während es bei letzterer nur um 4,3 Prozent geht, werden bei den Gesundheitsausgaben und der Alterssicherung jeweils mehr als 10 Prozent des Sozialproduktes ins Feld geführt. Die Macht der Verbände des Bildungswesens ist ebenfalls gering. Sie können mit den schlagkräftigen Interessenvertretungen des Gesundheitswesens und der Alterssicherung nicht mithalten. Zudem mangelt es dem Bildungswesen an homogener Wählerstimmenmacht: Die meisten Professoren wählen schwarz oder gelb; die meisten Lehrer wählen rot oder grün (im Westen) bzw. rot bis dunkelrot (im Osten), wenn sie denn überhaupt zur Wahl gehen; die Angestellten und Beamten der Bildungsverwaltung teilen sich größtenteils auf CDU/CSU und SPD auf. Die in der Ausbildung befindlichen Wähler stimmten bei der Bundestagswahl 2002 wie folgt: 38 Prozent für die SPD, 28 Prozent für die CDU/CSU, 16 Prozent für die Grünen, 10 Prozent für die FDP, 5 Prozent für die PDS und 3Prozent für sonstige Parteien.
V. Bilanz
Die wichtigsten Ursachen dafür, dass Deutschlands öffentliche Bildungsausgaben im internationalen Vergleich auffällig niedrig sind, sind vor allem im Zusammenwirken von sieben Faktoren zu suchen:
1. eine überdurchschnittlich hohe private Bildungsausgabenquote;
2. ein nachfrageseitiger Faktor, insbesondere die unterdurchschnittliche Stärke der Altersklassen im Ausbildungsalter;
3. die gedämpfte Bildungsbeteiligung im tertiären Bildungsbereich;
4. die hier zu Lande gepflegte Tradition, vor allem den mittleren und höheren Qualifikationssektor im Schulwesen und in der beruflichen Bildung zu fördern und damit die Fortführung einer Bildungspolitik, die vor allem für mittlere und höhere Positionen in einer Industriegesellschaft geeignet ist;
5. die Konkurrenz zweier großer Sozialstaatsparteien, die der Sozialpolitik die Vorfahrt geben;
6. ein Föderalismus, der die Bildungsfinanzen aufgrund der Finanzierungsstruktur der Länderhaushalte am kurzen Zügel führt, und
7. die Programmkonkurrenz um knappe öffentliche Mittel, in der das Bildungswesen aufgrund geringer Markt-, Verbände- und Wählerstimmenmacht hintangestellt wird und in Gefahr gerät, unter die Räder der schier unaufhaltsamen Finanzierung des Sozialstaates zu geraten.