Einleitung
Der Historiker Perry Anderson hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Begriff, Identität und Stoßrichtung von "Internationalismus" stets historisch spezifisch seien: Sie wandeln sich mit der dominanten Gestalt des "Nationalismus" in der europäischen und dann in der Weltpolitik. Jeder sinnvolle Begriff von Internationalismus setzt zwei "points of no return" voraus: erstens die Durchsetzung des Nationalstaats als dominante Organisationsform der europäischen Politik und zweitens die so genannte "Globalisierung" des Kapitalismus, die Durchsetzung eines ökonomischen Weltsystems als Kehrseite der Entwicklung und Expansion der europäischen Industrienationen. Beides trifft auch für die internationale Dimension der Weltkirche zu - der christlichen Kirchen im Allgemeinen, und der katholischen, hierarchisch strukturierten "päpstlichen Internationale" im Besonderen. Freilich gilt es hierbei, noch zwei zusätzliche Spannungsmomente der kirchlichen Institution als solcher zu berücksichtigen, die weit älter sind als Nationalstaat und Weltgesellschaft, da sie in der eschatologischen Valenz der christlichen Botschaft selbst angelegt sind: ihr universalistischer Sendungsanspruch und die immer auch anti-politische Dimension der durchaus politischen Institution "katholische Kirche".
Schon die Organisationsform des frühen Christentums zeugte von der bald institutionalisierten Spannung zwischen der vorgegebenen sozialen oder politischen Macht und ihrer eschatologischen Entwertung durch die neue Religion: Die verfolgten christlichen Religionsgemeinschaften begreifen sich zunächst in Analogie und in Antagonismus zur Bürgerversammlung der hellenistischen Polis, also der lokalen politischen Macht, selbst als Bürgerversammlung: als ekklesia. Später organisiert sich diese Gegenmacht als Netzwerk von Gemeinden im Reich, bis dann das Christentum mit der "konstantinischen Wende" sogar an die Stelle des alten Reichs- und Kaiserkults tritt.
Nach dem Zusammenbruch der politisch-militärischen Rahmenstruktur des Imperium Romanum bleiben im Westen die Institutionen der ursprünglich aus "interstitiellen Gemeinschaften und Gemeinden" entstandenen christlichen Bischofskirchen als Netzwerke einer religiös "spezialisierten Ökumene" übrig. Dieses Netzwerk benachbarter "Mikrochristenheiten" bildet das zivilisatorische Rückgrat des frühmittelalterlichen Europa. Zur organisatorischen Vereinigung dieser Kirchenstrukturen und ihrer institutionellen Verselbständigung gegenüber den weltlichen Mächten kommt es erst im folgenden Jahrtausend mit der "päpstlichen Revolution" Papst Gregors VII. (1074 - 1085) und seiner Nachfolger.
Erst im Verlaufe des Konfliktes zwischen Papst und Kaiser, der nur innerhalb der westlichen Christenheit den Charakter eines für gut vier Jahrhunderte unaufhebbaren "Grundwiderspruchs" annahm, entwickelten beide Gewalten eine je eigene institutionelle Legitimität und entfalteten eigene Rationalitätsmuster. Kirchliche Eliten stabilisierten eigene Mitgliedschaftsregeln und Rekrutierungsmodi sowie eine eigene Jurisdiktion, deren Legitimität und geographische Reichweite nicht durch die weltliche Gewalt christlicher Souveräne gebunden ist. Erst durch die Autonomie der geistlichen Instanz und ihrer Selbstgesetzgebung als Kirche wird somit auch die "weltliche" Sphäre freigesetzt.
Diesseits und Jenseits der Nation
Das Problem einer institutionellen Fassung des kirchlichen Universalismus jenseits der politischen Macht stellt sich jedoch erst mit dem Zusammenbrechen der christlichen Reiche im Jahrhundert nach der Französischen Revolution. Vorher war die römische Papstkirche für mehrere Jahrhunderte die vielleicht wichtigste transnationale Institution Europas gewesen. Im 19. Jahrhundert aber wird der Nationalstaat zur neuen, bestimmenden Gestalt politischer Souveränität, und die Weltkirche kann nun nicht mehr nach dem frühneuzeitlichen Modell eines zwischen den katholischen Mächten abgestimmten römischen Überbaus über die episkopalen Netzwerke der christlichen Monarchien funktionieren. Erschien die mittelalterliche Idee einer päpstlichen Universalmonarchie seit dem Konfessionalismus des 17. Jahrhunderts absurd, so lebte dieser Geist nach der amerikanischen und der Französischen Revolution nur noch kurzlebig in den Pamphleten der katholischen Reaktion auf, ehe dann auch die letzten Reste der weltlichen Macht des Papsttums zum Opfer der italienischen Einigung werden.
Den Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert erlebt die Papstkirche ausschließlich als Feind. Dies gilt ebenso für das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und liberaler Moderne wie für den Gegensatz zwischen dem kirchlichem Universalauftrag und dem unaufhaltsamen Sieg des Nationalgedankens in Europa. Denn es sind diese beiden, im Übrigen eng verknüpften Gegensätze, die das "lange 19. Jahrhundert" (Eric Hobsbawm) prägen: erstens die Gegnerschaft des historisch in den mittel- und lateineuropäischen Ancien Regimes verwurzelten Katholizismus zu den modernen Großmächten, zum (nach)revolutionären Frankreich, dem preußisch-protestantisch geführten Deutschen Kaiserreich und der englischen Weltmacht, und zweitens die Gegnerschaft der Kirche zu so gut wie allen nationalen, liberalen und demokratischen Emanzipationsbewegungen des alten Kontinents.
Im Gegenzug zur Erosion der politischen Stabilität im Mitteleuropa der "Heiligen Allianz" durch soziale wie nationale Freiheitsbewegungen gelingt es nun dem Papsttum und der ultramontanen Bewegung, die Una sancta als geistliche Universalmonarchie ideologisch zu reorientieren und organisatorisch zu zentralisieren: Auf die liberale Aufklärung antwortet Pius IX. mit dem "Syllabus errorum" (1864), der berüchtigten Liste von 80 "Irrtümern der Zeit" im Anhang seiner Enzyklika "Quanta cura": einer intransigenten Ablehnung jeglichen Kompromisses mit liberalem Staat und aufklärerischer Weltanschauung. Auf das italienische Risorgimento antwortet das Erste Vatikanische Konzil (1869/70), das die geistliche Universalmonarchie des Bischofs von Rom durch einen bis dato unbekannten, rigiden Zentralismus noch übersteigerte und überdies theologisch dogmatisierte.
Intra muros ecclesiae siegt also ein theologisch konservativer römischer Zentralismus über alle Versuchungen eines "liberalen" oder nationalen Katholizismus; aber die Konzilsväter müssen angesichts des ausbrechenden Deutsch-Französischen Krieges überstürzt aus Rom fliehen. Im Zuge der italienischen Einigung verliert das Papsttum seine direkte weltliche Gewalt, den Kirchenstaat - und mit dem Niedergang der katholischen Reiche schwindet auch seine indirekte Machtbasis in Europa.
Intransigenz und Moderne
Hier aber liegt ein Paradox der päpstlichen Intransigenz: Die römisch-zentralistische Gegenrevolution des innerkirchlichen Regiments war nicht nur eine autoritäre Kompensation für den Machtverlust der alten Kirche im neuen Europa der Nationalstaaten, sondern zugleich die einzige Chance, eine nationale Zersplitterung der Una Sancta in Nationalkirchen zu vermeiden. Erst nachdem der Bestand der Institution Weltkirche mit allen Mitteln verteidigt worden war, entstanden im Rahmen der sich multiplizierenden konstitutionellen Nationalstaaten auch moderne Formen eines politischen Katholizismus: charakteristischerweise eher aus der katholischen Sozialbewegung als aus "liberalen" Flügeln des Katholizismus, und wider zahlreiche "römische" Hindernisse.
Im Kontext der entstehenden Weltgesellschaft war der römische Hyperzentralismus der "ultramontanen" Fronde somit die falsche, anachronistische Form der Wahrnehmung eines echten Problems: Wie lässt sich eine (zunächst anti- und dann) transnationale politische Identität der Kirche als Trägerin eines universalistischen Heilsauftrags gegenüber der Gravitationskraft der nationalen Interessen, Identitäten, Parteien bewahren? Der Heilige Stuhl musste am Ende auch die politische Funktionalisierung des Katholizismus durch Charles Maurras' Action Française zurückweisen - im gleichfalls anachronistischen, aber auf paradoxe Weise aktuellen Rückgriff auf die Formel vom "Primat der geistlichen Gewalt" gegenüber jeder nationalen Machtpolitik.
Dass sich Papst Benedikt XV. (1914 - 1922) nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs weigerte, in diesem Konflikt "die alte Antinomie zwischen lutherischem Deutschland und dem lateinischen Katholizismus" wieder zu erkennen machte den Katholizismus freilich noch nicht zur "einzigen Internationale, die hält" (Maurras). Benedikt XV. wurde stattdessen zum isoliertesten Papst des XX. Jahrhunderts - nicht zuletzt isoliert gegenüber der Mehrheit der Gläubigen und des Klerus Krieg führender katholischer Nationen Europas. Nach dem Krieg forderte er in seiner Enzyklika Pacem Dei munus pulcherrimum (1920) die Siegermächte zu einem Versöhnungsfrieden auf, der nicht bereits die Keime neuen, alten Hasses in sich tragen dürfe. Auch an der Völkerbundidee zeigte er ein vorsichtiges Interesse.
Erst nach einem weiteren Weltkrieg wurde mit dem von Papst Johannes XXIII. (1958 - 1963) einberufenen II. Vatikanischen Konzil (1962 - 1965) eine kritische, aber "interne" Aneignung bestimmter Freiheits- und Rationalitätsdimensionen der Moderne möglich. Jetzt forderte die katholische Kirche die ethische Selbstbegrenzung bestimmter moderner Freiheiten, statt diese en bloc abzulehnen. Einen Kernpunkt der konzeptionellen Öffnung ("aggiornamento") des II. Vaticanum zur modernen Freiheit konstituierte die lange umstrittene Erklärung Dignitatis humanae, die in den konziliaren Kommissionen und Beratungen gegen den zum Teil heftigen Widerstand der Kurie, nicht zuletzt des Heiligen Offiziums unter Kardinal Ottaviani, durchgesetzt werden musste.
Noch heute ist für Johannes Paul II. die Religionsfreiheit das erste der Menschenrechte. Bis zu Pius XII. war die Verteidigung der "libertas ecclesiae", der in sich monokratisch strukturierten Kirche, zentrales Realitätsprinzip aller Päpste gewesen. Mit dem II. Vaticanum - insbesondere mit dem Pontifikat Johannes Pauls II. - wird diese Verteidigung funktional für die "libertas personae", die ihren theologischen Grund in der Gotteskindschaft findet.
Erst nach den II. Vatikanischen Konzil - seit Pauls VI. Besuch bei der UNO-Vollversammlung (1965) - nimmt der Heilige Stuhl mit einem ständigen Vertreter an der Arbeit der Vereinten Nationen teil. Und lange nachdem der Vatikan als nur mehr symbolisch souveräner Staat jeden eigenen machtpolitischen Anspruch aufgegeben hat, kann dann der Papst der Weltkirche auch die positiven Seiten nationaler Identität und Unabhängigkeit theologisch würdigen. Diese theologische Begründung der (relativen) "Rechte der Nationen" formuliert am Ende des 20. Jahrhunderts der katholische Universalist Karol Wojtyla, der zugleich polnischer Patriot ist, in seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung (1995). Und im Januar 1998, in seiner Rede vor kubanischen Intellektuellen an der Universität Havanna, kommt Johannes Paul II. am Beispiel des Priesters und Gründungsvaters der kubanischen Unabhängigkeitsbewegung Felix Varela noch einmal auf das Verhältnis von nationaler Unabhängigkeit, der christlich geprägten "Seele" eines Volkes (hier der kubanischen Nation) und der universalen Identität der Kirche zurück.
Außenpolitik und Binnenwirkung
Einmal Papst geworden (1978), zögerte Karol Wojtyla nicht, seine Rolle, Macht und Talente einzusetzen, um das vielleicht wichtigste Versprechen des II. Vatikanischen Konzils einzulösen: die Präsenz der Kirche in der Welt, überall dort, wo es um die Verteidigung der Menschenrechte und um religiöse, zivile und politische Freiheit geht. Er nahm "die Kompetenz der Kompetenz" (Karl Rahner) seines Amtes in Anspruch - der Papst selbst und keine andere Instanz beurteilt Grenzen und Reichweite seiner Autorität.
Am Ende des Zweiten Jahrtausends hat der Bischof von Rom einen entscheidenden Anteil am Ende des Staatsatheismus der sowjetischen Ära gehabt. An die Stabilität der europäischen Nachkriegsordnung hatte der Krakauer Erzbischof - ganz im Gegensatz zu sozialdemokratischen Entspannungspolitikern oder gar protestantischen Weltkirchenräten - niemals geglaubt. Wojtyla wusste aus eigener pastoraler Erfahrung, dass der Kommunismus innerlich am Ende war. Als Papst hat Wojtyla darum die freie Gewerkschaft und polnische Nationalbewegung Solidarnosc moralisch gestärkt und zugleich die Politik des "runden Tisches" von Regime, Kirche und Opposition gefördert.
Auch bei Johannes Pauls II. Besuch in Kuba (1998) verband sich eine präzis kalkulierte charismatische Offensive als Haupt der universalen Kirche mit einer hart und professionell geführten Verhandlung der vatikanischen Diplomatie um universalistische Standards religiöser, ziviler und politischer Freiheiten. Die päpstliche "Außenpolitik" hat also genau jene Prinzipien verfolgt, welche das II. Vatikanische Konzil erstmalig als oberste verbindliche Richtschnur der Weltkirche (an)erkannt hatte.
Doch wäre es verfehlt, die "Generallinie" der römisch-katholischen Kirche auf die Haltung ihres jeweiligen Oberhaupts zu reduzieren. Denn die seit dem I. Vaticanum ungeklärten Widersprüche der Kirchenverfassung - das Verhältnis von Bischofskollegium und päpstlichem Primat, von Kurie und Kardinalskollegium, von universaler und Ortskirche - wurden erst mit dem II. Vaticanum in Angriff genommen, aber eben auch auf diesem Konzil nicht gelöst. Weder erhielt die nach anderthalb Jahrhunderten absoluter Papstmonarchie wieder oder neu bekräftigte "Kollegialität" der Bischöfe und Orts- und Teilkirchen verlässliche Instanzen der Koordination und Entscheidungsfindung im Regiment der Weltkirche, noch gelang es, den impliziten Dualismus von Kurie und Papst an der Spitze der Kirche wirklich aufzulösen.
Nach dem II. Vaticanum gab es außerdem kein einheitliches ekklesiologisches Selbstverständnis der Kirche mehr, welches von allen theologischen und kulturellen "Fraktionen" innerhalb und außerhalb der Kurie, von Kardinals- und Bischofskollegium hätte geteilt werden können. Stattdessen finden wir von Anfang an kontrastierende "Verfassungsdeutungen" des entscheidenden Konzilsdokuments Lumen gentium; und in den nunmehr 25 Jahren des Pontifikats von Karol Wojtyla haben sich diese entgegensetzten Sensibilitäten verfestigt: zu häufig geradezu verfeindeten internationalen Lagern und Seilschaften.
Charisma und Macht
Auch die von Paul VI. mit Zögern begonnene (aber wie so vieles von ihm nicht beendete) Kurienreform hat Johannes Paul II., der sich nicht in den Mühlen der Bürokratie verlieren wollte, nicht fortgesetzt. Das Gros der kurialen Abteilungen überließ er ihrer Routine; auf die wichtigen Posten platzierte er Leute seines Vertrauens; bei langwierigen und akuten Konflikten setzte er Kommissare mit Sondervollmachten ein. Lehramt, Außenpolitik, Seelsorge und Personalpolitik wurden in wenigen Händen konzentriert; der Generalstab wurde deutlich internationalisiert - der italienische Einfluss in der Kurie zurückgedrängt.
So wurden unter Johannes Paul II. die für die lehramtliche Identität, für die (kirchen- und außen-)politischen Initiativen und für die Personalpolitik verantwortlichen "Ressortchefs" auf wenige "Superministerien" verteilt: allen voran die Kardinäle Joseph Ratzinger (Glaubenskongregation), Angelo Sodano (Staatssekretariat), der (wechselnde) Ressortleiter für Bischofsernennungen und wenige weitere ausgewählte Schlüsselfiguren, insgesamt ein kleiner, international zusammengesetzter, doch überschaubarer Kreis. Der Vorteil einer solchen informellen Entscheidungselite liegt auf der Hand: Es gibt nur geringe Reibungsverluste im Team - doch es gibt auch nur beschränkte interne Korrekturmöglichkeiten. Schließlich fehlt der päpstlichen "Regierung", worauf zuletzt mit Recht Hans Maier hingewiesen hat: eine kollegiale, alle "Minister" bindende Kabinettsdisziplin zur kollektiven Beschlusslage und Verantwortung. Somit arbeiten die Ressortchefs weitgehend unabhängig voneinander - teilweise wohl auch gegeneinander. Zusammen hält sie nur das Vertrauen des Papstes.
Für Kampagnen einer ecclesia militans, für die Reise- und Evangelisierungsoffensiven des Papstes, auch für das komplexe Ausbalancieren von (zwischenstaatlicher) Diplomatie und (pastoraler) Offensive, welches die politische Initiative des Vatikans in zahlreichen weltpolitischen Krisenherden der letzten beiden Jahrzehnte auszeichnete, ist eine solche personell reduzierte Leitung weitaus geeigneter als jedes proportional oder repräsentativ zusammengesetzte Führungsorgan. Bei der Kombination von Offensive und Diplomatie kommt schließlich alles darauf an, dass die eine Hand weiß, was die andere tut. Nicht geeignet ist ein solcher Führungsstil allerdings für das pastorale Innenleben der Kirche - und zwar weder im traditionellen Sinne der hierarchischen societas perfecta, mit präziser Rang- und Rollenzuweisung und verlässlicher, aber umständlicher Bürokratie, noch als kollegial strukturierte communio: als Gemeinschaft der bischöflich geleiteten Ortskirchen.
Dass jede Bewegung eine straffe Führung braucht, dies hatte der Politiker Wojtyla nicht erst in Rom lernen müssen. Seine "operative" Ekklesiologie ist denn auch weder durch römische Konzilsdebatten noch durch die Reformtheologen aus Deutschland, Frankreich und den USA geprägt, sondern durch die Erfahrung der polnischen Kirche: Eine im Glauben fest geschlossene Kirche hatte unter seinem starken charismatischen Impuls als antitotalitäre katholische Volksbewegung und Hüterin des nationalen Gewissens die Gesellschaft von der Übermacht des kommunistischen Staates befreien geholfen. In seiner wohl wichtigsten Enzyklika Centesimus annus (1991) deutet Papst Johannes Paul II. diese dem antitotalitären Widerstand durchaus angemessene Kommunikationsform der charismatischen Kampagnenkirche und ihr im Medium symbolischer Kommunikation akkumuliertes moralisches Kapital auch heilsgeschichtlich: als Richtungsanzeige für die Art und Weise, wie die "Großbewegung" Kirche als Verkünderin des Reiches Gottes, "das in der Welt gegenwärtig ist, ohne von der Welt zu sein", sich auch in Zukunft, nicht allein in Polen, sondern auch im Westen, verhalten und bewegen solle.
Medium und Message
Die aktuelle Rolle des Papstamtes in der Weltöffentlichkeit lässt sich nicht ohne das persönliche Charisma des polnischen Pontifex verstehen. Karol Wojtyla verkörpert von Anbeginn seines Pontifikats an dynamische, leibhaftige Führung. Der die Heilige Stadt zuweilen geradezu flüchtende "Reisepapst" repräsentiert einen neuen eschatologischen Drang, den aktivierten Ausnahmezustand der Kirche in Bewegung. Dabei gelingt es ihm in unnachahmlicher Weise, das Medium Fernsehen in den Dienst seiner Evangelisierungsoffensive zu stellen. Wojtyla agiert in der Tat in hohem Maße als "Medienpapst", da sich in seiner öffentlichen Gestalt zwei verschiedene Logiken der Verkörperung geradezu perfekt überlagern: die des Fernsehens und die der sakramentalen Präsenz.
Die dynamische Erscheinung Papst Johannes Pauls II. kommuniziert, erstmals leibhaftig, mit der Weltkirche. Er erniedrigt sich in triumphaler Demut vor allen Nationen und verkündet die Botschaft vom Sieg der Christenheit über den Kommunismus. Doch nach diesem Sieg muss derselbe Papst auch die Niederlage des christlichen Ethos gegenüber den Glücksmodellen der kapitalistischen Zivilisation erfahren, auch in seinem Heimatland Polen. Kein Politiker hat die Klaviatur der elektronischen Medien besser beherrscht als der "große Kommunikator" Wojtyla - und doch ist seit Pius XII. kein Papst der kulturellen Moderne gegenüber so misstrauisch eingestellt gewesen wie Johannes Paul II.
Gegen den Siegeszug eines neuen "westlich"-heidnischen Evangeliums von physischem Genuss und materiellem Erfolg mobilisiert Johannes Paul II. am Ende auch die Würde seines eigenen Leidens. Noch die stete physische Gefährdung dieses Papstes - vom Attentat auf dem Petersplatz am 13. Mai 1981, dem Tage der Madonna von Fatima, bis zu seiner seit einigen Jahren als öffentliche Herausforderung gelebten Krankheit - transportiert symbolische Wahrheit: Vertrat der dynamische, prophetische, unermüdliche Johannes Paul II. die Wahrheit der christlichen Botschaft gegenüber einem sterbenden Kommunismus, so verkörpert am Ende seines Pontifikats der kranke, leidende Pilger die bis zum Ende der Zeiten nicht eingelöste Friedenshoffnung des Evangeliums unter den Bedingungen der kapitalistischen Globalisierung.
Die Ostkirchen und Rom
Nach 1989 hatte Johannes Paul II. die Hoffnung ausgesprochen, die östliche und die westliche Christenheit, endlich nicht mehr durch einen eisernen Vorhang getrennt, könnten nunmehr "mit beiden Lungenflügeln" atmen. Doch selten waren die offiziellen Beziehungen des Vatikans zur Kirche des (nach seinem Selbstverständnis) "Dritten Rom" Moskau schwieriger als heute: 2002 sagte der Moskauer Patriarch Alekseij II. einseitig das geplante Treffen mit dem Präsidenten des Rats für die Einheit der Christen, dem neuen "ökumenischen Außenminister" Kardinal Walter Kasper, ab. Das Moskauer Patriarchat will keine Errichtung katholischer Bistümer auf russischem Boden dulden, obwohl es bis nach Sibirien oder Kasachstan katholische Minderheiten gibt - nicht zuletzt als Ergebnis der Stalin'schen Deportationen in den dreißiger und vierziger Jahren.
Nicht einmal die "Kazanskaja"-Ikone, die Kopie eines Gnadenbildes aus Kazan, die im 12. Jahrhundert während der Tatareninvasion verschwunden ging, um 1579 wundersam und unversehrt wieder aufzutauchen, durfte Johannes Paul II. als ökumenisches Geschenk selbst überbringen: Geraubt in den Wirren der bolschewistischen Revolution, verschwunden im Dickicht der Schwarzmärkte, hatte sie eine amerikanische Organisation von Fatimapilgern erworben und 1993 die tatarische Madonna dem Papst geschenkt. Zur Übergabe durch Kardinal Kasper in der Moskauer Marienkathedrale an den russischen Patriarchen waren Ende August 2004 keine Moskauer Katholiken geladen - und AlekseijII. bekräftigte erneut das Moskauer "Njet!" zum offenen Dialog: Katholiken wie Protestanten müssten erst vom "Proselytismus" Abstand nehmen. Hinter jeder selbstbewussten Verkündigung der christlichen Botschaft wittert das orthodoxe Patriarchat schließlich den "Diebstahl in unseren Herden".
Kardinal Kasper, der ökumenische Außenminister des Papstes, ist ein geübter Diplomat. Aber in der Sache - einer Religionsfreiheit, die nicht vom Veto orthodoxer Kirchenfürsten abhängen darf - kann er nicht nachgeben. Das macht die vatikanische Ökumene gegenüber dem Osten so schwierig, erst recht in der aktuellen "Zeit der Wirren" in der russischen Christenheit. Seit einigen Jahren nämlich verstärken sich nationalistische Töne in der russisch-orthodoxen Kirche. Häufig gehen sie keinesfalls von der Hierarchie aus. An der Basis macht ein verarmter, ungeschulter, verunsicherter niederer Klerus gemeinsame Sache mit chauvinistischen Strömungen. Wem in der politischen Landschaft die plebiszitäre Autokratie Präsident Putins als Ordnungsgarantie erscheint, der mag auch die Festungsmentalität des Moskauer Patriarchats unter Alekseij II. als kleineres Übel ansehen. Jedenfalls im Vergleich zu den immer offener monarchistischen, rechtsextremen oder gar antisemitischen Stimmen aus der russischen Kirche. Aus deren Sicht haben sich der säkularisierte Westen, die römische Kirche und das "Weltjudentum" gemeinsam verschworen, die heilige russische Erde und Kirche zu vergewaltigen. Wie der islamische Fundamentalismus unter den "arabischen Massen" entsteht auch der orthodox-großrussische Chauvinismus aus kulturellen Identitätsängsten und im Milieu materieller Not.
Die Moskauer Territorialherrschaft über die russischen Seelen ist es denn auch, welche bisher jede ökumenische Verständigung mit Rom blockiert. Wahrhafte christliche Ökumene wäre das genaue Gegenteil einer klerikalen Breschnew-Doktrin, wie sie das Moskauer Patriarchat beansprucht: kanonisches "Hausrecht" für alle ehedem "russischen" Gebiete, Russland, Weißrussland und die Ukraine. Innerhalb dieser so genannten "kanonischen" Territorien will Moskau keine andere öffentliche Religion und Hierarchie dulden. Offene Seelsorge anderer Religionsgemeinschaften sieht Moskau als unlautere "Proselytenmacherei" an, jede Präsenz der römisch-katholischen Kirche gilt als "expansionistische" Aggression. Die russische Orthodoxie kann sich dabei auf ein antipluralistisches Religionsgesetz stützen und bedient die mannigfachen Legitimitäts- und Repräsentationsbedürfnisse russischer Potentaten und Oligarchen. Darum darf Rom heute auch in Moskau nichts anderes fordern als die Freiheit des Christenmenschen.
Nach dem Golfkrieg: Entspannung im Westen?
Nach Ansicht des ehemaligen amerikanischen Außenministers Colin Powell "denkt und handelt der Heilige Stuhl ebenso wie die Vereinigten Staaten auf globaler Ebene, und das ermöglicht uns eine außergewöhnliche Partnerschaft". Schließlich verfolgten beide Seiten dieselben Ziele: "die Verbreitung der Freiheit, der Gerechtigkeit, der religiösen und ethnischen Toleranz und der sozialen wie wirtschaftlichen Entwicklung". Im Geiste dieser geteilten Werte "werden wir auch in Zukunft unsere besondere globale 'partnership' zum Wohle der Menschenwürde ausbauen". Dieser Text aus der ersten Aprilwoche 2004 stammt aus Powells Stellungnahme zum zwanzigsten Jahrestag der diplomatischen Beziehungen zwischen "God's Own Country" und dem Vatikanstaat.
Erst 1984, also unter dem polnischen Antikommunisten Papst Johannes Paul II., kam es zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Vatikan und den USA, welche dereinst aus radikal antipapistischem Geiste entstanden waren. Aus dem Geist der calvinistischen Pilgerväter wider das Alte Europa, aus der Revolte von Baptisten, Dissenters und aller radikalen Sekten der europäischen Reformation folgten später in der Neuen Welt diverse methodistische und evangelikale Erweckungsbewegungen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verurteilte der Heilige Stuhl modernistische Theologien noch offiziell als "Amerikanismus".
Erst seit Dignitatis Humanae, der vom amerikanischen Konzilstheologen John Courtney Murray inspirierten und 1964 auf dem II. Vatikanischen Konzil auch vom damaligen Krakauer Erzbischof Karol Wojtyla energisch unterstützten Erklärung über die Religionsfreiheit, kann man zwischen Rom und Washington tatsächlich vom gemeinsamen Verständnis religiöser Toleranz sprechen. Doch hätte Colin Powell noch im Jahr 2003 wohl kaum von "globaler Partnerschaft" mit dem Vatikan gesprochen. 2003 war eines der krisenhaftesten Jahre der Beziehung zwischen Washington und dem Heiligen Stuhl. Jim Nicholson, der Ex-Wahlkampfmanager des jüngeren Bush und nun sein Vatikan-Botschafter, warb in Rom vergeblich um Verständnis für die neue amerikanische Sicherheitsdoktrin des "preemptive strike". Er ließ eigens Michael Novak, den "theokonservativen" Vordenker des American Enterprise Institute, aus Washington einfliegen, konnte aber Kurienbeamte und Kardinäle nicht von der ethischen Berechtigung des amerikanisch-britischen Angriffs auf den Irak überzeugen.
Wenn es eine globale Stimme gegen Amerikas letzten Golfkrieg gab, dann war dies 2003 - wie schon 1991 - das Wort des Heiligen Vaters: "Der Krieg ist eine Niederlage der Menschheit!" Zwar lehnten die Spitzen der katholischen Hierarchie keinesfalls jede kriegerische Antwort auf den neuen islamistischen Terrorismus ab. Der Einsatz in Afghanistan wurde auch im Vatikan mehr oder minder offiziös als westliche Selbstverteidigung nach "9/11" verstanden. Doch Staatssekretär Kardinal Angelo Sodano und sein damaliger "Außenminister", der französische Diplomat Jean-Louis Tauran, glaubten nicht an eine unmittelbare Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen. Ein amerikanisch-britischer Angriff auf Bagdad könne daher nur katastrophale Ergebnisse zeitigen.
Diese fürchtete Rom erstens für die Zukunft des christlich-muslimischen Dialogs. Vermutlich liegt diese Frage dem Papst persönlich sogar noch mehr am Herzen als manchen Mitarbeitern der Kurie. Seine prophetischen Anklagen wider den westlichen Krieg und die "Zivilisation des Todes" fielen ja auch deshalb so vehement aus, weil der Heilige Vater sehr genau um die Propagandalüge vom "jüdisch-christlichen Kreuzzug des Westens" weiß, welche die Ideologen von Al-Quaida oder anderen salafistisch-dschihadistischen Extremisten per Video oder Kassetten, auf islamistischen Internetsites oder TV-Kanälen in alle Welt verbreiten. Und hier hat der Papst sein "Kriegsziel" erreicht: Gewiss konnte er den Krieg nicht verhindern; aber seine weltweit vernommene und eben auch in muslimischen Medien präsente Stimme verhinderte, dass die westliche Militärpräsenz im Irak als imaginärer Religionskrieg zwischen christlichen Kreuzrittern und den Nachfolgern Saladins erschien. Zum "Dar-al-harb", zum Hause des Krieges, ist "der Westen" nur für islamistische Strömungen geworden, für die arabischen Massen (noch) nicht.
Zudem musste der Vatikan befürchten, Saddams Sturz könnte eine Verfolgung der seit über vier Jahrhunderten mit Rom unierten chaldäischen Christen des Irak nach sich ziehen. Die einige Hunderttausende umfassende chaldäische Minderheit war ja vom Baath-Regime im Vergleich zur schiitischen Bevölkerungsmehrheit bevorzugt behandelt worden; ihr verstorbener Bagdader Patriarch Raphael Bidawid hatte sich auch für viele Christen allzu servil Saddam Hussein angepasst. Nun ist zwar die Religionsfreiheit unter der amerikanisch dominierten Übergangsverwaltung des Irak gesetzlich garantiert, chaldäische Christen wie der Bischof von Kirkuk Louis Sako arbeiteten sogar im Nationalrat mit, um darauf zu achten, dass der islamische Charakter der künftigen Verfassung die Freiheit aller anderen Bekenntnisse nicht gefährdet. Aber die soziale Ächtung und persönliche Gefährdung der irakischen Christen - insbesondere angesichts der katastrophalen Sicherheitslage im Irak - drängen Tausende von ihnen ins Exil.
Darum konnte man unter den zahlreichen europäischen Stimmen, die etwa nach dem Madrider Terroranschlag vom 11. März 2004 erneut den "Abzug aller Besatzertruppen" aus dem Irak forderten, vergeblich nach maßgeblichen katholischen Würdenträgern suchen. "Gewiss, wir waren gegen diesen Krieg", schrieb etwa Pater Cervellera vom päpstlichen Missionsinstitut zum Jahrestag des Golfkriegs, "aber wir müssen zugeben, dass die Anwesenheit der Koalition dem Lande guttut." Darum wäre es ein "gewaltiger politischer und moralischer Fehler", angesichts der neuen terroristischen Angriffe die westlichen Truppen aus dem Irak zurückzuziehen, befand die von römischen Jesuiten redigierte und für die vatikanische Außenpolitik offiziöse Civiltà Cattolia, welche die präzisesten Kritiken am vermeintlich "gerechten Krieg" der Allianz im Golf publiziert hatte. Nein, gerade jetzt komme es darauf an, die irakische Übergangsverwaltung zu stärken und den Prozess der Demokratisierung des Irak durch eine stärkere Einbeziehung der UNO zu qualifizieren: mit dem Ziel, letztendlich alle Besatzungstruppen einem UN-Kommando zu unterstellen. Dies sei - und das weiß man auch im Vatikan - eine extrem schwierige Lösung, doch langfristig die einzig mögliche.
Die neue, konziliantere Tonlage zwischen Rom und Washington mag auch damit zusammenhängen, dass im Vatikan die Minister ausgetauscht wurden. "Außenminister" Jean-Louis Tauran wurde "wegbefördert" zum Kardinal und vatikanischen Bibliothekar; sein Nachfolger, der ehemalige Nuntius in Deutschland Giovanni Lajolo, pflegt einen anderen Ton. Im Vatikan geht es auch gar nicht darum, unbedingt "Recht zu behalten", sondern darum, weiteren Krieg und Terror zu verhindern: Saddam ist entmachtet, doch eine Stabilisierung der Lage im Irak ist ohne substantielle Beteiligung Europas unwahrscheinlich. Das aber ist auch im Blick auf die blutigen Konflikte im Heiligen Land von Bedeutung. Ohne verbindliche amerikanisch-europäische Kooperation in der Region könnte auch in Israel die Versuchung zum militärischen "Unilateralismus" noch unwiderstehlicher werden.
Das 21. Jahrhundert: Süden und Norden
Das politische 20. Jahrhundert wurde eher von innerweltlichen Ideologien wie Liberalismus, Nationalismus, Sozialismus geprägt als durch religiöse Ideen. Es war das Jahrhundert der Barbarei zweier Weltkriege, auch das Jahrhundert der totalitären "politischen Religionen" (Eric Voegelin) von Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus. Doch nicht die "Erste Welt", der Westen/Norden, sondern der globale Süden wird im nächsten Jahrhundert zum Schwerpunkt der Christenheit werden - ebenso wie des Islam, der zweiten monotheistischen Weltreligion. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigungen des demographischen Wachstums: In zwei Jahrzehnten werden - nach den Vereinigten Staaten - Brasilien, Mexiko, die Philippinen, Nigeria, der Kongo und Äthiopien die Länder mit der größten Christenbevölkerung sein. Im Norden mag die Kirche der Zukunft in der Tat die Gestalt der "kleinen Herde" (Karl Rahner) in einer pluralistischen Gesellschaft annehmen - doch die Zukunft der Christenheit ist afrikanisch, asiatisch und lateinamerikanisch.
Zwar bleibt die im Westen "erfundene", und erst mit dem II. Vaticanum auch in der katholischen Kirche definitiv angekommene Trennung der religiösen Identität von der jeweiligen politischen Macht eine Voraussetzung für lokale und transnationale Netzwerke religiöser Gemeinschaftsbildung; diese werden gerade in Situationen des Staatsversagens immer wichtiger. Doch ihre Formen sind immer weniger mit denen der westlichen und nördlichen Tradition identisch. Ein radikaler evangelikaler, charismatischer "Sekten"-Protestantismus der Pfingstler und ein theologisch eher orthodoxer, aber sozial engagierter römischer Katholizismus stellen im globalen Süden die beiden Wachstumssektoren dar. Heilung und Heil, soziale Sorge und Seelsorge, synkretistische Traditionen und theologische Orthodoxie verbinden sich in durchaus ungewohnter und ideologisch unbequemer Weise.
Unweigerlich aber trifft die im globalen Süden wachsende Christenheit auf den sich dort ebenfalls aus ähnlichen Gründen vermehrenden Islam. Neuere Analysen vermuten zwar, der Wachstumszyklus des Islamismus als politischer Ideologie und totalitärer Strategie sei vorbei. Doch die Gefahr diffuser Radikalisierung religiös codierter Ressentiments ist in der weltweiten Gemeinschaft der Muslime keineswegs überwunden. Die Alternative zum "clash of civilizations" (Samuel Huntington), zum religiösen Kulturkonflikt liegt für den Vatikan ganz offenkundig in einer Art offensiver religiöser Entspannungspolitik. Diese setzt allerdings nicht auf die Konvergenz aller Religionen, sondern im Gegenteil auf das bewusste Austragen und Aushalten der Differenz.
Dass Johannes Paul II. seit Jahrzehnten eine "Neue Ostpolitik" gegenüber islamischen Ländern und Kulturen verfolgt, wird im Westen häufig übersehen. Im Sportstadion von Casablanca predigte er 1985 vor Zehntausenden von muslimischen Jugendlichen. Die Haltung des Heiligen Stuhls in den jüngsten Konflikten am Golf und auch in der Bosnien-Krise hatte eine Reihe von Berührungspunkten zur islamischen Welt - weit eher als mit der Haltung des U.S.-State-Department.
Ein wichtiges politisches wie religiöses Signal war der Besuch des reformfreudigen iranischen Staatspräsidenten, schiitischen Mullahs und gemäßigt islamistischen Intellektuellen Sejjed Muhammad Chatami im März 1999 beim Papst. Beide, der Papst und Chatami, hofften "auf den Endsieg des Monotheismus, der Ethik und Moral, des Friedens und der Versöhnung".