Einleitung
Während man außerhalb Europas seit langem mit Populismus vertraut ist, trat er in Europa in nennenswertem Umfang als überwiegend rechtes Phänomen erst seit den 1970er Jahren auf. Als Unterscheidungskriterium für linken oder rechten Populismus können die Begriffe Inklusion und Exklusion herangezogen werden. Linker Populismus strebt durch Partizipation und Ressourcenumverteilung die Inklusion unterprivilegierter Bevölkerungsschichten in ein parastaatliches, direkt an die Person des "Führers" gebundenes, parlamentarisch nicht kontrolliertes Klientelsystem an. Rechter Populismus betreibt umgekehrt die Exklusion von Menschen ("Sozialstaatsschmarotzer", Immigranten, Asylbewerber, ethnische Minderheiten) und reserviert politische und soziale Teilhaberechte nur für die eigene, autochthone Bevölkerung.
Die erste große Welle rechtspopulistischer Parteien - der Aufstieg der Fortschrittsparteien in Dänemark und Norwegen, der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der französischen Front National (FN), des belgischen Vlaams Belang - setzte in den 1970er Jahren ein und ist, anders als frühere populistische Bewegungen, nicht abgeklungen. Vielmehr gehören diese Parteien teilweise zu den stärksten ihrer Länder. In den 1990er Jahren kam es zu einer weiteren Welle mit der schwedischen Neuen Demokratie, den Wahren Finnen, der Lega Nord in Italien, der älteren, aber erst von Jörg Haider seit 1986 zu einer ethnonationalistischen Partei transformierten Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), der niederländischen Lijst Pim Fortuyn, der Dänischen Volkspartei als Abspaltung von der Fortschrittspartei sowie zahlreichen mittel- und osteuropäischen Parteien. Einige haben entweder nicht überlebt oder Nachfolgeorganisationen wie die niederländische Partei für die Freiheit unter Geert Wilders hervorgebracht.
In Deutschland ist das rechtspopulistische Feld fragmentiert, aber auch hier ist es seit den 1990er Jahren zu etlichen, teilweise wieder untergegangenen Bewegungen gekommen wie der von ehemaligen FDP-Mitgliedern gegründeten Offensive für Deutschland und dem Bund Freier Bürger, dessen Vorsitzender enge Kontakte zu Haiders FPÖ pflegte, der Schill-Partei, der Pro-Bewegung und der Partei Die Freiheit unter dem ehemaligen CDU-Mitglied René Stadtkewitz. Obwohl diese Parteien oft ältere Wurzeln haben, stellen sie eine neue Herausforderung für die parlamentarisch-repräsentative Demokratie dar, gelingt es ihnen doch, ein weit verbreitetes Unbehagen unter dem Signum von Anti-Parteien zu bündeln und vorrangig gegen die "Parteienherrschaft", die EU und die Immigration zu kanalisieren.
Populismus: ein Relationsbegriff
Populismus ist kein Substanz-, sondern ein Relationsbegriff. Versteht man seit Aristoteles unter Substanz etwas, das zu seiner Existenz keines anderen Dinges bedarf, so hat der Populismus keine Substanz im Sinne eines zentralen, nur ihm eigenen Wertesystems. Der Politikwissenschaftler Paul Taggart definiert den Populismus daher als "inhärent unvollständig"; er habe ein "leeres Herz", was seine Schwäche, aber auch seine Flexibilität ausmache.
Auch wenn sich Populismus nur in Relation zu einem akuten Gegner bestimmen lässt, verfügt er über ein ideologisches Minimum, das auf einer vertikalen Achse von "Volk" und "Elite" beruht. Um diese Achse gruppiert sich ein Bündel nicht variabler Vorstellungen, die nicht politisch, sondern moralisch verankert sind. Der Populismusforscher Cas Mudde definiert Populismus daher als "eine Ideologie, die davon ausgeht, dass die Gesellschaft in zwei homogene, antagonistische Gruppen getrennt ist, das 'reine Volk' und die 'korrupte Elite', und die geltend macht, dass Politik ein Ausdruck der volonté générale oder des allgemeinen Volkswillens sein soll".
Zur Bestimmung des Populismus als Ideologie ohne gesellschaftstheoretisches Substrat ist der vom Ideologietheoretiker Michael Freeden geprägte Begriff einer "dünnen Ideologie" hilfreich. Im Unterschied zu Hochideologien wie dem Liberalismus oder dem Sozialismus
Merkmale des Populismus
Populismus zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: Berufung auf den common sense, Anti-Elitarismus, Anti-Intellektualismus, Antipolitik, Institutionenfeindlichkeit sowie Moralisierung, Polarisierung und Personalisierung der Politik. Das Grundaxiom ist die Berufung auf den common sense. Aus populistischer Sicht ist der "gesunde Menschenverstand" dem Reflexionswissen von Intellektuellen nicht nur ebenbürtig, sondern überlegen, weil er auf konkreter, lebensweltlicher Erfahrung beruhe, noch nicht vom Virus des modernen Skeptizismus infiziert sei und daher noch einen unverfälschten, "gesunden" Zugang zu Recht und Wahrheit habe.
Dazu meinte Timo Soini, Vorsitzender der Wahren Finnen: "Gelehrte Theoretiker, arrogante Bürokraten, kaltherzige Technokraten, verständnislose Zentralisierer, Anbeter des großen Geldes und aalglatte Avantgarde-Denker trauen dem Volk nicht. Sie missachten die Ansichten des Volkes, weil sie glauben, das Volk sei dumm und abgestumpft und die Weisheit liege bei Experten und einer vom Alltagsleben abgeschotteten Elite."
Populismus beruht - unabhängig von seiner Verortung auf einer Rechts-Links-Skala - auf der Aversion gegen die "Bevormundung" des Volkes durch Funktionseliten. Diese Aversion ist aber scheinemanzipatorisch, wird doch Mündigkeit nicht als Prozess der Selbstwerdung, sondern als ein statisches Apriori verstanden. Populismus betreibt keine bloße Aufwertung des Volkes, sondern eine Umpolung der Wertigkeiten von Volk und Elite und ist nur in einem instrumentellen Sinne anti-elitär. Er richtet sich lediglich gegen die jeweils herrschende Elite, strebt aber den Aufstieg einer neuen, moralisch überlegenen Elite von homines novi an.
Ein weiteres Merkmal ist die Antipolitik.
Die Berufung auf den common sense bedingt die Institutionenfeindlichkeit des Populismus. Da sich im Anspruch auf Bildung des politischen Willens nur der Herrschaftswille gegenüber dem Volk manifestiere, fordern Populisten eine ungefilterte politische Willensartikulation und lehnen intermediäre Organe als Instrumente der "Bevormundung" ab. Aber im Unterschied zu direktdemokratischen Verfahren, die auf der Kontrolle (dem gebundenen Mandat) der Delegierten durch die Delegierenden beruhen, befürworten sie einen spontanen Voluntarismus in einer Akklamationsdemokratie. In Europa treten sie für Plebiszite und Referenden ein, halten es aber in der Schwebe, ob diese die parlamentarisch-repräsentative Demokratie lediglich ergänzen oder nicht eher ersetzen sollen. Der Populismus agiert daher in einer Grauzone zwischen loyaler und illoyaler Opposition und postuliert einen Demokratismus, der es darauf anlegt, die Verklammerung von Rechtsstaatlichkeit und Mehrheitswillen zu zerbrechen. Er sei, so der Politikwissenschaftler Andreas Schedler, ein Borderline-Phänomen in einem Kontinuum zwischen Anti-Establishment- und Anti-System-Parteien.
Zu den konstitutiven Merkmalen des Populismus gehört ferner die Moralisierung der Politik. Unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung gelten die Eliten als korrupt, doppelzüngig, eigennützig, abgehoben und arrogant. Dagegen verbürge die moralische Überlegenheit des Volkes ein jedem diskursiven Rechtfertigungszwang enthobenes Wissen über das, was recht und unrecht, wahr und falsch ist. So erklärte der Vorsitzende der FPÖ Heinz-Christian Strache 2008 im österreichischen Nationalrat: "Sie entmündigen die Österreicher und verhöhnen sie gleichzeitig auch noch, sind abgehoben und präpotent, indem Sie hergehen und sagen: Wir hier im Parlament haben die Gescheitheit mit dem Löffel gefressen! (...) Sie haben Angst vor dem Volk, das Volk hat aber ein gutes Gespür für Recht und Unrecht. Und dort, wo Unrecht zu Recht wird, werde ich meine Stimme laut erheben, und da wird Widerstand zur Pflicht!"
Populistisches heartland als rückwärtsgewandte Utopie
Gegen die Bestimmung des Populismus über den Volksbegriff hat Taggart eingewandt, dieser sei zu diffus und zu unbestimmt. Es sei daher falsch, Populisten beim Wort zu nehmen und im "Volk" das vereinheitlichende Prinzip des Populismus zu sehen: "Die Festlegung auf das 'Volk' ist vielmehr eine abgeleitete Folge aus der impliziten oder expliziten Festlegung auf ein 'heartland'."
Common sense und heartland (beziehungsweise "Lebenswelt") sind im Populismus primordiale, das Ur-Ich (Husserl) betreffende Kategorien und unerlässlich für dessen Verständnis.
Im Unterschied zu Taggart hält die Verfasserin den Begriff des "Volkes" für keine aus dem heartland abgeleitete Kategorie, sondern für unterschiedliche Aspekte ein und derselben Sache. Als soziale Kategorie ist das "Volk" zwar diffus, nicht aber als Topos, bezeichnet es doch im Populismus das unpolitische Element der Beharrung in einem "Lebenswelt" genannten (Ideal-)Zustand. Nicht dieser ist begründungspflichtig, sondern die modernistische Abkehr von ihm. Wird aber dieses heartland von Krisen und inneren oder äußeren Feinden - darunter auch den Eliten als Agenten des gesellschaftlichen Wandels - bedroht, formiert sich Populismus als reaktive, defensive Kraft. Es wäre aber falsch, Populisten für Antimodernisten zu halten. Ihr Ziel ist vielmehr ein anderer, organisch von "unten" gewachsener, nicht von "oben" oktroyierter, technokratischer Weg in die Moderne.
Wie gehen Populisten vor?
Der Politikwissenschaftler Pierre-André Taguieff unterscheidet analytisch zwischen Protest- und Identitätspopulismus. Protestpopulismus tritt als Ein-Thema-Bewegung, oft als Steuerstreik, auf, wendet sich aber auch gegen bestimmte Modernisierungsvorhaben in Verbindung mit ökonomischer und politischer Machtkonzentration. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gibt es diesen Protest von Gruppen mittlerer sozialer Lagen, die sich von zu raschen Modernisierungsschüben bedroht fühlen, sei es vom Eisenbahnbau in den USA Ende des 19. Jahrhunderts oder von den Warenhäusern und Großhandelsketten der modernen Konsumindustrie im Poujadismus im Frankreich der 1950er Jahre. In den 1990er Jahren trat der französische Bauernpopulist José Bové mit provokanten Aktionen gegen genmanipuliertes Getreide und das Eindringen von Fast-Food-Ketten in französische Lebensgewohnheiten an. In jüngster Zeit zeigt sich dieser monothematische Bürgerprotest bei "Stuttgart 21" oder der Occupy-Bewegung, die gegen die moralisch ungehemmte Gier der Banker an der Wallstreet mobilisiert.
Protestpopulisten treten außerparlamentarisch durch "direkte Aktion" (Demonstrationen, Straßenblockaden, Rallyes, Besetzungen) auf, wenn sie davon überzeugt sind, dass keine politische Kraft sich ihrer annimmt und sie zu den "Vergessenen" gehören. Das Gefühl von Machtlosigkeit trieb in den USA den forgotten man und treibt heute die "Empörten" (indignados) auf die Straße und zur Selbsthilfe. Da protestpopulistische Bewegungen aber thematisch und meist auch lokal begrenzt sind, gehen sie entweder rasch unter oder werden von einer komplexeren Partei absorbiert.
In einem fließenden Kontinuum kann Protestpopulismus in Identitätspopulismus übergehen, denn häufig berufen sich auch Protestpopulisten auf ihre regionale oder nationale, traditionalistisch verstandene Identität. Vorherrschend ist heute der Identitätspopulismus. Er zeigt sich in einer Radikalisierung und Essentialisierung der kulturellen Zugehörigkeit durch Abwertung der "Anderen". Ein Beispiel bietet die Äußerung Geert Wilders' in Berlin im Jahr 2010 als Gast der Partei Die Freiheit: "Eines der Dinge, die zu sagen uns nicht mehr erlaubt wird, ist, dass unsere Kultur bestimmten anderen Kulturen überlegen ist."
Im Unterschied zum Protestpopulismus tritt der Identitätspopulismus durch Symbol- und Erinnerungspolitik mehrdimensional und auf parlamentarischer wie auch außerparlamentarischer Ebene auf. In der Schweiz hat beispielsweise die Jugendorganisation der SVP im März 2011 die "Aktion Wilhelm Tell" gestartet, bei der landesweit Ortsnamensschilder mit dem Untertitel "Gemeinde Europas" mit Plakaten in der Landesfarbe und der Aufschrift "Schweizer Gemeinde" überdeckt wurden. Im österreichischen "Ortstafelsturm" von 2002 trat der damalige Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider der Forderung des Verfassungsgerichtshofs entgegen, in Kärntner Ortschaften mit einer slowenischen Minderheit zweisprachige Ortsschilder aufzustellen. Haider sprach von einem "Wiener Diktat", stellte die Legitimität der Institutionen infrage und forderte, die Verfassungsrichter müssten "zurechtgestutzt" werden.
Populismus als Krisensymptom
"Der Populismus entsteht nicht aus dem Nichts, sondern stets im Gefolge einer gesellschaftlichen Krise und einer allgemeinen Ernüchterung. (...) Das seit Jahrzehnten zu beobachtende Wiederaufleben des Populismus signalisiert eine Krise der repräsentativen Demokratie."
Populisten treten als agenda setter auf, die tabuisierte, unliebsame oder vernachlässigte Themen aufgreifen und insofern nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine produktive Herausforderung darstellen können. Ihre positive Funktion als "nützliches Korrektiv" (Frank Decker) wird vor allem darin gesehen, dass sie die intrinsische Spannung der modernen Demokratie zwischen zwei Pfeilern - dem Konstitutionalismus (Rechtsstaatlichkeit) und der Volkssouveränität - thematisieren. Die konstitutionelle Säule ist dem periodisch durch Wahlen ermittelten Volkswillen entzogen und garantiert die liberalen Freiheitsrechte von Individuen und Minderheiten sowie unabhängige Institutionen wie die Justiz. Da der Konstitutionalismus aber von einem tiefen Misstrauen gegenüber der Selbstgesetzgebung des souveränen Volkes geprägt ist, hat er eine elitäre Schlagseite und macht geltend, das stets wankelmütige, manipulationsanfällige (Wahl-)Volk werde nicht von Vernunft, sondern von Leidenschaften getrieben und neige (wie etwa in der Strafgesetzgebung) zu autoritären Lösungen wie der Wiedereinführung der Todesstrafe. Daher müsse die Demokratie durch liberale Aufklärungseliten und die Stärkung des konstitutionellen Pfeilers vor der "Tyrannei der Mehrheit" geschützt werden. Geraten nun die zwei Säulen der modernen Demokratie in ein Ungleichgewicht, kann Populismus auch als Frühwarnsystem gegen Verkrustungstendenzen der Politik wirken.
Populisten prangern die "Parteienherrschaft" als selbstreferenziell an und wären weitaus weniger erfolgreich, wenn darin nicht ein Körnchen Wahrheit läge. Bürgernähe wird heute zunehmend durch Kommunikationstechniken ersetzt. Werden Zielvorgaben an der Wahlurne nicht honoriert, so seien diese den "begriffsstutzigen" Menschen "draußen im Lande" von spin doctors und Kommunikationsexperten nur nicht richtig "kommuniziert" worden. Eine solche Sichtweise ist Wasser auf die Mühlen des Populismus, dessen positive Funktion darin liegen kann, politische Sklerosierung aufzubrechen, die Kartellisierung der "politischen Klasse" infrage zu stellen und apathische, passive Bevölkerungsschichten politisch zu aktivieren - wenn auch um den Preis der Mobilisierung von Wut, Empörung und anderen "Leidenschaften". Sinkende Wahlbeteiligung, Mitgliederschwund in den etablierten Parteien und eine wachsende Zahl von Nichtwählern, vor allem in den unteren sozialen Segmenten, verweisen heute auf ein demokratisches Defizit, das durch die Mehrebenenpolitik im Zuge der europäischen Vereinigung noch verstärkt wird. Das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber intransparenten Prozessen war immer schon und ist auch heute ein günstiger Nährboden für Populismus.
Liberaler Rechtspopulismus oder populistischer Liberalismus?
Während der organisierte Liberalismus unter einer Glaubwürdigkeitskrise leidet, artikuliert sich das genuin liberale Verlangen nach Selbstbestimmung und Freiheit von Bevormundung heute über das Ventil des Populismus, sei es in (links-)liberalen Bürgerprotestbewegungen oder im Rechtspopulismus. Dieser hat den von etablierten Parteien vakant gelassenen Raum zwischen Rechtsextremismus, Nationalkonservatismus und Nationalliberalismus mit dem Thema der "nationalen Identität" besetzt und zu einem geschlossenen, gegen äußere Einflüsse immunen Regelkreis verengt. Dabei bediente sich schon der Marketingexperte Fortuyn des aus der Werbung bekannten branding, der Konstruktion eines unverwechselbaren, vom "Establishment" tabuisierten Markenzeichens: der Islamophobie. Während Berlusconi aus innenpolitischen Gründen noch unzeitgemäß gegen die "kommunistische Gefahr" Front machte, haben die Trendsetter Fortuyn und Wilders den Manichäismus von Freund und Feind aktualisiert und zu einem Weltanschauungskampf zugespitzt: Freiheit gegen Totalitarismus (den des Islams). 2010 erklärte Wilders den Islam zum funktionalen Äquivalent des Kommunismus: "Der Islam ist der Kommunismus der Gegenwart."
Freeden untersucht die Struktur der Beziehungen zwischen den Begriffen, welche die Morphologie einer Ideologie ausmachen, und unterscheidet zwischen zentralen, angrenzenden und peripheren Begriffen. Der zentrale Begriff des Populismus (Volk) ist plastisch und erhält erst durch angrenzende Begriffe wie Patriotismus oder Anti-Imperialismus sowie periphere Begriffe wie Freiheit oder soziale Gerechtigkeit politische Konturen. Seit der "Fortuyn-Revolte" in den Niederlanden vor rund zehn Jahren ist im Rechtspopulismus eine Veränderung der Beziehungsstruktur zwischen den Begriffen festzustellen. Schon Fortuyn vermied den Begriff des Volkes und sprach nur vom "mündigen Bürger".
Die von Fortuyn initiierte und von Wilders vorangetriebene morphologische Veränderung der populistischen Ideologie zielt darauf ab, in der liberalen Mitte der Gesellschaft Fuß zu fassen, aus der sie selbst hervorgegangen sind.
Populismus ohne Volk?
Freiheitlich, patriotisch, islamkritisch - in dieser Reihenfolge tritt heute der Rechtspopulismus als Populismus ohne Volk auf. Aber trotz seiner Erfolge zeigt er auch Schwächen und Unwägbarkeiten wie die Parteienlandschaft insgesamt: Fluktuation, Fragmentierung, Abspaltungen, Führungs- und Richtungskämpfe, kurze Halbwertzeiten (vor allem in Deutschland)
Wählersoziologisch sind im Rechtspopulismus zwei Segmente überrepräsentiert: mittelständische Gruppen (kleine Kaufleute, Handwerker, andere, durchaus prosperierende Selbstständige) und Arbeiter im privaten Sektor, die zuvor eher links gewählt haben, sich aber von den zur "neuen Mitte" drängenden Parteien der Linken nicht mehr repräsentiert, ja sogar betrogen fühlen.
Ein Bündnis dieser heterogenen Wähler kann nur durch übergreifende Themen geschmiedet werden, die auf der Bedrohungsskala für alle Gruppen Vorrang haben: innere Sicherheit, Immigration und die EU. Die Bedrohungen werden zu einem Syndrom gebündelt und, aktuell, auf den Islam als Generalfeind externalisiert. Islamophobie ist die Kohäsionsformel dieses neuen Populismus ohne Volk. Er trägt dem Individualisierungsschub in den westlichen Gesellschaften Rechnung und appelliert nicht mehr an Volk und heartland, sondern an das "mündige" Individuum, das den Begriff der Freiheit wie eine Monstranz vor sich her trägt.
Ist die Wiederbelebung der Freund-Feind-Konstellation des Kalten Kriegs unter antiislamischem Vorzeichen aber noch mit der vertikalen Polarisierung des genuinen Populismus vereinbar? Schon 1968 hat der Politiktheoretiker Isaiah Berlin zwischen echtem und falschem Populismus unterschieden.