Einleitung
Die Frage nach dem Verhältnis des Wertes der Arbeit in der Familie zum Wert der Arbeit im marktvermittelten Erwerbsleben wird derzeit neu gestellt. Ihre bisherige Dichotomie ist in einer praktischen und theoretischen Krise. Die Dichotomie bestand darin, dass die Arbeit in der Familie ökonomisch nicht als produktive, sondern als Reproduktionstätigkeit begriffen wurde, als eine der vielen nichtmonetarisierbaren Voraussetzungen der Geldwirtschaft. Die praktische Krise schlägt sich vor allem in sinkenden Geburtenraten und den dramatischen demographischen Folgen nieder. Die theoretische Krise lässt sich darin erkennen, dass die feministische Kritik an der Ausblendung der überwiegend weiblichen Familienarbeit auch im Kern zeitgenössischer Demokratie- und Wirtschaftstheorie angelangt ist und zudem jene marktkapitalistische Dichotomie durch neuere Theorien herausgefordert wird, die auf das in der und durch die Familie gebildete Sozialkapital hinweisen.
Die gesellschaftlich wichtigste Brücke zwischen Familie und Arbeitswelt schlägt am Ende des zwanzigsten, des "sozialdemokratischen Jahrhunderts" (Ralf Dahrendorf) die Sozialpolitik. Sozialpolitik ist seit ihrer Begründung vor allem damit beschäftigt, den Prozess der "Verlohnarbeiterung" (Claus Offe) als politischen Kompromiss zwischen Kapital, Arbeit und Wertverbänden zu organisieren. Daran hat sich auch am Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts nichts grundsätzlich geändert. Allerdings konstituiert die Sozialpolitik mit der Verwendungsgestaltung von etwa einem Drittel des Volkseinkommens heute ein eigenes gesellschaftliches Teilsystem, den Wohlfahrtsstaat. Nun war die Beziehung zwischen Familie und Erwerbssphäre nie wirklich unproblematisch. Doch erst die Politisierung der Sozialpolitik, die zunehmende Thematisierung von Wertbeziehungen wie den Frauenrechten durch die Frauenbewegung, brachte die Familienpolitik auf die öffentliche Agenda. Wenn nun die Grundlage der Beziehung zwischen Familie und Erwerbssphäre - jene historische Dichotomie von Privatheit und Gesellschaftlichkeit, von Reproduktion und Produktion - infrage steht, dann muss sich das notwendigerweise auch auf die Familienpolitik auswirken. Das Verhältnis von Familie und Beruf steht folglich praktisch, theoretisch und politisch zur Debatte.
Im Folgenden konzentrieren wir uns auf die politischen Aspekte dieses Verhältnisses. In einem ersten Schritt soll kurz auf jene drei Stationen der deutschen Familienpolitik zurückgeblickt werden, die in dieser Zuspitzung weltweit einzigartig sind: jenen familienpolitischen Sonderweg vom Mütterlichkeitskult der Nationalsozialisten über die Dualität aus konservativer Familienidylle der Bundesrepublik und sozialistischer Arbeitsreligion der DDR hin zur nachholenden Modernisierung des vereinigten Deutschland. In einem zweiten Schritt wird die deutsche familienpolitische Gemengelage ein Jahrzehnt nach der deutschen Einheit untersucht und in den Kontext einer Neubestimmung des Wohlfahrtsstaates gestellt.
I. Familienlaboratorium Deutschland
1. NS-Mutterpflicht
Man liest häufig, dass das Leitbild der Hausfrauenehe in Deutschland erst durch die Politik des nationalsozialistischen Regimes durchgesetzt wurde. Im historischen Rückblick auf die Geschichte der Frauenerwerbstätigkeit zeigt sich allerdings, so Birgit Pfau-Effinger, "dass die Hausfrauenehe ... schon deutlich früher in das Zentrum des Geschlechterarrangements gerückt war"
"Den ersten, besten und ihr gemäßen Platz hat die Frau in der Familie", so schwärmte Joseph Goebbels in seiner Eröffnungsrede anlässlich der Ausstellung "Die Frau" im März 1933.
Die Erwerbsbeteiligung der Frauen wurde nach anfänglichen Kampagnen gegen die so genannten "Doppelverdiener" mit Umstellung auf die Kriegsproduktion ab 1936 massiv gefördert, so erhielten ab 1937 nur noch erwerbstätige Frauen einen Heiratskredit.
Die NS-Familienpolitik hinterließ ein kulturelles Problem: Die Hausfrauenehe und - noch allgemeiner - die Anerkennung der mütterlichen (Arbeits-)Leistung galt im Nachkriegsdeutschland und vor allem nach 1968 für viele kritische Intellektuelle als ein Produkt der faschistischen Mutterideologie. Das war historisch falsch und theoretisch folgenreich. Denn "Mütterlichkeit" stand nun unter politischem Verdacht.
2. DDR: Recht und Pflicht zur Erwerbsarbeit
In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurde die Frauenpolitik unter dem Einfluss der sowjetischen Militäradministration bewusst und radikal von derjenigen der Nationalsozialisten abgegrenzt. Man propagierte unter Bezug auf die marxistischen Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung ein neues Frauenbild, das mit mehrfachen Modifikationen bis zum Ende der DDR erhalten blieb.
Rückblickend galten die ersten Phasen der Frauenpolitik in SBZ und DDR bis etwa 1964 "als die progressivsten im Sinne der Herstellung der Geschlechtergleichheit"
Mit dem drastischen Geburtenrückgang ab Mitte der sechziger Jahre wurde seit dem VIII. Parteitag der SED 1972 die Familienpolitik und die - als Begriff erst eingeführte - Sozialpolitik auch bevölkerungspolitischen Zielen unterworfen, die Beeinflussung der Reproduktionsfunktion der Familie galt als vordringliche Aufgabe. Kernpunkte des bis in die Endzeit der DDR immer mehr erweiterten Maßnahmenpakets waren zum einen die sukzessive Erhöhung der Transferzahlungen, die an die Gründung der Familie bzw. die Geburt von Kindern geknüpft waren, die Ausdehnung des Schwangerschafts- und Wochenurlaubs und flankierend ein Ausbau des Dienstleistungs- und Betreuungssystems, das den Frauen nach dem Wochenurlaub die Rückkehr in das Erwerbssystem ermöglichen sollte. Das große Ziel der DDR-Sozialpolitik war die Absicherung der weiblichen Vollzeiterwerbstätigkeit, um der angesichts der Arbeitskräfteknappheit als bedrohlich erlebten Zunahme weiblicher Teilzeitarbeit zu begegnen. 1976 wurden ab dem zweiten Kind ein Babyjahr eingeführt und weitere Leistungen für Mütter verbessert, um eine Steigerung der Geburtenzahlen zu erreichen. Väter konnten zunächst weder das Babyjahr (dies erst ab 1986) noch den Haushaltstag nutzen: "Die Sonderrechte für berufstätige Mütter (verkürzte Arbeitszeit, verlängerte Erwerbsunterbrechungen) bedeuteten die erneute Zuordnung der Frauenpflichten zur Mutter."
Die Geburtenrate sank trotz dieser Maßnahmen auch in der DDR in den achtziger Jahren von 1,94 (1980) auf 1,57 (1989)
Zusammenfassend lässt sich die Politik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der DDR mit Hildegard Nickel als "Kombinations-Arrangement" bezeichnen: Doppelerwerbstätigkeit beider Partner wurde mit staatlicher Kinderbetreuung kombiniert, die Idee der vollen Arbeitsmarktintegration von Frauen wurde mit ihrer primären Zuständigkeit für Haushalt und Kinderbetreuung verknüpft. In den neuen Bundesländern versuchen die Frauen bis heute nach diesem Modell zu leben.
3. Westdeutschland: Von der Komplementarität zur Partnerschaft
Die Politik in der Bundesrepublik Deutschland knüpfte, anders als diejenige der DDR, unmittelbar an das bürgerliche Familienmodell der Hausfrauenehe an, das seit Anfang des 20. Jahrhunderts kulturell das Zentrum des Geschlechter-Arrangements gebildet hat. In den fünfziger Jahren wurde es erstmals tatsächlich auch auf breiter Basis praktiziert, in Westdeutschland wie im Übrigen auch in den USA. Nicht erwerbstätig zu sein wurde von und für Ehefrauen als ein Ausdruck von Wohlstand und Privilegien gedeutet.
In der Folge konzentrierte sich im Adenauer-Deutschland die Familienpolitik auf die Absicherung der Hausfrauenehe (Ehegattensplitting, Kindergeld, Mutterschutz u. a.), was "geringfügige" Teilzeitarbeit durchaus einschloss, sodass Frauen mit dem Selbstverständnis als Hausfrau unter dem materiellen Schutz der Versorgerehe ein geringes zusätzliches Einkommen erzielen konnten. Empirische Studien, wie sie von Elisabeth Pfeil und Helge Pross in den sechziger und frühen siebziger Jahren durchgeführt wurden, zeigten bei jungen Frauen durchgängig eine familienzentrierte Lebensplanung und bei Hausfrauen eine ambivalente Einstellung zur Erwerbsarbeit. Denn mit der Demokratisierung und Liberalisierung der westdeutschen Gesellschaft vor allem nach 1968 und der Entstehung einer neuen Frauenbewegung sahen viele Frauen nur in der Erwerbsarbeit die Möglichkeit ihrer Emanzipation. Doch sie fürchteten, in jener "Außenwelt" mit den Männern nicht konkurrieren zu können.
Das hat sich infolge der starken Expansion des Bildungswesens zu Beginn der siebziger Jahre deutlich geändert. Für die Töchtergeneration der achtziger und neunziger Jahre bildet die Erwerbstätigkeit einen zentralen Kern ihres Biografieentwurfs. Birgit Pfau-Effinger erklärt den Wandel in der Orientierung von westdeutschen Frauen gegenüber der Erwerbsarbeit vor allem damit, dass es auf der kulturellen Ebene zu einer Vertiefung des Widerspruchs kam zwischen allgemeinen Bürgerrechten einerseits und den tradierten Mustern von Ungleichheit in der Ehe andererseits. Zudem verloren die Werte von Fürsorge, Aufopferung und Selbstlosigkeit, die an die Hausfrauenrolle geknüpft waren, in den Zeiten der Individualisierung und des Hedonismus immer mehr an Bedeutung. Der entscheidende Wendepunkt lag in den siebziger Jahren: Diejenigen Frauen, die sich ganz ihrer Familie widmeten, wurden nun - in einer Zeit, die Individuen nach ihrer Stellung in der beruflichen Hierarchie klassifiziert - als "Nicht-Arbeitende" abqualifiziert.
Die bundesrepublikanische Familienpolitik reagierte auf den sozialen und kulturellen Wandel vor allem während der sozialliberalen Koalition (1969 - 1982) ambivalent. Einerseits wurde beispielsweise das Eherecht mit dem Ziel der Gleichstellung beider Partner reformiert, wie überhaupt die SPD von der Gestaltbarkeit sozialer Wirklichkeit durch Recht ausging. Andererseits wurde die Frauenerwerbstätigkeit nicht nur gefördert (Berufsbildung, Bafög u. a.), sondern auch problematisiert. So konstatierte die Bundesregierung in ihrem zweiten Familienbericht (1974) erhebliche "Sozialisationsstörungen" in der Familie, die ihre Ursache auch in der "bedauerlichen Zunahme der Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen" fände. Die SPD diskutierte (1979) die Einführung eines Erziehungsgeldes, das in der Frauenbewegung sehr umstritten war: Während die einen in einem "Lohn für Hausarbeit" eine Festschreibung patriarchaler Abhängigkeit erkannten, sahen andere darin die überfällige Anerkennung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit von Müttern und Hausfrauen.
Mit der christlich-liberalen Koalition ab 1982 erfolgte eine rhetorische Wende: Anders als während der sozialliberalen Koalition wurde nun weniger die partnerschaftliche Aufgabenteilung in der Familie fokussiert; vielmehr hob man auf familiale Werte ab und zielte unter der Signatur einer "neuen Partnerschaft zwischen Frau und Mann" mit dem 33. Bundesparteitag der CDU (1985) nicht mehr auf die Gleichberechtigung der Partner (auch zur Erwerbsarbeit), sondern auf die Gleichwertigkeit von Hausarbeit und außerhäuslicher Erwerbsarbeit. Konsequent wurde 1986 (zeitnah übrigens zu vergleichbaren Regelungen in der DDR) das Erziehungsurlaubs- und Bundeserziehungsgeldgesetz verabschiedet, wobei die Zahlungen von Anfang an so niedrig (und zudem nicht indexiert) waren, dass sie fast ausschließlich von Frauen in Anspruch genommen wurden. Es ist historisch bemerkenswert, dass sowohl diese Reformen wie zehn Jahre später die Einführung eines Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz mit der Reform des Jugendhilferechts auch (manche sagen: vor allem) als familienpolitische Kompensationen von jeweils parallelen Veränderungen des Abtreibungsrechtes (§ 218) gelesen werden können.
Trotz der Plausibilität frauenpolitischer Kritik an einer im europäischen Maßstab eher konservativen bundesrepublikanischen Politik zum Verhältnis von Familie und Beruf scheint diese zumindest für längere Zeit durchaus nicht an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger vorbei gehandelt zu haben. Für westdeutsche Frauen kennzeichnend war auch noch in den neunziger Jahren ein Vereinbarkeitsmodell auf der Grundlage zeitlich reduzierter Beteiligung am Erwerbsleben: Einer Repräsentativbefragung von Allensbach im Jahr 1996 zufolge würden 46 Prozent der Frauen am liebsten Mutter und in Teilzeit berufstätig, immerhin 33 Prozent würden am liebsten ausschließlich Hausfrau und Mutter sein, wobei letzteres von Frauen der älteren Generation bevorzugt wird, eine Abnahme jenes Leitbildes also wahrscheinlich ist. Nur 8 Prozent der westdeutschen Frauen wollen eine vollberufstätige Mutter und nur 9 Prozent eine kinderlose "Karrierefrau" werden oder bleiben.
Diese Einstellungen sind keineswegs unrealistisch, denn die westdeutschen Männer haben sich - ähnlich wie ihre ostdeutschen Geschlechtsgenossen - nur in sehr begrenztem Umfang verstärkt auf ihre Kinder und insbesondere die Kinderbetreuung eingelassen. Zwar spielt eine partnerschaftliche Beteiligung der Männer an Hausarbeit und Kinderbetreuung für viele Frauen eine wichtige Rolle. Hier kommt es auch zu vielen häuslichen Konflikten. Gleichzeitig wird anscheinend aber die Norm der Vollzeitbeschäftigung, die Rolle des männlichen "Familienernährers", die Versorgerehe und das Modell der "Eineinhalb-Erwerbstätigkeit" in der Phase aktiver Elternschaft auch von den Frauen der jüngsten Generation kaum infrage gestellt. "Man könnte", so Pfau-Effinger, "die zugrunde liegende Idee tendenziell als Gleichstellung in der Differenz im Rahmen der Versorgerehe bezeichnen: Viele Frauen möchten frauenspezifische, in der Familienphase mit Elementen privater Mutterschaft verbundene Lebensläufe verfolgen können, ohne deshalb gegenüber Männern gesellschaftlich benachteiligt zu werden."
4. Ostdeutschland: Anschluss an das moderne Europa
Mit der deutschen Einheit prallten zunächst die geschlechterpolitischen Unterschiede zwischen Ost und West aufeinander. Bis heute unterscheiden sich die Orientierungen ost- und westdeutscher Frauen zur Vollzeiterwerbstätigkeit, allerdings mit einer gewissen Konvergenz in Richtung der westlichen Leitbilder der "Gleichheit in Differenz". Man könnte die Lage vereinfacht wie folgt beschreiben: Die Frauen wollen überwiegend Kinder, Männer ebenso. Da Kinder mit Arbeit verbunden sind, stellt sich die Frage, wer die Arbeit macht. Für die ersten drei Lebensjahre sieht in den westlichen Bundesländern weit mehr als die Hälfte der Frauen in einer Professionalisierung und Institutionalisierung der Kinderbetreuung keine Lösung, in den östlichen Bundesländern ist dieser Anteil merklich geringer. Doch selbst bei einem hohen Professionalisierungsgrad bleibt gerade bei kleinen Kindern viel Arbeit übrig, die Notwendigkeit der Präsenz und Bereitschaft. Wer soll diese Zeitinvestition erbringen? Die Männer wollen an ihrem Erwerbsverhalten wenig ändern, was die Frauen durchaus unterstützen. Somit bleibt die Familienarbeit den Frauen. Sicher, das ist eine einfache Beschreibung. Doch sie wird von der Datenlage gestützt: "In der ganz überwiegenden Mehrheit aller Familien scheint die Verantwortung für die Hausarbeit nach übereinstimmender Auffassung bei den Frauen zu liegen, während die Beteiligung der Männer als Hilfe bei der Hausarbeit interpretiert wird."
Das ist im Übrigen nicht nur im vereinten Deutschland der Fall, sondern auch in anderenorts, selbst in den als moderner gedeuteten skandinavischen Ländern.
II. Die Parteien zwischen Frauenerwerbstätigkeit und Familiengeld
Der historische Rückblick auf den gesamtdeutschen Sonderweg in der Familienpolitik zeigte, dass trotz der breiten Akzeptanz des bürgerlichen Familienmodells seit Anfang des 20. Jahrhunderts die "Geschlechterordnung des Arbeitens insgesamt als äußert prekär und instabil erachtet"
Dies scheint sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu ändern. In breit angelegten Programmpapieren haben sich beide große deutsche Parteien, die SPD wie die CDU, neuerdings um die Familie bemüht. Es lohnt sich, beide Programmatiken genauer zu untersuchen, weil sie reale Dilemmata zuspitzen und zum Teil grundsätzlich verschieden beantworten.
1. SPD: Vereinbarkeit durch Erwerbsintegration
Familienpolitische Kompetenz wurde der SPD in der Vergangenheit nicht zugeschrieben. Seit Jahrzehnten diskutierte sie das Thema Familie unter der Signatur der Frauenförderung. In einem umfangreichen Leitantrag zum SPD-Parteitag in Nürnberg im November 2001 wurde schließlich eine Neubestimmung der Familienpolitik versucht. Bemerkenswert ist die Abkehr von allen Anklängen an feministischen Antifamilialismus, vielmehr wird realitätsnah festgestellt: "Familie in der klassischen Form als Kernfamilie, erwachsenes Paar mit leiblichen Kindern, erweist sich ... beständiger als vermutet ... Scheidung und Trennung finden zum größeren Teil bei kinderlosen Paaren statt ..." usw.
Wie soll die Lösung dieses Problems erfolgen? Vor allem zwei Maßnahmenpakete werden vorgeschlagen: erstens eine "Ganztagsbetreuungsinfrastruktur für Kinder aller Altersgruppen"
Wie ist der Vorschlag der SPD vor dem Hintergrund deutscher Familienpolitik zu bewerten? Zunächst fällt auf, dass beide Instrumente - Ganztagsbetreuung und Erziehungsgeld als Lohnersatz - dem Baukasten der skandinavischen und auch der DDR-Familienpolitik entnommen wurden. Deren Leitidee ist bzw. war die "Gleichheit" der Geschlechter. Da sich Männer jedoch mit einer Angleichung an weibliche Lebensmodelle Zeit lassen, wird die Lösung in der Vergesellschaftung der Familienarbeit und in einer Sicherung der Kontinuität von (den männlichen nachgebildeten) weiblichen Erwerbsverläufen gesucht. Im Unterschied zur DDR-Sozialpolitik bejaht die SPD (unterdessen) Teilzeitregelungen und Arbeitszeitflexibilisierung und schließt damit an entsprechende Erfahrungen der skandinavischen Familienpolitik der neunziger Jahre an. Nun zeigen diese Erfahrungen, dass sich die Verhaltensmuster der Männer kaum oder zumindest extrem langsam ändern. Die "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" bleibt also auch im SPD-Programm bis auf weiteres ein Projekt für Mütter, die allerdings deutlich mehr gesellschaftliche Unterstützung erwarten dürfen.
Diese eher kritische Einschätzung der erwerbszentrierten Familienkonzeption der SPD relativiert sich, wenn ein europäischer Blick eingenommen wird. So hat Birgit Pfau-Effinger in den Wohlfahrtsstaaten, deren Politik auf dem Hausfrauenmodell der männlichen Versorgerehe beruhte, wozu das westliche Nachkriegsdeutschland rechnete, eine Transformation der "Geschlechterarrangements" beobachtet.
Die erwähnte SPD-Programmatik zielt über diese überfälligen Modernisierungsschritte auf eine Erweiterung der Wahlfreiheit von Frauen - allerdings vor allem als Wahlfreiheit zur Erwerbsarbeit mit Kindern. Mit Pfau-Effinger lässt sich diese Programmatik auf den Begriff des "Doppelversorgermodells mit staatlicher Kinderbetreuung"
2. CDU: Vereinbarkeit durch Familiengeld
Mit dem Verlust der langjährigen Regierungsverantwortung im Jahr 1998 entstand auch in der CDU der mentale Raum, ideologische Annahmen auf ihre Rückbindung an die Wirklichkeit zu prüfen. In der Familienpolitik bedeutete das vor allem, die Pluralität von familialen Lebensformen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern als politisch kaum beeinflussbare Tatsache anzuerkennen. Während die SPD-Programmatik auf die "Normalität" der Kernfamilie abhebt, besteht der systemische Revisionspunkt der CDU in der liberalen Erkenntnis der Unnormalität: "Deshalb sehen wir Familie überall dort, wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern Verantwortung tragen."
Um den Unterschied zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Diagnose: "Die gleichzeitige Berufstätigkeit beider Partner ist das heute mehrheitlich gewünschte Lebensentwurf-Modell. Nach wie vor gibt es aber auch eine Vielzahl von Frauen, die sich ausschließlich der Familie und der Erziehungsarbeit widmen möchten. Dies muss auch in Zukunft möglich sein; die CDU vertritt das Prinzip der Wahlfreiheit."
Während die SPD eine "Ganztagsinfrastruktur" zur Kinderbetreuung fordert, klingt das CDU-Pendant "bedarfsgerechter Aufbau von Ganztagsschulen"
Die Kosten einer solchen Maßnahme sind natürlich erheblich. Die CDU-Bundestagsfraktion rechnet mit gut 25 Milliarden Euro Mehraufwand pro Jahr. Sie erwartet, munitioniert durch ein Gutachten des ifo Instituts (das zudem von einem deutlich niedrigeren Familiengeld-Niveau ausgeht
Wie ist die Maßnahme des "Familiengeldes" vor allem in ihrer Auswirkung auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu bewerten? Ein Rückblick auf die Diskussion um das Konzept "Erziehungsgehalt 2000"
Sozialpolitiktheoretisch verbirgt sich der Innovationsgehalt in Nebensätzen beispielsweise des entsprechenden Strategiepapiers der CDU-Bundestagsfraktion. Dort wird das Familiengeld im Kontext einer Politik der Beschäftigungsförderung diskutiert und eine interessante Logik vorgeschlagen, die das Familiengeld aus dem bisherigen Verständnis von "Transferleistungen" löst: "Der Lohnabstand muss vergrößert werden. Wer arbeitet, muss grundsätzlich mehr netto verdienen als derjenige, der nicht arbeitet und Transferleistungen erhält. Auch durch das Familiengeld wird das Lohnabstandsgebot unterstützt."
Ob nun das Familiengeld die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördert oder behindert, ist nicht leicht zu beurteilen. Auf den ersten Blick müsste sie gefördert werden, denn das Familiengeld würde ja zusätzlich zu Erwerbseinkommen gezahlt, insoweit würde jeder zusätzlich verdiente Euro mehr oder weniger (abhängig vom Steuertarif) ungeschmälert im Haushalt ankommen. Befürworter(innen) einer eher "standardisierten" und vor allem einer Vollzeiterwerbsbiografie gerade auch von Müttern werden allerdings kritisch anmerken, dass das Familiengeld eher einen Anreiz zu Teilzeitarbeit oder gar geringfügiger Beschäftigung setze, da zumindest in den ersten drei Lebensjahren des Kindes und bei vollständigen, also Partnerfamilien auch geringumfängliche Erwerbsarbeit bei bescheideneren materiellen Ansprüchen existenzsichernd sei. Im Unterschied zum Vorschlag der SPD - Erziehungsgeld als Lohnersatzleistung - würde das Familiengeld den Mix verschiedener Einkommensarten begünstigen. Es spricht viel dafür, dass der Trend ohnehin zum Einkommensmix geht.
3. 2002 ff. - die Parteien vor Legitimationsproblemen
Seit Anfang 2002 stehen zwei weitere Vorstellungen zur Diskussion, die auf eigentümliche Weise an die soeben diskutierten konzeptionellen Linien der großen Volksparteien anschließen: Es handelt sich dabei erstens um den so genannten "Wiesbadener Entwurf" einer "familienpolitischen Strukturreform des Sozialstaats", verfasst von dem als Kritiker des deutschen Sozialstaats hervorgetretenen Sozialrichter Jürgen Borchert (im Dienst der hessischen Staatskanzlei des CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch). Fast gleichzeitig wurde - zweitens - im Umfeld katholischer Sozialinstitute ein Gutachten vorgestellt, das die Einführung eines "Erziehungseinkommens" simuliert. Es lohnt sich, beide Vorstellungen sozusagen als Verlängerung oder Modifikation der Politikentwürfe von SPD und CDU wahrzunehmen und kritisch zu reflektieren.
Im "Wiesbadener Entwurf" wiederholt Borchert seine These der "Transferausbeutung" der Familien. Die Kernthese lautet: "Familien müssen in den Stand versetzt werden, ihre Kinder aus dem selbst erwirtschafteten Einkommen zu unterhalten, statt in die Rolle von Almosenempfängern gedrängt zu werden."
Die Folgerungen des "Wiesbadener Entwurfs" sind - abgesehen von der hier aus Platzgründen nicht weiter zu erörternden Einseitigkeit, die Familienarbeit nur im Rentensystem ökonomisch anerkennen zu wollen - weit reichend: Im Zentrum steht der Vorschlag, die bisher lohnarbeitszentrierten Sozialversicherungen sämtlich radikal in "Volksversicherungen" nach dem Typus der Schweizer Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) umzubauen. Das würde beispielsweise für die Rentenversicherung die Einführung eines schmalen Korridors von Grund- und Höchstrenten bedeuten und vor allem die Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger und - entsprechend der Einkommenssteuer - aller Einkommensarten ohne Obergrenze in die Finanzierung. Weiterhin würden sämtliche Familienunterhaltskosten beispielsweise in Form eines Familiensplittings steuerfrei gestellt werden, das - leicht zu erhöhende - Kindergeld würde als Erstattung der auf dem Kindesunterhalt lastenden Verbrauchssteuern verstanden (und nicht als ein soziales Grundrecht der Kinder selbst bzw. der Eltern). Der Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung einschließlich Ganztagsschulen käme hinzu. Während die Forderung nach einer "Volksversicherung" völlig in die Zeit passt,
Der "Wiesbadener Entwurf" sieht folglich keinerlei Transferleistung während einer Erziehungsphase vor, sondern setzt auf Erwerbstätigkeit beider Partner - mit öffentlicher Kinderbetreuung - bzw. auf eine Hausfrauenehe mit gut verdienenden und steuerentlasteten Männern (und wie bisher auf Sozialhilfe). Man könnte das Borchert-Koch'sche Handlungskonzept als eine mögliche Zuspitzung des SPD-Familienpolitikideals deuten: Lebensunterhalt durch Marktarbeit von Mann und Frau und sekundäre Umverteilung mit Grundsicherung. Abgelehnt wird eine materielle Anerkennung der Familienarbeit während der Phase der Kindererziehung.
Genau dies sieht eine - als "Weidener Modell" unter Experten seit längerem bekannte - Variante der Idee eines Erziehungsgehalts vor, die Anfang 2002 vorgestellt wurde. Im Auftrag mehrerer katholischer Bildungs- und Sozialinstitute berechneten Bonner Wirtschaftswissenschaftler die gesamtwirtschaftlichen Folgen eines kühnen Umverteilungsmodells: Simuliert wurde die aus allgemeinen Steuermitteln finanzierte Einführung eines "Erziehungseinkommens" für jeden Familienhaushalt mit einem jüngsten Kind unter 15 Jahren in Höhe von ca. 1 900 Euro brutto pro Monat, damit in Höhe "vergleichbarer Tätigkeiten im Erziehungsbereich", und netto, eine durchschnittliche Abgabenlast von 40 Prozent (Steuer und Sozialabgaben) unterstellt, von ca. 1 140 Euro.
Bemerkenswert an der Bonner Simulationsstudie zu einem "Erziehungseinkommen" erscheint weniger das ihr zugrunde liegende "Weidener Modell". Im Gegenteil - dessen Vorstellung von einem Vollzeitarbeitsplatz in der Familie, der mit anderer Erwerbstätigkeit nur proportional verknüpft werden kann, mag ökonomisch interessant sein, sozialpolitisch würde er sich jedoch fatal zuungunsten der Frauen auswirken, deren mangelnde Arbeitsmarktintegration - auch im europäischen Vergleich - noch immer auch als Demokratiedefizit gelten muss.
III. Familie als Sozialkapital - Zukunftsinvestitionen
Sozialpolitik ist mehr als manch andere Teilpolitik die Kunst des Kompromisses. Der Vergleich der familienpolitischen Programme beider Volksparteien offenbart über weite Strecken ähnliche und - unter Abzug der milieubedingten Referenzen - auch identische Vorstellungen. Selbst die destillierte Differenz lässt Kompromisse denkbar erscheinen, zumal der untersuchte SPD-Leitantrag in ein neues Grundsatzprogramm erst noch einfließen soll.
Im Kern geht es um Fragen an die Verfassung unserer Gesellschaft, die letztlich nur gemeinsam von allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen beantwortet werden können. Unsere Eingangsüberlegungen galten dem Verhältnis des Wertes der Arbeit in verschiedenen gesellschaftlichen Sphären, hier der Arbeit in der Familie zur Arbeit im marktvermittelten Erwerbssystem. Während über Jahrzehnte eine Aufwertung der Familienarbeit letztlich nur politisch abgeleitet, vor allem durch Unterhaltsarrangements, und als Problem der Frauen verhandelt wurde, scheint sich nun eine grundlegende Neubewertung der Familienarbeit zumindest als Möglichkeit abzuzeichnen.
Die Anerkennung des Wertes der in den Familien geleisteten Arbeit ist heute empirisch gut begründbar. Jetzt ist die Politik gefragt, geeignete institutionelle Muster zu formulieren, die diese Anerkennung sichtbar machen - wie jede gesellschaftliche Institution Träger von Sinnvollzügen ist. Kritiker dieser Überlegungen mögen eine Art Familiensozialismus vermuten. Die Vermutung ist nicht abwegig. Denn alle Sozialpolitik lässt sich, wie es der sozialdemokratische Sozialpolitiklehrer Eduard Heimann in den zwanziger Jahren formulierte, als "Sozialismus im Kapitalismus" lesen.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erweist sich in gesellschaftspolitischer Perspektive mithin als ein Thema, das mit den Rezepten der Vergangenheit nicht bearbeitet werden kann. Es erfordert eine grundlegende Erweiterung der sozialpolitischen Programmatik, eine Transformation des erwerbszentrierten Wohlfahrtsstaates und eine Anerkennung der Arbeit in der Familie als gesellschaftliche Arbeit.
Internetverweise des Autors:
Familienpolitik im Internet:
http://www.familienpolitik-online.de
http://www.heidelberger-familienbuero.de
http://www.deutscher-familienverband.org
Bundesfamilienministerium:
http://www.bmfsfj.de
http://www.familie-deutschland.de
Familien-Audit der Hertie-Stiftung:
http://www.beruf-und-familie.de