Einleitung
Seit die sechs Regierungen Chinas, der USA, Nord- und Südkoreas, Japans und Russlands Mitte September 2005 ein gemeinsames Schlussdokument am Ende der vierten Runde mehrjähriger Sechs-Parteiengespräche unterzeichneten, kann man vorsichtig optimistisch sein, dass Nordkorea sein nukleares Waffenprogramm aufgibt. Doch noch längst sind nicht alle Stolpersteine beseitigt.
Nicht erst seit Nordkorea Anfang 2005 erklärte, über Atomwaffen zu verfügen, ist das Land zum Unsicherheitsfaktor in Asien geworden. Diplomatische Bemühungen, Nordkorea vom Erwerb nuklearer Waffen abzuhalten, haben eine wechselvolle Geschichte. Anfang der achtziger Jahre bemühten sich die USA (in Kooperation mit der damaligen Sowjetunion) erfolgreich, Nordkorea zum Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag (Nuclear Non-Proliferation Treaty, NPT) zu bewegen und Inspektionen der Internationalen Atomenergiebehörde (International Atomic Energy Agency, IAEA) zuzulassen. Im Dezember 1991 trafen Nord- und Südkorea eine Übereinkunft zur Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel, doch dieses Abkommen wurde in der Folgezeit nie implementiert. Nach der Androhung Nordkoreas im März 1993, den Atomwaffensperrvertrag zu kündigen, gelang es 1994, das so genannte Agreed Framework zwischen den USA und Nordkorea abzuschließen.
Die heutige, möglicherweise bald beigelegte Krise ist die bislang gravierendste, da Nordkorea dem Besitz der Atombombe immer näher kommt bzw. möglicherweise bereits über ein einsatzfähiges Atompotenzial verfügt. Schon 1993/94 zog die amerikanische Regierung wegen des nordkoreanischen Atomprogramms einen Krieg ernsthaft in Erwägung. Der Abschluss des Abkommens zum Stopp des Programms (Agreed Framework) im Jahr 1994 und ein Raketenmoratorium vier Jahre später ebneten dann zunächst den Weg für verbesserte Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea und ermöglichten die "Sonnenscheinpolitik" Südkoreas, mit der die Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea normalisiert werden sollten. Doch seit Oktober 2002 nahm der verbale Schlagabtausch zwischen Washington und Pjöngjang ständig zu. Auf Druck aus den USA reagierte Pjöngjang mit Drohungen und Rückzug aus internationalen Verträgen.
Von Krise zu Krise
Die nordkoreanische Geschichte des Baus von Reaktoren und von mindestens vier leistungsfähigen Raketentypen mit Reichweiten bis zu 2 500 Kilometern reicht bis in die sechziger Jahre zurück.
Nordkorea war 1985 zwar dem NPT beigetreten, weigerte sich aber, Inspektionen der IAEA zuzulassen, bis die USA Anfang der neunziger Jahre versprachen, ihre taktischen Atomwaffen aus Südkorea abzuziehen. Die amerikanisch-nordkoreanischen Beziehungen durchlebten in den vergangenen zwölf Jahren mehrere Krisen mit entsprechenden Auswirkungen auf das Verhältnis Pjöngjangs zu Südkorea und Japan.
Die Krise vor 1994
Die erste Krise schwelte, weil US-Präsident Bill Clinton fürchtete, dass Pjöngjang über kurz oder lang weitreichende Trägerraketen einsetzen könnte, die sowohl für Amerikas Verbündete in Asien als auch für die USA selbst eine Bedrohung darstellten. Auch damals kündigte Nordkorea den Austritt aus dem NPT an, um dann aber einen Tag vor Ablauf der Kündigungsfrist am 11. Juni 1993 die Austrittserklärung in ein unbefristetes Moratorium zu verändern.
Wirtschaftliche Hilfe und internationaler Druck veranlasste die nordkoreanische Regierung zu Zugeständnissen im Atom- und Raketenprogramm. In Verhandlungen unter Beteiligung der USA, Chinas und Südkoreas gelang es, Nordkorea zum Baustopp zweier Graphitreaktoren zu bewegen, die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennstäbe einzufrieren und Inspektionen der IAEA in Nuklearanlagen zuzulassen. Als Kompensation lieferten die USA jährlich 500 000 Tonnen Ölund bildeten 1995 zusammen mit Japan und Südkorea ein 4,6 Milliarden US-Dollar schweres Konsortium (Korean Peninsular Energy Development Organization, KEDO), unter anderem zur Errichtung zweier Leichtwasserreaktoren, die den Energiebedarf des Landes sichern sollten.
Die Krise im Jahr 1998
Die zweite Krise durchliefen die Beziehungen im Jahr 1998, als Nordkorea die weit reichende Mehrstufenrakete Taepo-dong-1 testete und über Japan hinweg in den Pazifischen Ozean schoss. Zuvor waren die amerikanisch-nordkoreanischen Gespräche in den Jahren 1996 und 1997 über die Beschränkungen des Exportes von Raketentechnologie in den Mittleren Osten und an Pakistan sowie über die Beendigung der Raketenentwicklung zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Die Regierung Kim Jong Il war nicht bereit, über ihr Raketenprogramm zu verhandeln, es sei denn, dies fände im Rahmen eines allgemeinen koreanischen Sicherheitsarrangements statt, und Nordkorea erhielte volle wirtschaftliche Kompensation für den Verzicht auf den Export. Dies wiederum verweigerten die USA. Nach monatelangen Verhandlungen stimmte Nordkorea schließlich im März 1999 zu, die umstrittenen unterirdischen Atomanlagen in Kumchang-ni inspizieren zu lassen. Ende Mai 1999 gab dann das amerikanische Außenministerium bekannt, dass die Installationen dieses Tunnelsystems nicht zur Herstellung von Atomwaffen geeignet seien. Im September 1999, nach der Zusage für weitere amerikanische Nahrungsmittellieferungen und nach Verabschiedung eines nordkoreanischen Testmoratoriums weit reichender Raketen, kam es zur zeitweisen Annäherung in den Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea. Die US-Außenministerin Madeleine Albright besuchte Nordkorea. Der Export von Raketentechnologie ging jedoch weiter.
In dieser Zeit geriet die Clinton-Regierung innenpolitisch zunehmend unter Druck. Die Konservativen warfen ihr vor, erpresserisches Verhalten der Nordkoreaner mit wirtschaftlichen Geschenken zu belohnen.
Die Krise seit Amtsantritt der Bush-Regierung
Die jetzige Krise begann mit Amtsantritt der Regierung von George W. Bush im Jahr 2001. Ihrem konservativen Credo folgend und in der Einschätzung, dass Clintons Nordkoreapolitik ausschließlich "Appeasement" gewesen sei, kündigte Bush eine neue, kompromisslose Nordkoreapolitik an. Die von der Clinton-Regierung vorgesehenen Gespräche fanden nicht mehr statt, und an deren Stelle nahm der verbale Schlagabtausch zwischen den beiden Regierungen in Washington und Pjöngjang deutlich zu. Gleichzeitig zeigte sich, dass die Auffassungen innerhalb der Bush-Regierung durchaus widersprüchlich waren. Den Befürwortern der harten Linie, nordkoreanische Erpressung nicht auch noch mit Wirtschaftshilfe zu belohnen und so die mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfende "Schurkenregierung" zu unterstützen, standen besonnenere Kräfte gegenüber, die für diplomatische Verhandlungen plädierten.
An diesen gegensätzlichen Einschätzungen innerhalb der Regierung hat sich bis heute wenig geändert, obwohl das Weiße Haus im Juni 2001 eine neue Nordkoreastrategie veröffentlichte, um die beiden widerstreitenden Positionen zu integrieren. In der Tat wollte Washington scheinbar wieder ins Gespräch kommen. "Sollte Nordkorea positiv reagieren und entsprechende Maßnahmen ergreifen", so die Bush-Regierung wörtlich, "werden wir unsere Bemühungen intensivieren, der nordkoreanischen Bevölkerung zu helfen, Sanktionen lockern und andere politische Schritte unternehmen."
Eine Woche nach der Veröffentlichung durch die US-Regierung dementierte Nordkorea jedoch das Eingeständnis. In einer offiziellen Stellungnahme forderte Nordkorea erneut einen Nichtangriffspakt mit den USA. Man warf der Bush-Regierung vor, sich nicht an das Abkommen von 1994 zu halten und das "kleine Land" mit einem vorbeugenden Nuklearschlag zu bedrohen. Wörtlich hieß es, "dass die DPRK berechtigt ist, nicht nur Nuklearwaffen zu besitzen, sondern jede Art von noch stärkeren Waffen als diese, um ihre Souveränität und ihr Existenzrecht gegen die immer stärker werdende Nuklearbedrohung durch die USA zu verteidigen"
Danach setzte die US-Regierung die Öllieferungen aus. Nordkorea verwies die IAEA-Inspekteure des Landes und kündigte die Wiederaufnahme seines Nuklearprogramms an, angeblich, um damit Strom zu erzeugen. Schließlich drohte die Regierung Kim Jong Il mit der Beendigung des Raketenmoratoriums und kündigte am 10. Januar 2003 die Mitgliedschaft im NPT. Diesen rechtlich möglichen, bislang in der Geschichte des NPT aber einmaligen Schritt begleitete Nordkorea mit dem Hinweis, dies geschehe "als legitime Selbstverteidigung gegen Maßnahmen der USA" und verwies darauf, man habe "keine Absicht, Nuklearwaffen zum jetzigen Zeitpunkt zu produzieren" und wolle das "Atomprogramm auf friedliche Zwecke, wie die Produktion von Elektrizität, beschränken"
Die dann folgenden, von Chinas Regierung moderierten Drei-, Fünf- bzw. Sechs-Parteiengespräche zur Beilegung der Krise blieben lange erfolglos, und Nordkorea erklärte mehrfach, an den Gesprächen nicht mehr teilnehmen zu wollen, da die Grundvoraussetzungen für einen Erfolg nicht gegeben seien. Die nukleare Krise erlebte mit der Behauptung des nordkoreanischen Außenministers am 10. Februar 2005, sein Land verfüge inzwischen über Atomwaffen, ihren bisherigen Höhepunkt.
Diplomatische Tricks und nuklearer Poker
Während der wachsenden Spannungen besuchte US-Außenminister Colin Powell im Februar 2003 Peking und drängte die chinesische Regierung, einzugreifen. Nordkorea solle sich zu Gesprächen mit China, den USA, Japan und Südkorea treffen. China befürwortet einerseits einen friedlichen Dialog zur Erreichung eines nuklearwaffenfreien Koreas; andererseits aber war sich Peking seines nur begrenzten Einflusses auf Pjöngjang bewusst und wollte in der verfahrenen Situation keinen diplomatischen Misserfolg riskieren. China empfahl daher der US-Regierung, den Disput mit Nordkorea direkt zu lösen, was aber bis heute nicht den Vorstellungen Washingtons entspricht, da die Nuklearkrise als ein regionales und multilaterales Problem angesehen wird. Der chinesische Kompromissvorschlag sah trilaterale Gespräche zwischen China, Nordkorea und den USA vor. Die chinesische Regierung versicherte Nordkorea, de facto sollten während der Dreiergespräche bilaterale Gespräche stattfinden, in denen China sich zurückhalten würde. Um Nordkorea nicht zu verunsichern, blockierten China und Russland Aktionen gegen Nordkorea im UN-Sicherheitsrat. Am 18. April 2003 kündigte Nordkorea an - vermutlich um die eigene Verhandlungsposition zu stärken -, 8 000 Brennstäbe aus einem Atomreaktor aufzubereiten.
Die US-Regierung wiederum wollte Japan und Südkorea nicht brüskieren und versprach, die beiden Länder in der nächsten Gesprächsrunde zu beteiligen. Die trilateralen Gespräche schlugen fehl. Nordkorea bot an, parallele Schritte durchzuführen: erste Maßnahmen zum Abbau des Atomprogramms, wenn die USA die Öllieferungen wieder aufnehmen würden und einen Nichtangriffspakt unterzeichneten. Dies war für Washington nicht akzeptabel. Die USA bestanden auf dem "kompletten, verifizierbaren und irreversiblen" Stopp des nordkoreanischen Atomprogramms. Während die US-Delegation Instruktionen hatte, auf keinen Fall mit Nordkorea bilateral zu diskutieren, kam die nordkoreanische Delegation in der Erwartung nach Peking, auf bilateraler Ebene zu verhandeln. Bereits nach einem Tag wurden die Gespräche ohne Ergebnis abgebrochen.
Peking hatte vor den Gesprächen darauf insistiert, dass Washington nicht mehr direkt über den so genannten "New York-Kanal" spricht - die DPRK-Vertretung bei den Vereinten Nationen -, sondern über Peking. Die informellen Gespräche in New York waren damit beendet. Wenn Pjöngjang über den New Yorker Kanal Fragen stellte, antwortete Washington über Peking. Was die chinesische Regierung nicht erwartet hatte, war, dass Washington nun Peking als Substitut für direkte Gespräche mit Nordkorea ansah. "Der Prozess", so schlussfolgerte der amerikanische Botschafter und ehemalige Sonderbeauftragte der Bush-Regierung für Nordkorea, Charles L. Pritchard, "der zu den trilateralen Gesprächen geführt hatte, wurde bald zu einem Hindernis für eine sinnvolle Diplomatie".
Danach verhärteten sich die Positionen auf beiden Seiten weiter. Nordkorea bereitete die zuvor eingefrorenen Brennstäbe auf und gewann damit atomwaffenfähiges Material, während die US-Regierung am 31. Mai 2003 ihr globales Nicht-Proliferationsprogramm, die Proliferation Security Initiative, startete.
China bemühte sich nach dem Misserfolg weiter um die Fortsetzung der Verhandlungen. Die USA insistierten aber nun, dass Südkorea und Japan beteiligt werden sollten. Doch während die USA Drei-Parteiengespräche ablehnten, weigerte sich Nordkorea, an der Fünferkonstellation teilzunehmen. Der Kompromiss: Die USA würden an einem trilateralen Eröffnungstreffen teilnehmen, dem dann Sechs-Parteiengespräche (unter Beteiligung Russlands) folgten. Bei dem ersten Sechs-Parteientreffen im August 2003 in Peking hatten die Delegationen der USA und Nordkoreas eine halbe Stunde lang direkte Kontakte in einer Ecke des Verhandlungsraumes, doch die Plenargespräche waren ein abermaliger Misserfolg, und man konnte sich nicht einmal auf ein gemeinsames Kommuniqué verständigen. Nordkorea bestritt die amerikanische Behauptung, selbst Uran anzureichern und kritisierte, dass die USA keinen Gegenvorschlag unterbreitet hätten.
China sah den Hauptgrund für das Scheitern in der Haltung der USA. Der chinesische Vizeminister Wang Yi erklärte kurz nach den Gesprächen: "Die amerikanische Politik gegenüber der DPRK - das ist das Hauptproblem, mit dem wir konfrontiert sind."
Vor Auftakt der dritten Sechs-Parteiengespräche Ende Juni 2004 bedrängte der japanische Premierminister Koizumi Präsident Bush, konkrete Vorschläge zur Lösung der Nuklearkrise zu machen. Tatsächlich unterbreiteten dann sowohl die USA als auch Nordkorea Vorschläge, doch unterschieden sich die beiden Seiten in der Reihenfolge der durchzuführenden Schritte grundsätzlich. Nordkorea erklärte seine Bereitschaft zum Einfrieren des Nuklearprogramms, wenn die USA die Formel des "kompletten, verifizierbaren und irreversiblen" Abbaus des Atomprogramms zurücknähme. Nach langem Tauziehen fanden dann im Sommer 2005 erneute Sechsergespräche statt, die zwar auch ohne konkretes Ergebnis endeten, immerhin aber den abgerissenen Gesprächsfaden wieder aufnahmen. Ein erster Durchbruch gelang im September 2005 in der fünften Gesprächsrunde. Die Verhandlungspartner vereinbarten, dass Nordkorea sein Atomwaffenprogramm beenden und als Ausgleich Sicherheitsgarantien sowie wirtschaftliche Hilfe von den USA und ihren asiatischen Verbündeten erhalten solle.
Kurswechsel der amerikanischen Nordkoreapolitik?
Wie viele Nuklearwaffen produzierte Nordkorea während der acht Jahre der Clinton-Regierung von 1993 bis 2001, fragte die New York Times mit kritischem Blick auf die Nordkoreapolitik der Bush-Regierung.
Die jüngst erzielten Fortschritte beruhen auf einem Schwenk in der US-Nordkoreapolitik. Vor dem Hintergrund der Krise im Irak und der sich weiter verschärfenden Nuklearkrise im Iran sah sich der innenpolitisch nach der Naturkatastrophe in New Orleans angeschlagene Präsident genötigt, alles zu tun, um nicht an einer weiteren Front Fehlschläge einzustecken. Vor der unangenehmen Alternative, weitere Sanktionen gegen das Regime in Pjöngjang anzukündigen, die weder von Südkorea noch von China mitgetragen würden, oder gar eine militärische Option zu erwägen, schlugen sich Präsident Bush und seine Außenministerin auf die Seite der verhandlungsbereiten Realisten in der Regierung und gaben grünes Licht für das jetzige Abkommen. Die Vereinbarung von Peking ist aber noch nicht die endgültige Lösung, denn zwei entscheidende Streitpunkte blieben ausgeklammert: Erstens ist keine Abfolge der vereinbarten Schritte über den Abbau des nordkoreanischen Atomprogramms fest vereinbart, und ebenso wenig sind die Details für Inspektionen der IAEA ausgearbeitet. Zweitens besteht Nordkorea auf der Möglichkeit der Nutzung ziviler Atomenergie und auf der Lieferung von Leichtwasserreaktoren. Diese sind zwar nicht direkt für ein Atomwaffenprogramm nutzbar, dennoch warnen Experten davor, dass waffenrelevante Technologie auf diesem Wege von Nordkorea importiert werden kann. Wann und unter welchen Bedingungen diese Reaktoren geliefert werden, ist weiteren Verhandlungen vorbehalten, die Anfang November in Peking aufgenommen werden sollen.
Sowohl China als auch Südkorea drängten die Bush-Regierung, die harte Haltung aufzugeben und sich konzilianter zu verhalten. Die bisherige Politik Washingtons war nicht nur für Nordkorea inakzeptabel; sie war auch zwischen den übrigen an den Sechs-Parteiengesprächen beteiligten Regierungen nicht konsensfähig. Trotz amerikanischer Sanktionen lieferte China im ersten Halbjahr 2005 mehr Nahrungsmittel als 2004; auch Öl wird weiterhin nach Nordkorea geliefert.
In der Vergangenheit machte die amerikanische Regierung eine Reihe konzeptioneller, strategischer und taktischer Fehler:
Einblick ins Innere
Beurteilungen und Einschätzungen der nordkoreanischen Politik müssen spekulativ bleiben, da die Entscheidungsprozesse für außenstehende Beobachter nicht transparent sind. Gesicherte Informationen stehen nicht zur Verfügung, und die nordkoreanische Regierung hält bewusst ihre Karten verdeckt, um entsprechend pokern zu können. Welche Ziele könnte die Regierung Kim Jong Il mit ihrer Politik verfolgen?
Zweifellos fühlt sich die nordkoreanische Elite von den USA militärisch bedroht. In Gesprächen mit Offiziellen ist dies das überragende Thema und die einheitliche Einschätzung. "Wir müssen uns gegen die amerikanische Aggression schützen", heißt es unisono.
Erstes Szenario: Atomwaffen sind für die nordkoreanische Sicherheit erforderlich. Dieses Szenario geht von einer unmittelbaren Bedrohung durch das hoch überlegene amerikanische Militär aus. In Gesprächen sagen nordkoreanische Offizielle: "Die Amerikaner haben uns in die Ecke getrieben." Deshalb können nur US-Sicherheitsgarantien die nordkoreanischen Führer umstimmen.
Zweites Szenario: Es besteht die Möglichkeit, dass sich die nordkoreanische Führung über die eigene Politik nuklearer Bewaffnung uneins ist. Auf Seiten des Militärs gibt es Befürworter eines leistungsfähigen Atom- und Raketenprogramms, während im Außenministerium eher die Befürworter einer Verhandlungslösung mit den USA zu finden sind. Für dieses Szenario spricht der Zickzackkurs der nordkoreanischen Regierung. Die nordkoreanische Behauptung, inzwischen über Atomwaffen zu verfügen, zeigt - und Offizielle des Außenministeriums bestätigen dies -, dass die Position der Befürworter eines Atom- und Raketenprogramms in den letzten Jahren gestärkt wurde,
Drittes Szenario: Die nordkoreanische Führung will sich verschiedene Optionen offen halten und verfolgt gleichzeitig eine Politik nuklearer Aufrüstung und diplomatischer Gesprächsbereitschaft. Für dieses Szenario sprechen aktuelle Äußerungen Kim Jong Ils, der Mitte Juni 2005 erneut Gesprächsbereitschaft signalisierte.
Viertes Szenario: Die nordkoreanische Regierung ist bereit, bei entsprechenden Gegenleistungen ihr Atom- und Raketenprogramm einzuschränken. Dieses Szenario unterstellt, dass Nordkorea anstrebt, durch Verzicht auf Atom- und Raketenprogramme Sicherheitsgarantien durch die USA sowie wirtschaftliche Unterstützung zu erhalten. Die Wiederaufnahme des Atomprogramms und der mögliche Bau von Atomwaffen verfolgte die Absicht, die eigene Verhandlungsposition zu verbessern, um mit dieser Trumpfkarte entsprechend umfangreiche Gegenleistungen fordern zu können.
Fünftes Szenario: Nordkoreas Führung hatte von vornherein die Absicht, sich nicht an die Verträge von 1994 zu halten und das Atomprogramm voranzutreiben, da man den USA nicht traute. Für dieses Szenario spricht, dass Nordkorea sich auf Begrenzungen des Atomprogramms eingelassen hat, gleichzeitig aber gezielt in Schlüsselbereichen aktiv blieb. Deshalb wird es in Zukunft darauf ankommen, strikte internationale Kontrollen durchzusetzen.
Jedes einzelne dieser fünf Szenarien kann einen Teil des Verhaltens der nordkoreanischen Regierung erklären. Die nordkoreanische Politik wirkt auf Außenstehende oft wie die Politik eines Hasardeurs. Sie ist jedoch aus der nordkoreanischen Perspektive keineswegs irrational.
Die Optionen der USA und ihrer Verbündeten
Gegenüber Nordkorea werden kooperative wie auch konfrontative und militärische Optionen erwogen. Die Zeit spricht nicht für die Verbesserung der Optionen. Je weiter fortgeschritten das nordkoreanische Programm ist, umso schwieriger wird dessen Reversion.
Erstens: Nordkorea wäre eigentlich ein Fall für die militärische Abschreckung durch die National Security Strategy der USA vom 28.September 2002, in der mit "Präemption" gedroht wird. "Schurkenstaaten" sollen demnach durch die Androhung von Atomschlägen abgeschreckt werden, selbst Atomwaffen zu entwickeln. Doch die nordkoreanische Regierung zeigt sich resistent gegen militärische Drohungen.
Zweitens: Die Bombardierung des nordkoreanischen Nuklearkomplexes wurde bereits vor 1994 von der Clinton-Regierung erwogen und verworfen. Abgesehen von den völkerrechtlichen Bedenken einer derartigen Vorgehensweise sprechen militärische Gründe dagegen. Die Bush-Regierung kam zu dem Ergebnis, dass es zwar militärische Optionen gibt, "aber keine guten".
Drittens: Auch ein Krieg mit konventionellen Waffen auf der koreanischen Halbinsel wäre fatal, da Nordkorea im Falle eines Angriffes große Teile Südkoreas zerstören könnte.
Viertens: Nordkorea weiterhin als "Schurkenstaat" zu ächten und völlig zu isolieren, bedeutet das Ende jeglicher Kommunikation. Diese Strategie setzt jedoch die rückhaltlose Zustimmung Chinas und Südkoreas voraus. Die Atom- und Raketenprogramme Nordkoreas würden in diesem Fall voraussichtlich weitergeführt oder gar beschleunigt.
Fünftens: Die vermutlich einzig realistische Politik, die sich jetzt auch durchzusetzen scheint, besteht darin, den schwierigen Dialog mit "Zuckerbrot und Peitsche", aber auch mit ernsthafter Kooperation wieder aufzunehmen. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Nordkoreas berücksichtigend, können die USA, ihre Verbündeten und die asiatischen Nachbarn Nordkorea zu Zugeständnissen bewegen. Der nordkoreanischen Führung muss glaubhaft signalisiert werden, dass sie für die Aufgabe ihres Atomprogramms tatsächlich substantielle, völkerrechtlich verbindliche Sicherheitsgarantien der USA - abgesichert von China, Russland, Japan und Südkorea - und wirtschaftliche Unterstützung erhält.