"Begeisterung für eine edle Sache ..."
"Das deutsche Volk in seiner ganzen Breite hat etwas jetzt empfunden, was Begeisterung heißt für eine edle Sache, die edle Sache des Sports. Nicht nur die Jugend, auch die ältesten Semester standen auf dem Acker mit dem Dreschflegel und winkten, es war etwas so Hinreißendes, das wirklich zeigt, dass es eine Volksbewegung geworden ist, die etwas gelenkt und gesteuert werden muss von unserm Staat. Das sind die Zeichen der Zeit, die müssen erkannt und gefördert werden, und darauf hoffen wir."
Getreu dieser Selbsteinschätzung dokumentiert die Darstellung der Helden in der Presse und den Bildmedien dieses neue, vitale Kommunikationsinteresse: Die auf dem Fußballfeld gezeigten Tugenden und Wertvorstellungen stammten ja unmittelbar von den Arbeitsplätzen und aus den Betrieben. Dort, wo der Wiederaufstieg erarbeitet wurde, hatten sie absolute Geltung, und jeder Einzelne der Weltmeistermannen war einer ihrer mustergültigen Repräsentanten von Fleiß und Disziplin, von Anständigkeit und Bescheidenheit. So war Torwart und "Fußballgott" Toni Turek im Zivilberuf auch nur ein kleiner Angestellter bei den Düsseldorfer Rheinbahnen, Hans Schäfer Herrenfriseur in Köln. Werner Kohlmeyer stand bei einer Kammgarnspinnerei in Lohn und Brot, Werner Liebrich bei der Post. Ein im Verhältnis zu seiner "Boss"-Rolle auf dem Platz geradezu kümmerliches Dasein fristete Helmut Rahn, der als Chauffeur "einen schwarzen Kapitän für einen Direktor aus dem Ruhrgebiet" steuerte. Etwas besser schien da Max Morlock als Inhaber eines Sportartikelgeschäfts am Nürnberger Hauptbahnhof "mit Totoannahme" gestellt. Ottmar Walter fand als Betreiber einer Tankstelle sein Auskommen, ähnlich wie sein Bruder Fritz, Inhaber einer Dampfwäscherei.
Doch solange der glorreiche Sieg der "Helden von Bern" ausschließlich der Ausstaffierung deutschen Selbstbewusstseins diente, sahen am allerwenigsten die Funktionäre des Deutschen Fußballbundes (DFB) Veranlassung, am erfolgreichen Amateurstatus zu rütteln. Immerhin erreichte die Nationalauswahl selbst unter diesen Vorgaben bei der Weltmeisterschaft 1958 in Schweden noch einen beachtlichen vierten Platz. Erst 1962 in Chile, als man gegen Jugoslawien schon im Viertelfinale ausschied, war die Talfahrt des deutschen Fußballs nicht mehr zu übersehen, hatte sich der Mythos von den "elf Freunden" überlebt.
In Wirklichkeit war man in der Bundesrepublik mit dem 1951 eingeführten Amateur-Vertragsspieler-Statut im europäischen Vergleich inzwischen isoliert. Um Deutschland herum, so in den Niederlanden, England, Frankreich, Italien oder Spanien, waren schon in den frühen Nachkriegsjahren nationale Profi-Ligen eingeführt worden - mit Bezügen für die einzelnen Spieler, die sich direkt an deren Marktwert orientierten. Zudem kämpften dort die besten Vereinsmannschaften des Landes Woche für Woche um Punkte und Meisterschaft, was sich sowohl auf die Qualität der Begegnungen als auch die Zuschauerzahlen förderlich auswirkte. Hierzulande bekamen die Stadionbesucher dagegen fast das ganze Jahr hindurch nur biederen Oberligafußball zu sehen - mit immer wieder sehr ungleichen und wenig spannenden Paarungen. Erst in einer Endrunde wurde dann unter den in ihren Oberligen Süd, West, Nord usw. jeweils führenden Vereinen die deutsche Meisterschaft ausgespielt - ein System, das weder für die Aktiven noch für die Zuschauer sehr attraktiv war. Nur 400 DM erlaubte das Vertrags-Amateur-Statut den Ballkünstlern (die zudem einen "richtigen" Beruf nachweisen mussten) als Nebeneinnahme. In der Praxis bedeutete dies, dass die Leistungsbereitschaft der Spieler stark schwankte und immer wieder der Anstachelung bedurfte - folglich steckten Funktionäre und Vereinsobere ihnen auch immer wieder heimlich Geld zu, und wenn es nur das obligatorische Fünfmarkstück in den Stiefeln war.
"Kraft in den Teller, Knorr auf den Tisch!"
Anfang der sechziger Jahre hatte sich die Schere zwischen dem, was für einen talentierten Fußballspieler hierzulande und im Ausland zu verdienen war, so weit aufgetan, dass Taschengeld und gute Worte nicht mehr ausreichten, die Leistungsträger zu halten: Bauplätze oder wenigstens zinslose Darlehen für Eigenheime neben beträchtlichen Geldzuwendungen "unter dem Tisch" waren bei den reichen Vereinen längst übliche Praxis geworden. Inzwischen empfanden es die besten unter Deutschlands Fußballern wie Karl-Heinz Schnellinger, Sportler des Jahres 1962, oder Helmut Haller, auch nicht mehr als ehrenrührig, ihr Geld in Italien zu verdienen. Selbst dem großen Fritz Walter war inzwischen schmerzlich bewusst geworden, welche Chancen er sich hatte entgehen lassen. Nicht ohne Neid gestand er einem Stern-Journalisten 1961: "Wenn ich gewusst hätte, was ich heute weiß, dann hätte ich 1952 von Atletico Madrid die 250 000 DM genommen und wäre Berufsspieler geworden."
Gleichwohl gab es auch im Spielerlager Stimmen, die dem hergebrachten Amateurstatus nachtrauerten wie etwa Jürgen Werner vom Hamburger SV: "Und wenn es in den nächsten Jahren 300 000 DM wären, das ist mir die Sache nicht wert."
Aus heutiger Sicht bedeuteten die nun geltenden neuen Statuten freilich nur den ersten - wenn auch entscheidenden - Schritt zum Profisystem. Von nun an waren die Spieler Angestellte ihrer Vereine mit festen Einkommen: "Die Gesamtbruttobezüge eines Spielers - zusammengesetzt aus Grundgehalt und Leistungsprämien - dürfen den Betrag von monatlich 1 200 DM nicht übersteigen." Nur "besonders wertvollen Spielern" wurde in Ausnahmefällen mehr gestattet. Trotz der Verdreifachung ihrer Bezüge vom einen auf den anderen Tag war auch dieser Rahmen eher eng bemessen. Schon für einen durchschnittlich guten Spieler wie den Essener Horst Trimborn, der in seinem Zivilberuf als Buchhalter 1 000 DM und bislang zusätzlich 400 DM als Vertragsamateur erhalten hatte, waren die jetzt maximal "erlaubten" 1 200 DM eine deutliche Verschlechterung. Und so sorgte auch in der Folgezeit immer wieder das (noch zu wenige) Geld für Affären und Skandale - am offensichtlichsten im großen Bundesliga-Skandal der Saison 1970/71, als sich herausstellte, dass der Abstieg bestimmter Vereine gegen Zahlung von Schmiergeldern manipuliert worden war.
"Besonders wertvollen Spielern" wie dem ebenso erfolgreichen wie populären Ausnahmestürmer des HSV und der deutschen Nationalmannschaft Uwe Seeler war auch mit dem neuen System nicht gedient. Um ihn zu halten, mussten Konstruktionen jenseits des Spielfelds geschaffen werden. So war "Uns Uwe" der erste, der sein "eigentliches" Geld schon 1961 außerhalb des grünen Rasens verdiente: als Generalvertreter im norddeutschen Raum in Diensten des Sportschuhherstellers Adidas. Wie kein anderer markiert er damit die Übergangssituation im bundesdeutschen Fußball. Erst die Generation nach ihm, die der Beckenbauers, Netzers und Overaths, hatte über ihre Popularität die Chance, an die (ganz) großen Werbeeinnahmen zu kommen - um den Preis freilich einer stets wachsenden Entfremdung von den Fans. Die ersten Werbeauftritte mit Fußballern gerieten aber noch hausbacken, wie die Fernsehspots mit Lothar Emmerich und Siegfried Held von Borussia Dortmund zeigten, die schon kurz nach dem Gewinn des Europapokals 1966 artig ihre Suppe ("Kraft in den Teller - Knorr auf den Tisch!") löffelten. Noch schien es zu dieser Zeit kaum vorstellbar, die Popularität der Ballartisten auch für dem Sport eher fern stehende Produkte wie Klebstoffe, Autositze oder Versicherungen einzusetzen, was seit Mitte der achtziger Jahre kein Thema mehr ist.
"Ich trinke J., weil..."
Obwohl der Fußball schon zu Zeiten der "Sieger von Bern" die denkbar attraktivste Massenunterhaltung überhaupt geboten hatte und sein Aufstieg überdies direkt mit der Verbreitung des neuen Mediums Fernsehen zusammenhing,
In der Folge spielten sich während des gesamten Jahrzehnts zum Teil listig geführte Grabenkämpfe zwischen denen ab, die direkt oder indirekt vom Spielgeschehen profitierten wie Trainer, Spieler, Vereine und deren Sponsoren und denjenigen, welche "das Produkt" Fußball über die engen Stadiongrenzen hinaus in die Öffentlichkeit transportierten wie die Fernsehanstalten, die ihnen zuarbeitenden Journalisten oder der DFB selbst. Je stärker von ökonomischer Seite der Druck auf die Attraktion Fußball wurde, desto schwieriger gestaltete sich für die öffentlich-rechtlichen Medien der Abwehrkampf - umso mehr, als sich nach dem Einbruch des Zuschauerinteresses infolge des Bundesligaskandals 1970/71 nicht nur der bundesdeutsche Fußball erstaunlich schnell erholte und an Attraktivität und Renommee gewann (Europameister 1972; Weltmeister 1974), sondern jetzt auch Vereinsmannschaften wie Mönchengladbach oder Bayern München beachtliche internationale Erfolge verbuchen konnten.
Immer dann erhielt der Argwohn der Medienvertreter neue Nahrung, wenn Fälle publik wurden, in denen Dritte sportliche Veranstaltungen als ihre Bühne missbraucht hatten. So berichtete der Reporter Rudi Michel auf einer Fachtagung, dass selbst bei einer so randständigen Sportart wie Springreiten der amtierende Weltmeister, der ein Jahr zuvor nahezu alle Konkurrenzen dominiert hatte, aus unerklärlichen Gründen mit seinem Pferd nicht zurechtgekommen sei. "So verweigerte das Pferd am Wassergraben, dann gab es Probleme am Oxer, dann wieder verhielt der Reiter sein Pferd an der Mauer. Mit Hilfe von Zeitlupenstudien wurde Ursachenforschung betrieben, bis jemand dem Geheimnis auf die Spur kam. Im Hintergrund der Szenen, in denen verweigert oder verhalten wurde, sei immer die gleiche Werbebande zu sehen gewesen. Dem Weltmeister war also die Prämie, die von der werbenden Firma dafür gezahlt wurde, dass ihr Namenszeichen möglichst lange auf dem Fernsehschirm erschien, wichtiger als der Sieg im sportlichen Wettbewerb."
Solchen Manipulationstendenzen entgegenzutreten, sahen die Mediengewaltigen als ihre vornehmste Aufgabe an. Immer wieder wurden Fußballübertragungen kurzfristig aus dem Programm genommen oder die Kameraleute angewiesen, Werbebanden auszublenden. Doch der Umgang mit kommerziellen Interessen Dritter war fortan als Thema ständig präsent. 1974 forderte der Deutsche Sportbund (DSB) in seinen "Leitlinien für die Werbung im Sport" entsprechend konzertierte Aktionen: "Die Werbung ist ein Teil unserer Marktwirtschaft. Die Werbung stellt den Sport in zunehmendem Maße vor besondere Aufgaben und Probleme. Um sie zu lösen, ist ein gemeinschaftliches Vorgehen der Turn- und Sportbewegung unabdingbar." So empfahl man "angemessene" Werbung zum Vorteil der Sportvereine und -verbände, stationäre Bandenwerbungen wurde geduldet, nichtstationäre - etwa auf Sportkleidung oder -geräten - hingegen verworfen.
Doch schon hier mochte der größte Verband - der DFB - nicht mitziehen. Schließlich hatte der Braunschweiger Unternehmer Günter Mast ("Ich trinke J., weil...") bereits 1973 eine für die zukünftige Entwicklung des Fußballs folgenreiche Bresche geschlagen - aufgrund seiner Doppelfunktion als Inhaber einer Likörfabrik und zugleich Präsident von Eintracht Braunschweig. Nur so war es ihm möglich gewesen, seine Spieler mit dem Logo des von ihm hergestellten Kräuterlikörs, einem Hirschgeweih, auflaufen zu lassen. Auch wenn sich der DFB zunächst noch als Bremser hervortat und nur 14 Zentimeter Werbefläche (im Durchmesser) "am Mann" zugestand, bedeutete dies doch einen Meilenstein auf dem Weg zum entfesselten Fußballmarkt heutiger Prägung: vom Vertragsamateur über den Angestellten zum selbstständigen Unternehmer mit eigenem Manager oder gar mit ins Trainingscamp der Nationalmannschaft mitreisendem "Berater". Die endgültige Freigabe der Spielergehälter 1974 war die logische Folge solcher Entwicklungen, ebenso wie auf der anderen Seite innerhalb von nur fünf Jahren die Trikotwerbung zum allgemeinen Standard wurde. Der letzte werbefreie deutsche Meister war der 1. FC Köln 1978/79.
Gleichwohl sah ZDF-Intendant Diether Stolte noch 1982 die "Ideale und Glaubwürdigkeit des Sports" in Gefahr und bezeichnete die Werbetreibenden als "Trittbrettfahrer" und "Schmarotzer", die sich "auf den Bildschirm schleichen", wohingegen Peter Krohn, Ex-Manager des HSV, bekundete, der Profi-Fußball in der Bundesrepublik sei ein "schlafender Riese", der geweckt werden müsse, womit er vor allem das wirtschaftliche Potenzial meinte, das noch längst nicht zur Entfaltung gebracht worden sei.
Toni Schumacher und das Entertainment
Doch erst mit der Einrichtung des dualen Fernsehsystems 1983 zeichnete sich ab, dass ausschließlich das große Geld zur eigentlichen Triebfeder all dessen, was auf dem grünen Rasen als heute tägliches Medienspektakel geschieht, werden sollte. Das Vermittlungsmonopol des öffentlich-rechtlichen Systems war aufgehoben, Sender wie RTL und SAT 1, selbst über Werbung finanziert, nahmen sich des Fußballs an. Nicht gegenläufige, sondern parallele, aus seinem "Warencharakter" abgeleitete Interessen bestimmten fortan die Präsentation der Inhalte. Dass dieses System freilich seine eigenen Gesetzmäßigkeiten produzierte, wurde spätestens 1987 am "Enthüllungsbuch" Toni Schumachers deutlich, das seinerzeit vor allem wegen der darin enthaltenen Doping-Vorwürfe Aufsehen erregte. Aus heutiger Sicht sind eher die Einsichten in die Denkweise der Profis interessant; zudem gibt es Aufschluss über den Pegelstand des Kommerzialisierungsprozesses zu jener Zeit. "Wie ein Damoklesschwert hängen finanzielle Einbußen über unseren Köpfen", bekannte der Nationaltorwart: "Rummenigges größter Geldgeber nach Adidas ist Fuji. Klar wie Quellwasser ist, dass Karl-Heinz ein goldenes Angebot von mindestens einer Million DM bekommen hat. Schließlich war er Nationalspieler und potenzieller Teilnehmer an den Weltmeisterschaften 1982 und 1986. Er fühlte sich beruflich und moralisch verpflichtet, jedes Risiko einzugehen, nur um spielen zu können. Ähnlich hatte ich in Rom bei der EM 1980 gehandelt und mit gebrochenem Finger gespielt. Was wäre passiert, hätte ich einen oder zwei Bälle verpasst! Eine ungeheure Belastung!" Längst spielte kein Profi mehr der "edlen Sache" wegen in der Nationalmannschaft: Aus Sicht Schumachers war sie nichts anderes als der Multiplikator seiner Popularität - und damit Instrument zur Steigerung seines individuellen Marktwerts: "Erst nach der gewonnenen Europameisterschaft in Rom 1980 wurden die Angebote richtig aufregend. Nur ein Mitglied der Nationalmannschaft kommt an Werbeverträge von jährlich 100 000 DM und mehr. Als ich meine erste Adidas-Abrechung erhielt, war ich sehr angenehm überrascht."
Mit dem Einzug solcher Summen war zwangsläufig auch die internationale Härte (die "Blutgrätsche") in die bundesdeutschen Stadien eingekehrt, stieg das Verletzungsrisiko für die Spieler stark an, ebenso wie die Zahl echter Frühinvaliden, und beendete dieses "Ausleseprinzip" zunehmend die Karrieren der oft sensiblen "Supertechniker" wie etwa des genialen Heinz Flohe abrupt. Auf der anderen Seite profitierten aber nun auch zweitrangige Spieler wie der Ersatztorwart des SV Werder Bremen, Jürgen Rollmann, von der immer stärker Fahrt aufnehmenden Geldmaschine Profifußball. So lag Rollmanns Einkommen bereits Ende der achtziger Jahre weit über dem bundesdeutschen Durchschnittsverdienst. Zum monatlichen Grundgehalt von 10 000 DM kamen allein für das Tragen einer bestimmten Handschuhmarke weitere 10 000 DM, neben 75 Prozent der eingespielten Prämien der Stammmannschaft für Punktspiele; hinzu kamen Prämien für Pokalsiege (25 000 DM pro Spiel und Spieler), Honorare für Fernsehauftritte (über 10 Sekunden in der entsprechenden Kleidung), Tantiemen für Sammelbilder und anderes mehr. Es verwundert nicht, dass schon bald erste bekannte Fußballer wie etwa Norbert Nachtweih Opfer dubioser Vermögensberater und Geschäftemacher wurden, die ihnen unseriöse Abschreibungsmöglichkeiten wie z.B. Bauherrenmodelle aufgeschwatzt hatten. Selbst Ersatztorwart Rollmann kaufte sich sicherheitshalber gleich vier Dachgeschosswohnungen als Anlageobjekte: "Damit hatte ich Ende 1991 mehr Eigentumswohnungen als Bundesliga-Einsätze."
Profifußball und Weihnachten
Auf der Suche nach dem Zeitpunkt, an dem die letzten Dämme brachen, welche der totalen Entfesselung der Ware Fußball bis dahin entgegengestanden hatten, wurde Willi H. Knecht in den frühen neunziger Jahren fündig: "Die Wende kam mit der Wende. In schamloser Offenheit demonstrierten die Beutezüge der Profiteure der deutschen Wiedervereinigung als der zweiten Raffkegeneration nach den Gewinnlern der bundesdeutschen Währungsreform von 1948 ihr Credo, dass Eigennutz besser nährt als Gemeinnutz."
Bald sollte sich die Einrichtung der kommerziellen Kabel- und Satelliten-Sender richtig auszahlen, allen voran jedoch das vom Sport-Direktor von SAT 1, Reinhold Beckmann, erfundene ran-Format einer TV-gerechten Fußball-Show. Es kam der Optimierung einer Geldmaschine gleich, zum Vorteil aller daran Beteiligten: "Attraktiver Sport braucht Sponsoren, die Sponsoren brauchen das Fernsehen, um ihre Werbebotschaften zu verbreiten, das Fernsehen wiederum braucht den Sport als Unterhaltungsprogramm."
An Beispielen sei auf andere Weise illustriert, welche Profite der durch die Medien ausgeweitete Markt plötzlich möglich machte:
- Agenturen wie ISPR, SportA oder Ufa Sports begannen die Vereine bei der Vermarktung ihres "Produkts" zu beraten und vertraten sie gegenüber Dritten. "Kurz bevor Ufa Sports 1994 die Gesamtvermarktung von Hertha BSC übernahm, wollte der Club einen Ausrüsterkontrakt mit der Firma Nike über drei Millionen Mark abschließen. Ufa Sports hatte die Verhandlungen für die Berliner anschließend übernommen und erzielte sechs Millionen Mark als Vertragssumme, obwohl der Verein damals noch in der Zweiten Bundesliga spielte. Innerhalb von fünf Jahren erweiterte die Vermarktungsagentur zusätzlich das Merchandising-Angebot von 30 auf 350 Produkte."
- "Nach dem Gewinn der Europameisterschaft 1996 durch das 'Golden Goal' durch Oliver Bierhoff wurde mit ihm erstmals konsequent ein Einzelspieler vermarktet: 'Ich habe die Marktlücke sofort erkannt: Oliver ist ein Produkt, das wir vermarkten können wie ran oder den Compaq Grandslam.' (ISPR-Manager Peter Olsson). Umgehend erstellte die Firma eine 100 000 DM teure Marktanalyse mit dem umwerfenden Befund: 'Oliver ist jung, dynamisch, glaubwürdig und verantwortungsbereit.' Mit diesem Imageprofil trat der Vermarkter an potenzielle Werbepartner heran - mit großem Erfolg ('Ich hab einen neuen Trainer für mein Haar')."
- "Die Umgehung der Auswirkungen des Bosman-Urteils (Ablösefreiheit und Freizügigkeit der Profifußballer) 1995 führte zu abstrusen Konsequenzen. So verlängerte der Nigerianer Jonathan Akpoborie seinen Vertrag mit dem abstiegsbedrohten FC Hansa Rostock im März 1997 um drei Jahre, ließ sich aber gleichzeitig eine Ausstiegsklausel für sieben Millionen Mark festschreiben. Das Ziel war klar: Akpoborie, von Stuttgart, Köln, Paris und vielen anderen umworben, würde bei einem Wechsel rund die Hälfte der Summe für sich und seinen Berater behalten dürfen, und Rostock hätte immer noch dreieinhalb Millionen statt nichts."
Mit der Umwandlung ehemals eingetragener Vereine in Kapitalgesellschaften - mit schon bald folgenden Börsengängen (und heute entsprechender Ernüchterung: Borussia Dortmund) - erfolgte der bislang letzte Schritt in Richtung totaler Kommerzialisierung des Fußballsports. Doch die enorme Ausweitung des Marktes führte keineswegs zu einem entspannteren Umgang der Wettbewerber untereinander, im Gegenteil: "Es ist ein beinhartes Geschäft mit viel Leidenschaft. Aber ich würde es nicht gleich den Heiligen Krieg nennen", bekannte Nike-Chef Phil Knight: "Ich würde gern glauben, dass adidas den Krieg verloren hat. In Wahrheit haben sie nur ein paar Schlachten verloren. Jedes halbe Jahr gibt es eine neue Schlacht."
Fußballclub als Unterhaltungskonzern
Nach der ebenso atemberaubenden wie überhitzten Entwicklung der Geldmaschine Profifußball in den neunziger Jahren scheint heute eher Nachdenklichkeit angezeigt - nach dem Zusammenbruch der Kirch-Gruppe, dem Börsenfiasko von Borussia Dortmund und der Rückkehr der Fußball-Grundversorgung zu den öffentlich-rechtlichen Sendeformaten. Auch der Möllemann'sche Traum vom Fußball als Zeremonienmeister auch anderer Unterhaltungs-"Contents" scheint deutlich relativiert. Sicherlich sind und bleiben Fußball und (TV-) Medien nach wie vor aufeinander angewiesen, schon weil sie - in einer geradezu symbiotischen Wechselbeziehung stehend - voneinander profitieren wie keine andere Sportart, welche die Massen erreicht. Es scheint allerdings, dass die Karten zur Zeit neu gemischt werden. Bei fast jedem Spieler-Interview ist diese Unsicherheit inzwischen auszumachen, deutlich wahrzunehmen an der seit etwa zwei Jahren festzustellenden Tendenz der Aktiven (Trainer wie Spieler) zur indignierten Zurückweisung der stereotypen Reporterfrage: "Welche Erklärung haben Sie für Ihr schlechtes Spiel?"
Noch scheinen viele der Aktiven nicht begriffen zu haben, dass nicht sie, welche die Leistung bringen, das "Produkt" Fußball machen, sondern diejenigen, die ihre Leistung transportieren, kommentieren und einordnen. Die Musterfälle Johannes B. Kerner und Reinhold Beckmann sollten Lehre genug sein. Seinerzeit bloße Zuarbeiter der Fußball-Shows der neunziger Jahre, sind sie über lange Zeiträume auf dem Bildschirm präsent geblieben und inzwischen zu Mediengrößen mit eigenen Talksshows aufgestiegen, wohingegen viele der einst von ihnen interviewten Rasen-Helden heute der Vergessenheit anheim gefallen sind.
Selbst Heißsporn Uli Hoeneß, vor noch nicht allzu langer Zeit ein würdiger Ekel-Alfred-Nachfahr, scheint diese Lektion in Sachen Medien inzwischen gelernt zu haben, gibt sich locker und moderat. Schon mittelfristig - das weiß nicht nur er - sitzen die Medien am längeren Hebel. Ein Spieler, der sich ihnen gegenüber durch unpassende oder gar pampige Äußerungen (z.B. Lothar Matthäus) geoutet hat, wird in Zukunft wenig Chancen haben, nach seiner Karriere als Aktiver zum gefragten "Studio-Experten" aufzusteigen. Für einen solchen Profi bedeutetet der Tag seines Abschieds vom Fußball zwangsläufig auch das Ende seiner Medienkarriere.
Insofern gilt, was Toni Schumacher 1987 schrieb - man müsse als Profi in seiner aktiven Zeit so viel Geld auf der "hohen Kante" haben, dass man für den Rest seiner irdischen Tage ausgesorgt habe
Vielleicht sollte man es mit Walter Jens halten, der angesichts dieses immer noch tolldreisten Spektakels nur noch eins, nämlich Bodenhaftung, sucht: "Ein Stadionbesuch ist ab und zu wichtig, um den Fernseheindruck zu relativieren." Auf seine Art pflichtete ihm unlängst sogar Felix Magath bei: "Wir haben in den letzten zwanzig Jahren zu viel an das Geld und zu wenig an den Fußball gedacht!"