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Die Medienwahl 2002: Themenmanagement und Berichterstattung | Bundestagswahl 2002 | bpb.de

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Die Medienwahl 2002: Themenmanagement und Berichterstattung

Frank Brettschneider

/ 22 Minuten zu lesen

Die Bewertung der Parteien und ihres Führungspersonals hängt maßgeblich vom Themen-Set der Berichterstattung ab. Für die Mobilisierung der Stammwähler sind die richtigen Wahlkampfthemen entscheidend.

I. Medienberichterstattung und Wählerverhalten

Hat die Elbe- und Muldeflut Rot-Grün für weitere vier Jahre in die Regierung "gespült"? Waren die Sorgen um eine deutsche Beteiligung an einem Angriff auf den Irak wichtiger als Befürchtungen um ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit in Deutschland? Hat der Kanzlerkandidat Edmund Stoiber der Union den Wahlsieg gekostet? Zu den Ursachen des Ausgangs der Bundestagswahl 2002 gibt es zahlreiche Spekulationen und einige fundierte Analysen. Aus der Wahlforschung ist bekannt, dass das Wählerverhalten nie auf nur einen einzigen Grund zurückgeführt werden kann, sondern dass zahlreiche Faktoren darüber entscheiden, wer welcher Partei seine Stimme gibt (vgl. Abbildung 1, s. PDF Version).

Als langfristig relativ stabile Größe gilt die Parteiidentifikation. Sie wird während der Sozialisation des Wählers erworben und verfestigt sich mit zunehmender Wahlerfahrung. Die Parteineigung bildet das Grundgerüst des Wählerverhaltens. Je stärker sie bei einem Wähler ausgeprägt ist, desto wahrscheinlicher handelt es sich um einen Stammwähler, der meist dieselbe Partei wählt. Selbstverständlich kann es aber vorkommen, dass besondere Umstände ihn dazu bewegen, auch einmal von seiner Parteineigung abzuweichen - etwa wenn er aus taktischen Gründen den potenziellen Koalitionspartner wählt oder wenn er aus vorübergehender Unzufriedenheit mit seiner Partei oder ihrem Spitzenkandidaten der Wahl fernbleibt.

Der nach wie vor recht hohe Anteil von Personen mit einer langfristigen Parteibindung führt in Deutschland dazu, dass die Ergebnisse bei Bundestagswahlen noch immer relativ stabil bleiben. Wie stark sich gleichwohl Stimmenanteile von Wahl zu Wahl verschieben, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: Wie gut können die Parteien ihre Stammwähler mobilisieren? In welchem Umfang gelingt es ihnen, Wechselwähler zur Stimmabgabe für sich zu bewegen?

Sowohl die Mobilisierung als auch das Überzeugen von Wechselwählern werden maßgeblich von den kurzfristigen Einstellungen der Wählerinnen und Wähler zum aktuellen Erscheinungsbild der Parteien und ihrer Spitzenkandidaten geprägt. Die Images der Parteien und Kandidaten setzen sich aus zahlreichen Bausteinen zusammen. So werden Parteien unter anderem anhand ihrer Problemlösungskompetenz und ihrer Geschlossenheit beurteilt. Die Bewertung der Kandidaten beruht in erster Linie auf ihren Leadership-Qualitäten (Entscheidungsfreude, Tatkraft) und auf ihrer Fähigkeit, die wichtigsten Probleme im Land wenn schon nicht zu lösen, so doch wenigstens konsequent anzugehen. Darüber hinaus ist die Integrität der Kandidaten ein wichtiger Image-Faktor. Unpolitische Merkmale wie die Frisur oder Bekleidung eines Kandidaten, seine Eloquenz oder sein familiäres Umfeld werden hingegen in politischen Kommentaren maßlos überschätzt. Die Wähler unterhalten sich zwar über solche Fragen, für die Stimmabgabe sind sie aber weitgehend irrelevant.

Für die Mobilisierung der Stammwähler und für die Überzeugung der Wechselwähler sind jedoch nicht die tatsächlichen Eigenschaften der Parteien und Kandidaten ausschlaggebend, sondern die von den Wählern wahrgenommenen Eigenschaften. Eine Partei kann noch so kompetent sein - wenn die Bevölkerung sie nicht für kompetent hält, nützt ihre Kompetenz wenig. Und ein Kandidat kann in der öffentlichen Wahrnehmung beispielsweise als führungsstark gelten, obwohl er in Wirklichkeit sein Fähnlein in den Wind hängt.

Die Wahrnehmung der Kandidaten und der Parteien speist sich aus drei unterschiedlich wichtigen Quellen: aus der direkten Beobachtung, aus Gesprächen mit anderen sowie aus den Massenmedien. Nur wenige Menschen verschaffen sich unmittelbare Eindrücke von den Kandidaten und den Parteien - etwa durch den Besuch von Wahlveranstaltungen oder durch Diskussionen an den Infoständen der Parteien. Ihre Wahrnehmungen beruhen also nicht auf direkten, sondern auf vermittelten Eindrücken. Als sich Wähler noch in sozial und politisch homogenen Gruppen bewegten, stellten Gespräche mit anderen die Hauptquelle für wahlrelevante Informationen dar. Heute hingegen werden die wahlrelevanten Eindrücke überwiegend durch die Medienberichterstattung vermittelt. Und unter den Massenmedien stellt das Fernsehen die wichtigste Informationsquelle dar - sowohl im Hinblick auf die Parteien als auch im Hinblick auf die Kandidaten. Das Fernsehen hat die größte Reichweite, und es wird von den Menschen als das glaubwürdigste Medium angesehen. Außerdem lassen sich die Inhalte von Nachrichtensendungen sehr viel weniger selektiv wahrnehmen, als dies bei den Printmedien der Fall ist. Mit anderen Worten: Während Zeitungen oder Zeitungsartikel entsprechend der eigenen politischen Prädispositionen ausgewählt werden, konfrontieren Nachrichtensendungen die Zuschauer auch mit Informationen, die die eigenen politischen Einstellungen in Frage stellen können.

II. Themenmanagement: Agenda-Setting, Agenda-Cutting und Agenda-Surfing

Auch die für den Wahlkampf verantwortlichen Parteimanager und die speziell in Wahlkampfzeiten angeheuerten "Spin-Doktoren" und Medienberater wissen um die Bedeutung der Massenmedien. Sie versuchen daher, die Medienberichterstattung zugunsten ihrer Partei oder des von ihnen betreuten Kandidaten zu beeinflussen. Zwei Ziele stehen dabei im Mittelpunkt: Erstens müssen die eigene Partei und ihre Akteure - allen voran ihr Spitzenkandidat - von den Wahlberechtigten wahrgenommen werden. Diese Aufmerksamkeit kann keinesfalls als selbstverständlich vorausgesetzt werden, denn für die meisten Menschen zählt Politik nicht zu den Lebensbereichen, mit denen sie sich kontinuierlich beschäftigen. Zudem konkurriert die Politik mit vielen anderen Bereichen und Akteuren - etwa aus der Unterhaltungsbranche - um die Aufmerksamkeit der Menschen. Zweitens geht es darum, diese Aufmerksamkeit für die Vermittlung der eigenen Botschaften zu nutzen. Auch sollen diese Botschaften in der Berichterstattung möglichst positiv - zumindest aber neutral - bewertet werden. Den Spitzenkandidaten kommt bei dieser Vermittlung eine wichtige Aufgabe zu, denn sie verleihen ihrer Partei und ihrem politischen Programm Gesicht und Stimme.

In diesen Zielen - Medienpräsenz und positive bzw. neutrale Medientendenz - ähnelt Polit-PR der Markenwerbung. Es gibt jedoch auch grundsätzliche Unterschiede. Ein zielgerichtetes, konsequentes Kommunikationsmanagement ist im Wahlkampf viel schwieriger als etwa bei der Einführung einer neuen Produktlinie durch einen Automobilkonzern oder bei der Etablierung eines geschmacklich noch nie dagewesenen Müsli-Riegels. Markenwerbung kann Anzeigen schalten, mit TV-Spots arbeiten und Events produzieren. Dies macht zwar die Polit-PR auch, aber für die Wahrnehmung durch die Wählerinnen und Wähler ist sie in weitaus größerem Maße auf die journalistische Berichterstattung im redaktionellen Teil der Zeitungen und des Fernsehens angewiesen - und diese lässt sich sehr viel weniger planen und beeinflussen als die "paid media" (z.B. eine Anzeigenkampagne). Gerade in der politischen Kommunikation wollen sich Journalisten nicht dem Vorwurf der Manipulierbarkeit aussetzen. Sie meinen, ihre journalistische Distanz vor allem dadurch unter Beweis stellen zu können, dass sie häufiger negativ als positiv über die Parteien und ihre Akteure berichten.

Aber nicht nur die Journalisten, auch das eigene Personal - Spitzenpolitiker wie "Hinterbänkler" - lässt sich nur schwer kontrollieren. Letzterer äußert sich in keiner Talkshow, er lässt auch keine fragwürdig finanzierten Flugblätter zweifelhaften Inhalts verteilen, die das Kommunikationsmanagement der eigenen Partei vor Schwierigkeiten stellen. Ein nicht unerheblicher Teil der Polit-PR dient dazu, hausgemachte Kommunikationspannen wieder auszubügeln, Äußerungen von Politikern aus den eigenen Reihen zu interpretieren, Widersprüche zwischen den Aussagen unterschiedlicher Politiker zu glätten. Markenwerbung hat es da leichter.

Und schließlich findet politische Kommunikation in einem sich permanent wandelnden Kommunikationsumfeld statt. Ereignisse, die bei der Formulierung einer Kommunikationsstrategie nicht vorhersehbar waren, können von heute auf morgen auf der Tagesordnung erscheinen und Reaktionen der Parteien erzwingen. Die Flutkatastrophe ist das beste Beispiel. Aber auch die Verstrickungen sozialdemokratischer Lokalpolitiker in Bestechungsskandale in Nordrhein-Westfalen lassen sich anführen. Um darauf reagieren zu können, muss Polit-PR sehr flexibel angelegt sein und Szenarien für zahlreiche Eventualitäten bereithalten.

Den größten Stellenwert im Rahmen der Polit-PR besitzt das Themenmanagement. Damit soll die Themen-Agenda, die Tagesordnung der in den Medien diskutierten Themen, so beeinflusst bzw. genutzt werden, dass die eigene Partei und der eigene Kandidat davon profitieren. Drei Strategien stehen zur Verfügung:
Agenda-Setting: Beim aktiven Setzen der politischen Tagesordnung wird versucht, jene Themen in die Medienberichterstattung zu lancieren oder sie dort zu halten, bei denen entweder die eigene Partei bzw. der eigene Kandidat von der Bevölkerung als kompetent angesehen werden oder bei denen die Bevölkerung bei der gegnerischen Partei und dem gegnerischen Kandidaten Defizite wahrnimmt.

Agenda-Cutting: Es wird aktiv versucht, jene Themen aus der Medienberichterstattung fernzuhalten oder sie von dort verschwinden zu lassen, bei denen entweder die eigene Partei bzw. der eigene Kandidat von der Bevölkerung nicht als kompetent angesehen werden oder die Bevölkerung der gegnerischen Partei und dem gegnerischen Kandidaten größere Problemlösungsfähigkeit zuschreibt.

Agenda-Surfing: Wenn man das in der Medienberichterstattung existierende Themen-Set nicht beeinflussen kann - beispielsweise weil sich ein Thema so aufdrängt, wie es bei der Elbe-Flut vor dieser Bundestagswahl der Fall war -, dann wird versucht, dieses Themen-Set zum eigenen Vorteil zu nutzen.

Welche Themen den Wahlkampf dominieren, ist für die Bewertung der Parteien und Kandidaten durch die Wähler von großer Bedeutung. Vor allem diejenigen Wähler, die sich erst relativ kurzfristig vor der Wahl für die Stimmabgabe zugunsten der einen oder der anderen Partei entscheiden, treffen diese Entscheidung anhand der Themen, die gerade "top-of-the-head" sind. Sie saldieren also nicht die Vorzüge und die Defizite der einzelnen Parteien in allen Themenfeldern, sondern sie ziehen für ihre Meinungsbildung nur diejenigen Themen heran, die aktuell gedanklich verfügbar sind. Und gedanklich ohne großen Aufwand verfügbar sind genau jene Themen, über die in den Medien häufig berichtet wird. Indem die Massenmedien mitbestimmen, welche Themen dominieren, definieren sie unbewusst auch den Bewertungsmaßstab, anhand dessen die Bevölkerung Parteien und Politiker beurteilt. Dominieren beispielsweise außenpolitische Themen, so werden die Akteure vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer außenpolitischen Kompetenz bewertet. Davon profitiert die Partei, die im Hinblick auf die Außenpolitik unter den Wählern besser abschneidet als die Konkurrenten. Dominieren wirtschaftspolitische Themen, so werden die Akteure vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer wirtschaftspolitischen Kompetenz bewertet. Davon profitiert die Partei, der wirtschaftspolitisch mehr zugetraut wird als den anderen Parteien. Daher besitzen "die Massenmedien auch dann einen Einfluss auf die Meinungsbildung und Wahlentscheidung, wenn sie die vorhandenen Einstellungen nicht ändern. Es genügt, sie mehr oder weniger stark zu aktualisieren."

Vor diesem Hintergrund werden für die Bundestagswahl 2002 folgende Fragen empirisch untersucht:

  • Was waren aus der Sicht der Bevölkerung die thematischen Stärken und Schwächen der einzelnen Parteien? Und welche Themen haben die Parteien im Wahlkampf zu lancieren versucht?

  • Wie ausgeprägt war die Medienpräsenz der SPD, der Union, der Grünen, der FDP und ihrer jeweiligen Spitzenkandidaten?

  • Wie häufig erfuhren die Zeitungsleser und Fernsehzuschauer etwas über politische Sachthemen der Parteien und Kandidaten - und wann standen der Wahlkampf selbst und der Wettkampfcharakter der Wahl im Mittelpunkt?

  • Wie hat sich diese Medien-Agenda in der Medientendenz, also in der medialen Gesamtbewertung der Parteien und Kandidaten, niedergeschlagen?

  • Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Medientendenz und der Wahlabsicht der Wählerinnen und Wähler?

Zur Beantwortung dieser Fragen wird auf Inhaltsanalysen der Medienberichterstattung zurückgegriffen, die vom Institut "Medien Tenor" durchgeführt wurden. Der "Medien Tenor" erfasste vom 1. Januar bis zum 22. September 2002 jeden Tag Zahl, Inhalt und Tendenz sämtlicher Aussagen von und über Parteien und Politiker in folgenden Medien: ARD Tagesschau und Tagesthemen, ZDF heute, heute journal und Berlin direkt, RTL Aktuell, SAT.1 18:30, ProSieben Nachrichten, Bild, Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, taz, Focus, Spiegel, Stern, Die Woche (bis 8. März 2002), Die Zeit, Rheinischer Merkur, Bild am Sonntag, FAZ Sonntagszeitung, Welt am Sonntag. Insgesamt wurden 325 432 Aussagen erfasst. In den folgenden Analysen wurden diese Aussagen jeweils zusammengefasst, um das gesamte Bild der meinungsführenden Massenmedien zu repräsentieren. Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass unterschiedliche Medien unterschiedliche Tendenzen aufweisen. In diesem Bundestagswahlkampf waren lediglich die Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens weitgehend ausgewogen. Die Nachrichtensendungen der privat-kommerziellen Sender begünstigten die Union. Gleiches gilt für Die Welt, die FAZ, Focus und Bild. Im Spiegel, der Frankfurter Rundschau, der Süddeutschen Zeitung, im Stern und in der taz wurden hingegen SPD und Grüne positiver dargestellt als die bürgerliche Opposition.

Ferner wurden vom "Medien Tenor" die von den Parteien in den letzten vier Wochen vor der Wahl verbreiteten Presseerklärungen erfasst. So konnten die thematischen Schwerpunkte von 535 Pressemitteilungen ermittelt werden.

Darüber hinaus werden die Inhaltsanalysedaten mit Ergebnissen aus repräsentativen Meinungsumfragen der Forschungsgruppe Wahlen, von Infratest dimap und vor allem von FORSA verglichen. FORSA hat Woche für Woche die Wahlabsicht von 2 500 Bundesbürgern erhoben. Hier werden die 53 880 Interviews ausgewertet, die zwischen der 17. Kalenderwoche (Ende April) und dem Wahltag stattgefunden haben.

III. Themenkompetenz und Thematisierungsversuche der Parteien

Thematische Stärken und Schwächen der Parteien waren aus Sicht der Wählerinnen und Wähler vor der Wahl relativ klar zu erkennen. So wurde der Union und ihrem Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber in den Bereichen Wirtschafts-, Haushalts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik mehr zugetraut als der SPD und Bundeskanzler Gerhard Schröder. Im September 2002 trauten beispielsweise 43 Prozent der Bundesbürger eher der Union die Sicherung vorhandener und die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu - gegenüber 32 Prozent, die diesbezüglich die SPD für kompetenter hielten. Auch in der Bildungspolitik nahm die Bevölkerung einen Kompetenzvorsprung der Union wahr. Bei der Gesundheits- und der Ausländerpolitik gab es mehr oder weniger einen Gleichstand zwischen den beiden Volksparteien. Der SPD wurde eher zugetraut, sich für den Frieden einzusetzen (37 vs. 23 Prozent für die Union) und eine verlässliche Außenpolitik zu betreiben (36 vs. 29 Prozent). Friedens- und Außenpolitik waren ebenfalls die Stärken der Grünen (21 bzw. 19 Prozent), die zudem bei der Umweltpolitik mit 54 Prozent unangefochten an der Spitze lagen. Der FDP schrieben in keinem Politikfeld mehr als 7 Prozent der Wählerinnen und Wähler die größte Kompetenz zu. Man kann sagen, dass die FDP von der Bevölkerung nicht unter thematischen Gesichtspunkten wahrgenommen wurde.

Die Kommunikationsprofis wissen um die Stärken und Schwächen ihrer Parteien. Folgerichtig betreiben sie Agenda-Setting - u.a. mittels Interviews, Wahlkampfreden, Plakaten und Auftritten in Talkshows. Auch in den 535 Presseerklärungen, die in den letzten vier Wochen vor der Wahl herausgegeben wurden, spiegeln sich die oben genannten Stärken und Schwächen wider (vgl. Tabelle 1, s. PDF Version). Wie in den Interviews und den beiden "TV-Duellen" konzentrierten sich die Union und Edmund Stoiber auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Themen sowie den Arbeitsmarkt. Deutschland wurde als Schlusslicht unter den EU-Staaten charakterisiert. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seien hausgemacht, die Verantwortung dafür trage die Bundesregierung. Den gleichen thematischen Schwerpunkt setzte die FDP. In etwas geringerem Umfang äußerte sich die SPD zur Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Wirtschaftliche Probleme wurden nicht geleugnet, die Ursachen dafür wurden aber in der Entwicklung der Weltwirtschaftslage gesucht. Auch wurde mit den Vorschlägen der Hartz-Kommission versucht, den Eindruck von Tatkraft und Problembewusstsein zu vermitteln.

Daneben stand im Zuge der Elbe-Flut das klassische SPD-Thema Solidarität im Mittelpunkt, bis es von der Thematisierung einer deutschen Beteiligung an einem hypothetischen Angriff der USA auf den Irak abgelöst wurde. Auch bei den Grünen nahm die internationale Politik - verbunden mit Außenminister Joschka Fischer - einen breiten Raum ein. Sie wurde in den Presseerklärungen sogar häufiger thematisiert als das urgrüne Thema Umweltpolitik.

IV. Medienpräsenz der Parteien und Medien-Agenda

Um wahrgenommen zu werden, müssen Parteien und Kandidaten in den Medien präsent sein. Präsenz alleine ist jedoch kein Erfolgsgarant. Wichtig ist vielmehr, dass das thematische Umfeld der Berichterstattung und damit die Medientendenz für eine Partei "günstig" ausfällt. Hinsichtlich der Medienpräsenz, also der Häufigkeit der Berichterstattung über die Parteien und ihre Spitzenkandidaten, lagen SPD und Union erwartungsgemäß vorne (vgl. Abbildung 2, s. PDF Version). Die Union dominierte im Januar die Berichterstattung, in der die Entscheidung der Union zugunsten Edmund Stoibers als Kanzlerkandidat im Mittelpunkt stand. Die Korruptionsskandale von nordrhein-westfälischen SPD-Kommunalpolitikern bescherten den Sozialdemokraten im Frühjahr eine in diesem Kontext unerwünschte Medienpräsenz. Im März entfielen knapp 10 Prozent der gesamten Berichterstattung auf die Bestechungsaffäre, im April waren es nur noch 4,3 Prozent.

Der Mai war dann ein Ausnahmemonat: Über die FDP wurde häufiger berichtet als über jede andere Partei. Zunächst war mit der Präsenz auch eine positive Tendenz verbunden, denn die häufige Berichterstattung beruhte anfänglich auf der in den Medien positiv aufgenommenen Ernennung Guido Westerwelles zum Kanzlerkandidaten der FDP. Die Freude bei den Freidemokraten über den gelungenen Medien-Coup hielt jedoch nicht lange an, wurde doch die positive von einer negativen Berichterstattung abgelöst. Auslöser war der Streit des stellvertretenden FDP-Parteichefs Jürgen Möllemann mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und die sich daraus ergebende Diskussion über Antisemitismus und Rechtspopulismus in der FDP. Im Zuge dieser Diskussion wurde immer wieder die Führungsfähigkeit des Parteivorsitzenden Westerwelle hinterfragt. Auch wurde ihm nun das Format eines ernst zu nehmenden Kanzlerkandidaten abgesprochen. Die Schlüsselthemen der FDP - Bildungs-, Steuer- und Wirtschaftspolitik - traten in den Hintergrund.

Im Juni stieg dann wieder die Berichterstattung über die Union und die SPD an. Beide Parteien erhielten Resonanz auf ihre Wahlparteitage. Die dosierte und sich über einen längeren Zeitraum erstreckende Präsentation des "Kompetenzteams" der Union erhöhte ebenfalls die Medienpräsenz der Partei. Zudem thematisierte die Union das schlechte Abschneiden Deutschlands in der PISA-Studie - nicht ohne die innerdeutsche Spitzenstellung unionsgeführter Bundesländer zu unterstreichen. Dies alles verschaffte der Union ein im Vergleich zur SPD positives Medienimage.

Die vorzeitige Lancierung einiger Vorschläge der Hartz-Kommission konnte daran zunächst nicht viel ändern. Zwar war der SPD damit ein erfolgreiches Agenda-Cutting gelungen - das für sie ungünstige Thema Bildungspolitik wurde in den Hintergrund gedrängt. Der Medienerfolg der sozialdemokratischen "Spin-Doktoren" wurde jedoch im Juli durch die Bonusmeilen-Affären von Koalitionsmitgliedern und durch den erzwungenen Rücktritt von Verteidigungsminister Rudolf Scharping wieder zunichte gemacht. Hinzu kam das "Sommer"-Theater bei der Telekom, bei dem die Regierung ebenfalls kein gutes Bild abgab. Der Union gelang es in diesem Zeitraum zudem, das Thema Arbeitslosigkeit wieder in das Zentrum der Berichterstattung zu rücken. Darüber hinaus genügte es für sie, die für die Regierung ungünstigen Themen präsent zu erhalten. In keinem Monat war das kommunikative Umfeld für die Regierung ungünstiger als im Juli 2002.

Im August kam das Elbe-Hochwasser, das sogleich als "Jahrhundert-Flut" zum alles andere überragenden Medienereignis wurde. Die zuvor zentralen Themen waren mit einem Male buchstäblich von der Tagesordnung "gespült". Die Regierung, allen voran Gerhard Schröder, nutzte diese Gelegenheit. Krisenzeiten sind Regierungszeiten, wenn es der Regierung gelingt, als anpackend und problemlösend dargestellt zu werden. Die SPD verband zudem das Elbe-Hochwasser mit ihrem Kernthema "Solidarität" - nicht zuletzt, um Stammwähler zu mobilisieren und Wechselwähler in Ostdeutschland zu gewinnen. Dabei handelte es sich um ein gelungenes Agenda-Surfing auf der Flut-Welle.

Mit der Flut gelangte auch das für die Grünen wichtige Umweltthema auf die Tagesordnung und verhalf ihnen über die mediale Wahrnehmungsschwelle; bis zum August hatten die Grünen in der Medienberichterstattung eher ein Schattendasein gefristet.

Die Union reagierte auf die veränderten kommunikativen Rahmenbedingungen hingegen zu spät und unzureichend. So hielt sie an der Präsentation ihres 49-Punkte-Plans - "Sofortprogramm für ein leistungsfähiges und soziales Deutschland" - fest und ging damit in der Flutberichterstattung unter. Gleiches gilt für die FDP und ihren im "Guidomobil" über die Campingplätze tingelnden Vorsitzenden.

Erst Ende August geriet die Union wieder in das Scheinwerferlicht, als Edmund Stoiber im ersten "TV-Duell" mit Gerhard Schröder besser abschnitt als von den Journalisten erwartet. Die daraufhin einsetzende positive Berichterstattung für Stoiber wurde jedoch rasch durch Meldungen zum angeblichen Schlingerkurs der Union in zahlreichen Sachfragen - etwa beim Dosenpfand oder bei den Reaktionen auf die Vorschläge der Hartz-Kommission - konterkariert.

Gravierender war jedoch, dass der Versuch der Union misslang, die Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik wieder zum Spitzenthema in den Medien zu machen. Stattdessen prägte der Kanzler die politische Diskussion im September mit seiner Ablehnung einer deutschen Beteiligung an einem möglichen Angriff der USA auf den Irak. Dies war Agenda-Setting und Agenda-Cutting zugleich. Es gelang ihm damit, die für die SPD ungünstigen Themen Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarkt in den Hintergrund zu drängen und das für die SPD günstige Thema Frieden in den Mittelpunkt zu rücken. In den Medien wurde erstmals häufiger über Außenpolitik berichtet (mehr als 10 Prozent aller Aussagen) als über den Arbeitsmarkt (weniger als 5 Prozent aller Aussagen; vgl. Abbildung 3, s. PDF Version). Dies hatte Konsequenzen für die Einschätzung der Wichtigkeit des Themas Krieg, Frieden und Terror durch die Bevölkerung. Auf die Frage nach den wichtigsten Problemen in Deutschland erhielt die Forschungsgruppe Wahlen Antworten, welche die Medienberichterstattung widerspiegeln. War das Thema im Juni für die Bevölkerung noch relativ unbedeutend, stieg der Anteil derjenigen, die Krieg und Frieden als eines der wichtigsten Themen bezeichneten, im September auf 15 Prozent an. Gleichwohl wurde das Thema Arbeitslosigkeit von den Menschen nach wie vor als das mit Abstand wichtigste Thema angesehen (mehr als 80 Prozent) - nur haben sie aus den Medien zu den betreffenden Standpunkten der Parteien nicht viel erfahren.

Häufiger als über jedes einzelne Sachthema wurde im September über Prognosen und Meinungsumfragen berichtet. Dabei stand der "Horse-Race-Aspekt" im Mittelpunkt: Wer liegt vorne, wer liegt zurück, wer holt auf, wer macht das Rennen? Nur selten wurden Umfragen für die Hintergrundberichterstattung über das sich wandelnde Meinungsklima und zu den Motiven der Wähler herangezogen. Somit erfuhren die Zeitungsleser und die Zuschauer der Fernsehnachrichten mehr über den Stand des Wettkampfes, als über seinen Inhalt. Die "Aufholjagd" der Regierung in den Umfragen wurde ein wichtigeres Medienthema als die Frage, welche Konzepte die Parteien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zum Weg aus der Bildungsmisere oder zur Reform der sozialen Sicherungssysteme anbieten. Auch nach den TV-Debatten, in denen beide Kontrahenten zahlreiche Sachpositionen vertraten, drehte sich die Berichterstattung kaum um diese Positionen, sondern um die Frage, wer gewonnen habe. Kein Wunder, dass nach der Wahl das Erstaunen über die Regierungspläne etwa im Renten- und im Gesundheitswesen so groß ist. Durch eine themenorientierte Berichterstattung hätten Journalisten die Wähler bereits vor der Wahl mit diesen Vorhaben vertraut machen können.

Schröders Themenführerschaft wurde im September durch eine Verstärkung des Kanzlerwahlkampfes der SPD unterstrichen. Daneben konnten nur wenige Themen bestehen: erstens das zweite "TV-Duell", bei dem Edmund Stoiber ebenso verzweifelt wie erfolglos versuchte, die Wirtschaftspolitik wieder auf die Tagesordnung zu setzen, zweitens die Aufholjagd von Rot-Grün in den in kurzen Abständen publizierten Meinungsumfragen und drittens die von Jürgen Möllemann veranlasste Verteilung eines umstrittenen Faltblatts, welches der FDP wieder mehr - aber eben vor allem negative - Medienpräsenz eintrug.

Wegen der Querelen innerhalb der FDP war Guido Westerwelle der einzige Spitzenkandidat, der gegen Ende des Wahlkampfes das Medienbild seiner Partei nicht maßgeblich prägen konnte. Während sich im September mehr als 35 Prozent aller Aussagen über die Grünen auf Joschka Fischer bezogen, kam Guido Westerwelle bei der Berichterstattung der FDP lediglich auf 22 Prozent. Am deutlichsten prägte jedoch Gerhard Schröder das Medienbild seiner Partei. Mehr als 57 Prozent aller Aussagen über die SPD entfielen auf ihn. Damit wurde über ihn häufiger berichtet als über alle anderen SPD-Politiker zusammen. Durch die Konzentration der SPD auf den Kanzler wurde zum einen der Versuch unternommen, als Partei vom positiven Image Gerhard Schröders zu profitieren. Zum anderen ist es bei einer solchen kommunikativen Fokussierung auf eine Person leichter, Botschaften konsistent und kontrolliert zu platzieren. Edmund Stoiber hatte es da wesentlich schwerer. Vom ihm stammen lediglich 38 Prozent des Medienbildes der Union. Neben ihm meldeten sich zahlreiche andere Unions-Akteure zu Wort. Dies erschwerte ein kontrolliertes Themenmanagement.

Die personelle Zuspitzung, die die Parteien und die Medien am Ende des Wahlkampfes betrieben haben, ist jedoch nicht mit einer Entsachlichung gleichzusetzen. Interessanterweise ist der Anteil der Sachaussagen an der Berichterstattung über die Spitzenpolitiker sogar geringfügig größer als der Anteil der Sachaussagen an der Berichterstattung über die Parteien (42 versus 38 Prozent). Die Berichterstattung über die SPD und Gerhard Schröder sowie über die Union und Edmund Stoiber ist in gleichem Maße von Sachaussagen geprägt - jeweils etwa 40 Prozent entfallen auf thematische Positionen der Parteien bzw. ihrer Kandidaten. Die FDP drang hingegen mit Sachaussagen kaum in die Berichterstattung vor (27 Prozent). Der "Spaßwahlkampf" führte zwar zunächst zu der erwünschten Aufmerksamkeit - allerdings zu Lasten der Sachaussagen. Und die vielfachen Möllemann-Äußerungen lenkten ebenfalls von den Sachthemen der FDP ab. Oder anders formuliert: Die FDP war primär mit sich selbst und ihrer Wahlkampfführung - "Projekt 18" und Kanzlerkandidat - beschäftigt statt klarzumachen, für welche inhaltlichen Positionen sie steht. Das Themenmanagement der Liberalen ist gründlich misslungen.

Ganz anders war dies bei den Grünen: In fast der Hälfte aller Aussagen über die Grünen und Joschka Fischer erfuhren die Zeitungsleser und Fernsehzuschauer etwas über deren Sachpositionen. Da die Grünen zudem ihre inhaltlichen Standpunkte im Bereich der Außenpolitik - die in der Endphase des Wahlkampfes starke mediale Präsenz erfuhr - über den in der Bevölkerung beliebten Joschka Fischer transportierten, kann man von einem gelungenen Themenmanagement sprechen.

V. Medien-Agenda, Medientendenz und Wahlabsicht

Die Zusammensetzung der Medien-Agenda schlägt sich auch in der Medientendenz nieder, also in der medialen Gesamtbewertung der Parteien und ihrer Kandidaten. Ob die Regierung oder die Opposition in den Medien besser abschneidet, hängt wesentlich vom thematischen Umfeld der Berichterstattung ab. Im Juli, als die Medien in nennenswertem Umfang über den Arbeitsmarkt und die Wirtschaftslage in Deutschland berichteten, ging die Bewertung von Union und FDP deutlich nach oben (vgl. Abbildung 4, s. PDF Version). Mit der Verdrängung des Themas durch die Irak-Debatte verschlechterte sich auch die mediale Bewertung der Opposition. Im Gegenzug stieg hingegen die Bewertung der Regierung, die noch im Juli ihren Tiefpunkt erreicht hatte: Den 6,5 Prozent positiven Aussagen standen im Juli 16,9 Prozent negative Aussagen gegenüber. Bis zum September verringerte sich die Kluft von 10,4 Prozentpunkten auf nur noch 4 Prozentpunkte. Damit stand die Regierung kurz vor der Wahl besser da als die Opposition. Dies ist nicht nur auf die gestiegene Medienpräsenz der Außenpolitik zurückzuführen - auch die Probleme der FDP sowie die für die Regierung verbesserten Umfragewerte trugen zu der steigenden Medientendenz bei.

Die Medientendenz ist ihrerseits ein wichtiger Orientierungspunkt für die noch unentschiedenen Wähler. Auch kann sie die Mobilisierung der Wechselwähler beeinflussen. Mit medialem Rückenwind lässt es sich an den Infoständen der eigenen Partei und auf Wahlveranstaltungen besser "kämpfen". So schlägt sich die Medientendenz denn auch in der Wahlabsicht nieder. Dabei ist für die Wahlabsicht in den letzten Wochen vor der Wahl nicht nur die aktuelle Berichterstattung von Bedeutung, sondern auch das Medienbild, das sich in den drei einer Umfrage vorausgehenden Wochen gebildet hat. Die Kumulation der Berichterstattung kann vorhandene Trends in der Bevölkerung verstärken - gelegentlich sogar anstoßen.

So ging der Aufholjagd der Regierung in der Wahlabsichtsfrage eine in der letzten Juli-Woche (30. Woche) beginnende Verbesserung der Medientendenz voran. Mitte August (34. Woche) war der Drei-Wochen-Wert der Regierung dann besser als der Drei-Wochen-Wert der Opposition. Zwei Wochen später, Anfang September, konnte die Regierung in der Wahlabsichtsfrage erstmals die Opposition überholen (vgl. Abbildung 5, S. 46, s. PDF Version). Obwohl sich die Bewertungen von Union und FDP einerseits sowie von SPD und Grünen andererseits in den beiden letzten Wochen vor der Wahl wieder leicht aneinander annäherten, reichte der Schub, den die Regierung in der Berichterstattung zwischen der 30. und der 36. Woche erfahren hatte, aus, um als Sieger die Ziellinie zu überqueren.

VI. Permanentes Themenmanagement?

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Bis zur nächsten Bundestagswahl ist es zwar - aller Voraussicht nach - noch eine Weile hin. Aber in einem föderalen System wie der Bundesrepublik kann sich die Regierung nach einer gewonnenen Bundestagswahl keine kommunikative Verschnaufpause und schon gar keine Kommunikationsschnitzer leisten. Sie könnte dafür bereits bei der nächsten Landtagswahl bestraft werden. Der Absturz, den die SPD derzeit in den Meinungsumfragen erlebt, zeigt, dass sich kommunikative Anstrengungen nicht nur auf den Wahlkampf beschränken dürfen. Politische Entscheidungen - erst recht, wenn es sich um unpopuläre Maßnahmen wie die Erhöhung der Rentenbeiträge oder um Leistungseinschränkungen im Gesundheitssystem handelt - müssen kommunikativ begleitet werden. Die Gründe für diese Maßnahmen müssen den Menschen erläutert, es muss um Verständnis und Unterstützung für die Entscheidungen geworben werden. Dabei geht es nicht um ein permanentes politisches Themenmanagement, mit dem versucht wird, die Themen-Agenda der Berichterstattung zu seinen eigenen Gunsten zu beeinflussen - sondern es geht um Überzeugungsarbeit.

Die Enttäuschung vieler Bürger über das Verhalten der Bundesregierung zeigt aber auch, dass Journalisten nicht erst nach der Wahl, sondern schon davor eine überwiegend an politischen Sachthemen orientierte Berichterstattung pflegen sollten. Oder war etwa nicht schon vor der Wahl bekannt, dass die Bundesrepublik die Brüsseler Drei-Prozent-Hürde reißen würde? War nicht schon vor der Wahl bekannt, dass die Rentenfinanzierung bei der derzeitigen Beschäftigungslage nicht ohne Beitragserhöhungen auskommen kann? Die Regierung hat im September solche für sie ungünstigen Themen von der Medien-Agenda verdrängen können. Journalisten haben sich nicht durch Recherche, durch Nachfragen und durch Insistieren auf diese Themen zur Wehr gesetzt. Stattdessen wurde ausführlich über die Siegchancen der Parteien, über den Gewinner der "TV-Duelle" und über den "deutschen Sonderweg" von Kanzler Schröder in der Irak-Frage berichtet.

Mehr Berichterstattung über Sachthemen, weniger Horse-Race-Journalism - das würde die Wählerinnen und Wähler vor Wahlen in die Lage versetzen, sich ein Bild von der Kompetenz der Parteien und ihres Führungspersonals zu machen. Deren Bewertung hängt maßgeblich von dem Themen-Set der Berichterstattung ab. Zwar lässt sich der Wahlausgang nicht alleine - ja, vielleicht noch nicht einmal hauptsächlich - durch die Medienberichterstattung erklären. Langfristige Traditionen und die nach wie vor zahlreich vorhandenen Bindungen von Wählerinnen und Wählern an eine Partei spielen eine größere Rolle. Aber auch Stammwähler wollen erst einmal mobilisiert werden. Die richtigen Wahlkampfthemen sind dafür mitentscheidend. Und die Wechselwähler, zumal diejenigen, die sich erst sehr kurz vor der Wahl entscheiden, nutzen die in den Medien dominierenden Themen als Maßstab zur Beurteilung der Parteien und Politiker. Bei einem knappen Wahlausgang kann es daher entscheidend sein, welche Themen unmittelbar vor der Wahl "gespielt" werden. Die Bundestagswahl 2002 hat nicht zuletzt dies unter Beweis gestellt: Ohne ein aktives Gestalten des kommunikativen Umfeldes - ohne Agenda-Setting, Agenda-Cutting und Agenda-Surfing - lässt sich die Wahl nicht gewinnen; selbst dann nicht, wenn man, wie die Union, in den langfristig wichtigsten Themenfeldern als die kompetentere Partei angesehen wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. u. a. Angus Campbell/Philip E. Converse/Warren E. Miller/Donald E. Stokes, The American Voter, New York u. a. 1960.

  2. Vgl. Frank Brettschneider, Spitzenkandidaten und Wahlerfolg. Personalisierung - Kompetenz - Parteien. Ein internationaler Vergleich, Wiesbaden 2002.

  3. Vgl. Paul F. Lazarsfeld/Bernard Berelson/Hazel Gaudet, The People‘s Choice. How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign, New York-London 1968³ (Erstauflage 1944).

  4. Vgl. Winfried Schulz, Wahlkampf unter Vielkanalbedingungen. Kampagnenmanagement, Informationsnutzung und Wählerverhalten, in: Media Perspektiven, (1998) 8, S. 378 - 391.

  5. Vgl. ebd., S. 385.

  6. Vgl. Peter Radunski, Wahlkämpfe. Moderne Wahlkampfführung als politische Kommunikation, München-Wien 1980.

  7. Vgl. John R. Zaller, The Nature and Origins of Mass Opinion, Cambridge 1992.

  8. Hans Mathias Kepplinger u. a., Der Einfluss der Fernsehnachrichten auf die politische Meinungsbildung, Freiburg-München 1989, S. 75; ähnlich: Shanto Iyengar/Donald R. Kinder, News That Matters. Television and American Opinion, Chicago-London 1987.

  9. Untersucht werden lediglich Parteien, die in Fraktionsstärke in den neuen Bundestag eingezogen sind.

  10. Ich danke dem "Medien Tenor", insbesondere Markus Rettich und Roland Schatz, für den Zugang zu den Daten (www.medien-tenor.de).

  11. Vgl. Markus Rettich, Wahlempfehlungen - eine Frage der Glaubwürdigkeit. Die meinungsführenden Medien neigen bestimmten Parteien zu: Das sind implizite Wahlempfehlungen, in: Medien Tenor, 9 (2002) 125, S. 10 - 13.

  12. Ich danke FORSA, insbesondere Manfred Güllner und Sigrid Beeske, für den Zugang zu den Daten.

  13. Vgl. Infratest dimap Deutschland-Trend (www.infratest-dimap.de/politik/deutschlandtrend/dt0210/default.htm).

  14. Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann, Kumulation, Konsonanz und Öffentlichkeitseffekt, in: Publizistik, 18 (1973) 1, S. 26 - 55.

Dr. rer. pol., geb. 1965; seit 2001 Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Augsburg

Anschrift: Universität Augsburg, Kommunikationswissenschaft, Universitätsstaße 10, 86135 Augsburg.
E-Mail: E-Mail Link: brettschneider@web.de

Veröffentlichungen u.a.: Wahlen in der Mediengesellschaft. Der Einfluss der Massenmedien auf die Parteipräferenz, in: U. von Alemann / S. Marschall (Hrsg.), Parteien in der Mediendemokratie, Wiesbaden 2002.