Einleitung
Der Mauerbau in Berlin führte im Sommer und Herbst 1961 zu einer gefährlichen Eskalation des Ost-West-Konflikts und zu einer ernsthaften Belastung für den Frieden in der Welt. Es bedurfte allerdings noch einer weiteren Krise, um die Mächte in Ost und West von der Notwendigkeit einer Entspannung zu überzeugen. Diese Krise entwickelte sich im Herbst 1962 in der Karibik.
Kuba-Krise
Am Morgen des 14. Oktober 1962 fotografierte ein amerikanisches U-2-Aufklärungsflugzeug erste Spuren einer entstehenden Basis für sowjetische Mittelstreckenraketen in der Bucht von St. Cristobal auf Kuba. Am Abend des 15. Oktober waren sich die Experten sicher, daß es sich um den Aufbau von Raketenbasen handelte. Weitere Ermittlungen ergaben, daß Abschußrampen für 16 bis 24 Raketen vorgesehen waren, die in etwa 14 Tagen einsatzbereit sein würden und Raketen mit einer Reichweite von rund 1000 Seemeilen (etwa 1800 Kilometer) aufnehmen konnten. Aus den Photografien war ersichtlich, daß Raketen bereits vorhanden waren; Hinweise auf Atomsprengköpfe gab es noch nicht.
In den nächsten Tagen erfolgte in Geheimbesprechungen der amerikanischen Regierung die Planung des Gegenzugs. Dabei konzentrierte man sich bald auf zwei Möglichkeiten:
- Der Plan eines Luftangriffs zur Vernichtung der Raketen und Abschußrampen wurde zunächst mit Priorität verfolgt, angesichts der Risiken später jedoch zurückgestellt.
- Als Alternative dazu wurde eine Blockade Kubas erwogen, um weitere Raketentransporte zu unterbinden und der Sowjetunion den nötigen Handlungsspielraum zu geben, die schon auf Kuba befindlichen Raketen wieder abzuziehen.
Am Abend des 22. Oktober hielt Präsident Kennedy eine Fernsehrede, in der er der Weltöffentlichkeit erstmals von der Existenz sowjetischer Angriffsraketen auf Kuba Mitteilung machte und zugleich die Entschlossenheit der amerikanischen Regierung bekundete, von der Sowjetunion den Abzug der Raketen zu verlangen. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, habe er als ersten Schritt eine "Quarantäne" über Kuba verhängt. Weitere Aktionen würden folgen, wenn der Aufbau weitergehen sollte. Zugleich richtete Kennedy einen Appell an Chruschtschow und an das kubanische Volk, die Raketen abzubauen.
Die juristische Absicherung der verkündeten Maßnahmen erfolgte von der US-Regierung mit dem Hinweis, die "Quarantäne" sei "eine neue Form von Vergeltungsmaßnahme, ein Akt der nationalen und kollektiven Selbstverteidigung gegen eine Aggressionshandlung entsprechend der UN- und OAS-Charta und entsprechend dem Vertrag von Rio von 1947". Tatsächlich sahen die Charta der Vereinten Nationen sowie die Charta der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und der am 30. August 1947 geschlossene Interamerikanische Beistandspakt von Rio de Janeiro ein Recht auf Selbstverteidigung vor, wenn ein Land durch den Angriff eines anderen Landes bedroht war. Die Selbstverteidigung konnte sowohl "national" (durch das bedrohte Land selber) als auch "kollektiv" (im Rahmen eines Bündnisses) geschehen. Die amerikanische Regierung führte nun gleich beide Möglichkeiten ins Feld.
Raketenabzug
Von der UdSSR dagegen wurde die Quarantäne am 23. Oktober schlicht als "Piraterie" verurteilt. Allerdings beugte sich die sowjetische Regierung schließlich dem amerikanischen Druck, als Chruschtschow am 26. und 27. Oktober in zwei Briefen an Präsident Kennedy den Abzug der Raketen unter Aufsicht der UNO anbot, wenn die USA sich verpflichteten, keine Invasion Kubas vorzunehmen und die amerikanischen "Jupiter"-Raketen in der Türkei abzubauen. Die USA ließen sich auf diesen Tauschhandel zwar nicht offen ein, da er nach einem Erfolg der sowjetischen Raketen-Politik ausgesehen hätte. Inoffiziell stellte Präsident Kennedy dem Kreml aber den Abzug der amerikanischen Raketen aus der Türkei inner- halb der nächsten Monate in Aussicht. Chruschtschow ordnete daraufhin den sofortigen Abbau der Basen auf Kuba an. Die Krise war beendet, ein drohender Atomkrieg in letzter Minute glücklich vermieden worden.
Wie nahe die Welt damals am Rande eines mit Atomwaffen geführten Dritten Weltkrieges gestanden hatte, wurde erst in jüngster Zeit erkennbar. General Anatolij Iwanowitsch Gribkow, der damals an der "Operation Anadyr" - der Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba - maßgeblich beteiligt war, schrieb dazu in seinen Memoiren: "Es muß offen gesagt werden, daß damals das globale Kräfteverhältnis sehr zuungunsten der Sowjetunion ausfiel. Doch auch mit der Stationierung der Mittelstreckenraketen auf Kuba veränderte sich praktisch nichts - während sich die Gefahr einer nuklearen Katastrophe vervielfachte. Deshalb bin ich zutiefst überzeugt, daß die Stationierung der Raketen auf Kuba ein Fehler war."
Die Kuba-Krise schärfte das Bewußtsein für die Notwendigkeit einer Politik der nuklearen Kooperation und der Kriegsverhütung zur Sicherung des Überlebens der Menschheit. Die Krise wurde zu einem Wendepunkt im Kalten Krieg und führte direkt zur Wiederaufnahme und Forcierung der Gespräche über Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung, wie sie von Präsident Kennedy vorgeschlagen worden waren. Damit begann schließlich eine umfassende Entspannungspolitik zwischen Ost und West, mit der eine neue Ära in den internationalen Beziehungen eingeleitet wurde.
Rüstungs-Kontrollpolitik
Rüstungskontrollverhandlungen hatte es bereits während der fünfziger Jahre - vornehmlich im Rahmen der UN-Abrüstungskommission - gegeben. Sie waren aber nach dem Abschuß eines amerikanischen U-2-Aufklärungsflugzeuges über der Sowjetunion und dem Scheitern der Pariser Gipfelkonferenz im Mai 1960 unterbrochen worden. Die Einsicht, daß ein selbstzerstörerischer Nuklearkrieg vermieden werden müsse und daß zu diesem Zweck eine Kontrolle der Rüstungen notwendig sei, war also keineswegs neu. Die Kuba-Krise hatte bewirkt, daß die Verhandlungen nicht nur wiederaufgenommen, sondern auch intensiviert wurden. Bereits wenige Monate später, im Juni bzw. August 1963, konnte daraufhin der Abschluß erster Rüstungskontrollvereinbarungen gemeldet werden.
Dabei ging es zunächst weniger um die Verminderung bestehender militärischer Potentiale, als vielmehr darum, die militärische Lage von unnötigen Risiken zu befreien und die Verbreitung von Kernwaffen einzudämmen. So sollte vor allem die Gefahr eines "zufälligen" Kriegsausbruchs als Folge eines Mißverständnisses, menschlichen Versagens oder technischen Defektes beseitigt werden. Außerdem wollte man die Nukleartests einschränken, um die schweren Umweltschäden, die dadurch verursacht wurden, zu verringern.
Dem ersten Ziel suchten die USA und die Sowjetunion am 20. Juni 1963 mit der Einrichtung eines "Heißen Drahtes" - einer direkten Fernschreibverbindung zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml - näherzukommen. Während der Kuba-Krise hatten Kennedy und Chruschtschow sich noch umständlich durch den Austausch von Briefen bzw. über Rundfunk und Fernsehen verständigen müssen. Im Raketenzeitalter, in dem innerhalb weniger Minuten über das Schicksal von Millionen Menschen entschieden wurde, mußten entsprechende Methoden der Kommunikation zwischen den Weltmächten gefunden werden. Klarheit über die Absichten der Gegenseite war mit dem alten System kaum oder nur verspätet zu gewinnen. Mißverständnisse mit verhängnisvollen Konsequenzen für die gesamte Menschheit konnten die Folge sein. Schnelle und zuverlässige Nachrichtenverbindungen waren deshalb notwendig, um mehr Sicherheit durch bessere Information zu schaffen.
Strategie für den Frieden
Nur eineinhalb Monate später, am 5. August 1963, wurde zwischen den USA, der Sowjetunion und Großbritannien eine zweite Rüstungskontrollvereinbarung unterzeichnet: das Abkommen über die teilweise Beendigung der Kernwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser. Dieser begrenzte Teststoppvertrag sollte Mensch und Umwelt vor einer weiteren radioaktiven Verseuchung schützen und gleichzeitig die Nichtkernwaffenstaaten daran hindern, durch Kernwaffenversuche nachträglich zu Kernwaffenstaaten aufzusteigen. Den Staaten, die bereits über Kernwaffen verfügten, war es jedoch weiterhin erlaubt, unterirdische Atomversuche durchzuführen, so daß eine Verlagerung der Tests aus der Atmosphäre unter die Erde abzusehen war. Da außerdem kein Staat gezwungen werden konnte, dem Vertrag beizutreten, war überdies damit zu rechnen, daß er nur von den Ländern unterzeichnet werden würde, die ohnehin nicht beabsichtigten, sich Nuklearpotentiale zuzulegen.
Dennoch waren diese ersten Schritte einer Ost-West-Rüstungskontrollpolitik wichtige Etappen auf dem Weg zur Verringerung der nuklearen Kriegsgefahr. Für Präsident Kennedy waren sie nur Teil einer umfassenden "Strategie des Friedens", die er am 10. Juni 1963 in einer Rede vor der Washington Universität verkündet hatte: "Ich spreche vom Frieden, weil der Krieg ein neues Gesicht bekommen hat. Ein totaler Krieg ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem Großmächte umfassende und verhältnismäßig unverwundbare Atomstreitkräfte unterhalten können und sich weigern, zu kapitulieren, ohne vorher auf diese Streitkräfte zurückgegriffen zu haben. Er ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem eine einzige Atomwaffe fast das Zehnfache an Sprengkraft aller Bomben aufweist, die von den gesamten alliierten Luftstreitkräften während des Zweiten Weltkrieges abgeworfen wurden. Und er ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem die bei einem Atomkrieg freigesetzten tödlichen Giftstoffe von Wind und Wasser, Boden und Saaten bis in die entferntesten Winkel des Erdballs getragen und sich selbst auf die noch ungeborenen Generationen auswirken würden. [...] Kurz gesagt: Beide, die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten sowie die Sowjetunion und ihre Verbündeten, [...] haben ein gemeinsames, tiefes Interesse an einem gerechten und wirklichen Frieden und einer Einstellung des Wettrüstens. Abkommen, die zu diesem Ziel führen, sind im Interesse der Sowjets wie auch im unsrigen."
QuellentextFrieden für alle Menschen
Rede des amerikanischen Präsidenten J. F. Kennedy vor der Universität Washington, 10. Juni 1963
[...] Ich habe daher diesen Zeitpunkt und diesen Ort gewählt, um ein Thema zu erörtern, über das zu oft Unwissenheit herrscht und bei dem die Wahrheit zu selten gesehen wird - und doch ist es eines der wichtigsten Themen auf Erden: der Weltfrieden.
Welche Art von Frieden meine ich? Nach welcher Art von Frieden streben wir? Nicht nach einer Pax Americana, die der Welt durch amerikanische Kriegswaffen aufgezwungen wird. Nicht nach dem Frieden des Grabes oder der Sicherheit des Sklaven. Ich spreche hier von dem echten Frieden - jenem Frieden, der das Leben auf Erden lebenswert macht, jenem Frieden, der Menschen und Nationen befähigt, zu wachsen und zu hoffen und ein besseres Leben für ihre Kinder aufzubauen, nicht nur ein Friede für Amerikaner, sondern ein Friede für alle Menschen. Nicht nur Frieden in unserer Generation, sondern Frieden für alle Zeiten.
Ich spreche vom Frieden, weil der Krieg ein neues Gesicht bekommen hat. Ein totaler Krieg ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem Großmächte umfassende und verhältnismäßig unverwundbare Atomstreitkräfte unterhalten können und sich weigern, zu kapitulieren, ohne vorher auf diese Streitkräfte zurückgegriffen zu haben. Er ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem eine einzige Atomwaffe fast das Zehnfache an Sprengkraft aller Bomben aufweist, die von den gesamten alliierten Luftstreitkräften während des Zweiten Weltkrieges abgeworfen wurden. Und er ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem die bei einem Atomkrieg freigesetzten tödlichen Giftstoffe von Wind und Wasser, Boden und Saaten bis in die entferntesten Winkel des Erdballs getragen und sich selbst auf die noch ungeborenen Generationen auswirken würden. Es ist heute, wenn der Friede gewahrt werden soll, unerläßlich, jedes Jahr Milliarden von Dollar für Waffen auszuwerfen, die lediglich zu dem Zweck geschaffen werden, sicherzustellen, daß wir sie niemals einzusetzen brauchen. Aber zweifellos ist die Anlage solcher unnützer Arsenale, die nur der Vernichtung und niemals dem Aufbau dienen können, nicht der einzige, geschweige denn der wirksamste Weg zur Gewährleistung des Friedens.
Ich spreche daher vom Frieden als dem zwangsläufig vernünftigen Ziel vernünftiger Menschen. Ich bin mir bewußt, daß das Streben nach Frieden nicht so dramatisch ist wie das Streben nach Krieg - und oft treffen die Worte desjenigen, der nach Frieden strebt, auf taube Ohren. Und doch gibt es keine dringlichere Aufgabe für uns.
Manche sagen, es sei zwecklos, von Weltfrieden, internationalem Recht oder internationaler Abrüstung zu sprechen - und alles sei nutzlos, solange die Führer der Sowjetunion keine aufgeschlossenere Haltung einnehmen. Ich hoffe, sie werden dies tun. Ich glaube, wir können ihnen dabei helfen. Aber ich glaube auch, daß wir unsere eigene Haltung überprüfen müssen - als Einzelperson und als Nation -, denn unsere Einstellung ist genauso wichtig wie die ihre. [...]
Lassen Sie uns zunächst unsere Haltung gegenüber dem Frieden selbst überprüfen. Zu viele von uns halten ihn für unmöglich. Zu viele von uns halten ihn für nicht zu verwirklichen. Aber das ist ein gefährlicher, defätistischer Glaube. Er führt zu der Schlußfolgerung, daß der Krieg unvermeidlich ist, daß die Menschheit zum Untergang verurteilt ist, daß wir uns in der Gewalt von Kräften befinden, die wir nicht kontrollieren können.
Wir brauchen diese Ansicht nicht zu akzeptieren. Unsere Probleme sind von Menschen geschaffen, deshalb können sie auch von Menschen gelöst werden. Die Größe, die der menschliche Geist erreichen kann, bestimmt der Mensch selbst. Kein schicksalhaftes Problem der Menschheit liegt außerhalb der Reichweite des Menschen. Die menschliche Vernunft und der menschliche Geist haben oftmals das scheinbar Unlösbare gelöst - und wir glauben, daß sie dies erneut tun können.
Ich spreche jetzt nicht von der absoluten, nicht mehr faßbaren Idee des Weltfriedens und des guten Willens, von der einige Phantasten und Fanatiker immer noch träumen. Ich leugne nicht den Wert von Hoffnungen und Träumen, aber wir würden lediglich Entmutigung und Ungläubigkeit Tür und Tor öffnen, wenn wir das zu unserem einzigen und unmittelbaren Ziel machen würden.
Wir sollten uns statt dessen auf einen praktischeren, erreichbareren Frieden konzentrieren, der nicht auf einer plötzlichen Revolution der menschlichen Natur, sondern auf einer allmählichen Evolution der menschlichen Institutionen basiert - auf einer Reihe von konkreten Maßnahmen und wirksamen Übereinkünften, die im Interesse aller Betroffenen liegen.
Für diesen Frieden gibt es keinen einfachen Schlüssel, keine großartige oder magische Formel, die sich eine oder zwei Mächte aneignen könnten. Der echte Friede muß das Produkt vieler Nationen sein, die Summe vieler Maßnahmen. Er muß dynamisch, nicht statisch sein, er muß flexibel sein, um den großen Aufgaben einer jeden Generation zu entsprechen. Denn der Friede ist ein Prozeß - ein Weg, Probleme zu lösen. [...]
Quelle: Ernst-Otto Czempiel/Carl-Christoph Schweitzer: Weltpolitik der USA nach 1945, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1987, S. 277 ff.
Teststoppvertrag
Doch Kennedy konnte nur noch wenig dazu beitragen, die "Strategie des Friedens" zu verwirklichen. Nach Einrichtung des "Heißen Drahtes" und der Unterzeichnung des begrenzten Teststoppvertrages wurde er im November 1963 ermordet.
Sein Nachfolger Lyndon B. Johnson verfolgte das bereits mit dem Teststoppvertrag anvisierte Ziel der "Nichtverbreitung" weiter. Ein Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (non-proliferation), dem alle Staaten der Welt beitreten sollten, wurde am 1. Juli 1968 gleichzeitig in Washington, Moskau und London unterzeichnet. Es beruhte auf Gegenseitigkeit, indem sich die Kernwaffenmächte verpflichteten, Nuklearwaffen nicht weiterzugeben und mit Gesprächen über die Begrenzung ihrer eigenen Kernwaffenbestände zu beginnen. Die Nichtkernwaffenmächte verzichteten darauf, solche Waffen anzunehmen, zu erwerben, zu lagern oder herzustellen.
Der Nichtverbreitungsvertrag hielt somit die Zahl der Atommächte in engen, überschaubaren Grenzen, um die Rationalität und Kalkulierbarkeit des Systems der gegenseitigen nuklearen Abschreckung zu erhalten und ein verantwortungsloses Spiel mit der Bombe zu verhindern, ehe dann in einem zweiten Schritt die Arsenale der Nuklearmächte begrenzt und schließlich reduziert werden sollten.
Die Schwäche der Vertragspolitik bestand jedoch darin, daß - wie beim begrenzten Teststopp von 1963 - kein Staat zur Unterzeichnung verpflichtet werden konnte. Außer Frankreich und China, die die Nichtverbreitungspolitik von vornherein abgelehnt hatten, blieben auch wichtige "Schwellenländer", denen der Bau von Kernwaffen zugetraut werden konnte - wie Indien, Pakistan oder Brasilien -, dem Vertrag fern.
Vietnam-Krieg
Die Verhandlungen über den Nichtverbreitungsvertrag waren jedoch nicht nur technisch schwierig, sondern wurden auch von der zunehmenden Verstrickung der USA im Vietnam-Krieg überschattet. Aus 20000 "Militärberatern", die unter Kennedy nach Indochina entsandt worden waren, um zu verhin-dern, daß sich von Vietnam aus kommunistische Regime über ganz Südostasien ausbreiteten (Domino-Theorie), wuchs unter Johnson eine Armee mit mehr als 500000 Soldaten an. Sie kämpften unmittelbar nur gegen den Vietcong, indirekt aber auch gegen die Sowjetunion und China, die Nordvietnam unterstützten. Die Entspannungspolitik, die sich im Juni 1963 bereits anzudeuten schien, war unter diesen Umständen nicht mehr tragfähig. Es kam zu einem "weltpolitischen Umweg" (Richard Löwenthal), der erst 1969 zu Ende ging.
Der Krieg in Indochina wurde bereits seit den vierziger Jahren geführt. Nachdem Ho Chi Minh am 2. September 1945 die Unabhängigkeit der "Demokratischen Republik Vietnam" ausgerufen hatte, versuchte Frankreich, seine alte Kolonialherrschaft wieder zu errichten. Im November 1946 kam es deshalb zum offenen Krieg, der erst nach der mit dem Fall von Dien Bien Phu sichtbar gewordenen militärischen Niederlage Frankreichs durch das Genfer Indochina-Abkommen vom 20. Juli 1954 beendet wurde.
Das Abkommen war ein Kompromiß, bei dem die USA und Großbritannien, aber auch die Sowjetunion und China dafür sorgten, daß Frankreich sein Gesicht wahren konnte. So wurde nur der Norden des Landes unter die sofortige Herrschaft Ho Chi Minhs gestellt, während das Gebiet südlich des 17. Breitengrades zum französischen Einflußgebiet erklärt wurde. Ho Chi Minh stimmte schließlich unter dem Druck der Sowjetunion und Chinas dieser Teilung Vietnams zu - allerdings nur mit der Aussicht auf gesamtvietnamesische Wahlen innerhalb von zwei Jahren. Für Laos und Kambodscha wurde Neutralität vereinbart.
Die Wiedervereinigung Vietnams sollte somit durch allgemeine freie Wahlen bis 1956 zustande kommen. Da sich dabei mit großer Wahrscheinlichkeit Ho Chi Minh in ganz Vietnam durchgesetzt hätte, bestand jedoch weder bei der südvietnamesischen Regierung unter Ngo Dinh Diem noch bei den USA sonderliches Interesse an den Wahlen, die deshalb nicht stattfanden. Im Dezember 1960 schlossen sich daraufhin einzelne Widerstandsgruppen in Südvietnam zur "Nationalen Befreiungsfront" (FNL) zusammen, die mit Unterstützung Nordvietnams zum Krieg gegen die Regierung in Südvietnam antraten. Da Ho Chi Minh und Nordvietnam als kommunistisch galten und von der Sowjetunion und China mit Waffen beliefert wurden, griffen die USA bald immer massiver auf seiten Südvietnams in die Kämpfe ein, so daß der Vietnam-Krieg zu einer direkten Konfrontation zwischen Ost und West ausuferte. Die USA kämpften dabei nicht nur in Südvietnam, sondern bombardierten auch den Norden des Landes, einschließlich der Hauptstadt Hanoi, um Nachschub und Moral des Gegners zu zerstören.
QuellentextAmerikanischer Einsatz
Rede des Präsidenten Johnson, 7. April 1965
Warum mußten wir diesen schmerzhaften Weg wählen? Warum mußte diese Nation ihre Ruhe, ihre Interessen und ihre Macht für das Heil eines so fernen Volkes aufs Spiel setzen?
Warum sind wir in Südvietnam?
[...] Wir sind dort, weil wir ein Versprechen zu halten haben. Seit 1954 hat jeder amerikanische Präsident dem Volk von Südvietnam Hilfe angeboten. Wir haben geholfen aufzubauen, wir haben geholfen zu verteidigen. Durch viele Jahre hindurch haben wir versprochen, Südvietnams Unabhängigkeit verteidigen zu helfen. Und ich beabsichtige, dieses nationale Versprechen zu halten. Das Versprechen zu mißachten, die kleine, tapfere Nation ihren Feinden und dem dann folgenden Terror preiszugeben, wäre ein unverzeihlicher Fehler.
Wir sind auch dort, um die Weltordnung zu stärken. Rund um die Erde, von Berlin bis Thailand, leben Völker, deren Wohlergehen zum Teil auf dem Glauben beruht, daß sie auf uns zählen können, wenn sie angegriffen würden. Vietnam seinem Schicksal zu überlassen, würde das Vertrauen aller dieser Völker in den Wert einer amerikanischen Verpflichtung und den Wert von Amerikas Wort erschüttern. Das Ergebnis wäre wachsende Unruhe und Unsicherheit, schließlich sogar Krieg.
Wir sind auch dort, weil es um hohe Einsätze für das Gleichgewicht geht. Niemand soll glauben, daß der Rückzug aus Vietnam das Ende des Konflikts brächte. Der Kampf würde in dem einen und dann dem anderen Land erneuert. Die wichtigste Lehre unserer Zeit ist, daß der Appetit der Aggression niemals befriedigt ist. Rückzug von dem einen Schlachtfeld bedeutet nur Vorbereitung des nächsten. Wir müssen in Südostasien wie in Europa mit den Worten der Bibel sagen: "Bis hierher und nicht weiter."
Es gibt Leute, die sagen, daß all unsere Anstrengungen nutzlos sein werden, daß Chinas Macht zwangsläufig Südostasien beherrschen muß. Aber für dieses Argument gibt es kein Ende, bis alle Nationen Asiens geschluckt sind. Es gibt Leute, die sich fragen, warum wir dort Verantwortung tragen. Nun, wir haben dort aus demselben Grund Verantwortung wie in Europa. Im Zweiten Weltkrieg kämpften wir sowohl in Europa als auch in Asien, und als er endete, fanden wir uns in fortdauernder Verantwortung für die Verteidigung der Freiheit. [...]
Quelle: W. Lautemann/M. Schlenke (Hrsg.), Die Welt seit 1945, a. a. O., S. 601 f.
Angesichts dieser Situation war an eine Fortsetzung der unter Präsident Kennedy begonnenen Friedenspolitik nicht mehr zu denken. Erst die unerwartet heftige kommunistische Tet-Offensive Ende Januar 1968 sowie die Einsicht Präsident Johnsons, daß der Krieg offenbar auch mit mehr als einer halben Million amerikanischer Soldaten nicht zu gewinnen war, bewirkten ein Umdenken: Am 31. März 1968 stellten die USA die Bombardierung Nordvietnams ein, um die wichtigste Bedingung des Nordens für die Aufnahme von Verhandlungen zur Beendigung des Krieges zu erfüllen, die daraufhin am 13. Mai 1968 in Paris begannen. Zugleich erklärte Präsident Johnson seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur für die Präsidentschaft. Damit war der Weg nicht nur für eine Lösung des Vietnam-Problems, sondern auch für eine politische Entspannung zwischen Ost und West frei.
Beginn der Entspannungspolitik
Die Entspannungspolitik, die 1969 begann, bemühte sich im Rahmen des Ost-West-Verhältnisses um eine Verbesserung der politischen Atmosphäre, um größere Rationalität und Transparenz im Rüstungswesen, um eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich von Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sowie um Erleichterungen im humanitären Bereich und um mehr Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen. Durch die Schaffung gegenseitiger Abhängigkeiten und durch Interessenverflechtung sollte ein Netz von Beziehungen geknüpft werden, das beiden Seiten Vorteile brachte, an dessen Aufrechterhaltung deshalb beide Seiten interessiert waren und dessen Zerstörung von keiner Seite ohne Beeinträchtigung wichtiger eigener Interessen unternommen werden konnte.
Anders als der Kalte Krieg, der den machtpolitischen und ideologischen Gegensatz zwischen Ost und West als gegeben, sogar als unvermeidlich hingenommen und lediglich den Gegner durch die Bereitstellung eines starken militärischen Drohpotentials von einem Angriff abzuschrecken gesucht hatte, war die Entspannungspolitik ein Versuch, den Spannungsgrad des Ost-West-Konflikts zu reduzieren und auf der Basis des Status quo zu einer Zusammenarbeit zu gelangen. Militärische Faktoren sollten eine zunehmend geringere Bedeutung bekommen und die militärische Konkurrenz schrittweise durch andere, friedlichere Formen des Wettbewerbs ersetzt werden.
Die Entscheidung zur Beendigung des Vietnam-Krieges war ein wichtiger Schritt zur Einleitung dieser neuen Politik. Mit dem Amtsantritt von Präsident Richard M. Nixon am 20. Januar 1969 und der Ernennung des Harvard-Professors Henry A. Kissinger zum Nationalen Sicherheitsberater der USA begann nun eine Phase der amerikanischen Außenpolitik, die einerseits durch die Suche nach einem "ehrenvollen Frieden" in Vietnam und andererseits durch Bemühungen um eine Annäherung an die Sowjetunion und China gekennzeichnet war. Die damit eingeleitete "Ära der Verhandlungen" bezog sich jetzt nicht mehr nur auf den Bereich der Rüstungskontrolle, sondern umfaßte bald ein weites Spektrum in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Die Sowjetunion war an solchen Verhandlungen ebenfalls interessiert, weil sie Ende der sechziger Jahre in der Entwicklung von lnterkontinentalraketen und in anderen Bereichen der Nuklearrüstung einen ungefähren Gleichstand mit den USA erreicht hatte, so daß es sinnvoll schien, diese "Parität" vertraglich festzuschreiben. Außerdem benötigte die stagnierende sowjetische Wirtschaft dringend den Import westlicher Technologie. Und im Mächtedreieck zwischen Moskau, Washington und Peking waren die Fronten nach Gefechten zwischen chinesischen und sowjetischen Grenztruppen am Ussuri im März 1969 und nach ersten Anzeichen einer Annäherung zwischen den USA und China so sehr in Bewegung geraten, daß der Sowjetunion auch in machtpolitischer Hinsicht daran gelegen sein mußte, sich rechtzeitig neu zu orientieren.
"Breschnew-Doktrin"
Die Risiken schienen dabei für die sowjetische Führung gering, weil sie gerade erst ihre Position im eigenen Lager entscheidend gefestigt hatte. Insbesondere die militärische Zerschlagung des "Prager Frühlings" - der Reformbestrebungen in der Tschechoslowakei - am 21. August 1968 wurde hierbei als Erfolg gesehen. Denn damit war die Entwicklung zum "Polyzentrismus" - d.h. zu politischer Vielgestaltigkeit - in Osteuropa, die sich außer in der Tschechoslowakei auch in der Außenpolitik Rumäniens seit etwa Mitte der sechziger Jahre gezeigt hatte, maßgeblich eingedämmt worden.
Zudem hatte die Verkündung der "Breschnew-Doktrin" über die "begrenzte Souveränität sozialistischer Länder" vom November 1968 allen Staaten im sowjetischen Machtbereich die Grenzen ihres Handelns unmißverständlich aufgezeigt. Denn die Doktrin erkannte der Sowjetunion - nach Ausführungen des sowjetischen Parteiideologen S. Kowaljow - das "Recht" zu, die Souveränität der verbündeten sozialistischen Länder praktisch nach Belieben einzuschränken. Sogar militärische Maßnahmen waren zulässig, wenn - wie Breschnew am 12. November 1968 auf dem V. Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei erklärte - der Sozialismus in einem Lande durch "direkte Aktionen" äußerer und innerer Feinde, "welche die gemeinsamen Interessen des sozialistischen Lagers gefährden", bedroht sei.
QuellentextDie Breschnew-Doktrin
Aus der Rede Leonid Breschnews auf dem V. Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, 12. November 1968:
Die sozialistischen Staaten setzen sich für die strikte Beachtung der Souveränität aller Länder ein, und wir wenden uns nachdrücklich gegen die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, gegen die Verletzung ihrer Souveränität.
Für uns Kommunisten sind dabei von besonders großer Bedeutung die Festigung und der Schutz der Souveränität der Staaten, die den Weg des sozialistischen Aufbaus beschritten haben. Die Kräfte des Imperialismus und der Reaktion trachten danach, die Völker einmal des einen und dann des anderen sozialistischen Landes ihres erkämpften souveränen Rechts zu berauben, den Aufstieg ihres Landes, das Wohlergehen und das Glück der breiten Massen der Werktätigen durch die Errichtung einer von jeder Unterdrückung und Ausbeutung freien Gesellschaft zu sichern. [...]
Es ist bestens bekannt, daß die Sowjetunion manches für die reale Stärkung der Souveränität und Selbständigkeit der sozialistischen Länder getan hat. Die KPdSU setzte sich immer dafür ein, daß jedes sozialistische Land die konkreten Formen seiner Entwicklung auf dem Wege zum Sozialismus unter Berücksichtigung der Eigenart seiner nationalen Bedingungen selbst bestimmte. Aber bekanntlich, Genossen, gibt es auch allgemeine Gesetzmäßigkeiten des sozialistischen Aufbaus, und ein Abweichen von diesen Gesetzmäßigkeiten könnte zu einem Abweichen vom Sozialismus im allgemeinen führen. Und wenn innere und äußere dem Sozialismus feindliche Kräfte die Entwicklung eines sozialistischen Landes zu wenden und auf eine Wiederherstellung der kapitalistischen Zustände zu drängen versuchen, wenn also eine ernste Gefahr für die Sache des Sozialismus in diesem Lande, eine Gefahr für die Sicherheit der ganzen sozialistischen Gemeinschaft entsteht - dann wird dies nicht nur zu einem Problem für das Volk dieses Landes, sondern auch zu einem gemeinsamen Problem, zu einem Gegenstand der Sorge aller sozialistischen Länder.
Begreiflicherweise stellt militärische Hilfe für ein Bruderland zur Unterbindung einer für die sozialistische Ordnung entstandenen Gefahr eine erzwungene, außerordentliche Maßnahme dar. Sie kann nur durch direkte Aktionen der Feinde des Sozialismus im Landesinnern und außerhalb seiner Grenzen ausgelöst werden, durch Handlungen, die eine Gefahr für die gemeinsamen Interessen des sozialistischen Lagers darstellen. [...]
Quelle: Europa-Archiv, XXIV. Jg. (1969), Folge 11, 10. Juni 1969, S. D 257 ff.
Was hier aus der Sicht innenpolitischer Reformer als unmißverständliche Drohung aufgefaßt werden mußte, war zugleich ein Bekenntnis zur Stabilität des sozialistischen Lagers. Stabilität jedoch galt 1969 in Ost und West als zentrale Vorbedingung für einen Dialog zwischen den Blöcken und damit als Voraussetzung für Entspannungspolitik.
Harmel-Bericht
Bestrebungen, den Kalten Krieg zu entspannen und die Zusammenarbeit zwischen Ost und West zu erweitern, gab es allerdings nicht nur bei den USA und der Sowjetunion, sondern auch bei ihren Verbündeten. Im Warschauer Pakt hatte diese Entwicklung unter anderem zur Bukarester Deklaration vom 6. Juli 1966 und zum Budapester Appell vom 17. März 1969 geführt, in denen "Maßnahmen zur Festigung der Sicherheit in Europa" und die Einberufung einer europäischen Sicherheitskonferenz gefordert worden waren. Auf westlicher Seite hatte die NATO im Dezember 1967 ihren Harmel-Bericht verabschiedet, in dem sich die Allianz gleichermaßen zur militärischen Verteidigung wie zur politischen Entspannung bekannt hatte ("Zwei-Pfeiler-Doktrin"), um, wie es in dem Bericht hieß, "eine gerechte und dauerhafte Friedensordnung in Europa mit geeigneten Sicherheitsgarantien zu erreichen".
Der Bericht war das Ergebnis von Beratungen eines Ausschusses, der im Dezember 1966 vom NATO-Rat eingesetzt worden war, um unter dem Vorsitz des belgischen Außenministers Pierre Harmel die Politik der Atlantischen Allianz angesichts einer veränderten außenpolitischen Lage zu überprüfen. Der Ausschuß hatte sich im Rahmen seiner Tätigkeit unter anderem mit Fragen der europäischen Sicherheit, mit dem Deutschland-Problem sowie mit der Verteidigungspolitik der Allianz und den Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit zwischen den westeuropäischen Staaten auseinandergesetzt. Er war dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß die Allianz "als dynamische und lebenskräftige Organisation" sich ständig den wechselnden Bedingungen der Weltpolitik anpassen müsse. Die NATO müsse sich nun sowohl um militärische Stärke als auch um politische Entspannung bemühen.
Dies alles trug dazu bei, den Boden für den Übergang zur Entspannungspolitik zu bereiten, bei der es ab 1969 darum ging, den Spannungsgrad des Ost-West-Konflikts zu reduzieren und auf der Grundlage des Status quo zu einer Zusammenarbeit zu gelangen, in der dem militärischen Faktor eine immer geringere Bedeutung zukommen und die militärische Konkurrenz schrittweise durch andere, friedlichere Formen des Wettbewerbs ersetzt werden sollte. Im einzelnen standen dabei eine Verbesserung der politischen Atmosphäre, Rüstungskontrolle und Abrüstung, eine verstärkte Zusammenarbeit in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sowie Erleichterungen im humanitären Bereich und mehr Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen auf dem Programm. Langfristig sollte dadurch ein engmaschiges Netz von Beziehungen entstehen, das von keiner Seite mehr ohne Beeinträchtigung wichtiger eigener Belange zerstört werden konnte und dessen Aufrechterhaltung deshalb von beiden Seiten dringend gewünscht werden würde.
Bonner Ostpolitik
Die Teilung Deutschlands war ein wesentliches Ergebnis des Ost-West-Konflikts und wurde zu einer ständigen Belastung und zu einem Hindernis für alle Bemühungen um eine Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses in Europa. In den fünfziger und sechziger Jahren unternommene Versuche, unter Ausklammerung oder Umgehung der deutschen Frage den Ost-West-Konflikt zu überwinden, waren gescheitert. Solange das Schicksal Deutschlands ungeklärt blieb oder nicht zumindest vorläufig geregelt wurde, erwies sich Entspannung als unmöglich.
Ende der sechziger Jahre wurden die erneuten Bemühungen um Entspannung deshalb mit Verhandlungen zur Regelung der Deutschland-Frage verknüpft. Das Interesse an Entspannung wurde dabei von beiden Seiten als Hebel eingesetzt, um Zugeständnisse zu erreichen und den Konflikt der Bundesrepublik mit der Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten zu beenden, in dem die Bundesrepublik nur bedingt - und in abnehmendem Maße - auf die Unterstützung der Westmächte rechnen konnte. Viele im Westen betrachteten den Streit der Deutschen bereits seit langem als Relikt des Kalten Krieges, das nicht mehr in die Welt des beginnenden Ost-West-Dialogs passen wollte. Die Politik der Konfliktregelung wurde nun aber durch die Bundestagswahl vom 28. September 1969 erleichtert, nach der eine sozial-liberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt und Außenminister Walter Scheel gebildet wurde, die in der inneren wie in der auswärtigen Politik der Bundesrepublik neue Akzente setzte.
Normalisierung eingeleitet
Die Ostpolitik begann freilich nicht erst unter Brandt und Scheel. Bereits am 13. September 1955 hatte Bundeskanzler Adenauer in der Sowjetunion die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik vereinbart. In den sechziger Jahren hatte es unter Bundeskanzler Ludwig Erhard und Außenminister Gerhard Schröder den Versuch einer stärkeren Öffnung nach Osten gegeben, um möglichst zu einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen, zumindest aber zu besseren Wirtschaftskontakten, mit den osteuropäischen Ländern zu kommen. Erhard und Schröder hatten sich jedoch nicht dazu durchringen können, die DDR gleichberechtigt in den Normalisierungsprozeß einzubeziehen. Vielmehr versuchten sie, die DDR zu isolieren, und hatten damit neben der Sowjetunion vor allem Polen und die DDR gegen sich aufgebracht, deren Verhältnis zur Bundesrepublik aufgrund der offenen Oder-Neiße-Frage und der Nichtanerkennung der DDR ohnehin besonders prekär war.
Diese Hypothek konnte auch die Ostpolitik der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger nicht abtragen. Obwohl Kiesinger in seiner Regierungserklärung am 13. Dezember 1966 gefordert hatte, man müsse "ohne Scheuklappen sehen, was ist", und auch bereit war, mit der DDR in direkten Kontakt zu treten, war man über einen Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Kiesinger und dem DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph sowie über Sondierungen mit der Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten über einen Gewaltverzicht nicht hinausgekommen. Nur eine Bundesregierung, die den Status quo in Europa - einschließlich der staatlichen Existenz der DDR - anerkannte, hatte offenbar eine Chance, die Bonner Ostpolitik aus ihrer Sackgasse herauszuführen. Erst die Regierung der sozial-liberalen Koalition im Herbst 1969 wagte diesen Schritt.