Einleitung
Jugendstrafvollzug ist für die Straftaten junger Menschen zuständig, auf welche mit Verhängung von Jugendstrafe ohne Bewährung reagiert wird. Dieser Anteil umfasst lediglich 6,7 Prozent aller jugendrichterlichen Verurteilungen.
Ziel des Vollzugs der Jugendstrafe ist insoweit allein die Legalbewährung, ein Leben ohne Straftaten, welches durch geeignete Angebote der Integrationsförderung erreicht werden soll. Dass der Jugendstrafvollzug ein nicht unproblematischer Ort zur Umsetzung dieses Ziels ist, zeigt schon der Hinweis des Verfassungsgerichtes, wonach gesetzliche Vorkehrungen dafür getroffen werden müssen, dass "innerhalb der Anstalten einerseits Kontakte, die dem positiven sozialen Lernen dienen können, aufgebaut und nicht unnötig beschränkt werden, andererseits die Gefangenen vor wechselseitigen Übergriffen geschützt sind".
Rechtstatsächliche Befunde
Vollzogen wird Jugendstrafe in "geschlossenen" und für geeignete Inhaftierte in "offenen" Anstalten. Geschlossener Vollzug beinhaltet die "sichere" Unterbringung. Beim offenen Vollzug werden keine oder nur verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen getroffen (keine baulichen und technischen Sicherungsmaßnahmen wie Umfassungsmauern, Fenstergitter und besonders gesicherte Türen; keine ständige und unmittelbare Aufsicht). Jugendstrafvollzug "in freien Formen" ermöglicht es, den Vollzug außerhalb einer Strafanstalt in Einrichtungen der Jugendhilfe abzuleisten, um die problematischen Begleitumstände der Unterbringung in Haftanstalten zu verringern und größere pädagogische Handlungsspielräume nutzen zu können.
Die meisten Jugendstrafgefangenen verbüßen ihre Haftstrafe wegen Eigentums- und Vermögensdelikten (33,5 %), gefolgt von Raub und Erpressung mit 25,7 % und Gewaltdelikten mit 22,9 %. Drogendelikte haben einen Anteil von 7,4 %, Sexualdelikte von 3,6 %. Der Gewalttäteranteil ist in den ostdeutschen Bundesländern deutlich größer. Während sich der Gewaltdeliktanteil unter Einschluss von Raub und Erpressung sowie der Sexualdelikte von 1980 (22,5 %) bis 2005 (52,2 %) fast verdoppelte, ging der Anteil von Diebstahl und Unterschlagung zurück. Auch bei anderen Tätergruppen (Drogendealer, Eigentumstäter im Bereich Wohnungseinbruch, Autodiebstahl) können im Einzelfall erhebliche Aggressions- und Gewaltpotentiale angenommen werden.
Der Anteil der Betäubungsmitteldelinquenten lag 2002 bei etwa 9 %.
Zahlen über psychisch kranke Inhaftierte in deutschen Jugendanstalten liegen nicht vor. Im schleswig-holsteinischen Jugendvollzug wurden jedoch bei einem Großteil der jungen Gefangenen psychische Störungen diagnostiziert. Rund 81 % der Untersuchten wiesen Störungen des Sozialverhaltens, 77 % eine Persönlichkeitsstörung auf.
Lebens- und Lerngeschichten junger Inhaftierter, ihre schulische und berufliche Qualifikation werden als ungünstig beurteilt (übermäßige Aggressivität, geringe schulische Qualifikation, Lehrabbrüche, sexueller Missbrauch, Drogenkonsum, Anschaffungsprostitution, Heimaufenthalte, frühe Kriminalisierung). Die in westdeutschen Jugendanstalten vorhandene ethnische Vielfalt markiert angesichts mangelnder sprachlicher Verständigungsmöglichkeiten, unterschiedlichster Religionszugehörigkeiten und ritueller Bedürfnisse sowie vorhandener Gegensätze zwischen einzelnen Ethnien oder Religionen weitere erzieherische Herausforderungen. Die meisten Jugendstrafgefangenen verbüßen eher kurze Strafzeiten.
Struktur und Aufbau der Jugendanstalten
In der föderalen Struktur der Bundesrepublik sind die Länderjustizministerien nunmehr zuständig für Regelung und Durchführung des (Jugend-)Strafvollzugs. Anzahl und Zuordnung der Jugendanstalten differieren je nach Bundesland. In den Stadtstaaten und in den neuen Bundesländern gibt es nur jeweils eine Jugendanstalt, während in den übrigen Bundesländern zwei bis fünf Jugendanstalten vorhanden sind, die teils nach regionalen Gesichtspunkten (beispielsweise Rheinland-Pfalz), Alter der Verurteilten zur Tatzeit (Hessen), Sicherungsgrad (Bayern, Niedersachsen) oder Ausbildungsschwerpunkten (beispielsweise NRW) belegt werden. In der Regel verfügen sie über 150 bis 300 Haftplätze. Nur die Einrichtungen in Adelsheim (Baden-Württemberg), Berlin, Hameln (Niedersachsen) und Siegburg (NRW) weisen bis zu 600 und mehr Haftplätze auf. Im äußeren Erscheinungsbild (Sicherung durch Mauern, Gitter, teilweise auch Stacheldraht) unterscheiden sich Jugendanstalten kaum von solchen für Erwachsene (Ausnahmen: die offenen Anstalten in Hövelhof, Laufen-Lebenau, Rosdorf und Vechta-Falkenrott).
Geführt werden die Anstalten von einem Anstaltsleiter als verantwortlichem Vollzugsleiter und Dienstvorgesetzten des Personals (Juristen, auch Psychologen oder Pädagogen). Diese bestimmen wesentlich Anstaltsklima und Handlungsspielräume des Personals.
Bürokratische Abläufe und verwaltungsmäßige Regelungen persönlicher Angelegenheiten gewährleistet der Verwaltungsdienst als zweitgrößte Beschäftigtengruppe. Der Werkdienst schließlich setzt sich aus den Werkbeamten zusammen, welche als Handwerksmeister die Werkstätten und Ausbildungseinrichtungen leiten. Sie weisen die besten und spannungsärmsten Kontakte zu den Inhaftierten auf, da sie häufig Berufsideale und ein gelingendes Leben repräsentieren, das auch Gefangene für sich als bedeutsam ansehen. Die Gruppe der Lehrer, der Pädagogische Dienst, sorgt in den Schulabteilungen für die Deckung des Bildungsbedarfs der jungen Gefangenen im Rahmen schulischer und beruflicher Qualifizierung. Kein anderes Förderangebot erreicht mehr Gefangene als das Bildungsangebot, sowohl hinsichtlich absoluter Zahlen als auch der Zeiträume, in denen sich Lehrer konkret und in Unterrichtsgruppen mit den Inhaftierten beschäftigen.
Sozialarbeiter nehmen sozial unterstützende Tätigkeiten mit meist deutlich administrativem Einschlag wahr (gutachterliche Stellungnahmen zu Vollzugslockerungen wie Urlaub, Verlegungen und vorzeitigen Entlassungen). Kontakte mit Ämtern beziehen sich auf die Gewährung von Leistungen für Inhaftierte. Für die Entlassungsvorbereitung ist unter oft widrigen Umständen für Unterkunft und Erwerbsmöglichkeiten zu sorgen, Bewährungshelfer sind zu kontaktieren, ehrenamtliche Helfer müssen gefunden werden. In Einzelfällen leisten Schulsozialarbeiter Unterstützung bei schulischen Bildungsprozesse.
Ein Schwerpunkt seelsorgerischer Arbeit liegt im persönlichen, der Schweigepflicht unterliegenden Gespräch mit Inhaftierten. Über den kirchlichen Bereich hinaus betätigen sich Gefängnisseelsorger als Kontaktvermittler zu Familienangehörigen, besonders zur Milderung von Ehe- und Partnerschaftskrisen. Sie setzen sich für Vollzugslockerungen ein, geben finanzielle Unterstützung und engagieren sich für menschenwürdige Vollzugsverhältnisse.
Vertreter der Öffentlichkeit sind die Anstaltsbeiräte im Sinne der Beteiligung freier Bürger am Vollzug. Ihren Kontroll- und Beratungsfunktionen sind jedoch keine entsprechenden Änderungskompetenzen zugeordnet. Ihre Befugnisse liegen im Besichtigungs-, Kontakt- und Entgegennahmerecht. Betreuung von Gefangenen, Anregungen und Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der künftigen Vollzugsgestaltung gehören zu ihren Hauptaufgaben. Bürgerschaftliches Engagement durch ehrenamtliche Betreuer wird mittlerweile als fester Bestandteil des Fördervollzugs angesehen. Sein Beitrag liegt in der Losgelöstheit von der Zwangsinstitution Strafvollzug, der Möglichkeit "normaler" mitmenschlicher Kontakte wie auch einer nachhaltigen, freundschaftlichen Begleitung Inhaftierter über die Haftzeit hinaus. Letztlich fungieren die Anstalten als Subsysteme des zuständigen Ministeriums. Sie können nur begrenzt als selbständig handelnde Systeme betrachtet werden. Für die Vollzugsrealität sind in erster Linie die Justizministerien der Länder mit ihren Strafvollzugsabteilungen verantwortlich. Wesentliches Organ der Strafvollzugspolitik ist die Justizministerkonferenz der Länder. Entscheidungen über Bau und Konzeption neuer Anstalten, Beschäftigungspolitik, Arbeitsbeschaffung, Mittelzuweisung für die einzelnen Anstalten, den Stab und die Personalausstattung fallen in den Justizministerien. Maßgeblich für die Mittelzuweisung sind letztlich die Finanzministerien. Die Anstalten entscheiden nur in diesem abgesteckten Rahmen, wenngleich der informelle Einfluss der Anstaltsleitungen auf ministerielle Entscheidungen nicht zu unterschätzen ist.
Pädagogische Herausforderungen
Jugendvollzug soll die jungen Inhaftierten zu einem Leben ohne Straftaten befähigen. Vorhandene, sozial akzeptierte Verhaltensmuster und -bereitschaften sind zu unterstützen und zu ermutigen, unakzeptable Muster und Bereitschaften zu konfrontieren und auch deutlich zu begrenzen sowie nicht vorhandene (pro-)soziale Verhaltensmuster und -bereitschaften aufzubauen und einzuüben.
Jugendvollzug gestaltet sich anders als Erwachsenenvollzug. Das Zeitempfinden junger Menschen ist anders, ihr Gegenwartsbezug größer als die Zukunftsorientierung, ihre Selbstkontrolle bisweilen unterentwickelt. Sie leiden stärker unter erzwungenem Alleinsein, der Trennung vom gewohnten Umfeld und fallen häufiger durch Disziplin- und Autoritätskonflikte gegenüber dem Personal auf. Ihr Verhalten ist weniger verfestigt, ihre Entwicklungsmöglichkeiten sind offener. Die Haftzeit birgt Chancen, junge Inhaftierte über eine große Bandbreite pädagogisch-psychologischer Hilfen zu erreichen, aber auch Gefahren durch schädliche Wirkungen der Inhaftierung (gewalttätige Subkulturen, Langeweile, schwierige Zukunftsaussichten durch den Strafmakel). Immerhin werden in der Mehrzahl der Länderstrafvollzugsgesetze weit über die Bestimmungen der bis zum 31.12. 2007 geltenden VVJug hinausgehend präzise Inhaltsbereiche der Förderung beschrieben. Z.B. heißt es im § 5 Abs. 3 des hessischen Jugendstrafvollzugsgesetzes (HessJVollzG) vom 19.11. 2007: "Die Maßnahmen sollen den Gefangenen ermöglichen, sich mit ihrer Straftat und deren Folgen auseinanderzusetzen. Sie umfassen darüber hinaus insbesondere schulische und berufliche Bildung, Arbeitstherapie, soziales Training, Sport und die verantwortliche Gestaltung des alltäglichen Zusammenlebens, der Freizeit sowie der Außenkontakte."
Dies ist ein gelungener Versuch, als wesentlich im Hinblick auf das Vollzugsziel erkannte inhaltliche Schwerpunkte vollzuglicher (Re-) Sozialisierungsarbeit festzuschreiben. Pädagogisches Handeln ist ständig gefordert, junge Gefangene auf der Basis ermutigender Grundhaltung mit Phantasie und Kreativität dafür zu gewinnen, ihre Lebensführung zu überdenken, Handlungsmuster einer alternativen, dem Vollzugsziel näher kommenden Lebensperspektive zu entwickeln und entsprechende Entscheidungen zu treffen.
Widersprüchlich ist auch das Lernen für die Freiheit unter Bedingungen von Abgeschlossenheit, dessen Chancen als Labor und Trainingsmöglichkeit für angemessenes Verhalten jedoch auch zu beachten sind. Hinzu kommt das systemkonstitutive Machtgefälle zwischen Inhaftierten und Mitarbeiterschaft, wenn doch Lernen aufgrund von Einsicht und nicht aufgrund erzwungener Opportunität stattfinden soll - eine bislang kaum bewältigte Herausforderung für glaubwürdige und handlungsorientierte politische Bildung im Jugendvollzug. Problematisch ist die Konzentration schwieriger junger Menschen auf engstem Raum unter weitgehender Absenz nicht-delinquenter, positiver und nacheifernswerter Verhaltensmodelle, die finanzielle und personalbezogene Unmöglichkeit, allen vorhandenen Förderbedarfen in differenzierter Weise gerecht zu werden und recht kurze Verweildauern, welche eine umfassende Förderung kaum zulassen. Hinzuweisen ist auf die Marginalstellung des Mädchen- und Frauenvollzugs innerhalb eines auf männliche Inhaftierte abgestellten Strafvollzugs sowie das verbreitete Desinteresse von Öffentlichkeit und Medien an gelingender vollzuglicher Reintegrationsarbeit.
Perspektiven
Hinsichtlich des Vollzugsziels der Befähigung zu einem Leben in Freiheit und ohne Straftaten bedarf es dreier Hauptkomponenten angemessener Förderung:
der vorinstitutionellen und diagnostischen Komponente, d.h. der Nutzung personbezogener Erfahrungsbestände "abgebender" Einrichtungen wie Schulen, Heime, sonstige Jugend- und Sozialhilfeeinrichtungen und des Einsatzes aktueller, möglichst dialogisch angelegter diagnostischer Verfahren zur Abklärung des bildungsbezogenen wie auch psychosozialen Förderbedarfs,
der institutionellen Komponente differenzierter, ressourcenorientierter Förderung entsprechend den festgeschriebenen Inhaltsbereichen, durch förderliche Unterbringungsformen, qualifiziertes Personal und weitestmögliche Angleichung des Anstaltslebens an die Lebensverhältnisse in Freiheit sowie
der nachinstitutionellen Komponente als qualifizierter Entlassungsvorbereitung sowie einzelfallorientierter Nachbegleitung, bei Haftentlassung auf Bewährung unter anderem durch die Bewährungshilfe, bei Entlassung nach Verbüßung der Endstrafe durch den Vollzug in Kooperation mit der freien Straffälligenhilfe sowie durch freiwilligen Verbleib in der Anstalt zum Abschluss von Bildungsmaßnahmen und weitere Stabilisierungsangebote.
Jugendstrafe ohne Bewährung weist mit etwa 78 % die höchste Rückfallquote auf, mit Bewährung dagegen nur 60 %.
Dennoch bleibt die Inhaftierung junger Straftäter eine "ultima ratio", wenn man mit dem Straftäter nichts Besseres anzufangen wusste, als ihn einzusperren.