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Sieben gute Gründe für Offene Kanäle | Presse | bpb.de

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Sieben gute Gründe für Offene Kanäle Im Rahmen des 11. Jahrestreffens Offener Kanäle in Berlin

/ 9 Minuten zu lesen

Seit 1984 sind mehr als 350.000 Sendungen in Offenen Kanälen gesendet worden. In seiner Rede anlässlich des 11. Jahrestreffens Offener Kanäle in Berlin erläutert bpb-Präsident Thomas Krüger, weshalb diese Fernsehform erhalten bleiben muss.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich bedanke mich für die Einladung und möchte Ihnen sagen, dass es mich – im Namen der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb – ehrt, dass Sie bei dem Stichwort "Mut zur Demokratie" an uns denken, an eine Institution, mit der Sie außerdem schon seit Jahrzehnten so gut kooperieren.

Meiner Rede habe ich die Überschrift gegeben: "Sieben gute Gründe für Offene Kanäle".

Lassen Sie mich diese sieben Gründe kurz ausführen: Ich sehe drei Gründe, warum wir Offene Kanäle brauchen.

1. Wir brauchen Offene Kanäle, weil die Gründe für ihre Schaffung sich nicht erledigt haben bzw. weiter bestehen.

Wenn ich es recht sehe, hat die Gründung der Offenen Kanäle etwas mit der Errichtung des dualen Systems, das heißt mit der Etablierung auch einer privatwirtschaftlich betriebenen Medienlandschaft in Deutschland zu tun. Ich in kein Medienhistoriker, ich wage dennoch hier die These:

Die Offenen Kanäle sind nicht nur eine Erfüllung der medienpolitischen Forderungen der sogenannten 68er-Generation, sondern auch eine Falte im glatten Angesicht der hehren Versprechungen bei der Installierung des dualen Systems – das eben fast von Beginn an schon ein triales war. Und dieses medienpolitische Zugeständnis an die Forderung nach einer direkten Beteiligung der Bürger an den Rundfunkmedien ist immer noch geboten. Allein schon, weil sich die beiden dualen Pole scheinbar immer mehr aneinander gewöhnen und sich mimetisch anzugleichen beginnen. Kurz: als Stachel im Fleisch, als Einflugschneise anderen Wirklichkeiten und Stimmen in die großen Synchronisations- und Aufmerksamkeitsmaschinerien der "klassischen" Massenmedien sind die Offenen Kanäle eine medienpolitische Errungenschaft – die wir uns nicht nehmen lassen dürfen, die wir im Gegenteil weiterentwickeln können müssen.

2. Wir brauchen Offene Kanäle, weil die Erfahrungen mit ihnen und ihren Sendungen einen unschätzbaren Reichtum erzeugt haben und weiter erzeugen können, der für das Mediengefüge insgesamt unverzichtbar ist.

Seit 1984 haben mehr als 70.000 verschiedene Nutzer und Nutzerinnen mehr als 350.000 Beiträge in den Offenen Kanälen gesendet. Darin sind eben auch Erfahrungen, Bildungserlebnisse, Meinungsbildungsprozesse geborgen, die einen öffentlichen Reichtum darstellen. Zum einen für die Macherinnen und Macher selbst, zum anderen aber auch für das Mediengefüge unserer Gesellschaft insgesamt. Es geht dabei gar nicht um so etwas wie das Verhältnis von Avantgarde oder Nachhut, um Original oder Kopie. Diese Dualismen lenken bei der Betrachtung der Medienwirkung der Offenen Kanäle nur den Blick ab von dem eigentlichen Gut in ihnen: Sie sind der kontinuierliche Beweis dafür, dass es auch anders geht im selben Mediensystem von TV und Radio.

Ihre Sendungen sind das lebendige und kontinuierliche Skandalon der direkten Rückmeldung der Zuschauer und Zuhörer als Sender, nur einen Kanal weiter – sicher oft genug als Rufer in der Wüste oder als wüste Rufer. Aber mit den Offenen Kanälen bekommen Menschen, Meinungen, Szenen eine mediale Präsenz, die das Monopol der dualen Pole immer wieder bricht.Und dass diese Präsenz zwar prinzipiell massenmedial ist, im Prinzip aber selten massenmediale Wirkung und Einschaltquoten erzielt, ist kein Grund gegen die Offenen Kanäle. Im Gegenteil. Es sind gerade diese minimalen Irritationen, die den massenmedialen Mainstream nicht gar zu glatt laufen lassen, ihm immer wieder Wirbel bescheren.

Mit der Etablierung des Internet als Massenmedium bzw. als massenhaft genutztem Medium wird immer wieder im medienpolitischen Raum die Frage aufgeworfen, wozu brauchen wir dann noch die Offenen Kanäle in TV und Rundfunk?

Das führt mich zu dem dritten Grund, warum wir Offene Kanäle brauchen:

3. Wir brauchen nicht weniger Offene Kanäle, wir brauchen Offene Kanäle in allen Medien.

Die Ersatzdebatte ist scheinheilig. Ihr geht es nicht um die Bürgerbeteiligung an den Medien, ihr geht es um die Einsparung von Gebührengeldern und um die Begehrlichkeit immer noch knapper Sendeplätze. Gerade mit dem Entstehen neuer Medien und Mediennutzungen, sei es das Internet oder mobile Mediennetzwerke, kann es nicht darum gehen, Offene Kanäle zu schließen. Es sollte einer verantwortungsvollen Medienpolitik statt dessen darum gehen, erstens darauf zu achten, dass auch in den sogenannten Neuen Medien Offene Kanäle, öffentliche und frei zugängliche Medienangebote sich frei entfalten können. Die aktuelle Copyrightdebatte zeigt, dass hier noch viel zu tun ist. Und es sollte zweitens darum gehen, die bestehenden Offenen Kanäle mit den neuen Medien zu verbinden, ja diese Verbindungen aktiv zu begleiten und zu fördern. Wir brauchen medienpolitisch eine zweite Gründerzeit. Und die Offenen Kanäle sind eine wichtige Baustelle hierfür.

Das führt mich zu dem zweiten Teil meiner sieben guten Gründe für Offene Kanäle. Nämlich der Frage: Was für Offene Kanäle brauchen wir?

Offene Kanäle, die in den Inhalten liberal sind. Offene Kanäle, die in den Formaten universal sind. Offene Kanäle, die im Netzwerk der (Zivil-)Gesellschaft aktiv lokal sind. Offene Kanäle, die im Medienverbund maximal transversal sind.

4. Offene Kanäle, die in den Inhalten liberal sind.

Wenn man die Offenen Kanäle als Bürgermedium ernst nimmt, sollte man sie als nicht-repräsentative, "direkte" Medien ernst nehmen. Auch eine repräsentative Demokratie braucht direkte, nicht-repräsentative Formen der Öffentlichkeit. Die "Speakers Corner" im Londoner Hyde Park gehört allein schon deshalb zu den Urszenen unserer demokratischen Öffentlichkeit. Ich verstehe die Offenen Kanäle als eine Fortsetzung dieser Urszene mit massenmedialen Mitteln. Und in den klassischen Massenmedien, seien sie öffentlich-rechtlich oder privat, findet sich diese Form der Öffentlichkeit eben notwendigerweise nur stark gefiltert. Die Offenen Kanäle sollten deshalb weitestgehend offen sein für alles was "von außen" kommt. In den Grenzen des Grundgesetzes, das sich auch hier als ein attraktiver Garant der Bürgerrechte medial ausweist. Ich darf an dieser Stelle den Artikel 5 unseres Grundgesetzes zitieren: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten." Und: "Eine Zensur findet nicht statt." Das liest sich fast schon wie die Gründungsurkunde der Offenen Kanäle. Und in gewisser Hinsicht es das ja auch.

Und gerade dieser große inhaltliche Freiheitsgrad ist für die Offenen Kanäle ein hohes Gut, weil es die symbolische Ordnung des medialen Geschehens an dieser Stelle einzigartig, unvorhersehbar und "wild" macht und sehr nah an die realen Szenen des gesellschaftlichen Lebens führen kann. Das Rauschen der Offenen Kanäle ist eben asynchron zu dem seiner großen Brüder. Und diese inhaltliche Vielfalt, die oft als Verschmutzung kritisiert wird, ist doch auch eine permanente Herausforderung an die Filtersysteme der klassischen Massenmedien. Wir sollten sie als ein hohes mediales Gut achten und bewahren und auf ihre Weiterentwicklung drängen.

5. Offene Kanäle, die in den Formaten universal sind.

Die Grenzen der Formate in den Offenen Kanälen sind wenn es sie überhaupt gibt, dann finanzieller Art. Eine interkontinentale TV-Live-Schaltung per Satellit wird wohl kaum vorkommen (Im Medienverbund mit dem Internet ist das aber zum Beispiel kein Problem mehr.). Ansonsten ist es gerade das prinzipiell unformatierte, was das Potenzial der Offenen Kanäle ausmacht. Was uns in diesem Massenmedium, das meistens eben keines ist begegnet, sollte weit gefächert sein: von nah am "Original" der klassischen Massenmedien, bis an deren Nullpunkt – die eins zu eins Kommunikation, das audiovisuelle Zwiegespräch. Für die Macherinnen und Macher und vor allem für die Entscheider in den Offenen Kanälen ist diese Formatvielfalt und die Schaffung ihrer Voraussetzungen ein wichtiges Gut. Wie die Sendungen sich anhören und wie sie aussehen, definiert sich von der Vielheit der Macherinnen her, und diese Vielheit hat vielleicht auch vieles zu bieten. Es kommt allerdings dann darauf an, diese Pluralität auch zu wecken und zu entdecken. Insofern ist Formatentwicklung in den Offenen Kanälen vor allem eine soziale Aufgabe, eine Frage der proaktiven lokalen Vernetzung der Offenen Kanäle in den gesellschaftlichen Raum vor Ort.

Das führt mich zu dem dritten Punkt, was für Offene Kanäle wir brauchen:

6. Offene Kanäle, die in den lokalen Netzwerken der (Zivil)Gesellschaft aktiv sind.

Die Bandbreite der lokalen gesellschaftlichen Vernetzung ist für die Offenen Kanäle entscheidend. Nur so können sie im besten Fall auch eine Rolle als katalytische Medienpraxis spielen – soziale und mediale Aktivitäten multiplizieren, Medienbildungsprozesse anstoßen bzw. verbreiten. Ich sehe prinzipiell keine Grenzen dessen, wer und was da mit einbezogen werden sollte, außer – wie gesagt – die Grenzen des Grundgesetzes. Das reicht von Bildungsinstitutionen, über Vereinen, Bürgerinitiativen, NGOs, bis hin zu Privatinitiativen von Gruppen, Bürgerinnen und Einzelgängern ("das ganze, wilde Leben vor Ort"). Die Gebührenfinanzierung der Offenen Kanäle schafft sich so eine kontinuierliche politische und im Notfall aktivierbare Legitimation. Und das ist sicher auch eine medienpolitische Evaluationsgrundlage für die Arbeit der Offenen Kanäle: wie aktiv sind deren Macher um die Ausweitung ihrer "Redaktionen", Kontributoren bemüht? Haben sie dafür die notwendigen Grundlagen und Ressourcen?

Im Wettbewerb der Medien liegt hier idealerweise, potenziell ein nicht zu unterschätzender Vorteil der Offenen Kanäle – ihre Grundstruktur ermöglicht ihnen direkte Vernetzungen und Rückkanäle in den lokalen gesellschaftlichen Raum, wie kein anderes Massenmedium sie aufweisen kann. Eben weil sie meistens ein Medium von Einigen für Einige sind, kommt es darauf an, dass möglichst viele "Einige" sich daran aktiv beteiligen. Und diese sozialen Vielheiten haben sich seit Jahren schon eines weiteren Medienfeldes angenommen, das neben den Offenen Kanälen existiert, und das für die Offenen Kanäle existenziell ist.

Das führt mich zu der vierten und abschließenden Bemerkung darüber, was für Offene Kanäle wir heute brauchen:

7. Offene Kanäle, die in den Netzwerken der Medien maximal transversal (crossmedial) sind.

Als einzige Massenmedien haben die Offenen Kanäle eine Grundstruktur, die sich mit dem Potenzial der digitalen Medien deckt: sie sind interaktiv skalierbar und auf den offenen Austausch und die freie Übertragbarkeit von Inhalten hin angelegt. Hier ist ein riesiges Potenzial noch ungeborgen. Und es ist sicher die Forderung des Tages, das heißt der nächsten Jahre, dieses Potenzial proaktiv zu verwirklichen. Man kann es auch so sagen: Wer sich der Möglichkeiten des Internet und der daran angeschlossenen digitalen Mediennetze nicht bedient und die Netzwerke, Gruppen, Institutionen etc. nicht einbezieht, die hier in seinem lokalen Zusammenhang relevant und aktiv sind, bekommt mehr als ein Problem. Wer aber diese Potenziale nutzt, wird sein "blaues Wunder" erleben. Es geht dabei um wesentlich mehr als um das Bereitstellen einer oder mehrerer Websites. Das ist die Pflicht, mehr nicht. Es geht strategisch gesehen darum: den Offenen Kanälen in einem Medienverbund der lokal medial aktiven Communities/Gemeinschaften einen strategischen Platz zu geben bzw. diese strategische Positionen gemeinsam mit diesen Communities zu erfinden und zu realisieren. Wir brauchen genau an dieser Stelle eine "zweite" Öffnung der Medienlandschaft – an der Grenze zwischen Massenmedien und interaktiven, digitalen Medien. Ich wage hier eine Prognose: Wenn es den Offenen Kanälen gelingt, sich an dieser Stelle selbst zu öffnen, wird ihre Unverzichtbarkeit, wie ich Sie oben skizziert habe, auf absehbare Dauer mehrheitsfähig.

Die wenigen Offenen Kanäle in den Massenmedien Rundfunk und Fernsehen müssen sich mit den vielen Offenen Kanälen im digitalen Medienraum verbinden. Dadurch entsteht ein neuer intensiver lokaler Medienraum, der potenziell global vernetzt ist. Das ist bzw. wird ein Medienverbund, der das gesellschaftliche Potenzial offener und öffentlicher Medien auf die Höhe des 21. Jahrhunderts bringt, ein Medienverbund, der nicht nur Schritt halten kann mit den technischen Entwicklungen und den sie begleitenden medienpolitischen Auseinandersetzungen (wie z.B. um das Urheber- und Verwertungsrecht), sondern sie auch aktiv mit gestaltet und beeinflussen wird.

Eben weil die soziale, mediale und ästhetische Phantasie "der Vielen" (Thomas Krüger in dieser Rede, siehe oben) nicht den langen Weg massenmedialer Filtersysteme und Entscheidungskalküle gehen muss. Weil sie nicht gebunden bleibt an die Grenzen der damit verbundenen Verwertungsketten. Sondern weil diese soziale und mediale Phantasie sich in einem dynamischen Austausch lokal einschreiben und verbreiten kann, auch durch die "klassischen" Offenen Kanäle medial verstärkt. Dieses gesellschaftliche Wissen "der Vielen vor Ort" bekommt so eine noch nie dagewesene Möglichkeit der öffentlichen Präsenz, es bleibt mit diesem sich herausbildenden Medienverbund in den dafür aufmerksamen Öffentlichkeiten, es bleibt der offenen Diskussion ausgesetzt und erhalten. Das massenmedial organisierte Verschwinden lokaler, singulärer Erfahrungen, Meinungsbildungen und Ästhetiken hätte so ein öffentlich und intelligent gestaltetes Gegengewicht auf der Höhe der Zeit. Für das Beste davon hat dann das "Versenden" ein Ende. Und für die Offenen Kanäle hat damit die Zukunft vor ihrer Haustür und an ihren medialen Grenzen gerade erst begonnen.

Ich wünsche Ihnen und uns dabei viel Glück und gutes Gelingen! Vielen Dank.

Fussnoten