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Die Eurokrise ist eine Zahlungsbilanzkrise | Europäische Wirtschaftspolitik | bpb.de

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Die Eurokrise ist eine Zahlungsbilanzkrise

Heiner Flassbeck

/ 4 Minuten zu lesen

Überschussländer wie Deutschland dürften nicht so tun, als gingen sie die Krisenländer und deren Schulden nichts an, meint Heiner Flassbeck. Wenn die Defizitländer ihre Defizite abbauen sollen, müssen die Überschussländer im Gegenzug auch ihre Überschüsse reduzieren, so der Ökonom.

Heiner Flassbeck (© picture-alliance)

Wie können unsere weltweiten Exporterfolge ein Problem sein, fragen sich viele Menschen in Deutschland. Wenn die Verbraucher und Investoren in einigen Ländern unsere Produkte lieber kaufen als ihre eigenen oder die anderer Länder, dann ist das doch deren gutes Recht – jedenfalls solange sie es bezahlen können. Genau beim Bezahlen aber fängt das Problem an. Wenn private Haushalte oder private Unternehmen neue Kredite bekommen, obwohl sie eigentlich zahlungsunfähig sind, würde jeder vernünftige Mensch das als problematisch ansehen. Fast jeder würde sagen, jawohl, wer dauernd über seine Verhältnisse lebt, darf nicht einfach lustig weitermachen, sondern muss früher oder später gezwungen werden, sich an seine Verhältnisse – genauer: seine Einkommensverhältnisse – anzupassen. Das heißt: Er muss ohne neue Schulden auskommen.

Daraus ergibt sich eine einfache weitere Erkenntnis: Das Problem der Überschüsse der einen sind die Defizite der anderen. Die Welt als Ganzes kennt weder Überschüsse noch Defizite, sondern hat immer eine ausgeglichene Handels- und Leistungsbilanz, da sie ja nicht mit anderen Planeten im Austausch steht. Daher sind die Überschüsse immer ganz genau so groß wie die Defizite, und genau deswegen dürfen die einen nicht so tun, als gingen sie die anderen und deren Schulden nichts an. Denn wenn die bisherigen Defizitländer ihre Defizite abbauen und vielleicht sogar ihre Schulden zurückzahlen sollen, dann müssen die Überschussländer im Gegenzug ihre Überschüsse abbauen und (im Fall der Rückzahlung der Schulden) ihrerseits langfristig Defizite in Kauf nehmen. Diese Logik ist absolut zwingend für die Welt als Ganzes, sie gilt aber auch für einen Währungsraum wie die Europäische Währungsunion (EWU).

"Sollen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone vermindert werden, müssen die Überschussländer sich genauso anpassen wie die Defizitländer."

Leistungsbilanz ausgewählter Euroländer (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de

Die EWU muss insgesamt mit einem schwankenden Wert des Euro gegenüber dem Rest der Welt zurechtkommen. Würden alle Euro-Länder versuchen, wie Deutschland Überschüsse im Außenhandel zu bilden, könnte das nur gehen, wenn der Rest der Welt bereit wäre, hohe Defizite in der Leistungsbilanz (also eine hohe jährliche Verschuldung gegenüber den Ländern der EWU) zu akzeptieren und wenn der Wechselkurs des Euro gegenüber den anderen wichtigen Währungen unverändert bliebe. Beides ist nicht zu erwarten. Es gibt schon jetzt erheblichen politischen Widerstand gegen die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse (vor allem aus den USA, die schon jahrzehntelang Defizite aufweisen). Ein politischer Konflikt würde auf lange Sicht dazu führen, dass der Euro aufgewertet würde. Dies wiederum würde die Bildung hoher Leistungsbilanzüberschüsse unmöglich machen, weil die europäischen Güter auf dem Weltmarkt schlicht zu teuer wären.

Sollen also die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone vermindert werden, müssen die Überschussländer sich genauso anpassen wie die Defizitländer. Das heißt, dass Deutschland seinen Überschuss unbedingt vermindern muss. Es gibt es exakt zwei Wege, wie das geschehen kann. Erstens: Nur die Defizitländer in der Eurozone senken Löhne und Preise, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, während die Überschussländer (mit Deutschland als größtem Überschussland vorneweg) bei ihrem bisherigen Kurs bleiben. Die Lohnstückkosten sind erwiesenermaßen die wichtigste Determinante der Preisentwicklung. Deutschland weist jedoch nur Lohnstückkostenzuwächse von weit unter zwei Prozent auf. Dies bedeutet, dass die Lohn- und Preisentwicklung deflationär wird, zumindest aber, dass die Preissteigerungsraten unter das Interner Link: Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von knapp zwei Prozent fallen. Das ist derzeit längst der Fall. Deshalb unternimmt die Interner Link: EZB alles, um eine offene Interner Link: Deflation, also fallende Preise auf breiter Front zu vermeiden.

"Deutschland hat mit seiner Politik der Lohnzurückhaltung maßgeblich für die Spaltung der EWU in Defizit- und Überschussländer gesorgt."

Zweitens: Auch Deutschland passt sich an und übt politischen Druck auf die Tarifpartner aus, um eine stärkere Zunahme der Löhne (und der Preise) zu erreichen. In dem Fall kann eine Deflation verhindert werden, weil Deutschland ein Gegengewicht zu fallenden Lohnstückkosten und Preisen vor allem in Südeuropa schafft.

Genau diese zweite Variante, die derzeit in Deutschland heftig und kontrovers diskutiert wird, ist in jeder Hinsicht angemessen, weil es Deutschland war, das seit Beginn der Währungsunion mit seiner Politik der Lohnzurückhaltung maßgeblich für die Spaltung der EWU in Defizit- und Überschussländer gesorgt hat. Die massive Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit eines großen Landes durch relative Lohnsenkung und der Aufbau hoher Leistungsbilanzüberschüsse ist für die Eurozone ein schier unlösbares Problem, weil eine Lohnsenkung, die dann früher oder später in den Defizitländern stattfinden muss, Deflation zur Folge hat. Dies wiederum führt in den betroffenen Ländern wegen einbrechender Binnennachfrage zu hoher Arbeitslosigkeit. Die dramatischen Folgen dieser Art der Anpassung kann man derzeit in Spanien, Griechenland und Portugal beobachten.

Würden Italien und Frankreich versuchen, diesen Weg, den Südeuropa schon gegangen ist, ebenfalls zu gehen, würde die gesamte EWU politisch destabilisiert, weil anti-europäische Kräfte die Oberhand gewännen. Der Sieg des Front National bei den Europawahlen in Frankreich zeigt, dass man Demokratien nicht mit falscher europäischer Politik beliebig strapazieren kann, ohne nationalistischen Kräften in die Hände zu spielen.

Michael Hüther (© Institut der deutschen Wirtschaft Köln)

Standpunkt Michael Hüther:

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Prof. Dr. Heiner Flassbeck ist Wirtschaftswissenschaftler. Er war von 1998 bis 1999 Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen und von Januar 2003 bis Ende 2012 Chef-Volkswirt bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf. Er lebt in Frankreich.