Auf internationalen Konferenzen gehört es zum guten Ton, dass Politikerinnen und Politiker nach langen Verhandlungen vor die Presse treten und eine "Einigung" verkünden. Hände werden geschüttelt, Beschlüsse präsentiert – auch wenn eigentlich alle wissen: Im Großen und Ganzen ist diese Konferenz gescheitert.
So in etwa muss man sich die vergangenen Treffen der Doha-Runde vorstellen, zuletzt im Dezember 2015 in Nairobi, Kenia. Die Doha-Runde ist ein Verhandlungsforum unter dem Dach der Welthandelsorganisation (engl. World Trade Organization, WTO). Sie hat zum Ziel, Handelserleichterungen vor allem für Industrie- und Agrarprodukte sowie für Dienstleistungen zu erreichen. Ursprünglich sollten die 2001 auf der vierten WTO-Ministerkonferenz in Doha/Katar begonnenen Verhandlungen schon 2005 abgeschlossen sein. Nennenswerte Ergebnisse gab es nun aber auch in Nairobi nicht. Trotzdem lobten anschließend viele Politikerinnen und Politiker das Treffen – vor allem weil man sich einig geworden sei, weiter zu verhandeln.
Dabei hatte die Liberalisierung des Welthandels zuvor jahrzehntelang Fortschritte gemacht. Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich 23 Staaten im WTO-Vorläuferabkommen GATT (engl. General Agreement on Tariffs and Trade, GATT) auf weniger Zölle, Abgaben und andere Hemmnisse im globalen Warenaustausch geeinigt – durch das seit 1948 geltende Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen und seine auf ihm basierenden Verhandlungsrunden von Havanna bis Uruguay expandierte der Welthandel zunächst stark. Das GATT ist heute noch die wichtigste Vertragssäule der 1994 gegründeten WTO, wo die heute mehr als 160 Mitgliedsstaaten versuchen, sich auf Regeln für den weltweiten Handel zu einigen.
Der Prozess der Liberalisierung stockt spätestens seit der WTO-Ministerkonferenz in Seattle 1999, die auch von Protesten von Globalisierungsgegnern begleitet war. Deshalb suchen Staaten mittlerweile neue Foren außerhalb der WTO, um Handelsregeln zu vereinbaren. Die wichtigsten heißen: TPP (engl. Trans-Pacific Partnership), TTIP (engl. Transatlantic Trade and Investment Partnership) und RCEP (engl. Regional Comprehensive Economic Partnership). Es sind sogenannte mega-regionale Freihandelsabkommen, oft werden sie, wie im Englischen, Mega-Regionals genannt. Die Wortwahl zeigt schon, dass da etwas Bedeutendes entstehen soll. Denn während bei früheren Abkommen Staaten sich zu regionalen Handelsblöcken zusammengeschlossen haben – Beispiele sind die Europäische Union, NAFTA (engl. North American Free Trade Agreement) oder Mercosur (span. Mercado Común del Sur) –, verhandeln heute ganze Regionen miteinander. Das wird nicht ohne Folgen für den Rest der Welt bleiben. "Die Mega-Regionals könnten die Maßstäbe setzen für das künftige Welthandelsregime", sagt
Die Transpazifische Partnerschaft ist das Mega-Regional, das am weitesten fortgeschritten ist. Zwölf Staaten sind beteiligt, darunter die USA, Australien, Kanada, Peru, Vietnam, Singapur und Japan. Zusammen machen sie etwa 25 Prozent des weltweiten Handels aus. Sieben Jahre lang haben die Pazifik-Anrainer verhandelt, seit Herbst 2015 ist das Abkommen fertig. Alle Länder müssen aber noch ratifizieren.
(© Privat)
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Wachstum entsteht über zwei Effekte
Staaten vereinbaren solche Freihandelsabkommen, weil sie sich davon versprechen, dass zusätzliches Wachstum generiert wird. Ökonomen gehen davon aus, dass das Wachstum über zwei Effekte zustande kommt: einen handelsschaffenden und einen handelsumlenkenden Effekt. Handelsschaffung bedeutet, dass Unternehmen mehr Handel treiben, wenn es klare Regeln gibt und Barrieren wegfallen. Handelsumlenkung meint, dass mehr Handel zwischen Unternehmen innerhalb der Freihandelszone stattfindet, während der Warenaustausch mit Ländern außerhalb der Zone eher abnimmt. Staaten, die Teil solcher Abkommen sind, könnten danach wirtschaftlich profitieren, Länder außerhalb tendenziell verlieren.
China ist nicht Teil von TPP, obwohl es in der pazifischen Region neben den USA die führende Handelsmacht ist. Einige werten das als Versuch der Amerikaner, den aufstrebenden Handelsgiganten in die Schranken zu weisen. Daneben verhandeln China und 15 weitere Staaten seit 2012 über das Freihandelsabkommen RCEP. Darunter sind viele asiatische Länder und Australien – nicht aber die USA. "TPP und RCEP verschärfen die wachsende Rivalität zwischen den USA und China um die wirtschaftliche Vormachtstellung in Asien", sagt Hanns Günther Hilpert von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Wenn die Mega-Regionals tatsächlich zustande kommen, wäre das ein neues Kapitel in der Geschichte der Welthandelsordnung. Denn Freihandelszonen zwischen den Wirtschaftsmächten über Weltmeere hinweg sind etwas Neues. Bis dato erfolgte die Liberalisierung des Handels in erster Linie innerhalb einer Weltregion. Vor allem in den 1990er Jahren gab es eine Welle der regionalen Integration. NAFTA, ASEAN (engl. Association of Southeast Asian Nations) und Mercosur sind die wichtigsten Handelsblöcke aus dieser Zeit.
Quantensprung in der Integration: Der Maastricht-Vertrag
Auch die EU schaffte durch den 1993 in Kraft getretenen Maastricht-Vertrag einen Quantensprung in der Integration, bei der auch die Schaffung einer eigenen Währung bereits ins Auge fasst wurde. Die Europäische Union ist die am tiefsten integrierte Freihandelszone mit dem freien Austausch von Waren, freiem Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital. Ihre Wurzeln gehen zurück in die 1950er Jahre. Wirtschaftlich betrachtet galt die EU lange als Erfolgsprojekt. Der Handel auf dem europäischen Kontinent ist über viele Jahre stark gewachsen, davon profitieren vor allem exportorientierte Staaten wie Deutschland. Allerdings sind in der Euro- und Staatsschuldenkrise ab 2009 Schwachstellen der europäischen Architektur sichtbar geworden. So meinen viele Beobachter, dass die gemeinsame Währungspolitik dauerhaft nicht ohne eine gemeinsame Fiskalpolitik, also eine stärkere Koordinierung der Ausgaben- und Steuerpolitik innerhalb der EU, funktionieren kann.
Nicht ohne Grund entstanden ebenfalls Anfang der 1990er Jahre weitere regionale Handelsblöcke: Wegen des handelsumlenkenden Effektes und um den Anschluss an den Weltmarkt nicht zu verlieren, gerieten andere Staaten in Zugzwang, ebenfalls Abkommen zu schließen. 1994 trat das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko in Kraft. Es startete mit großen Erwartungen, US-Präsident Bill Clinton prophezeite einen Job-Boom. Dieser ist nach Meinung der meisten Analysten allerdings ausgeblieben.