Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) ist für die politischen Verantwortlichen in den USA weitaus weniger wichtig als für Teile der europäischen Industrie und gleichgesinnte Industriezweige in den USA. Die Obama-Administration hat – auf Kosten der innenpolitisch weniger heiklen transatlantischen Vereinbarung – aus geoökonomischen Gründen vorrangig die Transpazifische Partnerschaft (TPP) vorangetrieben. Doch Freihandelskritikerinnen und -kritiker in den eigenen Reihen, allen voran die Protagonisten der beiden Parteien im US-Wahlkampf, machen selbst die Verwirklichung dieser Initiative fraglich. Sollte das vernachlässigte TTIP scheitern, wären dafür hauptsächlich politische Prioritäten und auch Widerstände in den USA verantwortlich.
Angesichts der ökonomischen und geopolitischen Perspektiven in der Wachstumsregion Asien-Pazifik sind der alte Kontinent und die transatlantischen Freihandelsgespräche mit den Europäern zunehmend ins Hintertreffen geraten. Zwar sind die Verhandlungen auch von europäischer Seite belastet worden, indem etwa die französische Regierung entsprechend ihrer Praxis der "exception culturelle" Kulturgüter vom Verhandlungstisch nehmen wollte und die amerikanische Seite darin bestärkte, ihrerseits Ausnahmen durchzusetzen. Auch in Deutschland hat sich mittlerweile massiver Widerstand von Umwelt- und Verbraucherschützern sowie Globalisierungsgegnern formiert.
Joseph Stiglitz übt vernichtende Kritik
Die TTIP-Befürworter der deutschen Industrie und die ihren Positionen nahestehenden Experten tun sich auch sehr schwer damit, die Argumente renommierter Ökonomen wie denen des Wirtschaftsnobelpreisträgers Joseph Stiglitz auszuräumen, die sich offen gegen die Transatlantische Freihandels- und Investitionspartnerschaft aussprechen. Im Mai 2015 schrieb Stiglitz in der von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebenen Zeitschrift Internationale Politik und Gesellschaft (IPG): "Es sind keine gleichberechtigten Partnerschaften: Faktisch diktieren die USA die Bedingungen. Zum Glück leisten Amerikas 'Partner' zunehmend Widerstand."
Stiglitz betont, dass Übereinkommen wie TTIP und TPP deutlich über den Handel hinausreichen: "Sie regeln auch Investitionen und geistiges Eigentum und zwingen den Rechts-, Justiz- und Regulierungssystemen der beteiligten Länder grundlegende Änderungen auf – und zwar ohne Einfluss oder Rechenschaftspflicht demokratischer Institutionen. Der vielleicht unfairste – und unehrlichste – Bestandteil derartiger Übereinkommen betrifft den Investorenschutz."
Die Kritik in Deutschland wurde auch deshalb lauter, weil durch die Spionageangriffe der USA das Vertrauen vieler Deutschen nachhaltig beschädigt wurde. Wenn Befürworterinnen und Befürworter von TTIP in Deutschland die ebenso kritisierte mangelnde Transparenz der Verhandlungen mit dem Argument begründen, man würde mit zu viel Öffentlichkeit die eigene Verhandlungsposition gegenüber den Amerikanern schwächen, vergessen sie, dass die US-Verhandlungsführer ohnehin um die vermeintlich geheimen Verhandlungsstrategien der Europäer Bescheid wissen dürften: Nicht nur die Kommunikation der deutschen Kanzlerin, sondern auch die der Europäischen Union ist von der NSA seit Längerem ausspioniert worden.
Wegen des US-Haushaltsstreits mussten auch die Handelsgespräche abgesagt werden
Während die US-Regierung in "Sicherheitsfragen" weiterhin mehr oder weniger unbehelligt von der Aufsichtsfunktion des Kongresses schalten und walten kann, sind ihr in allen anderen Bereichen häufig die Hände gebunden. So mussten wegen des Haushaltsstreits in den USA auch die Regierungsgeschäfte ruhen und die Handelsgespräche abgesagt werden, nicht nur mit den Europäern, sondern auch mit den vorrangigen Asiaten. Nicht zuletzt erklärt auch der Umweg über Asien, warum die in innen- und außenpolitischer Hinsicht etwas einfacheren transatlantischen Freihandelsgespräche nicht, wie vom US-Vizepräsidenten Joe Biden gefordert, "mit einer Tankfüllung" zu Ende gebracht werden konnten.
Mittlerweile ist Wahlkampf – die schlechteste aller Zeiten, um Politik zu gestalten, zumal um Freihandel voranzutreiben. Um im Vorwahlkampf der Demokraten die Oberhand gegen Globalisierungskritiker Bernie Sanders zu behalten, sah sich Hillary Clinton genötigt, eine protektionistische Haltung einzunehmen. So will sie sich auch gegen den Herausforderer Donald Trump im Hauptwahlkampf behaupten. Der "Republikaner" Trump versucht mit heftiger Kritik an ihrer freihandelsorientierten Politik, die sie als Außenministerin vertrat, den sogenannten "Rostgürtel" des Landes für sich zu gewinnen. Vor allem im Mittleren Westen und Nordosten haben eine Reihe hart umkämpfter Einzelstaaten (battleground states) wie Michigan, Wisconsin, Pennsylvania oder Ohio wegen der Globalisierung und der technischen Entwicklung viele Industriearbeitsplätze verloren.
Auch der Druck auf Abgeordnete, Senatorinnen und Senatoren im US-Kongress, die ebenso am 8. November 2016 zur Wahl anstehen, wird steigen, protektionistische Maßnahmen zu ergreifen. Um ihre Wiederwahl nicht zu gefährden, nehmen sie insbesondere Rücksicht auf die spezifischen Interessen der Wählerinnen und Wähler und der Wahlkampffinanciers in ihren Wahlkreisen und Bundesstaaten. Die durch die Wirtschaftsprobleme verunsicherte Öffentlichkeit und ihre Vertreter im Kongress sowie etablierte Interessengruppen, allen voran die Gewerkschaften, Umweltverbände und Menschenrechtsaktivisten, werden es auch dem nächsten Amtsinhaber im Weißen Haus erschweren, Freihandelspolitik voranzutreiben – sollte er oder sie das überhaupt wollen.
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