Deutlich gestiegene Wahlbeteiligung, aber nicht in allen EU-Ländern
Diese Europawahl 2019 wird aus deutscher Sicht aus folgenden Gründen in Erinnerung bleiben: Zum einen wegen der deutlich gestiegenen Wahlbeteiligung in Deutschland (von 48 auf 61 Prozentpunkte), aber auch in den meisten anderen 27 EU-Mitgliedsstaaten (von 42 auf 51 Prozentpunkte), wo teilweise sogar Zugewinne von knapp 20 Prozentpunkten (Spanien und Polen) verbucht wurden. Nur in acht Mitgliedsstaaten (Bulgarien, Irland, Portugal, Malta, Griechenland, Luxemburg, Italien und Belgien) stagnierte bzw. sank die Wahlbeteiligung leicht.
Das offizielle und nach der Gesamtzahl aller in Deutschland Wahlberechtigten bereinigte Ergebnis für die Europawahl 2019 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
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Trotz der gestiegenen Wahlbeteiligungen hat in den meisten Ländern (16 von 28) weiterhin mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten nicht vom Wahlrecht Gebrauch gemacht, so dass die fiktive Partei der Nichtwähler trotz gesteigerter Wahlbeteiligung weiterhin den größten Zulauf hatte.
Keller- und Weber-Effekt – nationale und europäische Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionpräsidenten
Es gab auch klare Gewinner. Neben den Grünen konnte vor allem die bayerische CSU punkten. Beide Parteien konnten sich nicht nur im Vergleich zur letzten Europawahl verbessern, sondern seit der Bundestagswahl 2017 als kleinste Oppositionspartei (Grüne) und kleiner Partner in der Großen Koalition (CSU) deutlich zulegen. Sicherlich ist dieser Zugewinn auf ihre deutschen und zugleich europäischen Spitzenkandidaten zurückzuführen: der sogenannte Keller- und Weber-Effekt (die Deutschen Ska Keller und Manfred Weber waren die Spitzenkandidatin ihrer nationalen und europäischen Parteienfamilien für das Amt des Kommissionspräsidenten). Auch weitere Spitzenkandidaten, wie die niederländischen Frans Timmermanns (S&D) und Bas Eickhout (Grüne/EFA), oder aber die dänische Margrethe Vestager (ALDE) und der tschechische Jan Zahradil (ECR) sorgten in ihren jeweiligen Ländern für höhere Wahlbeteiligungen und Stimmenzuwächse ihrer Parteien: auch hier ein Timmermanns-, Vestager- und Zahradil-Effekt.
Schlechteste Wahlergebnis bei Europawahlen für CDU, SPD und Die Linke
Stimmenanteile von EVP und S&D im Europäischen Parlament (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
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Die Europawahl 2019 ging für viele deutsche Parteien (CDU, SPD und Die Linke) mit ihrem schlechtesten Wahlergebnis bei Europawahlen überhaupt einher. Bei dem Verlust der großen etablierten Parteien handelt es sich ebenfalls um ein europaweites Phänomen. Auch in Frankreich verloren die Schwesterparteien von CDU und SPD, Les Républicains und die Parti socialiste, Stimmen im zweistelligen Bereich. Die zwei größten europäischen Fraktionen (EVP und S&D) können erstmalig keine einfache Mehrheit der Abgeordneten im Europäischen Parlament auf sich vereinen. Ein Trend, der sich bereits seit 2004 ankündigt, aber dennoch für die bevorstehende neunte Legislaturperiode eine Zäsur darstellt, mit Konsequenzen für die Mehrheitsbeschaffung.
Die Europäischen Grünen gehören zu den klaren Gewinnern der Europawahl 2019, da sie nicht nur in Deutschland ihre Ergebnisse von 2014 verdoppeln konnten, sondern auch in einigen anderen EU-Ländern (Frankreich, Irland, Österreich, Finnland). Und obwohl sie auch 2019 in über 10 EU-Staaten nicht repräsentiert sind – ihr Zuwachs ist stark auf den Nordwesten der EU begrenzt – steigt die Partei hinter den Europäischen Liberalen (ALDE) zur viertstärksten politischen Kraft auf. Als potentieller Mehrheitsbeschaffer u.a. für die Liberalen können die Grünen künftig eine Königsmacher-Funktion einnehmen.
Gewinne und Verluste für rechte und linke europaskeptische Populisten
Europawahl 2019: Parteien am linken und rechten Rand (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
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Wie bereits 2014 verzeichnen auch 2019 in zahlreichen Ländern rechtspopulistische, europaskeptische Parteien deutliche Stimmenzuwächse. In Frankreich siegte die Rassemblement nationale und verwies die Partei des französischen Präsidenten, La République En March und den Mouvement Démocrate, auf den zweiten Platz. In Großbritannien, das trotz des Austrittsgesuchs aus der EU an der Europawahl teilnehmen musste, deklassierte die erst vor wenigen Wochen vor der Europawahl gegründete Brexit Partei unter Nigel Farage mit 32 Prozentpunkten die britischen Mainstreamparteien. In Ungarn und Polen gewannen die Regierungsparteien Fidesz (52 Prozentpunkte) und PiS (46 Prozentpunkte) unangefochten. Und in Italien konnte die italienische Regierungspartei Lega (34 Prozentpunkte) den politischen Gegner deutlich abschlagen. Auch in anderen Ländern, wie zum Beispiel Schweden (Schwedendemokraten), den Niederlanden (Forum voor Democratie), Deutschland (AfD) oder Italien (Fratelli d´Italia) konnten sie rechtspopulistische Parteien punkten.
In vielen anderen Ländern verloren rechte und linke europaskeptische Populisten an Zustimmung – teilweise auch deutlich. Neben der Dänischen Volkspartei, die 2014 die dänischen Europawahlen noch gewonnen hatte, verloren die deutsche NPD, die griechische Morgenröte, die ungarische Jobbik, die estnische EKRE, die litauische TT sowie die niederländische PVV entweder alle oder doch sehr viele ihrer 2014 gewonnenen Sitze.
Neue Parteien mit Achtungserfolgen
Die Europawahl 2019 bedeutete auch ein Erstarken neuer Parteien, viele von ihnen mit einer klar pro-europäischen Ausrichtung. Besonders hervorzuheben hierbei ist die Alliance 2020 USR + PLUS, die aus dem Stand 21 Prozentpunkte gewann und damit 8 von 32 rumänischen Sitzen in der neunten Legislaturperiode innehaben wird. Aber auch die ungarische Momentum Mmozgalom sowie die slowakische Koalition aus Progresívne Slovensko + SPOLU, der Bewegung, aus der die neu gewählte Präsidentin des Landes hervorgeht, konnte vier der 13 slowakischen Sitze gewinnen.
Deutsche Kleinstparteien punkten
In Zukunft werden neun der 96 deutschen Europaabgeordneten von Kleinstparteien ins Parlament entsandt. Die Freien Wähler und die Satirepartei „Die Partei“ werden jeweils zwei Abgeordnete, die ÖDP, die Tierschutzpartei, die Familienpartei, die Piraten und Volt jeweils einen Europaabgeordneten entsenden. 2014 hatte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Aufhebung der Sperrklausel in Deutschland wesentlich dazu beigetragen, dass sich die im Parlament vertretenen deutschen Parteien von sechs auf 14 mehr als verdoppeln konnten. Dieser Trend konnte sich 2019 nicht fortsetzen. Am Ende wird sich aus deutscher Sicht trotz der offensichtlichen Veränderungen wenig an der Gestaltungsmacht deutscher Europaabgeordneter ändern. Trotz teilweise großer Verluste und Gewinne deutscher Parteien bei der Europawahl 2019, gestiegener Wahlbeteiligung und 14 deutscher Parteien im Europaparlament werden sich die Größen der deutschen Delegationen in den europäischen Fraktionen der neunten Legislaturperiode des Europäischen Parlaments (2019- 2014) nur wenig ändern, da europäische Parteien oft ähnlichen Trends wie die deutschen Schwesterparteien ausgesetzt waren. Die CDU wird mit 29 Sitzen in der EVP (16 Prozentpunkte), die FDP mit 7 Sitzen in der ALDE (6 Prozentpunkte) und die Linke mit 6 Sitzen in der GUE-NGL (15 Prozentpunkte) ihr jeweiliges Stimmengewicht halten. Nur das Stimmengewicht der SPD in der S&D-Fraktion wird abnehmen bzw. der Einfluss des Bündnisses´90/Die Grünen in der Fraktion der Grünen/EFA (30 Prozentpunkte) zunehmen.
Und wenn der Brexit kommt?
Sollten die Briten schlussendlich die Entscheidung treffen, die EU während der neunten Legislaturperiode zu verlassen, würde sich die Gesamtzahl der Europaabgeordneten auf 705 Abgeordnete reduzieren. Hiervon wären insbesondere die EFDD (-29 Sitze), die ALDE (- 16 Sitze), die S&D (-10 Sitze) und die Grünen (-3 Sitze) betroffen– die EVP würde gegenüber den anderen Fraktionen gestärkt.