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Das Zusammenwachsen von innerer und äußerer Sicherheit

Wilhelm Knelangen

/ 7 Minuten zu lesen

Die deutsche Sicherheitspolitik ist durch die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit geprägt. Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts wird diskutiert, ob diese Trennung der neuen Sicherheitslage noch gerecht wird. Besonders kontrovers wurde nach dem 11. September 2001 erörtert, ob die Bundeswehr zur Abwehr des Terrorismus auch im Innern eingesetzt werden sollte. Die jüngsten Ausspäh-Skandale zeigen, dass es neue Herausforderungen an der Schnittstelle zwischen innerer und äußerer Sicherheit gibt.

Soldaten gemeinsam mit Polizisten: Unter welchen Bedingungen darf die Bundeswehr auch im Innern eingesetzt werden? (© picture-alliance/dpa-Zentralbild)

In der sicherheitspolitischen Debatte wird – nicht nur in Deutschland – traditionell zwischen innerer und äußerer Sicherheit unterschieden. Ausgangspunkt ist dabei die Vorstellung des modernen souveränen Staates, der sich gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern vor allem durch sein Sicherheitsversprechen legitimiert. Während es bei der äußeren Sicherheit um die Abwehr von Bedrohungen geht, die sich von außen gegen den Staat und seine Entwicklungsfähigkeit richten, umfasst die innere Sicherheit die Abwehr von Gefahren, die ihren Ursprung innerhalb des Staates haben. Mit den Streitkräften einerseits und den Polizei- und Strafverfolgungsbehörden andererseits haben sich im 18. und 19. Jahrhundert in allen europäischen Staaten spezialisierte Einrichtungen für die äußere und innere Sicherheit herausgebildet.

In der Bundesrepublik Deutschland ist die institutionelle Trennung der beiden Felder nach 1949 besonders strikt und konsequent vorgenommen worden. Das ist vor allem eine Reaktion auf die Erfahrung des Machtmissbrauchs der bewaffneten Kräfte in der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur. Das Grundgesetz stellt deshalb fest, dass der Bund nach Interner Link: Art. 87a Abs. 1 "Streitkräfte zur Verteidigung" aufstellt. Mit der "Verteidigung" war unter den Bedingungen des Ost-West-Konflikts die Abwehr eines von außen kommenden militärischen Angriffs gemeint. Was unter dem Begriff der "inneren Sicherheit" zusammengefasst wird – die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die Verfolgung von Straftaten, der Verfassungsschutz und auch der Katastrophenschutz – ist nach dem Grundgesetz prinzipiell Aufgabe der Polizei und anderer nicht-militärischer Kräfte.

Einsatz der Bundeswehr im Innern

Für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren, also für eine Durchbrechung der Trennung, braucht es eine explizite verfassungsrechtliche Grundlage (Interner Link: Art. 87a Abs. 2 GG). Ein solcher Einsatz ist überdies selbst in schwersten Gefahrenlagen strikt limitiert und an sehr hohe Hürden gebunden. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Bundeswehr anderen Behörden Amtshilfe leisten und die Polizei bei regionalen sowie überregionalen Naturkatastrophen und Unglücksfällen unterstützen (Interner Link: Art. 35 GG). Im Fall des Notstands, bei dem der Bestand oder die freiheitliche demokratische Ordnung des Bundes oder eines Landes in Gefahr ist, kann nach Interner Link: Art. 87a Abs. 4 GG die Bundeswehr als letztes Mittel zur Unterstützung der Polizeikräfte eingesetzt werden. Ausschließlich im Verteidigungsfall darf die Bundeswehr originäre polizeiliche Aufgaben wie den Schutz ziviler Objekte oder die Verkehrsregelung übernehmen (Interner Link: Art. 87a Abs. 3 GG).

Die mit der Trennung verbundene Gewaltenteilung wird durch die föderale Struktur noch einmal verstärkt. Der Bund besitzt nach Interner Link: Art. 73 Abs. 1 GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz in der äußeren Sicherheit (auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung). Die innere Sicherheit ist primär Angelegenheit der Länder, aber auch der Bund hat hier Kompetenzen, so etwa beim Bundeskriminalamt, beim Bundesverfassungsschutz oder der Bundespolizei. Die deutsche Sicherheitsarchitektur ist deshalb durch ein komplexes Geflecht von Länder- und Bundesbehörden gekennzeichnet. Für jede Reform ist die Zustimmung von Bund und Ländern, d.h. von Bundestag und Bundesrat, notwendig. Die Kompetenzen anders zu verteilen, wäre nur mit einer Änderung des Grundgesetzes möglich. Während des Ost-West-Konflikts war die deutsche Sicherheitsstruktur weitgehend unangefochten, denn sie spiegelte die wahrgenommene Sicherheitslage wider: hier die Abwehr einer militärischen Bedrohung, dort der Schutz vor Kriminalität und inneren Gefahren. Nach 1990 gewann jedoch die Einschätzung an Boden, die Trennung werde den neuen Herausforderungen an die Sicherheitspolitik nicht mehr gerecht.

Nach 1990: Veränderte Bedrohungs- und Gefahrenlagen

In der äußeren Sicherheitspolitik rückten wirtschaftliche, soziale, ökologische und kulturelle Ursachen von Gewalt in den Fokus. Die Einsätze der Bundeswehr der 1990er Jahre waren von Krisenbewältigung sowie von der Stabilisierung fragiler Nachkriegsgesellschaften gekennzeichnet. Militärische Instrumente waren für solche Szenarien nur begrenzt geeignet, so dass die Bundeswehr etwa auf dem Balkan oder später in Interner Link: Afghanistan Aufgaben übernahm, die in der Bundesrepublik in der Zuständigkeit von Polizei und anderen zivilen Kräften liegen würden. Diese Tendenz wurde noch dadurch verstärkt, dass deutsche Polizeikräfte vielfach in Stabilisierungsmissionen von UNO, OSZE und EU einbezogen wurden, etwa bei der Beratung der Polizei in Interner Link: Bosnien-Herzegowina oder beim Aufbau des Sicherheitssektors im Interner Link: Kosovo. Für das deutsche Engagement in Afghanistan wurde die Verflechtung äußerer und innerer Sicherheit schließlich zum expliziten Programmpunkt, denn der Ansatz der "vernetzten Sicherheit" sieht eine enge Zusammenarbeit von Streitkräften, Polizei, Entwicklungspolitik und wirtschaftlicher Aufbauhilfe vor.

Auch aus der Sicht der inneren Sicherheit wurde die Tragfähigkeit der traditionellen Trennung in Frage gestellt. Das wichtigste Argument lautete, dass die deutsche Sicherheitslage wesentlich von Entwicklungen abhängt, die außerhalb des Staatsgebiets ihren Ursprung haben. Regionale Krisen oder lange währende Bürgerkriege wirken sich auf die innere Sicherheit aus, ohne dass die Polizei darauf einwirken könnte. Daher, so das Argument, bedürfe es einer vernetzten Antwort auf die Sicherheitsprobleme.

Institutionell hatte der Perspektivenwechsel zunächst kaum Auswirkungen. Vereinzelt wurde zwar aus der CDU/CSU heraus schon in den 1990er Jahren gefordert, die Aufteilung der Kompetenzen zu überdenken. Im Zentrum der Forderungen standen dabei eine Zentralisierung der Sicherheitsverantwortung beim Bund und die Erleichterung des Einsatzes der Bundeswehr im Innern. Die für die Umsetzung dieses Plans notwendige verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat war jedoch außer Sicht. Die anderen Parteien, die Gewerkschaften der Polizei sowie der Bundeswehrverband lehnten diese Überlegungen strikt ab. Zum einen habe sich die Trennung zwischen militärischen und polizeilichen Aufgaben bewährt, zum zweiten lasse das Grundgesetz in außerordentlichen Gefahrenlagen genügend Möglichkeiten der Zusammenarbeit, zum dritten seien Ausbildung und Ausstattung beider Seiten für eine Vermischung der Aufgaben zu unterschiedlich.

Der 11. September 2001: eine intensivierte Debatte

Mit neuer Dringlichkeit gelangte das Thema nach dem 11. September 2001 auf die Tagesordnung. Weitgehende Einigkeit bestand darin, dass die verschiedenen Akteure der deutschen Sicherheitspolitik zu einer engeren innerdeutschen und auch internationalen Koordinierung kommen sollten. Während die CDU/CSU erneut eine Änderung des Grundgesetzes und den Einsatz der Bundeswehr zum Schutz sensibler Objekte (z.B. Atomkraftwerke) und zur Abwehr von Angriffen aus der Luft und zu Wasser forderte, lehnten die anderen Parteien – wenn auch mit unterschiedlicher Intensität – dieses Ansinnen ab. Die rot-grüne Bundestagsmehrheit setzte im September 2004 allerdings eine Änderung des Luftsicherheitsgesetzes durch, das den Streitkräften gestatten sollte, ein als Waffe genutztes Flugzeug abzuschießen, allerdings nur sofern das die einzige Möglichkeit zur Abwehr der Gefahr darstellt, dass das Flugzeug "gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll".

Das Bundesverfassungsgericht erklärte Externer Link: das Gesetz im Februar 2006 für verfassungswidrig. Das Grundgesetz gestatte nicht die mit einem Abschuss unweigerlich verbundene Abwägung des Lebens der Flugzeugsinsassen mit dem Leben möglicher Opfer am Boden. Das Gericht stellte überdies fest, die Bundeswehr dürfe zwar in einem (auch unmittelbar bevorstehenden) Katastrophenfall unterstützend helfen, aber Interner Link: Art. 35 GG erlaube dem Bund nicht einen "Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen". Externer Link: In diesem Punkt kam das Bundesverfassungsgericht im August 2012 zu einer neuen Einschätzung. Nunmehr stellte es fest, dass im Rahmen des Katastrophennotstandes ein Einsatz der Bundeswehr mit spezifisch militärischen Mitteln nicht generell ausgeschlossen sei. Er komme allerdings nur als ultima ratio in Betracht und dürfe nicht dazu genutzt werden, die strikten Regeln zu unterlaufen, die das Grundgesetz für den Einsatz der Streitkräfte im Notstandsfall vorsieht. Der Verfassungsrichter Reinhard Gaier kritisierte diese Neubewertung des Gerichts in einem Sondervotum. Das Urteil habe "im Ergebnis die Wirkungen einer Verfassungsänderung", obwohl es dafür keine parlamentarischen Mehrheiten gegeben habe. Überdies seien die Kategorien des Gerichts zur Abgrenzung der Unterstützung im Katastrophenfall vom inneren Notstand nicht klar.

Weitgehende Kontinuität, neue Herausforderungen

Die These, innere und äußere Sicherheit seien in den vergangenen Jahren zusammengewachsen, ist in der sicherheitspolitischen Debatte zu einem Allgemeinplatz geworden. Während auf der Ebene der Bedrohungen und Gefahren die Unterscheidung tatsächlich vielfach verschwimmt, ist die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern einerseits sowie zwischen den Sicherheitsbehörden andererseits auch nach dem 11. September 2001 weitgehend erhalten geblieben. Zwar darf das Bundeskriminalamt seit 2008 auch präventiv gegen den internationalen Terrorismus tätig werden. Das war bislang den Länderpolizeien vorbehalten geblieben. Auch sind neue Einrichtungen für die Koordinierung von Sicherheitsbehörden geschaffen worden. In dem 2004 gegründeten Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (Hauptsitz: Berlin) tauschen beispielsweise die Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz, die Kriminalpolizeibehörden von Bund und Ländern, der Bundesnachrichtendienst, der Militärische Abschirmdienst, das Zollkriminalamt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und der Generalbundesanwalt ihre Erkenntnisse zum islamistischen Terrorismus aus. Die gesetzlichen Zuständigkeiten der Behörden sind dabei aber nicht verändert worden. Insgesamt ist daher mit der Trennung von innerer und äußerer Sicherheit nach 9/11 ein tragendes Element der Sicherheitsarchitektur im Kern bestätigt worden. Das gilt auch für den Einsatz der Bundeswehr im Innern, der weiterhin an außerordentlich hohe Hürden gebunden bleibt.

Wie die Privatsphäre gegen den Zugriff staatlicher Behörden verteidigt werden kann, gehört seit langem zu den Kernthemen der Sicherheitsdebatte. Die jüngst bekannt gewordenen Ausspähungs- und Abhörmaßnahmen ausländischer Geheimdienste in Deutschland verweisen allerdings auf ein ganz neues Problemfeld im Verhältnis von innerer und äußerer Sicherheit. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten vom Staat im Rahmen seines Sicherheitsversprechens den Schutz ihrer persönlichen Kommunikation. Angesichts der global verflochtenen Struktur des Internets ist dieses Ziel mit nationalen Instrumenten allein aber kaum noch zu erreichen. Die Möglichkeiten des Zugriffs auf die Datenbestände des internationalen E-Mail-Verkehrs oder auf die Nutzerprofile in sozialen Netzwerken sind sehr ungleich verteilt, weil viele große Anbieter ihren Sitz außerhalb der Bundesrepublik haben. Der deutschen Politik drohen bei einem entschiedenen Vorgehen gegen Ausspähung und Abhören nicht zuletzt wichtige Partner, z.B. im Kampf gegen den Terrorismus, verloren zu gehen. Die Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahren von der Kooperation insbesondere mit US-Geheimdiensten profitiert, die nach dem 11. September die Überwachung der Kommunikation massiv ausgeweitet hatten. Die Debatte darüber, mit welchen Ansätzen und Strategien eine glaubwürdige und freiheitsschonende Antwort auf diese neue Herausforderung gegeben werden kann, hat gerade erst begonnen.

Fussnoten

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Dr. Wilhelm Knelangen, geb. 1971, ist Akademischer Rat für Politikwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Sicherheitspolitik und die europäische Integration.