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Problemviertel? Imageproduktion und soziale Benachteiligung städtischer Quartiere

Carsten Keller

/ 11 Minuten zu lesen

Berlin-Neukölln ist überall, oder doch nicht? Der Berliner Bezirk steht seit langem paradigmatisch für Armut, Gewalt und Aussichtslosigkeit, in jüngster Zeit macht er zudem als „Szenekiez“ von sich reden. Sozial benachteiligte Quartiere gibt es auch in anderen deutschen Städten. Doch was genau macht ein "Problemviertel" aus? Der Stadt- und Regionalsoziologe Carsten Keller untersucht den Begriff und skizziert unterschiedliche sozial benachteiligte Viertel anhand ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Problemviertel, Brennpunkt, Ghetto: Vierteln mit sozialer Benachteiligung haftet das Stigma von Perspektivlosigkeit und Kriminalität an. Doch die Betrachtung von "außen" bleibt klischeehaft und verdeckt die sozialen Differenzierungen. (© picture-alliance/dpa)

Seit etwa zwanzig Jahren ist Berlin-Neukölln das wohl bekannteste "Problemviertel" der deutschen Großstädte. Den zentralen Auftakt für diese Bekanntheit bildete ein Spiegelartikel im Jahr 1997 mit dem Titel Externer Link: Endstation Neukölln. Darin werden Verwahrlosung, extreme Gewalt und scheinbar ungezügelte Kriminalität als Alltagsphänomene in dem Berliner Bezirk beschrieben. Berlin zog zu dieser Zeit, als alte neue Hauptstadt nach dem Mauerfall, sukzessive die Medien in seinen Bann. Nun tat sich fast im Zentrum dieser Großstadt mit Neukölln ein verruchtes Viertel auf, eine von Armut, Fremdheit und Gewalt geprägte No-go-Area.

Imageproduktion eines Problemviertels

Einen weiteren Meilenstein in der Imageproduktion von Neukölln als Problemviertel markierte knapp zehn Jahre später der Kinofilm Interner Link: Knallhart (von 2006). Erzählt wird die Geschichte eines Jugendlichen, der vom bürgerlichen Zehlendorf nach Neukölln zieht. Dort widerfährt ihm so ziemlich alles, was einem in einem "Problemviertel" passieren kann: Er kommt auf eine Schule mit sozial auffälligen Mitschülern, gerät in das Visier einer kleinkriminellen Clique, die von einem skrupellosen Jugendlichen mit Migrationshintergrund angeführt wird, um schließlich Karriere bei einem noch skrupelloseren Drogenboss zu machen. Auch literarisch wird Neukölln in diesem Sinne aufbereitet: Im Jahr 2008 erschienen mit "Arabboy" und "Der große Bruder von Neukölln" gleich zwei autobiografisch geprägte und breit rezipierte Bücher, die beide die Brutalität und Ausweglosigkeit des Aufwachsens in Neukölln herausstellen. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Imageproduktion bilden freilich die Bücher von Heinz Buschkowsky, insbesondere seine Publikation "Neukölln ist überall". Er war von 2001 bis April 2015 Neuköllns Bezirksbürgermeister.

Das Image des Verruchten, Gefährlichen und Fremden, das benachteiligten Stadtteilen oft anhaftet, war schon immer ein Grund für das Interesse an ihnen. Der ambivalente Reiz, der von diesen scheinbar anderen Welten ausgeht, hat auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihnen häufig inspiriert. Berlin-Neukölln ist hierin kein Sonderfall, aber besonders ist sein Bekanntheitsgrad. Wenn sich Teile Neuköllns in den vergangenen Jahren durch Zuzüge zunächst von Studenten und Künstlern sowie der Eröffnung zahlreicher Bars, Cafés und Läden zu international renommierten Szene- und Ausgehvierteln entwickeln, dann scheint es fast so, als hätte sich dieses neue Image den früheren Ruf und Ruhm als Problemviertel einverleibt: von der No-go zur To-go-Area. Ist also Neukölln heute kein "Problemviertel" mehr? Und was kennzeichnet typische Problemstadtteile in deutschen Städten?

Das Image eines Viertels führt ein Eigenleben

Auch wenn benachteiligten Stadtgebieten meist ein schlechtes Image anhaftet, wäre es sozialwissenschaftlich verfänglich, allein an diesem Kriterium Problemquartiere zu identifizieren. Das Image eines Viertels führt ein Eigenleben, es ist Medium und Speicher von Geschichten wie Mythenbildungen. Diese können zwar handlungsrelevant werden, etwa für Menschen "außerhalb" des Stadtgebiets, indem sie deren Mobilitäts- oder Investitionsverhalten mit beeinflussen. Der Städtetourismus ist ein Beispiel dafür, wie durch die Vermarktung der Images von Städten und Stadtteilen Mobilitätsentscheidungen gelenkt werden sollen. Jedoch ist das Image eines Stadtteils stets pauschalisierend. Mindestens verdeckt es die zahlreichen sich in ihm verbergenden sozialen Differenzierungen. Im schlimmsten Fall ist es unzutreffend oder rein abwertend, ein Stigma, wie zum Beispiel die geläufige Bezeichnung "Assi-Viertel" oder "Ghetto".

Der Bezirk Berlin-Neukölln ist eines der bekanntesten „Problemviertel“ deutscher Großstädte. Es ist auch ein Viertel, das von sozialer Benachteiligung betroffen ist. (© picture-alliance)

Was von außen als "sozialer Brennpunkt" oder "Problemquartier" bezeichnet wird, kann sich von innen friedlich, tolerant und selbst solidarisch gestalten. Beispielsweise haben Studien über die hochgeschossigen Großsiedlungen am Rand von Städten, die oft allein schon aufgrund ihrer monströs wirkenden Architektur als "Problemviertel" gelten, immer wieder gezeigt, dass viele dieser Siedlungen besser sind als ihr Ruf und die Bewohner gerne in ihnen wohnen. Eine aktuelle Studie, die Großsiedlungen aus den alten Bundesländern wie die Neue Vahr in Bremen und Nordostbahnhof in Nürnberg mit solchen aus den neuen Bundesländern wie Dresden-Gorbitz und Roter Berg in Erfurt vergleicht, kommt zu dem selben Schluss. Auch die Studien zu sogenannten Quartierseffekten zeigen dies. Hierzu wurde in den vergangenen Jahren viel geforscht. Dabei wird untersucht, ob benachteiligte Viertel die Lebenschancen ihrer Bewohner negativ beeinflussen; ob sich zum Beispiel das soziale Milieu negativ auf die Sozialisation der Kinder und Jugendlichen auswirkt. Es zeigt sich, dass vom Ausmaß der Benachteiligung eines Viertels nicht direkt darauf geschlossen werden kann, welche Effekte dieses auf die Bewohner zeitigt. Beeinflusst werden Quartierseffekte auch von Faktoren wie der sozialen Kohäsion, dem sozialen Zusammenhalt in einem Viertel. Auch wenn sich Effekte nicht pauschal benennen lassen, gibt es aber dennoch Quartierseffekte.

Vor diesem Hintergrund ist es angebracht, möglichst neutrale und analytische Begriffe zur Beschreibung von benachteiligten Stadtteilen zu wählen. Der Begriff "Problemquartier" erweist sich selber als problematisch, da er dazu verleitet, unterschiedlichste Problemlagen auf ein Viertel zu projizieren, das vielleicht lediglich eine vernachlässigte Bausubstanz aufweist oder in dem eine einkommensschwache Bewohnerschaft lebt. Im Folgenden wird deshalb der Begriff benachteiligte Quartiere verwendet. Die Perspektive richtet sich mit diesem Begriff primär auf die soziale Lage der Bewohner und im Weiteren auf Merkmale des Quartiers wie dessen Bausubstanz, Infrastruktur und Lage.

Soziale Benachteiligung: mehr Arbeitslosigkeit, mehr Armut

Benachteiligte Stadtteile oder Quartiere lassen sich zunächst darüber definieren, dass in ihnen ein erhöhter Anteil von Personen lebt, die sozial benachteiligt sind. Zieht man die klassischen Statusindikatoren Bildung, Beruf und Einkommen als Maß für soziale Benachteiligung heran, kann man im Fall von Berlin-Neukölln sagen, dass es sich weiterhin um einen benachteiligten Stadtbezirk handelt. So weisen die Daten des aktuellen Externer Link: Berliner Sozialstrukturatlas Neukölln als den Bezirk aus, der die höchsten Anteile an Personen ohne schulische und berufliche Bildungsabschlüsse, die höchste Arbeitslosenquote und Einkommensarmut aufweist.

Berlin-Neukölln liegt relativ zentral und ist geprägt von Altbaubestand. Zwei Merkmale, die auf viele benachteiligte Quartiere zutreffen. In manchen dieser Viertel steigen die Mieten. Mit der Folge, dass statusschwache Haushalte "ihre" Viertel teils verlassen. (© picture-alliance)

Hinsichtlich der sozialen Lage der Bewohner lässt sich Neukölln also auch heute noch als ein "Problembezirk" bezeichnen. Zwar sind einzelne Viertel zu In-Vierteln geworden, zu To-go-Areas, aber diese Entwicklung bleibt (bislang) räumlich beschränkt. Die soziale Benachteiligung stellt gegenüber den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Gleichheit von Lebenschancen weiterhin eines der gravierendsten Probleme dar. Neukölln ist allerdings ein Bezirk mit über 320 000 Einwohnern, der sich von gründerzeitlich geprägten Innenstadtlagen innerhalb des S-Bahn-Rings bis hin an die südliche Berliner Peripherie erstreckt. Im südlichen Teil von Neukölln dominieren kleinteiligere Wohnbebauungen mit teils suburbanem und dörflichem Charakter. Abgesehen von der Großsiedlung Gropiusstadt sind die Bewohner hier in der Regel sozial etwas besser gestellt als im Berliner Durchschnitt. Sozial benachteiligte Quartiere befinden sich in Neukölln vor allem im nördlichen Teil. Dies spiegelt sich deutlich bei den Quoten der Empfänger der Grundsicherung (nach Sozialgesetzbuch II) wider: Bis auf das Quartier Reuterplatz liegt die Quote an erwerbsfähigen Transferempfängern (Arbeitslosengeld II) in Nord-Neukölln durchschnittlich bei über 30 Prozent, bei Kindern unter 15 Jahren sogar bei über 60 Prozent. Im Vergleich: Der Berliner Durchschnitt liegt bei 18 beziehungsweise 29 Prozent (in 2011).

Im Vergleich auch mit anderen deutschen Städten und Regionen sind das durchaus hohe absolute Konzentrationswerte. Dies ist vor allem Ausdruck davon, dass Berlin (im Februar 2014: 19,8 Prozent), hinter Bremerhaven und Gelsenkirchen (mit 22,5 Prozent) sowie dem Landkreis Uckermark (20,2 Prozent) die Liste der deutschen Städte und Regionen bei den Empfängerquoten der Grundsicherung anführt, während insbesondere Städte und Regionen in Süddeutschland niedrigere Quoten aufweisen. In wirtschaftlich prosperierenden Städten wie München (6,4 Prozent Empfängerquote der Grundsicherung), Stuttgart 7,6 Prozent), Nürnberg (11,5 Prozent) oder Frankfurt (12,1 Prozent) ist das Ausmaß der absoluten Konzentration von Armut in einzelnen Vierteln in der Regel geringer als in strukturschwachen Städten. Allerdings ergeben sich in den wohlhabenden Städten gänzlich andere Kontraste. Armut und soziale Benachteiligung stellen in Deutschland primär ein relatives Phänomen dar, da das absolute Existenzminimum prinzipiell für alle gesichert ist. Auch das Empfinden von Armut, das heißt des Ausschlusses von der Teilhabe an Gütern und kulturellen Ereignissen, ist vor allem relativ: relativ zu dem, was andere haben und tun. In der Soziologie wird dies mit dem Terminus der "relativen Deprivation" beschrieben. Das Leben in benachteiligten Wohngebieten einer reichen Stadt wie München oder Stuttgart verbindet sich mithin mit einer anderen Form der relativen Deprivation als in Gelsenkirchen oder Bremerhaven. Nicht nur sind die Lebenshaltungskosten in jenen Städten durchschnittlich höher, auch die Konzentration des Wohlstands und seiner Symbole ist deutlich ausgeprägter, was den statusschwachen Personen umso mehr ihren Ausschluss spiegelt.

Der Vorort Chorweiler im Kölner Norden wurde in den 1970er-Jahren gebaut. Heute ist er Symbol einer verfehlten Städtebaupolitik. Dringend notwendig sind Investitionen in die Infra- und Sozialstruktur. (© picture-alliance/dpa)

Die Konzentration von statusschwachen Bewohnern in bestimmten Stadtteilen überlagert sich typischerweise mit der von Menschen mit Migrationshintergrund. Mit anderen Worten wohnen Personen mit Migrationshintergrund überproportional häufig in benachteiligten Quartieren. Dies ist ein internationales, keineswegs auf Deutschland beschränktes Phänomen und hat einen zentralen Grund darin, dass ethnische Minderheiten überproportional von Armut betroffen sind. Allerdings erklärt der soziale Status nur einen Teil dieser räumlichen Überlagerung, denn Sozialstatus und Migrationshintergrund sind teils entkoppelt. Diese relative Unabhängigkeit von Sozialstatus und Migrationshintergrund zeigt sich etwa in dem Trend, dass über die vergangenen Jahrzehnte die Konzentration beziehungsweise Segregation von statusschwachen Haushalten in den Städten zunimmt, während die von Personen mit Migrationshintergrund eher rückläufig ist.

Historische Stadtentwicklung und Quartierstypen

Der Bezirk Berlin-Neukölln zeigt ein für deutsche Städte geradezu typisches Muster bei der Konzentration benachteiligter Personen auf: Benachteiligte Quartiere liegen zum einen innenstadtnah und sind überwiegend durch Altbaubestand, je nach Grad der Kriegszerstörungen und Art der Stadtplanung mehr oder weniger aber auch von Nachkriegsbauten und Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus geprägt. Solche innenstadtnahen Viertel haben meist eine Geschichte als Arbeiterquartiere; sie entstanden in der Zeit der Industrialisierung in unmittelbarer Nähe zu den Fabriken und zentralen Verkehrsadern wie Bahnhöfen und Flüssen. Auch heute prägen große Verkehrsachsen und inzwischen oft umgewidmete Industrieareale die Gestalt dieser Viertel oder grenzen sie räumlich ab. In Berlin liegen solche Quartiere außer in Neukölln vor allem im Wedding und in Kreuzberg, in anderen Städten finden sie sich beispielsweise im Gutleut-, Bahnhofs- und Gallusviertel (Frankfurt am Main), Nord-Holland, Wesertor und Rothenditmold (Kassel) oder Altendorf, Altenessen und Katernberg (Essen), um nur einige zu nennen. In den vergangenen Jahren sind es gerade diese Quartierstypen, die im Zuge der sogenannten Reurbanisierung von Aufwertungstendenzen erfasst werden. In je nach regionalem und wirtschaftlichem Kontext unterschiedlicher Ausprägung kommt es zu Mietsteigerungen in innerstädtischen Altbaubereichen, und statusschwache Haushalte ziehen in städtische Randbereiche um.

Halle-Neustadt wurde als Chemiearbeiterstadt errichtet. In den 1980er-Jahren lebten dort über 90 000 Menschen. Der Ort war zeitweise eine eigenständige Stadt. (© picture-alliance)

Den zweiten von sozialer Benachteiligung häufig betroffenen Quartierstyp stellen randstädtische Großsiedlungen dar, die in Westdeutschland überwiegend in den 1960er- und 1970er-Jahren, in Ostdeutschland bis Ende der 1980er-Jahre entstanden. Diese im Westen ― wie die Gropiusstadt in Berlin-Neukölln, Neuperlach in München, Chorweiler in Köln oder die Nordweststadt in Frankfurt ― in der Regel als sozialer Wohnungsbau entwickelten, monofunktional auf das Wohnen ausgerichteten Siedlungen konnten das Versprechen einer sozialen Mischung ihrer Wohnbevölkerung nur vorübergehend einlösen. Schnell erlebten sie Entmischungsschübe: Auszüge von Bessergestellten und Einzüge statusschwacher Haushalte. Solche Entmischungsschübe setzten in den ostdeutschen Großsiedlungen erst nach der Wiedervereinigung ein und stellen die Städte allein angesichts des großen Umfangs des industriellen Siedlungsbaus zu DDR-Zeiten vor erhebliche Herausforderungen. Freilich sind es in den riesigen Großsiedlungen wie beispielsweise Leipzig-Grünau, Halle-Neustadt oder Marzahn und Hellersdorf in Berlin stets nur bestimmte Teile beziehungsweise Quartiere, die sozial absteigen, während andere Teile sozial stabil bleiben.

Einschränkung der Lebensqualität und Lebenschancen

Häufig gehen mit der räumlichen Konzentration statusschwacher Haushalte weitere Benachteiligungen der Quartiere einher, die die Lebensqualität einschränken. Neben Verkehrs- und Lärmbelastungen besonders in den innerstadtnahen Lagen sind eine vernachlässigte Bausubstanz und geringere Instandhaltungen der Gebäude und Wohnungen zu konstatieren. Diese treten ebenso wie defizitäre Infrastrukturen in den Quartieren häufiger auf: Es fehlt an differenzierten Angeboten für Waren des täglichen Bedarfs, besonders jedoch an kulturellen Angeboten. Gründe für die unbefriedigende Situation sind die mangelnde Kaufkraft, aber auch die geringe öffentliche Artikulations- und Verhandlungsmacht statusschwacher Gruppen. Außerdem kann die Anbindung an die Möglichkeiten und Angebote der restlichen Stadt durch schlecht ausgebauten oder frequentierten öffentlichen Nahverkehr gerade in randstädtischen Siedlungen erschwert sein. Doch selbst in innenstadtnahen Lagen sind Quartiere teilweise stark von Gewerbegebieten und Verkehrsachsen eingekapselt, sodass, wie beispielsweise im Kasseler Rothenditmold oder Frankfurter Gutleutviertel, Mobilitätsbarrieren bestehen. Die Aktivitätsräume der statusschwachen Bewohner, die sich unter anderem aufgrund ihrer geringen finanziellen Möglichkeiten ohnehin kleinflächiger gestalten, werden durch derartige Mobilitätsbarrieren zusätzlich eingeschränkt.

Resümierend lässt sich sagen, dass das Wohnen in einem benachteiligten Quartier eher zu einer Verfestigung benachteiligter Lebenslagen beiträgt – auch wenn nicht nur Restriktionen, sondern ebenso Potenziale existieren. Letztere bestehen beispielsweise darin, dass sich Unterstützungsnetzwerke zwischen Bewohnern ausbilden und dass das Quartier als ein Schutzraum erlebt wird, in dem man intern weniger Diskriminierungen aufgrund eines geringen sozialen Status und/oder eines Migrationshintergrundes ausgesetzt ist. Zugleich gibt es Restriktionen, etwa die erwähnte defizitäre Infrastruktur und der eingeschränkte Zugang zu Kontakten und Angeboten der restlichen Stadt. Darüber hinaus sind Diskriminierungen bei Behörden oder Arbeitgebern aufgrund der Adresse möglich. Schließlich vollziehen sich stärker als an anderen Orten bestimmte soziale Lernprozesse, bei denen beispielsweise Jugendliche ihrer Bildungskarriere abträgliche Verhaltensmuster erlernen, da "positive" Rollenvorbilder in ihrem engeren Umfeld fehlen. Dennoch lässt sich bei benachteiligten Quartieren nicht pauschalisieren, welche Quartierseffekte in welchem Maß wirken. Berlin-Neukölln ist nicht überall, auch wenn es in anderen deutschen Städten ebenfalls benachteiligte Quartiere gibt.

Weiterführende Literatur und Links

Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen (IAQ) 2014: Empfängerquoten der Grundsicherung für Arbeitsuchende in ausgewählten Städten und Kreisen Deutschland 02/2014 Externer Link: http://www.sozialpolitik-aktuell.de/sozialstaat-datensammlung.html#empfaenger-1789
direkter Link: Externer Link: http://www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Arbeitsmarkt/Datensammlung/PDF-Dateien/abbIV72.pdf (PDF)

Vaskovics, Laszlo A. 1976: Segregierte Armut. Randgruppenbildung in Notunterkünften. Frankfurt/ New York Wensierski, Peter: Endstation Neukölln, Der Spiegel, 43/1997 (Externer Link: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8805068.html)

Teltemann, Janna; Dabrowski, Simon; Windzio, Michael 2015: Räumliche Segregation von Familien mit Migrationshintergrund in deutschen Großstädten: Wie stark wirkt der sozioökonomische Status?. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Heft 1, JG. 67, 2015, Seite 83-103

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Der Stadt- und Regionalsoziologe Carsten Keller lehrt an der Universität Kassel. Zuvor war er Professor an der Universität Duisburg-Essen und Forscher in Soziologie am Centre Marc Bloch, Berlin. Neben Stadt- und Regionalsoziologie bilden Migrations- und Ungleichheitsforschung sowie qualitative Methoden weitere Schwerpunkte seiner Arbeit.