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Neue Polizeigesetze: Schritt zu mehr Sicherheit oder Weg in den Polizeistaat? | Hintergrund aktuell | bpb.de

Neue Polizeigesetze: Schritt zu mehr Sicherheit oder Weg in den Polizeistaat?

Redaktion

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Bayern hat ein neues Polizeiaufgabengesetz beschlossen. Es regelt die Befugnisse der bayerischen Polizei, die mit der Gesetzesreform deutlich ausgeweitet werden. Die Änderungen sind umstritten.

Nach zahlreichen Protesten in mehreren bayerischen Städten demonstrierten auch am Tag der Verabschiedung im Bayerischen Landtag Münchner Schüler gegen das neue Polizeiaufgabengesetz. Schon am 10. Mai waren in München 30.000 Menschen gegen das Gesetz auf die Straße gegangen. (© picture alliance/ZUMA Press/Sachelle Babbar)

Es ist eine der umstrittensten innenpolitischen Entscheidungen der vergangenen Jahre in Bayern. Am Dienstagabend verabschiedete der Bayerische Landtag mit den Stimmen der CSU-Mehrheit eine Novellierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG). Zuvor hatte es in einer Vielzahl von bayerischen Städten Proteste mit mehreren Zehntausend Teilnehmern gegeben – in München demonstrierten laut Polizei rund 30.000 Menschen – die Veranstalter sprachen sogar von über 40.000 Teilnehmern.

EU-Datenschutzrichtlinie und Verfassungsgerichtsurteil machen Neuregelung nötig

So wie alle anderen Bundesländer muss der Freistaat sein Polizeigesetz derzeit anpassen – es regelt, welche Befugnisse den Beamten bei der Verbrechensbekämpfung zustehen. Der Grund: Die Länder sind verpflichtet, die Änderungen der Interner Link: Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeskriminalamt-Gesetz umzusetzen. "Manche Bundesländer weiten bei dieser Gelegenheit aber auch gleich die Rechte der Polizei aus – Bayern geht dabei besonders weit", erläutert Markus Thiel, Professor für Polizeirecht an der Deutschen Hochschule der Polizei.

Die bayerischen Ermittler erhalten nicht nur zusätzliche Rechte. Ein wesentliches Element der Reform: Künftig können die Beamten zahlreiche neue und bereits bestehende Befugnissen nicht erst bei einer "konkreten", sondern bereits bei einer "drohenden Gefahr" anwenden – ein Rechtsbegriff, der aufgrund seiner Unschärfe kritisiert wird.

Begriff der "drohenden Gefahr" stößt auf Kritik

Eine "konkrete Gefahr" besteht dann, wenn ein Schaden mit großer Wahrscheinlichkeit eintreten würde, falls niemand die Begehung einer Straftat verhindert. Bei der "drohenden Gefahr" reicht bereits eine unkonkrete Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Delikt kommen könnte. Der Begriff "drohende Gefahr" steht schon seit einem Jahr im bayerischen PAG, ist bislang allerdings nur bei wenigen Ermittlungsmethoden von Relevanz gewesen. Künftig soll er bei weit mehr Straftaten die entscheidende Schwelle sein, ab der die Polizei eingreifen darf.

Bereits 2008 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Ermittler im Einzelfall bei drohender Gefahr für ein "überragend wichtiges Rechtsgut" tätig werden könnten. Dies gelte, "selbst wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr schon in näherer Zukunft eintritt.“ Sie müsse aber ihrer „Art nach konkretisiert und zeitlich absehbar“ sein.

Das novellierte bayerische PAG schreibt nun vor, dass die drohende Gefahr einem "bedeutenden Rechtsgut" gelten muss. Hierzu zählen Gefahr für "Leib und Leben oder die Freiheit einer Person". Kritiker der Reform bemängeln jedoch, dass auch erhebliche Eigentumswerte oder Dinge, "deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse sind", künftig ein präventives Eingreifen der Polizei im Freistaat rechtfertigen würden. Manche Rechtsexperten kritisieren zudem, dass der Begriff der "drohenden Gefahr" zu ungenau definiert sei, was zum Missbrauch einlade.

Präventive Online-Überwachung künftig deutlich erleichtert

Künftig kann die bayerische Polizei bei einer drohenden Gefahr genetische Spuren an Tatorten auf eine erweiterte Reihe von Merkmalen hin untersuchen – darunter etwa Geschlecht, Augen-, Haut- oder Haarfarbe sowie Alter. Zudem dürfen die Sicherheitsbehörden laut neuer Rechtslage von weit mehr Verdächtigen als bislang DNA-Spuren analysieren. Bayerns Datenschutzbeauftragter und eine Reihe von Juristen halten dies für problematisch.

Zudem können Pakete bei einer drohenden Gefahr präventiv beschlagnahmt werden. Auch die Online-Interner Link: Überwachung soll deutlich ausgebaut werden. So darf die Polizei Daten aus Clouddiensten sicherstellen und in bestimmten Fällen sogar löschen oder verändern. Polizeieinsätze sollen künftig immer von Körperkameras (Bodycams) gefilmt werden – passiert nichts, werden diese Aufnahmen automatisch überschrieben. Gespeichert werden die Informationen nur auf Veranlassung der Beamten.

Besonders umstritten sind die Regelungen zur erweiterten Präventivhaft, die bislang geltende Höchstfrist von drei Monaten ist mit dem PAG abgeschafft. Der Erlanger Jura-Professor Markus Krajewski hält es für problematisch, dass die Präventivhaft künftig "praktisch unendlich" verlängert werden könne. "Das verstößt unserer Ansicht nach gegen das Grundrecht auf Freiheit der Person", so Krajewski. Ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums betont dagegen, dass die Entscheidung zur Präventivhaft ein Richter und nicht die Polizei selbst treffe – auch müsse dieser seine Entscheidung alle drei Monate neu bewerten.

Während Gegner der PAG-Novellierung eine zu große Machtfülle der Polizei fürchten, argumentiert die bayerische Staatsregierung, das Maßnahmenpaket sei aus Gründen einer verbesserten Verbrechensprävention dringend erforderlich. Die Exekutive müsse mit Verbrechern mithalten können, die Polizei bei der technischen Überwachung auf dem neuesten Stand sein.

Auch in NRW gibt es Proteste gegen das dort geplante Polizeigesetz

Die Polizei wird in Deutschland in der Mehrheit von den Interner Link: Landespolizeibehörden gestellt. 2016 arbeiteten bei den Landespolizeibehörden rund 268.000 Polizisten, beim Bund waren 45.000 Personen im Polizeidienst. Neben Bayern werden die Polizeiaufgabengesetze auch in den anderen Bundesländern novelliert und die Befugnisse der Polizei erweitert.

In Nordrhein-Westfalen etwa soll die Polizei bestimmte Gruppen von Verdächtigen künftig deutlich länger in Gewahrsam nehmen dürfen. Die Landesregierung plant zudem den Einsatz elektronischer Fußfesseln. Auch soll die Videoüberwachung ausgebaut werden. Bei „drohender Gefahr“ dürfen Ermittler an Rhein und Ruhr künftig präventiv und ohne Wissen der betroffenen Personen Telefonate und mobile Kommunikation wie Kurznachrichten mithören und mitlesen. Auch in NRW stören sich Kritiker des Gesetzesentwurfs vor allem am Begriff der "drohenden Gefahr", der Polizeibeamten die Möglichkeit gebe, ohne hinreichende Wahrscheinlichkeit eines konkreten Verbrechens gegen Personen vorzugehen.

Niedersachsen plant im Rahmen einer Reform seines Polizeigesetzes die Einführung einer Präventivhaft von bis zu 74 Tagen, bislang sind nur zehn Tage möglich. Die Regierungspläne sehen ebenfalls zusätzliche Befugnisse der Polizei etwa bei der Telefonüberwachung und Onlinedurchsuchungen vor. Zahlreiche Juristen warnen auch hier vor einem unverhältnismäßigen Abbau an Grundrechten.

Auch Sachsen plant deutliche Erweiterungen der Befugnisse der Sicherheitsbehörden. So ist im Polizeigesetz etwa der Einsatz von elektronischen Fußfesseln zur Überwachung von sogenannten Gefährdern geregelt. Zudem soll der Einsatz von Systemen zur automatischen Erfassung von Kfz-Kennzeichen konkretisiert werden. Auch eine erweiterte Ausrüstung der Polizei, zum Beispiel mit Maschinengewehren, ist geplant. Im Freistaat gab es ebenso wie in den anderen Bundesländern Kritik am verschärften Polizeigesetz.

Bremen dagegen hat die geplante Novellierung seines Polizeigesetzes einstweilen gestoppt. Bislang können dort etwa die Telefone von Gefährdern nicht abgehört werden.

Im Zuge der Novellierung der Landespolizeigesetze werden auch immer wieder Forderungen nach einem verpflichtenden Musterpolizeigesetz im Rahmen eines Staatsvertrags zwischen Bund und den Ländern laut. Es gibt seitens der Innenminister zwar eine Verständigung über das Vorhaben die Befugnisse der Polizeien des Bundes und der Länder zu vereinheitlichen, ein konkreter Gesetzentwurf dazu fehlt jedoch.

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