Barrikaden, Festnahmen, Verletzte: Ende September eskalierten die Proteste für mehr Demokratie in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong. Studenten und oppositionelle Gruppen besetzten Teile der Hongkonger Innenstadt und des Finanzzentrums. Es kam zu Zusammenstößen der Demonstranten mit der Polizei und prochinesischen Gegendemonstranten.
Ausgelöst hatte die Proteste eine Ankündigung des Nationalen Volkskongresses in Peking. Dieser hatte im August 2014 beschlossen, den nächsten Hongkonger Regierungschef 2017 erstmals direkt von den Hongkonger Bürgern wählen zu lassen. Allerdings sollen nur zwei oder drei Kandidaten zur Wahl zugelassen werden – ausgewählt von einem Wahlkomitee, welches bislang selbst den Regierungschef bestimmt hatte.
Hongkonger Studenten und Bürger gingen daraufhin zu Tausenden auf die Straße, um für freie Wahlen, Selbstbestimmung und mehr Demokratie zu demonstrieren. Ihr Protest spiegelt die historischen und politischen Gegensätze wider, denen Hongkong als ehemalige britische Kronkolonie und heutige chinesische Selbstverwaltungszone ausgesetzt ist.
Die Kronkolonie
Hongkong war eine weitgehend unbesiedelte Fischer- und Pirateninsel, als zu Beginn des 19. Jahrhunderts britische Kaufleute den günstig gelegen Hafen als Handelsstützpunkt nutzten. Von hier aus exportierten sie Tee, Gewürze, Stoffe und Porzellan nach Europa – begehrte Güter aus China, die zunächst gegen Edelmetalle wie Silber, später gegen Opium gehandelt wurden. Der Versuch der kaiserlichen Regierung in Peking, den Opiumhandel zu unterbinden, löste 1840 den sogenannten Ersten Opiumkrieg aus. China unterlag und trat Hongkong 1842 im Externer Link: Friedensvertrag von Nanjing "auf ewig" an die britische Krone ab. Nachdem China 1860 auch den Zweiten Opiumkrieg verlor, wurde ein Teil der Halbinsel Kowloon ebenfalls britisch. Sie gehört bis heute zur Sonderverwaltungszone Hongkong.
Das Wirtschaftswunder
Der Status der Kronkolonie als Freihandelszone lockte in den nächsten Jahrzehnten zahlreiche Unternehmen an, Wirtschaftsleistung und Bevölkerung wuchsen rasant. Nach dem Ende der japanischen Besetzung (1941-1945) im Zweiten Weltkrieg blieb Hongkong unter britische Verwaltung.
Ein Staat – zwei Systeme
Anfang der 1980er-Jahre
Mit der Übergabe Hongkongs an China wird auch das Hauptquartier der Royal Navy, benannt nach dem Schiff HMS "Tamar", von der chinesischen Armee übernommen. Britische Matrosen entfernen am 16. Juni 1997 das Porträt der britischen Königin Elizabeth II. (© picture-alliance/dpa)
Mit der Übergabe Hongkongs an China wird auch das Hauptquartier der Royal Navy, benannt nach dem Schiff HMS "Tamar", von der chinesischen Armee übernommen. Britische Matrosen entfernen am 16. Juni 1997 das Porträt der britischen Königin Elizabeth II. (© picture-alliance/dpa)
Hatte Großbritannien während seiner Herrschaftszeit wenig Interesse an demokratischen Strukturen in seiner Kolonie gezeigt, so änderte sich das in den folgenden Jahren. 1985 fanden erstmals – stark eingeschränkte – Wahlen zum Gesetzgebenden Rat, dem Hongkonger Parlament, statt. In den 1990er-Jahren wurden die Wahlgesetze weiter demokratisiert.
Mit der Übergabe Hongkongs 1997 an China trat ein Grundgesetz (Externer Link: Basic Law) in Kraft, das der Nationale Volkskongress in Peking für Hongkong verabschiedet hatte. Es sieht die Beteiligung der Bürger bei der Wahl der mit beschränkten Vollmachten ausgestatteten Parlamentsmitglieder vor. Der einflussreiche Regierungschef wird dagegen von einem Wahlkomitee auf fünf Jahre bestimmt. Das derzeit 1.200-köpfige Gremium setzt sich aus Mitgliedern von Branchenverbänden, Berufsständen und sozialen Organisation sowie Hongkonger Politikern und Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses zusammen. Es gilt als mehrheitlich loyal zu Peking.
Bürger auf den Barrikaden
Die eingeschränkte politische Macht sowie Gesetzesverschärfungen durch den Nationalen Volkskongress haben in der jüngeren Vergangenheit wiederholt zu Protesten in der Hongkonger Bevölkerung geführt. 2003 demonstrierten mehr als 100.000 Menschen erfolgreich gegen ein geplantes Gesetz zur Einschränkung der Pressefreiheit und gegen ein Demonstrationsverbot. Zwei Jahre später fanden Kundgebungen für allgemeine und freie Wahlen statt. 2012 konnte die Einführung des Schulfachs "Nationale Erziehung", mit dem die chinesische Regierung das "alte Denken" in der ehemaligen Kolonie bekämpfen wollte, durch Proteste abgewendet werden.
Die jüngsten Proteste in Hongkong blieben bislang ohne Ergebnis. Regierung und Demonstranten hatten sich Mitte Oktober zu Verhandlungen getroffen, konnten sich aber nicht auf eine politische Lösung einigen. Die Demonstranten fordern eine freie Nominierung der Kandidaten für das Regierungsamt. Die Hongkonger Regierung stellt stattdessen eine demokratische Besetzung des Wahlkomitees in Aussicht.
Die chinesische Zentralregierung bezeichnet die Proteste in Hongkong als "illegal". Anhänger und Unterstützer der Protestbewegung, aber auch chinesische Mitarbeiter ausländischer Medien, werden seit Beginn der Proteste von Peking massiv unter Druck gesetzt. Ihnen droht nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International auf dem chinesischen Festland Verfolgung und Verhaftung.
Faktenkasten: Hongkong
Einwohner: 7,15 Mio. (Stand. 2012)*
Fläche: 1.104 km²**
Bevölkerungsdichte: 6.521 Einwohner je km² (Stand: 2012)**
Bevölkerungswachstum: +0,5 % (Stand: 2013)*
Bruttoinlandsprodukt: 273,87 Mrd. US-$ (Stand: 2013)*
Pro-Kopf-Einkommen: 38.103 US-$ (Stand: 2013)*
Arbeitslosenquote: 3,1 % (Stand: 2013)*
Mobilfunkanschlüsse: 2.292 je 1.000 Einwohner (Stand: 2012)**
PKW: 61 je 1.000 Einwohner (Stand: 2011)**
Die mit * gekennzeichneten Zahlen entstammen dem Externer Link: Wirtschaftsdatenblatt Hongkong des Auswärtigen Amtes mit Stand vom März 2014.
Die mit ** gekennzeichneten Zahlen stammen aus:Externer Link: Wirtschaftsdaten kompakt: Hongkong, SVR der deutschen Außenwirtschaftsgesellschaft Germany Trade & Invest mit Stand vom Mai 2014.
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