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EuGH-Urteil: Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen Grundrechte | Hintergrund aktuell | bpb.de

EuGH-Urteil: Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen Grundrechte

Redaktion

/ 4 Minuten zu lesen

Die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung in der Europäischen Union verstößt gegen EU-Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag (8. April) entschieden und damit die bestehende EU-Richtlinie gekippt. Das Urteil hat Auswirkungen auf die nationale Politik.

Wehende EU-Flaggen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. (© picture-alliance/dpa)

Die Richter des Europäischen Gerichtshofs hatten zu prüfen, ob die umstrittene EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung von Daten mit der Externer Link: Charta der Grundrechte der Europäischen Union und dem Externer Link: Vertrag über die Europäische Union (EUV) vereinbar ist. Im Externer Link: Urteil der Richter vom Dienstag heißt es, die Richtlinie verstoße in Ausmaß und Schwere ihrer Grundrechtseingriffe gegen die in der Charta verbrieften Rechte auf die "Achtung des Privatlebens" und den "Schutz personenbezogener Daten". Das Urteil deckt sich damit weitgehend mit dem bereits im Dezember 2013 vorgelegten Externer Link: Gutachten des Generalanwaltes am EuGH, Pedro Cruz Villalón.

Grundlage für die Vorratsdatenspeicherung war die Externer Link: EU-Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates aus dem Jahr 2006. Sie verpflichtet Telekommunikationsunternehmen, bestimmte Daten ihrer Kunden mindestens sechs Monate und höchstens zwei Jahre aufzubewahren. Auf "Vorrat" bedeutet, dass die Speicherung ohne Verdacht auf eine Straftat vorgenommen werden durfte. Anlass zur Schaffung der EU-Richtlinie waren vor allem die Terroranschläge in Madrid (2004) und London (2005).

Nach EU-Recht gelten Richtlinien nicht unmittelbar, wie etwa eine EU-Verordnung, sondern müssen erst durch die nationalen Gesetzgeber in ein Gesetz umgewandelt werden.

Die Verfassungsgerichte Österreichs und Irlands hatten dem EuGH Klagen gegen die nationalen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung zur Interner Link: Vorabentscheidung vorgelegt. In Österreich hatten zuvor die Kärntner Landesregierung sowie insgesamt über 11.000 österreichische Bürger beim Verfassungsgerichtshof die Umsetzung der Richtlinie im Land beanstandet. In Irland hatte die Bürgerrechtsinitiative Externer Link: Digital Rights Ireland gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt.

Was wird gespeichert?

Gespeichert werden sollten drei Arten von Daten: Bestands-, Standort- und Verkehrsdaten. Das sind zum einen personenbezogene Daten eines Nutzers bzw. Anschlussinhabers (Bestandsdaten), etwa Name, Adresse, Zahlungs- und Kontodaten sowie die IP-Adresse - die Nummer, die alle internetfähigen Geräte besitzen, damit sie innerhalb eines Datennetzwerkes eindeutig identifiziert werden können. Gespeichert werden auch die gewählten Rufnummern und kontaktierten E-Mail-Adressen, Datum und Uhrzeit sowie die Dauer der Verbindung (Verkehrs- bzw. Verbindungsdaten). Bei mobilen Endgeräten wird auch der Standort der Gesprächspartner gespeichert.

Die gespeicherten Daten können staatliche Behörden unter bestimmten Bedingungen für Ermittlungen nutzen. Nicht erfasst werden die Inhalte der Kommunikation, also etwa der Nachrichtentext einer E-Mail. Die gespeicherten Daten sollten – je nach nationaler Gesetzgebung - für mindestens sechs Monate und höchstens zwei Jahre erhalten bleiben.

Lage in Deutschland

Bereits 2007 hatte der Bundestag die Vorgabe der EU umgesetzt und das Externer Link: Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung beschlossen. Ab Januar 2008 begannen Telekommunikationsunternehmen in Deutschland mit der Vorratsdatenspeicherung auf der Grundlage des neu geschaffenen Externer Link: § 113a und b des Telekommunikationsgesetzes (TKG). Schon im März desselben Jahres Externer Link: schränkte das Bundesverfassungsgericht nach einem Eilantrag von über 30.000 Bürgern die neuen Regelungen des TKG ein, in dem es die Herausgabe der Daten nur bei schweren Straftaten und einem begründeten Anfangsverdacht erlaubte.

2010 urteilte das Bundesverfassungsgericht abschließend über alle eingegangenen Verfassungsbeschwerden und erklärte das Gesetz für verfassungswidrig, da es gegen das in Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes verbriefte Post- und Fernmeldegeheimnis verstoße. Zwar äußerten sich die Richter Externer Link: in ihrem Urteil nicht generell gegen die Vorratsdatenspeicherung, sie mahnten jedoch Nachbesserungen an, vor allem im Hinblick auf die Verbesserung des Datenschutzes sowie mehr Transparenz und Kontrolle der Zugriffsrechte der Behörden. Seit dem Urteil ist das Gesetz außer Kraft.

Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung

Die damalige Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP konnte sich nicht auf eine Neuregelung einigen. Die EU-Kommission hat 2011 gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, das seit 2012 auch beim Europäischen Gerichtshof anhängig ist. Mit dem Urteil des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung wird nun eine Einstellung des Verfahrens erwartet.

Nach der Bundestagswahl 2013 hatten sich CDU, CSU und SPD im Rahmen ihrer Koalitionsverhandlungen auf die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung geeinigt, sich aber darauf verständigt, das Urteil des EuGH abzuwarten, bevor ein entsprechender Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht werde. Ob und Wann eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung kommt, ist derzeit unklar.

Deutschland ist das einzige EU-Mitglied, das die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht umgesetzt hatte. Irland, Italien und Polen speichern Daten derzeit mit bis zu zwei Jahren am längsten, Österreich, Litauen und Luxemburg mit maximal sechs Monaten am kürzesten. In den meisten EU-Ländern gilt eine Speicherfrist von einem Jahr.

Standpunkte zur Vorratsdatenspeicherung

Die Vorratsdatenspeicherung wurde von Anfang an kontrovers diskutiert. Unterschiedliche Standpunkte zum Thema Datenspeicherung und Überwachung finden Sie hier:

  • Peter Schaar, ehemaliger Bundesdatenschutzbeauftragter:
    Sicherheit und Freiheit brauchen Datenschutz und im Videointerview: "Das ist ein dickes Brett"

  • Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft:
    Videointerview: Brauchen wir eine deutsche NSA?

  • Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes:
    Freiheit und Sicherheit im digitalen Zeitalter

  • Frank Rieger, ehrenamtlicher Sprecher des Chaos Computer Clubs:
    Interner Link: Von Daten und Macht - Essay

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