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29. Mai 1993: Brandanschlag in Solingen | Hintergrund aktuell | bpb.de

29. Mai 1993: Brandanschlag in Solingen

Redaktion

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Vor 30 Jahren wurden in Solingen fünf türkischstämmige Frauen und Mädchen bei einem Brandanschlag ermordet. Es war die folgenschwerste rassistische Tat nach monatelangen Angriffen auf Flüchtlinge und Migranten.

Ein Gedenkstein erinnert an die Todesopfer des rassistischen Brandanschlags in Solingen. (© dpa)

Hinweis

Dieser Text aus dem Jahr 2018 wurde von der Redaktion am 26.05.2023 aktualisiert.

In der Nacht auf den 29. Mai 1993 wurden bei einem rassistischen Brandanschlag auf das Haus der Familie Genç fünf Frauen und Mädchen mit türkischer Migrationsgeschichte getötet: Gürsün İnce (27), Hatice Genç (18), Gülüstan Öztürk (12), Hülya Genç (9) und Saime Genç (4). 14 weitere Familienmitglieder erlitten zum Teil lebensgefährliche Verletzungen. Der Sohn von Mevlüde Genç, Bekir Genç, hatte so starke Verbrennungen, dass sein Leben bis heute von Krankenhausaufenthalten und Pflege bestimmt wird. Es war der bis zu diesem Zeitpunkt folgenschwerste rassistische Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik.

Die Opfer waren zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte des Ehepaares Mevlüde und Durmuş Genç, das Anfang der 1970er Jahre mit drei Kindern aus der Türkei nach Deutschland eingewandert war. In Solingen brachten sie zwei weitere Kinder zur Welt und fanden dort auch ihren Lebensmittelpunkt.

Schon wenige Tage nach dem Anschlag wurden die Täter festgenommen: Vier männliche Jugendliche aus der Solinger Nachbarschaft – zwischen 16 und 23 Jahre alt. Alle vier waren schon zuvor mit rechtsextremen Äußerungen aufgefallen.

Der international beachtete Prozess gegen die vier Angeklagten startete im April 1994 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Nach 18 Monaten – 127 Verhandlungstagen – wurden die Täter am 13. Oktober 1995 wegen fünffachen Mordes in Tateinheit mit 14-fachem versuchten Mord und besonders schwerer Brandstiftung zu Jugend- und Haftstrafen zwischen zehn und 15 Jahren verurteilt. In der Urteilsbegründung hieß es, dass die Morde aus niederen, rassistischen Beweggründen begangen worden seien. Inzwischen haben die Täter ihre Strafen verbüßt und sind wieder auf freiem Fuß.

Hintergrund

Solingen war nicht der Anfang, sondern der traurige Höhepunkt einer Welle rechtsextremer Gewalt in den Jahren nach der Wiedervereinigung. Dem militanten Rassismus war eine lange, aggressive und emotional aufgeladene Debatte in Medien und Politik um das Asylrecht und um Flüchtlinge vorausgegangen.

Durch den Interner Link: Zusammenbruch der Sowjetunion, die Kriege und Massaker im Interner Link: ehemaligen Jugoslawien sowie die Interner Link: bürgerkriegsähnliche Lage im vorwiegend von Kurdinnen und Kurden bewohnten Teil der Türkei stieg die Zuwanderung nach Deutschland zu Beginn der 1990er Jahre stark an. Der Zuzug von Interner Link: Aussiedlerinnen und Aussiedlern aus den ehemaligen sowjetischen Ländern und Asylbewerberinnen und -bewerbern aus Kriegs- und Krisengebieten erreichte zum damaligen Zeitpunkt seinen Höhepunkt.

In Medien und Gesellschaft wurde diese Entwicklung heftig diskutiert. Despektierliche Schlagworte wie "Überfremdung" und "Asylantenschwemme" bestimmten die Debatte. Flüchtlinge wurden als "Schmarotzer" bezeichnet, die Rede vom "Zustrom von Asylbewerbern", die auf Kosten des deutschen Staates lebten, erlangte Anfang der 1990er Jahre eine hohe Popularität.

Rassistische Argumentationsmuster, die zum Teil auch von demokratischen Parteien propagiert wurden – Zuwanderung wurde politisch als bedrohlich markiert – verstärkten ausländer- und migrationsfeindliche Stimmungen. Vor allem rechtsextreme Gruppen griffen diese Stimmung auf.

Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen

Zwischen 1990 und 1992 kam es in Deutschland Interner Link: gehäuft zu rechtsextremen Gewalttaten. Allein für 1990 verzeichnete die Amadeu Antonio Stiftung insgesamt sieben Todesopfer rechtsextremer Gewalt. 1991 sind es acht Opfer. Das Jahr 1992 forderte 27 Tote. Seit 1990 wurden laut Bundeskriminalamt über Interner Link: 100 Menschen von Rechtsextremen getötet, nach Angaben von NGOs sowie Journalistinnen und Journalisten liegt diese Zahl bei über 200.

Zwei pogromähnliche Ereignisse sorgten für besondere Aufmerksamkeit: Zwischen dem 17. und dem 23. September 1991 wurden im sächsischen Interner Link: Hoyerswerda Asylsuchende und Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter nach mehrtägigen Ausschreitungen unter dem Beifall der umstehenden Menge aus ihren Unterkünften vertrieben und mit Brandflaschen und Steinen beworfen. An den Übergriffen waren bis zu 500 Menschen beteiligt. Rechtsextreme und ihre Anhängerinnen und Anhänger feierten daraufhin "Deutschlands erste ausländerfreie Stadt" seit 1945.

Hoyerswerda markierte den Beginn einer Serie rassistischer Angriffe auf Flüchtlinge, Asylwohnheime und Menschen mit Migrationshintergrund. Überwiegend in den ostdeutschen Bundesländern – aber auch vermehrt in Westdeutschland – kam es zu zahlreichen Überfällen.

Im August 1992 etwa belagerten hunderte Rechtsextreme und bis zu 3.000 Schaulustige in Interner Link: Rostock-Lichtenhagen Unterkünfte von Asylbewerbern. Dieser Zustand dauerte mehrere Tage an, später setzten sie die Unterkünfte in Brand.

Im schleswig-holsteinischen Interner Link: Mölln verübten Neonazis am 23. November 1992 einen Brandanschlag auf die Wohnhäuser türkischer Familien. Sie ermordeten eine Frau und zwei Kinder: Die 51-jährige Bahide Arslan und zwei ihrer Enkelinnen, die 14-jährige Ayşe Yilmaz und die 10-jährige Yeliz Arslan. Sie verletzten neun weitere Menschen zum Teil schwer.

Einschränkung des Asylrechts

Einige Medien und Parteien führten die verstärkte rechtsextreme Gewalt auf Fehler in der deutschen Flüchtlingspolitik und die ungewohnt hohe Zahl von Asylbewerberinnen und -bewerber zurück. Unter dem Druck des öffentlichen Diskurses verständigten sich Vertreter von Union, SPD und FDP im Dezember 1992 auf eine Neuregelung des Asylrechts. Das Ziel: Die Verfahren sollten beschleunigt und ein "Asylmissbrauch" verhindert werden. Am 26. Mai 1993 verabschiedete der Bundestag den sogenannten Interner Link: "Asylkompromiss": eine Grundgesetzänderung, die das Asylgesetz und das Recht auf Asyl in Deutschland stark einschränkte. Drei Tage später, am 29. Mai 1993, ereignet sich der Brandanschlag in Solingen. Die Opfer des Anschlags waren keine Asylbewerberinnen.

Solingen nach dem Anschlag

Ein Porträt der Friedensbotschafterin Mevlüde Genç. (© picture-alliance, dpa | Bernd Thissen)

Der Brandanschlag prägt die nordrhein-westfälische Industriestadt bis heute. Mevlüde Genç, die fünf Familienmitglieder verlor, setzte sich bis zu ihrem Tod am 30. Oktober 2022 unermüdlich für Versöhnung und Verständigung ein und prägte den Dialog zwischen Deutschen und Menschen aus Einwandererfamilien und ihren Nachkommen in Solingen. Für ihre Haltung wurde sie mit mehreren Preisen und 1996 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Zu Ehren ihres Wirkens wird heute die Mevlüde-Genç-Medaille für Verständigung und Toleranz gestiftet. Heute wird an mehreren Orten der Opfer gedacht.

Gedenken

Bundeskanzler Helmut Kohl ließ sich unter Vorwänden bei der Trauerfeier in Solingen 1993 entschuldigen. Die Anteilnahme in Politik und Gesellschaft anlässlich der Gedenktage hat sich über die letzten 30 Jahren gewandelt. Einerseits durch die Kontinuität rassistischer Anschläge, andererseits durch das Engagement der betroffenen Familien sowie von NGOs, Vereinen und Gemeinden. Hochrangige Politikerinnen und Politiker aus Bund und Ländern nahmen und nehmen bis heute an den Gedenkveranstaltungen teil.

Rassistische Gewalt – kein "Randproblem"

Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Interner Link: Mölln, Solingen, die rechtsterroristische Anschlag- und Mordserie des sogenannten Interner Link: NSU, der Mord an Interner Link: Walter Lübcke, Interner Link: Halle, Interner Link: Hanau – diese Ereignisse sind Zeugnis der ungebrochenen Kontinuität rassistischer und rechtsterroristischer Gewalt in Deutschland.

Rechtsextreme Kriminalität und Einstellung

Die jährliche Externer Link: Statistik „Politisch motivierte Kriminalität – rechts“ (PMK-rechts) hat für das Jahr 2022 insgesamt 1.170 Fälle rechts motivierter Gewalttaten registriert – ein Anstieg um über 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (2021: 1.042). Im Vergleich: Ältere polizeiliche Statistiken zur rechtsextremistischen Gewalt zeigen, dass die Zahlen rechts motivierter Gewalttaten zu Beginn der 1990er noch höher lagen (1992 bei 2.584 Gewalttaten und 1993 bei 2.232).

Ein ausführlicherer Blick auf die offiziellen Statistiken, die Entwicklung der Fallzahlen und die Grenzen dieser Erhebungen gibt Interner Link: dieser Beitrag aus dem Dossier Rechtsextremismus der bpb.

Laut der aktuellen Leipziger Autoritarismus-Studie Externer Link: "Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen?", die 2022 von der Universität Leipzig in Kooperation mit der Heinrich-Böll- und Otto Brenner-Stiftung veröffentlicht wurde, haben 2,7 Prozent der deutschen Bevölkerung ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. Zu einem solchen zählen u.a. Antisemitismus, Chauvinismus, Fremdenfeindlichkeit, Sozialdarwinismus oder Verharmlosung des Nationalsozialismus. Der Studie zufolge sind rechtsextreme Einstellungen überall in der Gesellschaft anzutreffen. Zwar sind sie deutlich zurückgegangen, dagegen ist aber der Hass auf Migrantinnen und Migranten, Frauen, Musliminnen und Muslime und andere marginalisierte Gruppen in Deutschland angestiegen und weit verbreitet.

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