Geschichte: Entstehung und Entwicklung
In Deutschland gibt es nur vier staatlich anerkannte nationale bzw. ethnische Minderheiten: Sorben, Dänen, Friesen sowie die deutschen Sinti und Roma. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie alle deutsche Staatsbürger sind, sich aber durch Sprache, Kultur und Geschichte, also durch eine eigene nationale Identität, vom - ethnisch verstandenen - deutschen Volk unterscheiden. Allein zwei dieser Minderheiten haben ihr angestammtes Siedlungsgebiet ganz oder überwiegend in Schleswig-Holstein und werden politisch vom "Südschleswigschen Wählerverband" (SSW) vertreten: die Dänen und die Friesen. Insofern ist der SSW nicht nur auf die Vertretung der politischen Interessen von sehr spezifischen Wählergruppen ausgerichtet, sondern auch regional auf dieses Bundesland beschränkt.
Die dänische Minderheit in Deutschland entstand mit der Niederlage Dänemarks im deutsch-dänischen Krieg von 1864, nach der die schleswig-holsteinischen Herzogtümer, die bis dahin in Personalunion vom dänischen König regiert worden waren, von Preußen und Österreich besetzt wurden. Nach dem preußisch-österreichischen Krieg von 1866 wurde Schleswig-Holstein dann zu einer preußischen Provinz. Im nördlichen Landesteil Schleswig gab es so viele Dänen, dass während der gesamten Zeit des Deutschen Kaiserreichs in mindestens einem Wahlkreis ein Abgeordneter der dänischen Minderheit gewählt wurde. Die nach dem Ersten Weltkrieg im Versailler Vertrag vorgesehenen, 1920 durchgeführten Volksabstimmungen über die nationale Zugehörigkeit führten zur Teilung zwischen Nordschleswig, das mehrheitlich für die Zugehörigkeit zu Dänemark votierte, und Südschleswig, wo sich die Mehrheit für Deutschland entschied. Die nach der Teilung im "Schleswigschen Verein" organisierte dänische Minderheit in Südschleswig war zu klein, um unter den Bedingungen des Verhältniswahlsystems Reichstagsmandate zu gewinnen. Auch die Kooperation mit den Nordfriesen, von denen sich ein Teil nach dem Ersten Weltkrieg als ethnische Minderheit zu definieren begann, reichte dafür nicht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Vorgeschichte des heutigen SSW. Bei Kriegsende, als politische Betätigung nach dem Ende der NS-Diktatur wieder möglich wurde, gründete sich der "Südschleswigsche Verein" und trat für eine Volksabstimmung über den Anschluss des Landesteils an Dänemark ein, wofür er auch bei vielen ethnischen Deutschen Unterstützung fand. Denn in der schwierigen Nachkriegssituation entdeckten viele Deutsche in der Hoffnung auf eine bessere Ernährungslage ihre dänischen Wurzeln wieder; zwar etwas diffamierend, aber nicht völlig aus der Luft gegriffen, wurden diese Deutschen damals auch als "Speckdänen" bezeichnet. Die Forderungen liefen allerdings in Leere, da sie von der dänischen Regierung nicht unterstützt wurden und die britische Besatzungsmacht separatistische Forderungen unterband, nachdem die dänische Regierung an dem Angebot einer neuen Volksabstimmung über den Grenzverlauf kein Interesse gezeigt hatte. Die Gründung des SSW als politische Partei geht auf die britischen Besatzungsbehörden zurück, die nach anfänglichen Erfolgen des Südschleswigschen Vereins bei Kommunalwahlen und der ersten Landtagswahl im Jahr 1947 (9,3 Prozent) verlangten, dass die Vertretung der dänischen Minderheit unter den gleichen Bedingungen wie die deutschen Parteien zu arbeiten habe und insbesondere auf enge Verbindungen und Unterstützung aus dem Ausland zu verzichten habe. Am 25. Juni 1948 wurde der SSW als spezifisch politische Interessenpartei der dänischen und der friesischen Minderheit, mit der man schon in der Zeit der Weimarer Republik kooperiert hatte, gegründet. Inhaltlich und personell blieb er eng mit dem Verein verknüpft.
Die Geschichte des SSW lässt sich grob in drei große Phasen einteilen. Die erste Phase war durch die Behauptung der Partei in schwierigen Zeiten gekennzeichnet. Bis Anfang der 1950er-Jahre stand der SSW in erster Linie für zwei Dinge: für die Forderung eines eigenständigen Bundeslandes Südschleswig, das in gewisser Weise die Forderung nach dem Anschluss an Dänemark ersetzen sollte, sowie für eine sehr distanzierte Haltung gegenüber den Flüchtlingen aus dem deutschen Osten, die seit den letzten Kriegsmonaten in großer Zahl (ca. eine Million Menschen bei einer vorhandenen Bevölkerung von 1,6 Millionen) nach Schleswig-Holstein gekommen waren. Der SSW vertrat die Position, dass die Flüchtlinge in andere Bundesländer umgesiedelt werden müssten und dass für sie, solange sie in Schleswig-Holstein seien, nur ein Gastrecht ohne Wahlrecht gelten dürfe. Dies erwies sich für den SSW als kontraproduktiv, denn so trieb er die Partei der Flüchtlinge, den BHE, ins bürgerliche Lager, das dadurch nach der zweiten Landtagswahl eine Mehrheit bilden und die Regierung übernehmen konnte. Diese neue Mehrheit versuchte, den SSW mit einer Doppelstrategie loszuwerden. Zum einen sollte ihm mit einem Infrastrukturprogramm für Südschleswig der Wind aus den Segeln genommen werden und zum anderen wurde die Sperrklausel von 5 auf 7,5 Prozent erhöht, um den Einzug der Partei in den nächsten Landtag auszuschließen. Dagegen klagte der SSW zwar erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht, scheiterte aber dennoch 1954 mit 3,5 Prozent der Stimmen an der Fünfprozenthürde. In dieser schwierigen Situation rettete die "große Politik" den SSW. Denn im Zusammenhang mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen, die 1955 im Vorfeld des NATO-Beitritts der Bundesrepublik die Situation der beiden nationalen Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland und in Dänemark im Sinne der Gegenseitigkeit klärten, wurde der SSW von der Sperrklausel im Landeswahlgesetz ausgenommen. Eine ähnliche Regelung bestand für die Bundestagswahl schon seit Beginn der 1950er-Jahre. Künftig musste die Partei nur noch mindestens so viele Stimmen erringen, wie für ein Mandat notwendig waren, um im Landtag vertreten zu sein, was seit 1958, wenn auch zeitweilig nur recht knapp, immer gelang. Zugleich entspannte sich das Verhältnis zu den anderen Parteien im Landtag, insbesondere da die Flüchtlingsfrage infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs an Bedeutung verlor.
Die zweite Phase in der Geschichte des SSW kann man ohne allzu große Übertreibung als "Karl-Otto-Meyer-Phase" bezeichnen, der von 1960 bis 1975 Vorsitzender und von 1971 bis 1996 der einzige Abgeordnete des SSW im schleswig-holsteinischen Landtag und insofern das Gesicht der Partei war. Auch inhaltlich prägte Meyer den SSW. Zwar blieb dessen Hauptaufgabe der innerparlamentarische Lobbyismus für die wirtschaftlichen und kulturellen Interessen Südschleswigs, aber Karl Otto Meyer verstand den SSW als eine Partei, die sich zu allen politischen Themen, nicht nur zu den Interessen der beiden Minderheiten äußern konnte. So löste sich der SSW unter seiner Führung allmählich vom Südschleswigschen Verein, der seit den 1960er-Jahren allmählich an Mitgliedern und Bedeutung verlor. Der SSW rückte im politischen Spektrum etwas nach links, der sozialstaatlichen Mentalität der skandinavischen Länder folgend.
Bereits vor der Landtagswahl von 1979 hatte Karl Otto Meyer die bisherige Linie des SSW, eine Regierung "weder [zu] stützen noch [zu] stürzen" (zit. nach Dietsche, 1979: 415), aufgegeben und erklärte, im Zweifelsfall einer sozialliberalen Koalition zur Macht verhelfen zu wollen. Dieser neue Kurs, den SSW als eine "normale" Partei zu begreifen, die auch Koalitionen eingehen und sich sogar an der Regierung beteiligen kann, wurde von seinen Nachfolgern in der dritten Phase der SSW-Geschichte (2000 bis heute) nach einigen internen Konflikten konsequent fortgesetzt. Dieser Kurswechsel ist freilich nicht unproblematisch: Der SSW hat als von der Fünfprozenthürde befreite Vertretung der beiden Minderheiten einen Sonderstatus im Wahlrecht und ist daher keine "normale" Partei. Nach der Einführung einer Zweitstimme im schleswig-holsteinischen Wahlrecht, die es dem SSW ermöglichte, auch im holsteinischen Landesteil zumindest mit einer Landesliste zu kandidieren, wurde der Sonderstatus des SSW nach der Landtagswahl im Jahr 2000 im Rahmen einer Wahlanfechtungsklage überprüft. Eine Partei, die im ganzen Land antrete, auch dort, wo es keine Angehörigen der dänischen oder friesischen Minderheit gebe, so wurde von den Beschwerdeführern argumentiert, sei keine Vertretung einer Minderheit mehr und dürfe auch nicht von der Sperrklausel ausgenommen werden. Der SSW selbst bestand darauf, weiterhin Vertreter der Minderheiten zu sein, machte dementsprechend ausschließlich im Schleswiger Landesteil Wahlkampf und stellte auch nur dort Direktkandidaten auf. Dennoch profitierte die Partei vom neuen Wahlrecht und konnte mit 4,1 Prozent der Zweitstimmen drei Abgeordnete im Landtag stellen. Die Rechtsprechung stärkte die Position des SSW schließlich: Demnach könne sich die in einem Teilbereich des Wahlgebiets abgeleitete und anerkannte Eigenschaft als Minderheitspartei auch auf das gesamte Wahlgebiet auswirken. Solange der SSW personell von der Minderheit getragen wird sowie programmatisch von ihr geprägt ist, könne er von der Privilegierung der Minderheit profitieren.
Obwohl der Stimmenanteil bei der Landtagswahl 2005 etwas niedriger war (3,6 Prozent) und nur noch die beiden Abgeordneten Anke Spoorendonk und Lars Harms den SSW im Landtag vertraten, schloss der SSW ein Tolerierungsbündnis mit SPD und Grünen. Die Wiederwahl der Ministerpräsidentin Heide Simonis scheiterte jedoch in vier Wahlgänge bei geheimer Abstimmung an einer fehlenden Stimme, sodass es zur Bildung einer Großen Koalition kam, an der der SSW nicht beteiligt war. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse entschied sich der SSW, als die Mehrheitsverhältnisse im Landtag dies nach der Wahl von 2012 ermöglichten und er ein Ergebnis von 4,6 Prozent der Stimmen erreicht hatte, sich nicht mehr mit der Duldung einer rot-grünen Regierung zu begnügen, sondern mit SPD und Grünen eine Koalition einzugehen. Von 2012 bis 2017 war die frühere Fraktionsvorsitzende Spoorendonk schleswig-holsteinische Justizministerin und zweite Stellvertreterin des Ministerpräsidenten - und der SSW zum ersten Mal in seiner Geschichte in der Landesregierung vertreten. Es blieb jedoch bei dieser einen Amtsperiode, da der SSW bei der Landtagswahl 2017 deutliche Stimmenverluste erlitt (-1,3 Prozentpunkte) und die "Küstenkoalition" ihre Regierungsmehrheit verlor. Der SSW hatte vor der Wahl angekündigt, nur für dieses Koalitionsmodell zur Verfügung zu stehen, so dass er bei der Bildung der "Jamaika-Koalition" nach der Wahl nicht beteiligt war. Die Fraktion, die trotz der Stimmenverluste aufgrund eines Ausgleichsmandats immer noch drei Mitglieder hatte, wurde von Lars Harms geführt, der im Wahlkampf als "Spitzenkandidat" des SSW angetreten war, nachdem Anke Spoorendonk auf eine erneute Kandidatur für den Landtag verzichtet hatte.
Stefan Seidler ist der erste Bundestagsabgeordnete des SSW seit den 1960er-Jahren. (© picture-alliance/dpa)
Stefan Seidler ist der erste Bundestagsabgeordnete des SSW seit den 1960er-Jahren. (© picture-alliance/dpa)
Nach vier Jahren der Opposition gegen die von Daniel Günther geführte Kenia-Koalition (CDU, Grüne, FDP) errang die Partei bei der Landtagswahl 2022 einen großen Erfolg: Mit 5,7 Prozent der Stimmen hat der SSW das beste Landtagwahlergebnis seit der Gründung der Partei im Jahr 1948 erzielt. Damit verfügt sie nicht nur über vier Abgeordnete und deshalb auch über eine "reguläre" Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag, sondern stellt darüber hinaus mit Jette Waldinger-Thiering auch erstmals eine Landtagsvizepräsidentin. Allerdings bleibt sie weiterhin in der Opposition. Dennoch ergänzt dieser Erfolg das gute Abschneiden des SSW bei der Bundestagswahl im Jahr zuvor. Auf dem Parteitag von 2020 hatte eine Mehrheit der Delegierten entschieden, dass die Partei zum ersten Mal seit 1961 wieder antreten solle, um die Interessen der dänischen und nordfriesischen Minderheit auch auf Bundesebene Ausdruck zu verleihen. Zwar ist die Partei bereits seit dem Bundeswahlgesetz von 1953 von der Fünfprozentklausel ausgenommen, dennoch muss sie die erforderliche Stimmenzahl für mindestens ein Mandat erreichen. Das gelang bei der Bundestagswahl 2021, bei der sie 55.578 Zweitstimmen (bundesweit: 0,1 %; landesweit: 3,2 %) erhielt und damit ein Listenmandat für ihren Spitzenkandidaten Stefan Seidler gewann. Dieser sitzt im Bundestag als fraktionsloser Abgeordneter zwischen den Fraktionen der SPD und der Grünen.
Wähler, Mitglieder, Organisation
Im Vergleich zu anderen Parteien weist der SSW einige organisatorische Besonderheiten auf. So unterhält die Partei nur vier Kreisverbände, in den Landkreisen Schleswig-Flensburg, Rendsburg-Eckernförde und in Nordfriesland sowie in der kreisfreien Stadt Flensburg. Darüber hinaus ist die Partei mit einigen Ortsverbänden in den nördlichen Teilen der Landeshauptstadt Kiel, die organisatorisch dem Kreisverband Rendsburg-Eckernförde angehören, und mit einem Ortsverband im Landkreis Pinneberg, zu dem die Insel Helgoland gehört, vertreten. Ansonsten entspricht der Aufbau der Partei mit dem Landesparteitag als höchstem Organ und einem siebenköpfigen Landesvorstand, dem von 2005 bis 2021 Flemming Meyer, ein Sohn von Karl Otto Meyer, vorsaß, sowie einem hauptamtlichen Landesekretär dem, was auch in anderen Parteien üblich ist. Am 23. Oktober 2021 wurde der Flensburger Kommunalbeamte Christian Dirschauer, der bereits 2020 das Landtagsmandat von Flemming Meyer übernommen hatte, zum neuen Vorsitzenden des SSW gewählt.