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Wahlergebnisse und Wählerschaft der SPD

Frank Decker

/ 4 Minuten zu lesen

Die Hochburgen der SPD befinden sich in den protestantischen Gebieten der alten Bundesrepublik, sowie den katholisch geprägten Industrieregionen Nordrhein-Westfalens.

Olaf Scholz bei einer SPD-Konferenz im Ruhrgebiet. Die Industrieregionen Nordrhein-Westfalens gelten als Hochburg der SPD. (© picture-alliance)

Wahlergebnisse

Auf der nationalen Ebene ist es der SPD vor dem unerwarteten Wahlsieg 2021 nur zweimal gelungen, der Union die führende Position im Parteiensystem streitig zu machen. Ihren stetigen, als "Genosse Trend" umschriebenen Zuwächsen bis zum Jahre 1972 folgten zunächst eine Stagnations- und - nach dem Regierungsverlust 1982 - eine bis 1994 anhaltende Abstiegsphase. Dasselbe Muster zeigte sich während der rot-grünen Regierungszeit. Lagen die Sozialdemokraten 2002 und 2005 etwa gleichauf mit der Union, stürzten sie seither auf ihre schlechtesten Ergebnisse seit 1949 ab. In beiden Regierungsphasen der SPD entstanden neue Parteien an ihrem linken Rand. Beförderte die Vernachlässigung des Umweltthemas während der Kanzlerschaft Schmidts das Aufkommen der Grünen, so stellte der Erfolg der gesamtdeutschen Linkspartei im Westen eine unmittelbare Folge der Schröderschen Reformen dar, die dem Gerechtigkeitsempfinden vieler sozialdemokratischer Traditionswähler widersprachen (Jun 2018: 479 f.).

Die Stellung der SPD in den Ländern verhielt sich zu ihren kürzeren Stärke- und längeren Schwächephasen auf Bundesebene lange Zeit spiegelbildlich, wobei die Diskrepanz zwischen den jeweiligen Wahlergebnissen nach der deutschen Einheit zunahm. Ab 2014 kam es hier wieder zu einer Angleichung, indem die sich häufenden Landtagswahlniederlagen dem negativen Bundestrend folgten. Die bislang unangefochtene Position der SPD als führende Kraft im linken Lager wird mittlerweile durch die Grünen bedroht, die sich ab Herbst 2018 in den Umfragen erstmals für längere Zeit vor sie setzen konnten. In den Ländern, wo sie die Hälfte der 16 Ministerpräsidenten stellt, behaupten sich die Sozialdemokraten als Regierungspartei trotz schlechterer Wahlergebnisse besser als die Union, weil sie mit der Linken hier über eine zusätzliche Koalitionsoption verfügen. Im Saarland reichte ihr Wahlergebnis 2022 sogar für die Bildung der einzigen Alleinregierung in einem deutschen Bundesland.

Aktuelle Wahlergebnisse der SPD

Wahlergebnisse bei den letzten Wahlen zu Landesparlamenten, dem Bundestag und dem Europäischen Parlament

WahlDatumProzentualer AnteilStimmenanzahl
AnteilGewinn
Verlust
StimmenGewinn
Verlust
Brandenburg01.09.201926,2%-5,7%331.23816.036
Hamburg123.02.202039,2%-6,4%1.593.825-17.449
Baden-Württemberg14.03.202111,0%-1,7%535.489-144.238
Rheinland-Pfalz14.03.202135,7%-0,5%690.962-80.886
Sachsen-Anhalt06.06.20218,4%-2,2%89.475-29.893
Bundestag26.09.202125,7%5,2%11.901.5582.362.177
Mecklenburg-Vorpommern26.09.202139,6%9,0%361.769115.374
Saarland27.03.202243,5%13,9%196.80138.744
Schleswig-Holstein08.05.202216,0%-11,3%221.496-180.310
Nordrhein-Westfalen15.05.202226,7%-4,6%1.905.002-744.203
Niedersachsen09.10.202233,4%-3,5%1.211.447-202.399
Berlin27.02.202318,4%-3,2%279.017-73.352
Bremen214.05.202329,8%4,9%376.61010.235
Bayern308.10.20238,4%-1,3%1.140.753-168.325
Hessen08.10.202315,1%-4,7%424.587-145.859
Europäisches Parlament09.06.202413,9%-1,9%5.551.545-365.337
Sachsen01.09.20247,3%-0,4%172.0214.732
Thüringen01.09.20246,1%-2,2%73.126-17.861
Tabellenbeschreibung

Die Tabelle zeigt die Wahlergebnisse der Partei SPD zwischen dem 01.09.2019 und dem 01.09.2024. Bei 14 von 18 Wahlantritten der Partei in diesem Zeitraum reduzierte sich der prozentuale Anteil der Partei an den gültigen Stimmen im Vergleich zur vorherigen Wahl. Das höchste Ergebnis erzielte die Partei mit 43,5% bei der Wahl im Saarland 2022, das niedrigste mit 6,1% bei der Wahl in Thüringen 2024.

Fußnote: 1 Hamburg: Landesstimmen (bis zu fünf Stimmen je Wähler)

Fußnote: 2 Bremen: Personen- und Listenstimmen (bis zu fünf Stimmen je Wähler)

Fußnote: 3 Bayern: Gesamtstimmen (bis zu zwei Stimmen je Wähler)

Quelle: Die Bundeswahlleiterin und Landeswahlleitungen.

Die Hochburgen der Sozialdemokraten befinden sich in den protestantischen Gebieten der alten Bundesrepublik, insbesondere in Hessen, Niedersachsen und den Stadtstaaten, sowie den stärker katholisch geprägten Industrieregionen Nordrhein-Westfalens, wo sie den Durchbruch zur Mehrheitspartei aber erst in den 1960er-Jahren schafften. In Bayern, wo sie bei der Landtagswahl 2018 nur noch auf dem fünften Platz landete, und Baden-Württemberg bleibt die Partei schwach. Auch in den neuen Ländern hat sich seit den Gründungswahlen 1990 ein Nord-Süd-Gefälle eingestellt. Am schlechtesten schneidet die SPD in Sachsen und in Thüringen ab - hier überflügelte sie die PDS schon Ende der 1990er-Jahre (Spier / Alemann 2013: 456). War die SPD mit Ausnahme von Brandenburg und Berlin bei der Bundestagswahl 2017 in allen ostdeutschen Ländern auf den vierten Platz im Parteiensystem zurückgefallen (hinter CDU, AfD und Linke), so lag sie 2021 bis auf Sachsen und Thüringen, wo sie die AfD überflügelte, überall auf Platz eins. Dabei dürfte es sich freilich um einen durch den Zustand der Bundes-CDU bedingten Ausreißer handeln, der für die kommenden Landtagswahlen wenig Aussagekraft hat.

Wählerschaft

Am erfolgreichsten war die SPD immer dann, wenn sie ihre Stammklientel aus der gewerkschaftsnahen Industriearbeiterschaft mit den aufstiegsorientierten Angehörigen der neuen Mittelschichten zu einer breiten Wählerkoalition verbinden konnte. Am besten gelang ihr dies am Beginn der beiden Phasen, in denen sie den Kanzler stellte (von 1969 bis 1972 und 1998 bis 2002). Eine reine Klassenpartei waren die Sozialdemokraten auch vor "Godesberg" nie gewesen. Einerseits blieb die Arbeiterschaft im katholischen Bevölkerungsteil für sie lange Zeit unerreichbar, andererseits begann sich die SPD schon in der Weimarer Republik für die rasch wachsenden Angestelltenberufe zu öffnen, in deren Gruppe sie bald besser abschnitt als unter den Arbeitern (Lösche / Walter 1992: 21 ff.).

Erreichte die SPD von 1994 bis 2008 unter den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern stets absolute Mehrheiten, fiel sie 2009 in dieser Gruppe auf 34 Prozent zurück. Auch bei den Arbeitslosen lag der Anteil mit 19 Prozent jetzt deutlich unter ihrem Gesamtergebnis. In absoluten Zahlen hatte die SPD 2009 gegenüber 1998 rund zehn Millionen Wähler verloren. Knapp ein Viertel davon (2,4 Millionen) blieben der Wahl fern, während mehr als ein Fünftel (2,1 Millionen) zur Linkspartei überliefen (Zahlen von Infratest dimap). 2021 war die SPD bei Arbeitern und Arbeitslosen wieder die stärkste Kraft, allerdings lagen ihre Werte in beiden Gruppen bei bzw. unter ihrem Gesamtergebnis. Durch den Rückzug der Traditionsklientel gibt es in der Berufsstruktur der sozialdemokratischen Wählerschaft keine nennenswerten Schwerpunkte mehr, nur bei den Selbständigen und Landwirten schneidet die Partei weiterhin stark unterdurchschnittlich ab (Spier / Alemann 2013: 458 f.).

Auch nach Alter und Geschlecht ist die Wählerstruktur seit den 1990er-Jahren relativ ausgeglichen. Nur bei den Bundestagswahlen 2002 und 2005 konnte die SPD bei den Frauen ein deutlich besseres Ergebnis verbuchen als den Männern. 2009 erlitt sie vor allem in der jüngsten Wählergruppe (der 18- bis 29-Jährigen) einen Einbruch, den sie aber durch Rückgewinne 2013 größtenteils wieder wettmachen konnte. Bei den über 60-Jährigen schneidet die SPD genauso wie die Union überdurchschnittlich ab, dasselbe gilt für die Wähler mit niedrigem formalen Bildungsgrad. Hatten sich die Verluste Bei der Bundestagswahl 2017 auf alle Altersgruppen gleichmäßig verteilt - allein die über 70-Jährigen hielten der SPD noch einigermaßen die Treue -, so kehrte sich das Verhältnis zwischen den älteren und jüngeren Wählern 2021 um: Während die SPD in der Gruppe der Älteren um fast 10 Punkte nach oben schoss, büßte sie in der jüngsten Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen sogar Stimmen ein und landete hinter Grünen und FDP nur auf Platz drei. Blickt man auf die Religionszugehörigkeit, findet die Partei Unter den Protestanten und kirchlich ungebundenen Wählern weiterhin mehr Zuspruch als unter Katholiken; allerdings haben sich die Unterschiede hier im Laufe der Zeit abgeschliffen.

Quellen / Literatur

  • Bukow, Sebastian (2014), Die SPD-Parteiorganisationsreform 2009-2011. Mit Primaries und verstärkter Basisbeteiligung auf dem Weg zur "modernsten Partei Europas"?, in: Ursula Münch / Uwe Kranenpohl / Henrik Gast (hg.), Parteien und Demokratie, Baden-Baden, S. 133-150.

  • Fischer, Sebastian (2005), Gerhard Schröder und die SPD. Das Management des programmatischen Wandels als Machtfaktor, München.

  • Grunden, Timo (2012), Die SPD. Zyklen der Organisationsgeschichte und Strukturmerkmale innerparteilicher Entscheidungsprozessen, in: Karl-Rudolf Korte / Jan Treibel (Hg.), Wie entscheiden Parteien? (ZPol-Sonderband), Baden-Baden, S. 93-119.

  • Grunden, Timo / Maximilian Janetzki / Julian Salandi (2017), Die SPD. Anamnese einer Partei, Baden-Baden.

  • Jun, Uwe (2018), Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), in: Frank Decker / Viola Neu (Hg.), Handbuch der deutschen Parteien, 3. Aufl., Wiesbaden, S. 468-486.

  • Klein, Markus u.a. (2018), Die Sozialstruktur der deutschen Parteimitgliedschaften. Empirische Befunde der Deutschen Parteimitgliederstudien 1998, 2009 und 2017, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 50 (1), S. 81-98.

  • Krell, Christian / Meik Woyke (2015), Die Grundwerte der Sozialdemokratie. Historische Ursprünge und politische Bedeutung, in: Christian Krell / Tobias Mörschel (Hg.), Werte und Politik, Wiesbaden, S. 93-137.

  • Lösche, Peter / Franz Walter (1992), Die SPD. Klassenpartei - Volkspartei - Quotenpartei. Zur Entwicklung der Sozialdemokratie von Weimar bis zur deutschen Vereinigung, Darmstadt.

  • Lynen von Berg, Heinz (2019), Der Niedergang der SPD als Volkspartei und ihr hilfloser Antipopulismus, in: Leviathan 47 (1), S. 7-27.

  • Machnig, Matthias / Hans-Peter Bartels, Hg. (2001), Der rasende Tanker. Analysen und Konzepte zur Modernisierung der sozialdemokratischen Organisation, Göttingen.

  • Meyer, Thomas (2005), Theorie der Sozialen Demokratie, Wiesbaden.

  • Spier, Tim / Ulrich von Alemann (2013), Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), in: Oskar Niedermayer (Hg.), Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 439-467.

  • Spier, Tim / Ulrich von Alemann (2015), In ruhigerem Fahrwasser, aber ohne Land in Sicht? Die SPD nach der Bundestagswahl 2013, in: Oskar Niedermayer (Hg.), Die Parteien nach der Bundestagswahl 2013, Wiesbaden, S. 49-69.

  • Sturm, Daniel Friedrich (2009), Wohin geht die SPD?, München.

  • Süß, Dietmar (2022), Der seltsame Sieg. Das Comeback der SPD und was es für Deutschland bedeutet, München 2022.

  • Turner, Ed / Davide Vampa / Matthias Scantamburlo (2022), From Zero to Hero. The Rise of Olaf Scholz and the SPD, in: German Politics and Society 40 (3), S. 127-147.

  • Walter, Franz (2018), Die SPD. Biographie einer Partei von Ferdinand Lassalle bis Andrea Nahles, Reinbek bei Hamburg.

  • Wolfrum, Edgar (2013), Rot-Grün an der Macht. Deutschland 1998-2005, München.

Fussnoten

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Prof. Dr. Frank Decker lehrt und forscht am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Parteien, westliche Regierungssysteme und Rechtspopulismus im internationalen Vergleich.