Der Aufbau des Parteiensystems nach dem Zweiten Weltkrieg war neben Konstanten aus der Weimarer Republik auch von neuen Entwicklungen geprägt. Nach einer Konzentration auf nur drei maßgebliche Parteien in den 1960er- und 1970er-Jahren nahm die Vielfalt wieder zu. Dennoch ist das bundesdeutsche Parteiensystem von einer erstaunlichen Stabilität und einer geringen Zersplitterung gekennzeichnet.
Die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler hatten nach ihrer Machtübernahme 1933 alle Parteien verboten, eine Einparteiendiktatur etabliert und sich schlimmster Verbrechen schuldig gemacht. Nach der deutschen Kapitulation und der Befreiung durch die Alliierten im Mai 1945 blieben zunächst alle politischen Organisationen in Deutschland verboten. Erst im weiteren Verlauf des Jahres wurden zunächst auf örtlicher und später auf der Ebene der Besatzungszonen demokratische Parteien zugelassen. Im Laufe des Jahres 1946 begann der Aufbau der Gemeinden und dann der Länder, in denen schließlich wieder Wahlen zu Landtagen und Parlamenten möglich wurden. Dazu brauchte es die politischen Parteien.
Neuanfang
Für die deutschen Parteien nach 1945 gab es keine "Stunde null". So knüpfte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) ziemlich nahtlos an ihre alte Tradition an. Auch die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) war zunächst wieder in den ersten Parlamenten vertreten, schrumpfte aber im beginnenden Kalten Krieg zu einer vernachlässigbaren Größe und wurde 1956 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindlich eingestuft und verboten.
Auf Seiten der bürgerlichen Parteien gab es allerdings durchaus einen Neuanfang. Das katholische Zentrum gründete sich zwar neu, wurde aber weitgehend von der Christlich Demokratischen Union (CDU) und der Christlich-Sozialen Union in Bayern (CSU) verdrängt. Diese beiden neuen Parteien nannten sich bewusst "Union", weil sie aus dem engen katholischen "Turm" der Zentrumspartei von Weimar herausführen und die Protestanten mitvertreten wollten und so gemeinsam eine breite konservativ-liberal-soziale Sammlungspartei bilden sollten.
Auch die Liberalen überwanden die Spaltung. Links- und Rechtsliberale bildeten mit der Freien Demokratischen Partei (FDP) eine kleine, aber für die meisten Regierungskoalitionen in den ersten Jahrzenten der Bundesrepublik unverzichtbare Partei als Mehrheitsbeschafferin im Parlament - zunächst für die Union, später dann für die SPD.
Dazu kam in der ersten Phase der Neuformierung des Parteiensystems bis in den Beginn der 1950er-Jahre noch eine Fülle von kleineren Parteien, die aber weitgehend von der Union aufgesogen wurden. So saßen im ersten frei gewählten Bundestag von 1949 noch elf verschiedene Parteien, was in gewisser Weise an die Zersplitterung des Parteiensystems in der Schlussphase von Weimar anknüpfte.
In der sowjetischen Besatzungszone, in der sich 1949 die Deutsche Demokratische Republik (DDR) gründete, entstand durch eine Zwangsvereinigung von Kommunisten und Sozialdemokraten die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Daneben existierten zwar noch mehrere bürgerliche sogenannte Blockparteien, die aber eher eine demokratische Fassade bilden sollten, statt tatsächlich politisch mitzuwirken. Bis zu ihrem Zusammenbruch 1989 beherrschte die SED das gesamte politische Leben in der DDR, nicht nur die Politik in der Volkskammer, sondern auch die Gewerkschaften und die sonstigen Jugend- und Massenorganisationen mit Ausnahme der Kirchen, die als einzige eine gewisse Eigenständigkeit bewahren konnten. Die DDR war insofern kein demokratischer Staat, da freie parlamentarische Wahlen sowie Grundrechte, wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit und Gründungs- und Aktionsfreiheit von politischen Parteien, nicht gewährleistet waren. Sie blieb bis zu ihrem Ende 1990 ein autoritärer Interner Link: Unrechtsstaat.
Konsolidierung
In der zweiten Phase des deutschen Parteiensystems in der Bundesrepublik ab 1953 festigten sich die im Bundestag vertretenen Parteien. Hatte die Unionsfraktion aus CDU und CSU die erste Bundesregierung von 1949 unter Bundeskanzler Konrad Adenauer noch mit einer ganz knappen Mehrheit gebildet, so konnte sie ihren Stimmenanteil von zunächst 31 Prozent bis zur nächsten Bundestagswahl 1953 auf mehr als 45 Prozent steigern, während die SPD bei rund 29 Prozent stagnierte. Die FPD verlor von 12 Prozent im Jahr 1949 auf 9,5 Prozent im Jahr 1953. Von den zahlreichen kleineren Parteien erreichte 1953 nur die Flüchtlingspartei des Gesamtdeutschen Blocks/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE) mit knapp 6 Prozent und die Zentrumspartei mit knapp 1 Prozent der Stimmen und drei direkt gewählten Abgeordneten den Bundestag.
Damit war das Parteiensystem weitgehend konsolidiert, denn bei der Bundestagswahl 1957 erreichte die CDU/CSU sogar mit 50,2 Prozent einmalig die absolute Mehrheit der Stimmen und der Bundestagsmandate und dies insbesondere auf Kosten der kleineren Parteien. Die letzte der kleineren bürgerlichen Parteien, die Deutsche Partei (DP), erreichte 1957 zwar noch 17 Mandate, allerdings durch teilweise Listenverbindungen mit der CDU. Mit der Wahl 1961 war der Wandel des Parteiensystems vorerst abgeschlossen und nur wenige Parteien - CDU/CSU, SPD und FDP - dominierten das Parlament.
Konzentration
Die Konzentration der Parteien im Deutschen Bundestag kannte zwischen 1961 und 1983 nur diese drei Fraktionen, nämlich die beiden "Schwesterparteien" CDU/CSU, die SPD und die FDP. Die Union verstand sich als die große bürgerliche Sammlungspartei, die zunächst wenig an Programmatik und Organisation interessiert war. Sie lebte größtenteils vom Erfolg und Mythos von Konrad Adenauers Politik der Westbindung der Bundesrepublik und Ludwig Erhards Wirtschaftswunder. "Schwesterparteien" werden die Unionsparteien deshalb genannt, weil sie bei Wahlen nicht gegeneinander antreten. Die CSU kandidiert ausschließlich in Bayern, die CDU im übrigen Bundesgebiet. Sie sind zwar organisatorisch völlig unabhängige Parteien, bilden aber im Bundestag eine gemeinsame, meist die stärkste Fraktion und können so in aller Regel den Bundestagspräsidenten stellen. Durch das Erbe der Zentrumspartei hatte die Union eine feste Bindung in der katholischen Arbeiterschaft erreicht, daneben aber auch eine starke Basis im alten Mittelstand und im Protestantismus Westdeutschlands errichtet.
Die SPD tat sich zunächst schwer, als gleichwertige Kraft dagegen zu halten. Zunächst orientierte sie sich noch ganz am Programm eines moderaten Marxismus, den sie nun demokratischen Sozialismus nannte. Erst mit dem Godesberger Programmparteitag von 1959 modernisierte sie gründlich ihre programmatischen Aussagen und etablierte sich als eine moderne Volkspartei links der Mitte. Die Wähler dankten es ihr, sodass sie in den 1950er- und 1960er-Jahren stetig mehr Stimmenanteile gewann, von mehr als 36 Prozent im Jahre 1961 bis auf fast 43 Prozent bei der Bundestagswahl 1969. Damit stand sie fast auf Augenhöhe mit der Union, die rund 46 Prozent der Stimmen erzielte. Die FDP schwankte in diesen Jahren zwischen fast 13 Prozent bei der Wahl 1961 und lediglich 5,8 Prozent im Jahr 1969.
Bis in die Mitte der 1950er-Jahre war das Parteiensystem stark polarisiert, es herrschte eine tiefe politische und programmatische, ja auch sozial-kulturelle Kluft zwischen den beiden großen Parteien. Die Union war konservativ-katholisch, auch in ihrem Milieu, und propagierte eine klare Westbindung an Europa und die USA. Die SPD orientierte sich demokratisch-sozialistisch im Arbeiter- und Gewerkschaftsmilieu und strebte ein neutrales Deutschland zwischen den zwei Blöcken des Kalten Krieges an, wie es etwa auch Österreich gelungen war. Der Konflikt spitzte sich bei der Aufstellung der Bundeswehr und dem NATO-Beitritt 1955 zu, den die SPD - auch mit großen Massendemonstrationen - vergeblich bekämpft hatte.
Annäherung
Seit dem Godesberger Programm der SPD von 1959 hatten sich die beiden großen Parteien einander sowohl programmatisch als auch organisatorisch angenähert. Die SPD machte ihren Frieden mit Marktwirtschaft, Bundeswehr und europäischer Integration. Und nachdem Ludwig Erhard 1963 von Adenauer die Kanzlerschaft übernommen hatte, führte die erste leichte Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit zu einem vorschnellen Ende seiner Kanzlerschaft und zur Bildung einer ersten Großen Koalition von 1966 bis 1969. Nur die FDP blieb als kleine Oppositionspartei übrig. In Reaktion darauf bildete sich aus der Gesellschaft heraus eine außerparlamentarische Opposition (APO), welche gestützt auf die Studentenbewegung die Politik der etablierten Parteien herausforderte. Die Bonner Bundeshauptstadt erlebte Großdemonstrationen, die - mit der breiten Unterstützung von Intellektuellen und Künstlern sowie eher linksliberalen Medien wie SPIEGEL, STERN und ZEIT - insbesondere gegen die von der Großen Koalition beschlossene Notstandsgesetzgebung protestierten.
Am Ende der Großen Koalition konnte sich die SPD durch ihren Spitzenkandidaten Willy Brandt gegenüber dem Kanzler Kurt-Georg Kiesinger besser profilieren und erstmalig mit der FDP eine sogenannte sozial-liberale Koalition bilden. Die neue Ostpolitik Brandts und Walter Scheels (FDP), heftig bekämpft durch die Union, führte jedoch zu einer Erosion der ersten sozial-liberalen Regierung mit zahlreichen Parteiübertritten.
Brandt überstand Anfang 1972 nur knapp ein Misstrauensvotum der Opposition, und er sah sich gezwungen, die Vertrauensfrage zu stellen und Neuwahlen anzusetzen, die er überzeugend gewann. Erstmalig überholte die SPD mit 45,8 Prozent der Stimmen die CDU/CSU, die bei 44,9 Prozent lag, und stellte damit erstmals die größte Fraktion im Deutschen Bundestag.
Die Parteien hatten sich allerdings nicht nur programmatisch und politisch in einer gemeinsamen Regierung, sondern auch organisatorisch angenähert. Der Typus der bürgerlichen "Honoratioren-Partei", der kaum eigene Parteiorganisation mit aktiver Mitgliedschaft und Parteifunktionären ausbildete, verschwand immer mehr.
Aber auch die eng vernetzten politisch-moralischen Milieus der Arbeiterbewegung oder der katholischen Bewegung verloren ihre Prägekraft. Beide großen Parteien hatten vom Kaiserreich bis zur Weimarer Republik und in die frühe Bundesrepublik hinein ihre eigenen Massenorganisationen mit Partei, Gewerkschaft, Zeitschriften bis zu Sportvereinen und Kulturzirkeln aufgebaut. Seit den 1960er-Jahren bildeten alle deutschen Parteien die Strukturen einer Massenmitgliederpartei aus, die zwar nicht mehr so stark die Menschen integrierte wie in der Kaiserzeit und in der Weimarer Republik, wo man "von der Wiege bis zu Bahre" in derselben Organisation seine Heimat finden konnte, aber doch die Mitgliedschaft einband. Der Typus der Massenmitgliederpartei hatte seinen Höhepunkt in den 1970er-Jahren, als die SPD über eine Million und die CDU/CSU zusammen etwa 900.000 Mitglieder hatten. Danach begann die Auflösung der Milieubindung der deutschen Parteien.
Pluralisierung
Willy Brandt musste kurz nach seinem Wahlsieg 1972 zurücktreten - unter anderem wegen des DDR-Spions Günter Guillaume in seinem unmittelbaren Umfeld - und Helmut Schmidt übernahm die Kanzlerschaft in der fortdauernden Koalition von SPD und FDP. Die Freien Demokraten sorgten allerdings für eine erneute politische Wende zurück zu einer bürgerlichen Regierung mit der CDU/CSU im Jahre 1982,
als der neue Kanzler Helmut Kohl mit Hilfe der FDP durch ein konstruktives Misstrauensvotum die Regierungsführung übernahm. Um seiner neuen Regierung ein eigenes politisches Mandat zu verschaffen, wurde der Bundestag erneut vorzeitig aufgelöst. So gab es 1983 Neuwahlen, in der die schwarz-gelbe Koalitionsregierung bestätigt wurde. Sie bestand mit Kanzler Kohl 16 Jahre, bis 1998 der nächste Wechsel erfolgte.
Die Wahl von 1983 läutete eine neue Phase für das Parteiensystem ein, nämlich die Pluralisierung des bisher festgefrorenen Dreiparteiensystems in der Bundesrepublik. Die Grünen kamen mit 5,6 Prozent und 27 Mandaten erstmals in den Deutschen Bundestag und reklamierten eine neue Politik, die auf der Anti-Atombewegung, auf der Umweltbewegung, auf der Frauenbewegung und auf der Friedensbewegung basierte. Der Politikbetrieb sollte umgekrempelt werden. Die Grünen-Abgeordneten gaben nach der Hälfte der Legislaturperiode ihr Amt an Nachrücker ab. Es wurde eine strenge Trennung zwischen Amt und Mandat eingehalten, das heißt Abgeordnete durften keine Parteiämter übernehmen.
Aber viele dieser Neuerungen hielten nicht lange vor und wurden im politischen Alltag abgeschliffen. Nur die doppelte Doppelspitze blieb bis heute: Die Partei selbst wie auch die Fraktion werden von je zwei Personen geleitet, jeweils immer von einer Frau und einem Mann. Als Protestpartei angetreten konnten die Grünen sich im Bundestag fest etablieren: Zwar scheiterten sie 1990 im Westen an der Fünfprozenthürde, zumindest die ostdeutsche Listenvereinigung "Bündnis 90/Grüne - BürgerInnenbewegungen" zog jedoch mit insgesamt 8 Direktmandaten in den Bundestag ein. Nach der Vereinigung der Bürgerbewegungsparteien aus den neuen Bundesländern mit den inzwischen gesamtdeutsch aufgestellten Grünen ist die Partei seit 1994 ununterbrochen im Bundestag vertreten.
Wiedervereinigung - keine Neuformierung
Die deutsche Wiedervereinigung brachte eine weitere Parteil neu in den Bundestag von 1990. Aus der SED hatte sich in den ostdeutschen Bundesländern zunächst die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) gebildet, die später auch in Westdeutschland zu Wahlen antrat. Sie ist seit 1990 immer im Bundestag vertreten gewesen - mit Hochburgen um die 20 Prozent in den neuen, aber mit kaum Resonanz in den alten Bundesländern, weder bei Bundestags- noch bei Landtagswahlen.
Das änderte sich Anfang des Jahrtausends, als der sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder mit seiner "Agenda 2010" und den sogenannten Hartz-Gesetzen linke Teile der SPD und des Gewerkschaftslagers gegen sich aufbrachte. Es bildete sich zunächst in den Jahren 2004 und 2005 die Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative" (WASG), die sich 2007 mit der PDS zur neuen Partei "Die Linke" vereinigte. Der ehemalige SPD-Parteivorsitzende Oskar Lafontaine übernahm ihren Vorsitz. Auf diese Weise konnte sie nun auch stärker in westdeutschen Landtagen Fuß fassen, blieb aber weiterhin stark ostdeutsch geprägt.
Die anderen deutschen Parteien hatten sich durch die Wiedervereinigung erstaunlich wenig gewandelt. Die Union übernahm die ostdeutsche Blockpartei CDU sowie Teile der Bürgergruppen und war in den neuen Ländern recht erfolgreich. Die FDP verband sich ebenfalls mit einer liberalen und einer bäuerlichen Blockpartei, blieb aber in den ostdeutschen Ländern trotzdem zum Teil deutlich hinter ihren westdeutschen Wahlerfolgen zurück. Die SPD nahm die nach der Wende neu gegründete sozialdemokratische SDP auf. Gegen ihre eigene Hoffnung konnte sie aber nicht an die Vorkriegsstärke der SPD in Sachsen oder Thüringen herankommen. Die Grünen schlossen sich wie beschrieben mit der Bürgergruppe Bündnis 90 zusammen und wandelten sich äußerlich am meisten, da sie sich seitdem bis heute "Bündnis ‘90/Die Grünen" nennen. Aber auch ihre Erfolge blieben überschaubar. Insgesamt waren die Parteien in den neuen Bundesländern nie fähig, einen ähnlichen Prozentsatz der Bevölkerung als Mitglieder an sich zu binden wie in den westdeutschen Ländern. Die Parteibindung generell blieb dort schwächer. Auch konnten die Parteien nie eine feste Stammwählerschaft herausbilden wie im Westen - mit Ausnahme der PDS/Linke.
Wende 1998
Die Ära Kohl ging 1998 mit dem Wahlsieg von Gerhard Schröder (SPD) zu Ende, der die erste Koalition der SPD mit den Grünen auf Bundesebene bildete. Für die einstige grüne Protestpartei war dies ein konfliktreicher Schritt - getragen von den "Realos", den Realpolitikern wie Außenminister Joschka Fischer, abgelehnt von den "Fundis", aus dem eher linken fundamentalistischen Flügel der Partei. Nicht nur bei den bürgerlichen Parteien, auch in Teilen der SPD existierte eine tief verwurzelte Abneigung, mit den Grünen zusammenzuarbeiten, da viele diese für politisch unzuverlässig hielten. Aber das rot-grüne Regierungsbündnis, das von den Beteiligten gerne als historisches "Projekt" hochstilisiert wurde, war zunächst stabil, hielt letztlich aber nur sieben Jahre bis 2005. Es zerbrach nicht nur an inneren Konflikten der SPD, die mit Kanzler Gerhard Schröders "Agenda 2010" haderte. Auch die Erosion der Machtbasis in den Ländern und damit im Bundesrat hat dazu beigetragen, weil dadurch ein "Durchregieren" gegen die erstarkten bürgerlichen Parteien, die auch immer mehr Rückenwind durch die Medien erhielten, immer schwerer wurde. Schröder setzte mit der Vertrauensfrage im Frühjahr 2005 alles auf eine Karte, um eine Wende bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Herbst 2005 zu erzwingen. Das gelang ihm nur halb.
Die Union hatte nach der Wahlniederlage von 1998 eine tiefgreifende innere Krise zu bewältigen, da ihr und insbesondere ihrem nunmehrigen Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl die Unterschlagung von Spendengeldern vorgeworfen wurde. Kohl gab in der sogenannten CDU-Spendenaffäre Ende 1999 zu, mehrere Millionen D-Mark Spenden an allen Gremien vorbei und unter Missachtung gesetzlicher Vorschriften eingenommen und ausgewählten Parteigruppierungen zugewandt zu haben. Da er sein Ehrenwort gegeben habe, weigerte er sich, die Spender offenzulegen. Er gab seinen Ehrenvorsitz ab und nach einiger Turbulenz stieg Angela Merkel zur Partei- und Fraktionsvorsitzenden auf - sie war unter Kohl bereits seit 1991 im Bundeskabinett vertreten gewesen und hatte nach der Wahl 1998 den Posten der Generalsekretärin der CDU übernommen.
Aufbruch ins neue Jahrtausend
Wie bereits erwähnt geriet die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2005 nach einigen Wahlniederlagen auf Landesebene derart unter Druck, dass Gerhard Schröder mit Hilfe einer gescheiterten Vertrauensfrage Neuwahlen im Herbst desselben Jahres anstrebte. Er verlor die Wahl knapp, doch die CDU/CSU konnte ihre Wunschmehrheit mit der FDP nicht erreichen, und so bildete die Union gemeinsam mit der SPD unter Angela Merkel 2005 die zweite Große Koalition der Bundesrepublik.
Bei der Wahl 2009 brach die SPD dann kräftig ein und die FDP erreichte ihr bestes Wahlergebnis aller Zeiten im Bund mit 14,6 Prozent. Die nach dieser Wahl gebildete Koalition von CDU/CSU und FDP büßte aber 2013 ihre Mehrheit schon wieder ein. Die FDP scheiterte sogar knapp an der Fünfprozenthürde, flog aus dem Bundestag und schaffte zwischen 2011 und 2014 auch in vielen Landesparlamenten den Wiedereinzug nicht mehr. CDU/CSU und SPD bildeten bis zur Wahl 2017 die nunmehr dritte Große Koalition.
Anfang 2017 nominierte die SPD Martin Schulz, den bisherigen Präsidenten des Europaparlaments, zu ihrem Spitzenkandidaten. Dies erzeugte eine erstaunliche Welle der Zustimmung in der SPD selbst – Schulz wurde von einem Parteitag mit 100% der Delegiertenstimmen zum Parteivorsitzenden gewählt – sowie in der Wählerschaft. Die SPD zog unter Schulz kurzfristig in einigen Umfragen sogar mit der Union unter Merkel gleich.
Der "Schulz-Hype" blieb allerding ein von der Wissenschaft bis heute nicht ganz erklärtes Strohfeuer. Bei der Bundestagswahl im September 2017 konnte die Kanzlerin trotz gesunkener Sympathiewerte seit der Flüchtlingskrise 2015 die Union mit 33,4 Prozent deutlich vor der SPD positionieren, musste aber 8,6 Prozentpunkte Verlust hinnehmen. Die SPD brach ebenfalls schwer ein und fiel auf 20,5 Prozent der Stimmen, minus 5,2 Prozentpunkte. Für die beiden Partner der Großen Koalition ergaben sich damit gemeinsame Verluste von 13,8 Prozentpunkten. Obwohl die beiden größeren Parteien verloren und die Union sogar mehr als die SPD, galt diese als die große Wahlverliererin, weil sie mit einem Abstand von fast 13 Prozent hinter her hing und sich damit von einer Regierungsführung praktisch verabschiedet hatte. Denn auch mit einer rot-rot-grünen Koalition hätte sie keine Mehrheit, wie noch vor der Wahl, erreichen können.
Die Regierungsbildung erwies sich somit als schwierig und langwierig wie noch nie in der Bundesrepublik. Schulz erklärte am Wahlabend kategorisch, die SPD ginge in keine neue Große Koalition mit der Union. Diese sondierte mit Grünen und FDP lange eine sogenannte Jamaika-Koalition. Es zog sich hin und man produzierte einige Papiere, die aber Makulatur wurden, weil Christian Linder von der FDP das Handtuch warf und seine Partei aus den Verhandlungen zurückzog.
Es setzte sich eine monatelange Hängepartie fort, nicht so sehr zwischen den Parteien Union und SPD über eine erneute Große Koalition, sondern als ein erbitterter Kampf innerhalb der SPD zwischen Gegnern und Befürwortern einer Regierungsbeteiligung. Ein Votum der gesamten Mitgliedschaft der SPD gab schließlich grünes Licht. So wurde am 23. Februar die vierte Große Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik vereidigt. Geführt erneut von der Kanzlerin Angela Merkel, von der viele voraussagen, dass es ihre letzte Regierung sein wird.
Rechtliche Stellung der Parteien
Die gemeinsame verbindliche Struktur der deutschen Parteien wurde auch Interner Link: rechtlich vorgegeben. Das Grundgesetz hatte im Artikel 21 früher als jede andere Verfassung die Parteien positiv mit Verantwortung versehen, hatte ihre demokratische Struktur und die Transparenz ihrer Parteifinanzen gefordert sowie die Möglichkeit geschaffen, verfassungsfeindliche Parteien zu verbieten. Es brauchte zwar bis 1967, um ein grundgesetzlich angekündigtes Parteiengesetz zu verabschieden, aber dieses hat dann zusätzlich für einen vergleichbaren Aufbau der Parteien gesorgt. Es legte die Grundlage für eine Interner Link: Parteienfinanzierung, die seither aus drei Säulen - nämlich Mitgliedsbeiträgen, Spenden und staatlicher Teilfinanzierung - besteht, wenn auch vielfach durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts modifiziert.
Struktur und Stabilität der deutschen Parteien
Die Entwicklung des Parteiensystems seit 1945 (bpb)
Die Entwicklung des Parteiensystems seit 1945. (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
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Trotz alledem: Verglichen mit der deutschen Geschichte oder auch den europäischen Nachbarstaaten ist das bundesdeutsche Parteiensystem von einer erstaunlichen Stabilität und einer geringen Zersplitterung gekennzeichnet. Die Pluralisierung des Parteiensystems, hin zu einem sehr kleinteiligen System, wie es in den Niederlanden, Belgien, der Slowakei und auch in Skandinavien zu beobachten ist, hielt sich durchaus in Grenzen. Auch von großen ständig wechselnden Parteipräferenzen in der Wählerschaft wie in Spanien, Tschechien, Italien oder zuletzt in Frankreich blieb das deutsche Parteiensystem weitestgehend verschont. Zu den drei Gründungsparteien des ersten Deutschen Bundestages, CDU/CSU, SPD und FDP, kamen bisher nur die Grünen und Die Linke sowie seit 2017 die Alternative für Deutschland (AfD) hinzu.
Die Organisation der Parteien hat sich deutlich gewandelt. So ist heute zwar umstritten, ob es in Deutschland überhaupt noch Mitglieder- oder Volksparteien gibt. Das ist aber nach überwiegender Meinung grundsätzlich der Fall. Zwar ist die absolute Zahl der Parteimitglieder auf etwa die Hälfte derer geschrumpft, die in den Hochzeiten der 70er-Jahren einer Partei angehörten, aber immer noch spielen die Mitglieder eine zentrale Rolle. So hat beispielweise die SPD 2013 und 2017 einen Mitgliederentscheid zum Eintritt in die dritte und vierte Große Koalition durchgeführt, an dem sich mehr als drei Viertel der SPD-Mitglieder beteiligten. Und auch andere Parteien führen immer mehr Mitgliederentscheide über Spitzenkandidaten, Programme oder Koalitionsentscheide durch. Die oft totgesagte Mitgliederpartei lebt.
Reine Funktionärs-, Kader-, Klientel- oder Unternehmerparteien haben sich in Deutschland bisher nicht durchgesetzt, auch wenn z.B. in den Wahlkämpfen eine immer stärkere Professionalisierung stattfindet, welche die zentralen Parteiorganisationen festigt. Auch Experten von außen werden immer häufiger für die Kommunikation mit den Wählern zu Rate gezogen und bestimmen so auch Teile der Parteistrategie mit. Aber ihr Einfluss ist doch wesentlich geringer als z.B. in den USA. Manche nennen deshalb die deutschen Parteien "professionalisierte Wählerparteien".
Und auch der Begriff der Volkspartei ist noch nicht am Ende. Volkspartei heißt heute eine Partei, die in Programm, Personal und Wählerschaft potenziell die große Mehrheit der Bevölkerung anspricht, aber durchaus nicht gleichermaßen erreicht, denn dann wäre sie eine Einheitspartei. Insofern bleibt die Union die Volkspartei der Mitte rechts und die SPD die Volkspartei der Mitte links.
Bezieht man die Landtage in die Übersicht der deutschen Parteien mit ein, so ergibt sich ein sehr viel bunteres Bild. Denn in den Landtagen sind eine Fülle von kleineren Parteien auf der rechten und der linken Seite des politischen Spektrums immer wieder vertreten gewesen, die es aber bisher nie in den deutschen Bundestag geschafft haben.
Die FDP war nach ihrem kometenhaften Aufstieg 2009 bei der folgenden Bundestagswahl aus dem Parlament geworfen worden, verlor auch mehrere Landtagswahlen und Beteiligungen an Landesregierungen in rascher Folge. Manche sagten ein Ende des politischen Liberalismus voraus. Aber tatsächlich schaffte es der neue Parteivorsitzende Christian Lindner die FDP aus der Resignation wieder in den Bundestag 2017 zu führen. Sie hätte sogar in eine schwarz-grün-gelbe Regierungskoalition eintreten können, aber diesem Schritt verweigerte er sich.
Das gewohnte deutsche Parteiensystem wurde aber 2017 nicht einfach wiederhergestellt, sondern erlebte ein neues Beben mit dem erstmaligen Einstritt einer rechts von der Union angesiedelten Partei, der AfD. Zunächst 2013 gegründet als eine konservative, wirtschaftsliberale und euroskeptische Partei unter Bernd Lucke, wandelte sie sich nach seinem Austritt schnell in Richtung rechtskonservative und nationalistische Partei, die insbesondere in Ostdeutschland mit rechtsradikalen Kräften sich gemein machte und dort bei Landtagswahlen zwei Mal sogar über 20 Prozent der Stimmen – in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern - holte. In den Bundestag zog sie mit sicheren 12,6 Prozent ein. In welche Richtung sie sich weiterentwickelt - ob nationalkonservativ oder rechtsradikal - bleibt derzeit offen.
Zukunft des deutschen Parteiensystems
Aus der erstaunlichen Stabilität des deutschen Parteiensystems seit der Nachkriegszeit ergibt sich aber nicht zwangsläufig ein ebenso stabiles System für die Zukunft. Insbesondere rechtspopulistische Parteien sind - angefangen von Österreich über die Schweiz bis nach Dänemark - in mehreren benachbarten Staaten erfolgreich gewesen und haben die Parteienlandschaften zum Teil heftig umgepflügt. Das könnte auch in Deutschland passieren.
Die etablierten Parteien in Deutschland haben sich bisher sowohl programmatisch als auch organisatorisch deutlich angeglichen. Dadurch sind immer wieder Protestparteien aufgetreten, wie vor der AfD die Piraten, welche die "Altparteien" herausforderten und oftmals auch deren Programmatik indirekt beeinflussten. Bisher ist es aber nur 1983 den Grünen gelungen, sich aus diesem Status heraus auch fest im Parteiensystem der Bundesrepublik zu etablieren. Die Linkspartei ist in Ostdeutschland weniger eine Protestpartei, sondern vielmehr eine Art linke Volkspartei. Sie war schon in mehreren Landesregierungen in einer Koalition mit der SPD vertreten und kann seit Ende 2014 in Thüringen in einer Koalition aus der Linken, den Grünen und der SPD mit Bodo Ramelow sogar den Ministerpräsidenten stellen. Schließlich hat es die AfD als dritte Neugründung 2017 erstmalig in den Bundestag geschafft. Das ist eine Zäsur, aber wenn wir an die deutschen Nachbarländer denken, ist es keine Katastrophe.
Die Parteien müssen sich in der Zukunft nicht nur den neuen technologischen und kommunikativen Entwicklungen stellen, durch welche direktdemokratische Elemente stärker eingefordert werden. Sie müssen sich auch mit einer steigenden Parteien- und Politikverdrossenheit und breiter Kritik an ihren Strukturen und Prozessen auseinandersetzen, mit denen ein Verlust vieler Mitglieder und ein Absinken der Wahlbeteiligung einhergehen. Sie haben immer wieder aktivierende, interne Parteireformen unternommen, ohne allerdings den allgemeinen Mitgliederschwund und die eigene Überalterung stoppen zu können. Trotz aller Rufe nach mehr direkter Demokratie zeigt sich aber auch und gerade durch neue Parteigründungen, dass das Modell der "politischen Partei" für die politische Willensbildung und Interessensdurchsetzung in einer parlamentarischen Demokratie unersetzbar ist.
Seit 2005 ist das bundesdeutsche Parteiensystem in Bewegung, u.a. durch den Bedeutungsverlust der einstmals prägenden Volksparteien. Frank Decker beschreibt, wie sich das Parteiensystem seit der…
Prof. Dr. Ulrich von Alemann ist Emeritus am Institut für Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seine Forschungsschwerpunkte sind Parteien, das Parteiensystem und Partizipation.
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