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FREIE WÄHLER | Parteien in Deutschland | bpb.de

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FREIE WÄHLER FREIE WÄHLER

Lisa Peyer Jörg Hebenstreit

/ 10 Minuten zu lesen

Die FREIEN WÄHLER entstanden als überregionale Vereinigung kommunaler Wählergemeinschaften. Die größten Erfolge feierte die Partei in Bayern, wo sie seit 2018 auch in der Regierung vertreten ist.

Hubert Aiwanger beim politischen Aschermittwoch. Aiwanger ist Parteivorsitzender der FREIEN WÄHLER und bayerischer Wirtschaftsminister. (© picture-alliance/dpa)

Entstehung und Entwicklung

Die Bundesvereinigung "FREIE WÄHLER" (FREIE WÄHLER) ist eine vom Bundesverband der freien Wählergemeinschaften 2010 gegründete Partei. Sie hat ihre Wurzeln im kommunalpolitischen Raum und stellt die erste überregionale Vereinigung von freien Wählergemeinschaften mit bundesweiter Organisationsstruktur dar, die auch an Bundes- und Europawahlen teilnimmt. Ihrem Selbstverständnis nach verstehen sich die FREIEN WÄHLER als alternatives Wahlangebot zu den etablierten Parteien und betonen ihre strikte Sachorientierung.

Kommunale Wählergemeinschaften gehören seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zur politischen Landschaft der Bundesrepublik. Starke Verbreitung fanden sie traditionell im Süden Deutschlands und auch noch heute verzeichnen sie bei Kommunalwahlen in Bayern und Baden-Württemberg große Erfolge. Aber auch in anderen Bundesländern werben die freien Wählervereinigungen erfolgreich um Mandate, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen, wo sie vor allem in Gemeinderäten und Kreistagen stark vertreten sind.

Sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene existieren Interessenvertretungen der kommunalen Wählergemeinschaften, die als bloße Verbände jedoch nicht an Landtags- oder Bundestagswahlen teilnehmen können. Ein erster überregionaler Zusammenschluss erfolgte 1952 mit der Gründung eines Landesverbandes in Nordrhein-Westfalen, es folgten Verbände in Bayern (1953), Hessen (1955) sowie Baden-Württemberg und Niedersachsen (1956). Mit dem "Bundesverband FREIE WÄHLER Deutschland e.V." wurde 1965 eine erste Interessenvertretung der Wählergemeinschaften auf Bundesebene geschaffen; dieser versteht sich allerdings als reines Repräsentativ- und Koordinationsorgan.

Die Teilnahme an überregionalen Wahlen gilt innerhalb der verschiedenen kommunalen Wählergemeinschaften und Landesvereinigungen seit Anbeginn als umstritten, weil viele Mitglieder die Beschränkung auf die Kommunalpolitik als konstitutiv ansehen. Während sich etwa der Landesverband Baden-Württemberg bis heute gegen eine Teilnahme an Landtagswahlen ausspricht, gründeten zahlreiche Landesverbände und auch einzelne Wählergemeinschaften elektorale Äquivalente in Form von Landeswählergruppen oder -parteien und traten bereits seit den 1950er-Jahren unter verschiedenen Bezeichnungen bei Landtagswahlen an. Bis 2008 gelang ihnen jedoch in keinem Bundesland der Einzug ins Parlament.

Den größten Erfolg verzeichnet bisher die Wählergruppe "FW FREIE WÄHLER Bayern e.V." (FW Bayern), die in dieser Form seit 1998 an Landtagswahlen teilnimmt. Nach Achtungserfolgen bei den Wahlen 1998 (3,7 Prozent) und 2003 (4,0 Prozent) zogen die FW Bayern 2008 unter der Führung von Hubert Aiwanger mit einem Wahlergebnis von 10,2 Prozent erstmals in den Bayerischen Landtag ein; bei der Landtagswahl 2013 verzeichnete die Partei zwar einen leichten Stimmenrückgang auf 9,0 Prozent, schaffte den Sprung über die Fünfprozenthürde aber dennoch deutlich. Im Wahljahr 2018 erreichten die FREIEN WÄHLER mit 11,6 Prozent der Stimmen ihr bis dato bestes Ergebnis auf Landesebene und bilden seither gemeinsam mit der CSU nicht nur eine Koalitionsregierung, sondern stellen mit Hubert Aiwanger, dem Bundesvorsitzenden der FREIEN WÄHLER, ebenfalls den stellvertretenden Ministerpräsidenten. Ebenso werden drei Landesministerien von der Partei geleitet.

Bestärkt durch die Wahlerfolge in Bayern strebte der Bundesverband FREIE WÄHLER Deutschland e.V. erstmals eine Teilnahme an Wahlen oberhalb der Landesebene an, genauer gesagt: die Beteiligung an der am 7. Juni 2009 stattfindenden Europawahl. Dafür wurde im Januar 2009 die Bundeswählergruppe "FW FREIE WÄHLER" gegründet und damit eine erste landesübergreifende Bundesorganisation der Freien Wähler mit explizitem Wahlanspruch. Verbunden mit der Gründung war die Aufforderung an die bestehenden Landesparteien und -wählergruppen, sich als regionale Gliederungen der neuen Bundesvereinigung anzuschließen. Auch wenn die Bundeswählergruppe mit einem Ergebnis von 1,7 Prozent der Stimmen den Einzug ins Europaparlament verpasste, war damit der Grundstein für ein weiterführendes Engagement auf Bundesebene gelegt. Die Bundeswählergruppe wurde bereits im Februar 2010 in die neu gegründete "Bundesvereinigung FREIE WÄHLER" (FREIE WÄHLER) überführt und stellt nunmehr eine Partei im Sinne des deutschen Parteiengesetzes dar.

Neben den Doppelstrukturen von Landesverbänden und Landesparteien sowie von Bundesverband und Bundesvereinigung erschwert eine weitere Organisationsgründung die klare Identifikation und Unterscheidung der Akteure der Freien Wähler. Bei den Bundestagswahlen 2009 trat die Partei "FREIE WÄHLER Deutschland" (FWD) an, die nicht mit der Bundesvereinigung FREIE WÄHLER (FREIE WÄHLER) verwechselt werden darf. Die FWD wurde vom brandenburgischen Landesverband der FREIEN WÄHLER im Juni 2009 gegründet, nachdem dieser gemeinsam mit der Wählervereinigung "FREIE WÄHLER BREMEN" wegen Anzeichen von rechtspopulistischen Tendenzen aus dem Bundesverband ausgeschlossen worden war.

Die hier vorgestellte Bundesvereinigung FREIE WÄHLER (FREIE WÄHLER) trat hingegen erstmals am 22. September 2013 zur Bundestagswahl an. Als Spitzenkandidat wurde zunächst der früher der CDU angehörende Rechtsanwalt und Enkel Konrad Adenauers Stephan Werhahn aufgestellt, der jedoch sechs Monate vor der Wahl seine Rückkehr zur CDU erklärte. Daraufhin verzichteten die FREIEN WÄHLER ganz auf einen bundesweiten Spitzenkandidaten. Sie erreichten bei der Bundestagswahl 2013 einen Zweitstimmenanteil von 1,0 Prozent. Zur Bundestagswahl 2017 trat die Partei mit Landeslisten in allen 16 Bundesländern an und erreichte wie bereits 2013 einen Zweitstimmenanteil von 1,0 Prozent. Innerhalb der Gruppe der Parteien, die zur Wahl angetreten waren, die Fünfprozenthürde jedoch nicht erreicht hatten, waren die FREIEN Wähler knapp vor der Partei Die PARTEI die stärkste außerparlamentarische Partei.

Die FREIEN WÄHLER traten am 25. Mai 2014 zum zweiten Mal zur Europawahl an. Obwohl sie mit 1,5 Prozent der Stimmen unter ihrem Ergebnis von 2009 lagen, schafften sie, bedingt durch den erstmaligen Wegfall der Sperrklausel, den Einzug ins Europäische Parlament und konnten ein Mandat für sich gewinnen. Vertreten wurden die FREIEN WÄHLER im Europaparlament durch die vormalige bayerische Landtagsabgeordnete Ulrike Müller. Im Mai 2017 wechselte außerdem der Europaparlamentsabgeordnete Arne Gericke von der Familien-Partei zu den FREIEN WÄHLERN. Gemeinsam bildeten sie bis 2019 die "Europagruppe der FREIEN WÄHLER". 2019 konnte die Partei darüber hinaus mit 2,2 Prozent der Stimmen ihr bei Europawahlen bis dato bestes Ergebnis einfahren und zwei Europaparlamentsmandate gewinnen. Neben Ulrike Müller, die auch weiterhin für die FREIEN WÄHLER im Europaparlament sitzt, zog auch Engin Eroglu, der stellvertretende Bundesvorsitzende sowie Vorsitzende der FREIEN WÄHLER Hessen in das Parlament ein. Die Abgeordneten gehören der Fraktion "Renew Europe" (RE) an.

Während vor dem Erfolg bei der Bayerischen Landtagswahl 2008 nur eine überschaubare Anzahl von freien Wählergruppen und Landesparteien an Landtagswahlen teilnahm, kann seitdem eine systematische Wahlteilnahme in allen deutschen Bundesländern beobachtet werden – nur in Brandenburg tritt die Partei aus den oben dargelegten Gründen nicht an und kooperiert stattdessen mit Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen/Freie Wähler. Die Erfolge der anderen Landesparteien und Landeswählergruppen fallen gegenüber den FREIEN WÄHLERN Bayern jedoch deutlich kleiner aus: Zwar erreichte sie aktuell in etwa der Hälfte der Länder die für die staatliche Parteienfinanzierung wichtige Marke von einem Prozent, die Fünfprozenthürde überschritt sie jedoch bisher nur einziges Mal. So erzielten die FREIEN WÄHLER Rheinland-Pfalz bei der Landtagswahl 2021 5,4 Prozent der Zweitstimmen und sind seitdem mit 6 Sitzen im rheinland-pfälzischen Landtag vertreten. Zudem trat im Januar 2020 der 2016 für die AfD in den sachsen-anhaltinischen Landtag eingezogene Jens Diederichs zu den FREIEN WÄHLERN über, sodass die Partei kurzzeitig in drei Landtagen vertreten war. Weitere Achtungserfolge konnte die Partei bei den Landtagswahlen 2018 in Hessen und 2021 in Baden-Württemberg (jeweils 3,0 Prozent) sowie in Sachsen 2019 und Sachsen-Anhalt 2021 (3,4 bzw. 3,1 Prozent der Zweitstimmen) erzielen.

Für die Wahl im Februar 2017 hatte die Partei mit dem Juristen, Alexander Hold, der 2001 bis 2013 durch Gerichtsshows im Fernsehen bekannt wurde, erstmals einen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert. Mit lediglich 25 Stimmen im ersten Wahlgang blieb Hold jedoch erfolglos. Dem folgte 2022 die etwas erfolgreichere Nominierung der Astrophysikerin Stefanie Gebauer als Bundespräsidentin (58 Stimmen).

Aktuelle Wahlergebnisse der FREIEN WÄHLER

Wahlergebnisse bei den letzten Wahlen zu Landesparlamenten, dem Bundestag und dem Europäischen Parlament

Bei nicht aufgeführten Wahlen ist die Partei nicht mit einer Landesliste o.ä. angetreten.
WahlDatumProzentualer AnteilStimmenanzahl
AnteilGewinn
Verlust
StimmenGewinn
Verlust
Hamburg123.02.20200,6%0,6%25.02325.023
Baden-Württemberg14.03.20213,0%2,9%146.259141.612
Rheinland-Pfalz14.03.20215,4%3,1%103.61955.695
Sachsen-Anhalt06.06.20213,1%1,0%33.2919.022
Bundestag26.09.20212,4%1,4%1.125.667662.375
Mecklenburg-Vorpommern26.09.20211,1%0,5%10.0755.335
Saarland27.03.20221,7%1,3%7.6365.490
Schleswig-Holstein08.05.20220,6%0,0%8.190-179
Nordrhein-Westfalen15.05.20220,7%0,3%49.98516.902
Niedersachsen09.10.20220,8%0,5%30.45715.588
Berlin27.02.20230,3%0,3%3.9233.923
Bayern208.10.202315,8%4,2%2.163.849591.057
Hessen08.10.20233,5%0,5%98.28312.818
Europäisches Parlament09.06.20242,7%0,5%1.062.437255.734
Sachsen01.09.20242,3%-1,1%53.027-19.870
Thüringen01.09.20241,3%1,3%15.38515.385
Tabellenbeschreibung

Die Tabelle zeigt die Wahlergebnisse der Partei FREIE WÄHLER zwischen dem 01.09.2019 und dem 01.09.2024. Bei 15 von 16 Wahlantritten der Partei in diesem Zeitraum steigerte sich der prozentuale Anteil der Partei an den gültigen Stimmen im Vergleich zur vorherigen Wahl. Das höchste Ergebnis erzielte die Partei mit 15,8% bei der Wahl in Bayern 2023, das niedrigste mit 0,3% bei der Wahl in Berlin 2023.

Fußnote: 1 Hamburg: Landesstimmen (bis zu fünf Stimmen je Wähler)

Fußnote: 2 Bayern: Gesamtstimmen (bis zu zwei Stimmen je Wähler)

Quelle: Die Bundeswahlleiterin und Landeswahlleitungen.

Wählerschaft, Mitglieder- und Organisationsstruktur

Über das sozialstrukturelle Profil der Wählerschaft der FREIEN WÄHLER auf Bundesebene liegen bisher nur wenige gesicherte empirische Erkenntnisse vor. Für die bisher erfolgreichste Landespartei, die FREIEN WÄHLER Bayern, lässt sich festhalten, dass sie eine heterogene Klientel besitzt, in der alle Alters- und Berufsgruppen vertreten sind. Allein Wähler über 60 Jahren sowie Akademiker und stark konfessionell gebundene Wähler sind leicht unterrepräsentiert (Kranenpohl 2012: 290). Dass sich die Wählerschaft in den anderen Bundesländern und auf Bundesebene ähnlich gestaltet, kann jedoch nicht ohne Weiteres angenommen werden, da die FREIEN WÄHLER Bayern hinsichtlich ihres Organisationsgrades und Wahlerfolges bisher eine Sonderstellung einnehmen (Angenendt 2021: 63). Gegenwärtig besitzen die verschiedenen Wählergemeinschaften, Bündnisse und Initiativen in Deutschland nach Angaben der Bundesvereinigung FREIE WÄHLER insgesamt rund 280.000 Mitglieder. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um einen Schätzwert, da kommunale Wählervereinigungen keine Mitgliedszahlen veröffentlichen müssen (Angenendt 2021: 231).

Die Mitgliederzahlen der Bundesvereinigung FREIE WÄHLER sind seit ihrem Bestehen vergleichsweise niedrig geblieben. In ihrem Gründungsjahr 2010 verzeichneten sie laut Rechenschaftsbericht zunächst 540 Mitglieder. Nach einem sprunghaften Anstieg auf etwa 4.200 Mitglieder im Jahr 2011 und dem vorläufigen Höhepunkt im Jahr 2013 mit etwas mehr als 4.900 Mitgliedern laut ihren Rechenschaftsberichten sank die Mitgliederzahl bis 2016 auf unter 4.500. Seither steigt dieser Wert erneut und die Partei verfügte zum Jahresende 2019 über 5.682 Mitglieder (Rechenschaftsbericht, 2021: 19).

Hinsichtlich ihrer Organisationsstruktur ähnelt die Bundesvereinigung FREIE WÄHLER der von traditionellen Parteien. Organe der Bundesvereinigung sind laut Satzung der Bundesvorstand, der Länderrat sowie die Bundesdelegiertenversammlung. Unterhalb der Bundesebene ist die Partei in Landes-, Bezirks- und Kreisvereinigungen untergliedert. Bundesverband und Bundesvereinigung sind nach wie vor personell eng verzahnt und werden in Personalunion vom Vorsitzenden der bayerischen Landespartei, Hubert Aiwanger, geführt, der treibenden Kraft bei der Expansion auf der Bundes- und Europaebene ist.

Zu Beginn stand sie dabei vor der Herausforderung, die bereits bestehenden regionalen Gliederungen in die neu gegründete Bundespartei zu überführen. Die Integration der existierenden Landesparteien bzw. -wählergruppen in die 2010 gegründete Bundesvereinigung verlief insgesamt erfolgreich. Seit dem Beitritt der Landespartei FREIE WÄHLER Bremen im Oktober 2018 gehören der Bundesvereinigung laut ihrer Satzung Landesvereinigungen in allen 16 Bundesländern an. Jedoch kann die Bundesvereinigung bis heute keinen allgemeinen Vertretungsanspruch für alle kommunalen Wählervereinigungen in Deutschland geltend machen. Die einzelnen Landesvereinigungen und -parteien repräsentieren nicht immer alle in den Landesverbänden organisierten Wählervereinigungen, zahlreiche kommunale Wählervereinigungen verzichten auch gänzlich auf eine Mitgliedschaft und dies sowohl im Landesverband als auch in der Landespartei. Die FREIEN WÄHLER besitzen eine angegliederte Jugendorganisation, die "Jungen Freien Wähler" (JFW), der jedes ihrer Mitglieder bis zum vollendeten 35. Lebensjahr automatisch angehört.

Programmatik

Die Wählergemeinschaften auf kommunaler Ebene eint mehrheitlich das politische Kernmotiv der Sachorientierung, das sie als Abgrenzung zu einer leitbildorientierten Politik der etablierten Parteien verstehen. Die Abgrenzung von dem Parteibegriff nimmt für sie eine identitätsstiftende Funktion ein - sie begreifen sich als "Anti-Parteien" oder "Gegenmodell zu den Parteiapparaten des heutigen Berlins" (Bundesvereinigung Freie Wähler 2021: 32). Die Bundesvereinigung FREIE WÄHLER kann die strikte Sachpolitik und die Konzentration auf den kommunalpolitischen Raum angesichts ihres überregionalen Wahlanspruches nicht aufrechterhalten. Dies zeigt auch ihr am 20. Oktober 2012 verabschiedetes Grundsatzprogramm, das zwar die Orientierung an einer pragmatischen Politik mit der Trias "unabhängig, sachbezogen, bürgernah" weiterhin betont, aber übergeordnete gesellschaftspolitische Wertvorstellungen deutlich erkennen lässt. Einerseits finden sich dort mit der Betonung des Leistungsprinzips und der Eigenverantwortlichkeit sowie der Forderung nach Begrenzung staatlicher Kompetenzen klassische Leitmotive liberaler Prägung. Auch finanzpolitisch dominieren marktliberale Vorstellungen. So plädieren die FREIEN WÄHLER für einen Abbau der Staatsverschuldung, die Vereinfachung des Steuerrechts und sprechen sich gegen Steuererhöhungen aus. Andererseits fordert die Bundesvereinigung FREIE WÄHLER aber auch eine strengere Regulierung und Kontrolle der Banken sowie des Finanzmarktes und sieht ein stärkeres staatliches Engagement beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, der Kinderbetreuung und der Jugendbildung als notwendig an.

Ihrem Selbstverständnis nach sieht sich auch die Bundesvereinigung FREIE WÄHLER als "Anwalt der Kommunen" und formuliert als Ziele die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, den Ausbau kommunaler Einnahmequellen und die strikte Einhaltung des Konnexitätsprinzips ("Wer bestellt, soll bezahlen.") zwischen den Ländern und den Kommunen. Gleichermaßen fordern die FREIEN WÄHLER aber auch eine verfassungsrechtlich garantierte Mindestausstattung der Kommunen.

Institutionell sprechen sich die FREIEN WÄHLER für die Einführung direktdemokratischer Instrumente aus und plädieren für die Einführung von Volksbegehren und -entscheiden auf Bundesebene sowie für die Direktwahl des Bundepräsidenten. Auch auf europäischer Ebene sehen die FREIEN WÄHLER die Einbeziehung der Zivilgesellschaft erst durch vermehrte Volksabstimmungen und eine Weiterentwicklung der Europäischen Bürgerinitiative verwirklicht. Europapolitisch liegt das Hauptaugenmerk der FREIEN WÄHLER auf der Stärkung der Regionen, was sie durch stärkere Abstimmungsrechte der Landesparlamente und eine weitere Aufwertung des Ausschusses der Regionen verwirklicht sehen wollen. Deutlich spricht sich die Bundesvereinigung FREIE WÄHLER zudem gegen die Vergemeinschaftung von Schulden der EU-Mitgliedsländer und Instrumente wie Rettungsschirme oder Eurobonds aus.

Insgesamt finden sich im Grundsatzprogramm eine Vielzahl wenig verbundener und sich mitunter widersprechender politischer Forderungen, die keine einheitliche gesellschaftspolitische Vorstellung erkennen lassen und eine Einordnung der FREIEN WÄHLER innerhalb des politischen Spektrums erschweren. Ob man aufgrund der Ablehnung von Parteipolitik und des Fehlens eines politischen Markenkerns zu der Einschätzung kommen kann, die FREIEN WÄHLER glichen "funktional bisher eher populistischen Protestparteien" (Eith 2012: 152), bleibt indes weiter fraglich. Programmatisch deutet das überregionale Engagement der FREIEN WÄHLER jedenfalls eher auf eine am Mittelstand orientierte Klientelpolitik mit deutlichen liberalen und wertkonservativen Zügen hin.

Ihr Programm zur Bundestagswahl 2021 haben die FREIEN WÄHLER mit dem Motto "Stabilität, Sicherheit, Freiheit - Die Kraft der Mitte" überschrieben. Die Einwanderungs- und Asylpolitik spielt hierbei als erster programmatischer Punkt eine herausgehobene Rolle, auch wenn die Strenge der Forderungen hier gegenüber früheren Programmen etwas abgeschwächt wurden. Ein weiterer erkennbarer Schwerpunkt ihres Programms liegt im Bereich der Sicherheitspolitik. Sie fordern, dass der "Rechts- und Justizstandort Deutschland wieder gestärkt wird" und die Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, Extremismus und Cyberkriminalität intensiviert werden (Bundesvereinigung Freie Wähler 2021: 62 und 65). Im Zuge dessen argumentieren die FREIEN WÄHLER außenpolitisch auch für den Ausbau der gemeinsamen Verteidigungs- und Rüstungspolitik der Europäischen Union, vor allem eine verstärkte Sicherung der EU-Außengrenzen. Scharf kritisiert werden dagegen die Versäumnisse und Fehler in der Beschaffungspolitik der Bundeswehr.

Wirtschaftspolitisch ist das Wahlprogramm klar auf die Interessen des Mittelstandes ausgerichtet. Hier sehen die FREIEN WÄHLER beispielweise Handlungsbedarf hinsichtlich eines umfassenden Bürokratieabbaus, der Kreditversorgung mittelständischer Unternehmen sowie der Förderung von Tourismus, Gastronomie und Landwirtschaft, insbesondere zum Ausgleich der Folgen der Coronapandemie. Die vormals sehr scharfe Ablehnung von Freihandelsabkommen ist einer stärker „wertebasierten Handelspolitik“ gewichen, bei der die Partei insbesondere die Wahrung von ökologischen und Verbraucherschutzstandards, das Ende der Schiedsgerichtsbarkeit (durch Einrichtung eines internationalen Handelsgerichtshofs) und eine Stärkung der Welthandelsorganisation anstelle bilateraler Handelsabkommen fordert (Bundesvereinigung Freie Wähler 2021: 76 und 86f.).

Quellen / Literatur

  • Angenendt, Michael (2021): Politik abseits der Parteien. Wählergemeinschaften in Deutschland (= Empirische Studien zur Parteienforschung, Bd. 6), Wiesbaden: Springer VS.

  • Breitenfellner, Cordula (2012): Erweiterung des politischen Tätigkeitsfeldes und Transformationstendenzen innerhalb der Freien Wähler, in: Morlok, Martin/ Poguntke, Thomas/Walther, Jens (Hrsg.): Politik an den Parteien vorbei. Baden-Baden: Nomos, S. 227-238.

  • Bundesvereinigung FREIE WÄHLER (2012): Externer Link: "Unsere Demokratie erneuern - der Mensch im Mittelpunkt!", Grundsatzprogramm der Bundesvereinigung FREIE WÄHLER vom 20.12.2012, aufgerufen am 30.06.2015.

  • Bundesvereinigung FREIE WÄHLER (2021): Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021: "Stabilität, Sicherheit, Freiheit - Die Kraft der Mitte", aufgerufen am 10.05.2022.

  • Eith, Ulrich (2012): Ideologiefreie Sachpolitik oder populistischer Protest? Freie Wähler auf Landes- und Bundesebene, in: Morlok, Martin/ Poguntke, Thomas/Walther, Jens (Hrsg.): Politik an den Parteien vorbei. Baden-Baden: Nomos, S. 147-156.

  • Holtmann, Everhard (2012): Parteifrei im Parteienstaat - Kommunale Wählergemeinschaften in der politischen Landschaft der Bundesrepublik Deutschland, in: Morlok, Martin/ Poguntke, Thomas/Walther, Jens (Hrsg.): Politik an den Parteien vorbei. Baden-Baden: Nomos, S. 25-50.

  • Kranenpohl, Uwe (2012): Freie Wähler Bayern (FW Bayern), in: Decker, Frank/ Viola, Neu (Hrsg.): Handbuch der deutschen Parteien, 2. erw. Aufl., Wiesbaden: Springer VS, S. 289-293.

  • Landtag von Sachsen-Anhalt (2020): Externer Link: Jens Diederichs verlässt CDU-Fraktion, aufgerufen am 10.05.2022.

  • Niedermayer, Oskar (2013); Arbeit für Bremen und Bremerhaven (AFB), FREIE WÄHLER und Südschleswiger Wählerband (SSW), in: Ders. (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, S. 646-661.

  • Wehling, Hans-Georg/ Stortz, Oliver (2012): Freie Wähler (FW / FWG), in: Decker, Frank/ Viola, Neu (Hrsg.): Handbuch der deutschen Parteien, 2. erw. Aufl., Wiesbaden: Springer VS, S. 283-289.

  • Weitzker, Florian (2008): Die Freien Wähler in Deutschland. Geschichte-Struktur-Leitlinien. Sankt Augustin/Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Landtag von Sachsen-Anhalt (2020): Externer Link: Jens Diederichs verlässt CDU-Fraktion, aufgerufen am 10.05.2022.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Lisa Peyer, Jörg Hebenstreit, Dr. Tim Niendorf für bpb.de

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Lisa Peyer war Doktorandin am Lehrstuhl Politisches System der Bundesrepublik Deutschland an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Derzeit ist sie Referentin in der Landeszentrale für politische Bildung Bremen.

Dr. Jörg Hebenstreit ist Post-Doc am Institut für Politikwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen neben der Parteiensystemforschung auch die Themenfelder Wahlkampffinanzierung, Responsivität sowie Nicht-majoritäre Institutionen.