Das "Europa der Sicherheit" als integrationspolitisches Narrativ
"Die Zeiten in denen wir uns auf andere völlig verlassen können, die sind ein Stück vorbei", so hat die Bundeskanzlerin Angela Merkel den europäischen Geist in einer Wahlkampfrede im Sommer 2017 beschworen. Reagiert hat sie damit auf die zunehmenden Signale aus den USA, dass Europa zukünftig selbst für seine Sicherheit aufkommen müsse. Die Idee eines "sicheren Europas" hat nicht zuletzt hierdurch an Bedeutung gewonnen und schlägt sich nun sowohl im Externer Link: mehrjährigen Finanzplan der Europäischen Union (EU) als auch in den Reformvorschlägen zur Zukunft der EU nieder, Externer Link: wie sie der französische Präsident Emmanuel Macron formuliert hat. In den Worten von Macrons soll "une Europe qui protège" ("Ein Europa, das schützt") einschließlich einer gemeinsamen Verteidigung als Chance für die europäische Integration begriffen werden. Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, wurde noch konkreter und forderte Externer Link: in seiner Rede über die Lage der Union im September 2017 eine "funktionierende Europäische Verteidigungsunion" bis 2025. Die europäischen Planungsstäbe der Außen- und Verteidigungsminister arbeiten seither mit Hochdruck daran, Europas "strategische Autonomie" konzeptionell zu unterfüttern.
Die Ambitionen, die mit diesem Ziel verbunden sind, gehen weit auseinander, auch deshalb, weil der allererste Versuch zur Gründung einer Interner Link: Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) in den 1950er Jahren kläglich scheiterte. Nach dem sogenannten Interner Link: Pleven-Plan sollte eine Verteidigungsgemeinschaft inklusive einer europäischen Armee mit einheitlicher Ausbildung und Ausrüstung unter Kommando eines europäischen Verteidigungsministers gegründet werden. Mit Deutschlands Beitritt sollte der Besatzungsstatus Deutschlands beendet und die Wiederbewaffnung des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgen. Die Vorstellung, französische Soldaten unter einen deutschen Oberbefehlshaber zu stellen, wie im Pleven-Plan vorgesehen, war kurz nach Kriegsende des Zweiten Weltkrieges in Frankreich innenpolitisch nicht durchsetzbar. Die EVG scheiterte an der französischen Nationalversammlung. Es kam schließlich anders: Interner Link: Deutschland wurde Mitglied der NATO und Interner Link: gründete die Bundeswehr. Bis heute ist die NATO der entscheidende Pfeiler der Europäischen Verteidigung.
Neue Maßnahmen für die Europäische Verteidigung
60 Jahre europäische Integration später soll nun ein neuer Anlauf unternommen werden: Für das neue "Europa der Sicherheit und Selbstbehauptung" (Juncker) haben sich im Dezember 2017 die Verteidigungsministerinnen und –minister der EU auf mehrere Projekte zur Zusammenarbeit in der europäischen Außen, Sicherheits- und Verteidigungspolitik geeinigt:
Den politischen Ambitionen einer Vergemeinschaftung der Verteidigungspolitik stehen allerdings rechtliche Hürden entgegen, die sich nur mit einer Änderung der Europäischen Verträge überwinden ließen. Während in der Externer Link: Globalen Strategie der EU (EUGS) vom Juni 2016 festgehalten wurde, dass die "Verteidigungszusammenarbeit" der EU die "Norm werden soll", sieht der Externer Link: Vertrag von Lissabon (2009) nur das Ziel "der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union" vor.
Aber auch abseits der EU tut sich etwas: Im Juni 2018 unterzeichneten neun europäische Länder eine Externer Link: Absichtserklärung zur Gründung der sogenannten "Europäischen Interventionsinitiative" (EI2) – eine Idee des französischen Präsidenten Macron. Zu den Unterzeichnern gehören neben Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Belgien, Dänemark, Estland, Portugal, die Niederlande und Spanien. "EI2 beinhaltet nicht die Schaffung einer neuen schnellen Eingreiftruppe", sondern sei eine Initiative, um ein "flexibles, unverbindliches Forum" von Staaten zu schaffen, die "bereit und fähig" seien, wenn nötig europäische Sicherheitsinteressen zu verteidigen, heißt es in der Absichtserklärung. Zur multilateralen Einbindung könne man im Rahmen von EU, Nato, UN oder in "Ad-hoc-Koalitionen" aktiv werden. Für Staaten wie Italien und andere Verbündete soll die Tür der EI2 offen bleiben.
Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der EU
Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP, bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon: ESVP) ist seit 1999 ein eigenes Politik- und Handlungsfeld innerhalb der EU. Sie wird als integraler Bestandteil der Zusammenarbeit in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) nach wie vor durch die einzelnen Mitgliedstaaten gestaltet (Art. 42 bis 46 des Externer Link: Vertrags über die Europäische Union, EUV). Durch Krisenbewältigungsmaßnahmen soll die GSVP zum Erreichen der Ziele der GASP beitragen. Ihr Mandat ist begrenzt: Der Auftrag der Landesverteidigung ist nicht vorgesehen, denn die GSVP kann nur außerhalb des Unionsgebiets bemüht bzw. eingesetzt werden. Ein Einsatz im Innern der EU ist sogar vertraglich ausgeschlossen. In Art. 42 Absatz 1 EUV heißt es:
"[Die GSVP] sichert der Union eine auf zivile und militärische Mittel gestützte Operationsfähigkeit. Auf diese kann die Union bei Missionen außerhalb der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zurückgreifen. Sie erfüllt diese Aufgaben mit Hilfe der Fähigkeiten, die von den Mitgliedstaaten bereitgestellt werden."
Faktisch hat die EU seit 2003 Externer Link: mehr als 30 zivile und militärische GSVP-Missionen in Europa, Asien und Afrika eingeleitet und durchgeführt.
Der Vertrag (Art. 42 Absatz 7 EUV) führt darüber hinaus für den Fall eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eine Beistandsklausel ein. Frankreich hat nach den Terroranschlägen von Paris im November 2015 Externer Link: erstmalig von dieser Klausel Gebrauch gemacht. Sie entspricht in etwa der Verpflichtung aus Externer Link: Artikel 5 des Nato-Vertrags, der für die EU-Mitgliedstaaten, die auch Mitglied der Nato sind, weiter Vorrang hat. Mitgliedstaaten können auf freiwilliger Basis dem betroffenen Land beistehen – auch aber nicht zwingend mit militärischen Maßnahmen.
Im Juni 2014 fasste der Europäische Rat (ER) einen Beschluss, militärische Mittel nur als letzte Option und unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips sowie in Übereinstimmung mit den nationalen verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie z.B. dem deutschen Parlamentsvorbehalt, und dem Verbot eines Einsatzes von Militär im Innern einzusetzen. Die demokratische Legitimität im Bereich der GSVP wird zwar derzeit auf EU-Ebene durch eine Interparlamentarische Konferenz gewährleistet. Sie besteht aus Vertretern der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments und dient als Forum des Meinungs- und Erfahrungsaustausches, hat allerdings keinerlei Entscheidungsbefugnisse. Inwiefern eine solche parlamentarische Kontrolle in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ernsthaft zur Legitimation solcher Eingriffe beitragen kann, bleibt ein zentrales Thema für die Reformdebatte zur Zukunft der Europäischen Union.
Strategische Differenzen, gemeinsame Ziele
Die anhaltenden strategischen Differenzen der EU-Mitglieder und ihre unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Traditionen in zentralen außen- und sicherheitspolitischen Teilaspekten bleiben weiterhin dominant. Das zeigt sich beispielhaft an der Externer Link: Energieaußenpolitik gegenüber Russland aber auch im Externer Link: Ringen um eine gemeinsame Position zum zukünftigen Verhältnis Europas mit den USA. Umso mehr werden Reformen angestrebt, die sich unterhalb der Schwelle einer Vertragsänderung bewegen und ein "Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten" in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorantreiben. Denn in puncto Sicherheit, wie es in der Erklärung von Rom im März 2017 anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Römischen Verträge deutlich wurde, sind sich die EU-Staaten grundsätzlich einig.
Durch den 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon wurde ermöglicht, im Rahmen der GSVP eine rechtsverbindliche (militärische) Zusammenarbeit innerhalb der EU-Strukturen zu verfolgen, wie sie 25 Mitgliedstaaten im Dezember 2017 mit der PESCO beschlossen haben. Die damit Externer Link: konkret vereinbarten Projekte reichen von der Entwicklung einer logistischen Drehscheibe, über die Cyberabwehr bis hin zu einem Sanitätsverband . Großbritannien, Malta und Dänemark bleiben bei PESCO außen vor. Um auch Nicht-EU-Mitglieder in die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik einbinden zu können, bleibt die PESCO für eine Kooperation mit Partnerstaaten und Verbündeten offen. Auch, weil die EU auf den Beitrag der USA, aber auch Großbritanniens nach dem Brexit zur gemeinsamen Sicherheit bislang nicht verzichten kann.
"Globale Strategie" der EU
Die Europäische Union hatte am 28. Juni 2016 eine neue Externer Link: "Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU" (EUGS) beschlossen. Sie bildet den normativen Rahmen für die zukünftige Ausrichtung der GASP. Das Autorenteam rund um die heutige Direktorin des Instituto Affari Internazionali (IAI), Nathalie Tocci, erklärt den Aufbau von Resilienz, also die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der EU gegenüber inneren und äußeren Bedrohungen, Externer Link: zum übergeordneten Ziel. Das rechtlich unverbindliche Dokument soll die Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 ablösen.
Unter dem Begriff "Strategie" versteht man im allgemeinen Sprachgebrauch ein planvolles Streben nach einem bestimmten Ziel oder eine planvolle Verwirklichung eines bestimmten längerfristigen Interesses. Die drei Merkmale, also eine klar definierte Zielsetzung, ein festgelegter (längerfristiger) Zeithorizont und ein methodisches Vorgehen erfüllt das vorgelegte Papier allerdings kaum. So werden zwar Ziele und Prioritäten beschrieben – z.B., dass die EU ihre Verteidigungsfähigkeit im Rahmen der GASP erhöhen und insbesondere die Stabilität ihrer südlichen und östlichen Nachbarn stärken will – ohne dass aber klare Schritte oder Maßnahmen benannt werden, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen.
Mit der "Globalen Strategie" versucht die EU auf grundlegende weltweite politische Veränderungen zu reagieren: zerfallende Staaten in direkter Nachbarschaft, der internationale Terrorismus, die zunehmende Aggressivität Russlands in Osteuropa und die wachsenden diesbezüglichen Befürchtungen Polens und des Baltikums, dass Maßnahmen der "hybriden" Kriegsführung die Gesellschaften Europas destabilisieren. Hybride Bedrohungen zeichnen sich durch eine Mischung von Zwang, Unterwanderung sowie konventionellen und unkonventionellen Methoden seitens staatlicher und nicht-staatlicher Akteure aus, ohne dass die Schwelle zu einem offiziell erklärten Krieg überschritten wird. Parallel zu diesen Trends wird die EU aus ihrem Innern heraus als zeitgemäße Ebene politischen Handelns zunehmend in Frage gestellt. Nicht zuletzt die greifbare Wahrscheinlichkeit, dass sich Großbritannien mit dem Austritt aus der EU aus den gemeinsamen Verteidigungs- und Rüstungsanstrengungen der EU verabschieden könnte, wirft die Frage auf, wie die EU für Widerstandskraft in und um Europa sorgen kann.
In der "Globalen Strategie" ist deshalb ein großer Teil den transatlantischen Beziehungen und der wieder gewachsenen Bedeutung der Nato für Europa gewidmet. Dort ist die Rede von einer "Vertiefung des transatlantischen Bandes" (S. 4), davon, dass die Nato das "wichtigste Rahmenwerk für die meisten Mitgliedstaaten bleibt" (S. 20), und dass die mitgliedstaatliche Verteidigungsplanung "in voller Kohärenz" (S. 46) mit den Planungsprozessen in der Nato erfolgen solle. Unter diesem Blickwinkel verliert der Begriff der Resilienz sehr schnell seine scheinbar wegweisende Relevanz für die Grundorientierung der "Globalen Strategie". Er muss stattdessen eher als Ausdruck einer neuen Arbeitsteilung zwischen Nato und GASP/GSVP verstanden werden. Demnach bindet sich Europa nach wie vor an die Nato und konzentriert seine Verteidigungsanstrengungen als europäischer Pfeiler der Allianz . Damit stellt die EU die Weichen für die "Verteidigungsunion" Europas neu: Für die zivile Resilienz ist sie selbst zuständig, während die Nato den Überbau für die militärische Widerstandskraft der Union schafft. Die Externer Link: Nato-Verbündeten fordern als Gegenleistung eine kontinuierliche Steigerung der europäischen Rüstungsausgaben und Verteidigungskooperationen.
Zusammenarbeit zwischen EU und Nato
Angesichts der anhaltenden strategischen Uneinigkeit und gestützt auf die Überzeugung, dass eine verstärkte Einbindung der USA in die europäische Sicherheitspolitik unerlässlich ist, ist es deshalb nicht verwunderlich, dass auf dem Nato-Gipfel am 8./9. Juli 2016 in Warschau eine Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen der Nato und der EU beschlossen wurde. Das Kooperationsvorhaben knüpft an die sogenannte Externer Link: Berlin-Plus-Vereinbarung von 2003 an und zielt auf eine Stärkung des europäischen Pfeilers in der Allianz. Gemäß dem Rahmenabkommen vom März 2003 (Berlin Plus), die die bisherige Grundlage für das gemeinsame militärische Handeln zwischen EU und Nato bildet, darf die EU bei militärischen Operationen auf Mittel und Fähigkeiten der Nato zurückgreifen. Auch die Externer Link: gemeinsamen Externer Link: Erklärungen der beiden Organisationen von Juli und Dezember 2016 spiegeln die Leitidee der globalen Strategie wider, dass sich das Gebiet der Union nur durch eine enge Zusammenarbeit zwischen EU und Nato wirkungsvoll verteidigen lasse.
Während des Warschauer Nato-Gipfels 2016 wurde durch die Verteidigungsminister der am Rahmennationenkonzept (siehe Kasten) teilnehmenden Mitgliedstaaten die Bereitschaft zur Öffnung dieser Initiative für Kooperationen mit Partnerstaaten und bestehenden multinationalen Institutionen einschließlich der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) beschlossen. Diese Öffnungsklausel ermöglicht in Zukunft auch eine Kooperation mit EU-Staaten, die keine Nato-Mitgliedstaaten sind. Für die enge Zusammenarbeit mit der Nato spricht, dass die GSVP allein nach außen gerichtet, eine Territorialverteidigung nicht vorgesehen und ein Einsatz im Innern der EU vertraglich ausgeschlossen ist. Gleichwohl bildet die Landesverteidigung eine Kernaufgabe für die Nato als Verteidigungsbündnis.
Kurz erklärtRahmennationen-Konzept
Das Rahmennationen-Konzept ist ein wichtiger Vorschlag in der europäischen Debatte darüber, wie verschiedene NATO-Staaten militärisch besser zusammenarbeiten können:
Es soll erlauben, europäische Fähigkeiten, wie etwa Luftabwehr oder eine Transportflugzeugflotte, dadurch zu erhalten, dass Staaten dauerhaft zusammenarbeiten. Denn allein schaffen es viele europäische Staaten nicht mehr, militärisch relevante Größen von Verbänden bereitzustellen.
Dem Konzept zufolge sollen die europäischen Staaten Cluster bilden: Gruppen aus kleineren und größeren Staaten sollen sich künftig intensiver darüber absprechen, wer dauerhaft welche Geräte (Flugzeuge, Panzer etc.) und Truppen bereithält. Die Führung des Clusters übernimmt jeweils die "Rahmennation". Diese bringt vor allem die militärische Grundausstattung in die Kooperation ein, z.B. die Logistik und Führungseinrichtungen. An dieses Rückgrat docken die kleineren Armeen ihre Spezialfähigkeiten an, etwa Luftabwehr oder Pioniere. So müssten dann nicht mehr alle Staaten alles vorhalten und bezahlen. Folglich wäre mehr Geld vorhanden, um das zu beschaffen, was die Gruppe benötigt.
Mehr Informationen: Interner Link: Das Rahmennationenkonzept, Beitrag von Björn Müller
Umsetzungsplan für Sicherheit und Verteidigung
Zum ersten Mal hatte sich der Europäische Rat (ER) im Jahr 2008 mit dem Thema Sicherheit und Verteidigung beschäftigt. Es hat seither viele Anläufe gegeben, um in diese Bereiche der GSVP neuen Schwung zu bringen. Ohne den Konsens aller EU-Institutionen, einschließlich des Europäischen Parlaments (EP), versandeten diese Bemühungen jedoch.
In seinem Externer Link: Bericht vom November 2016 über die künftige militärische Zusammenarbeit der EU forderte das Europäische Parlament, dass eine neu zu schaffende Verteidigungsunion die engere Verzahnung nationaler Truppen ermöglichen und die seit 2007 existierenden, aber noch nie eingesetzten, Interner Link: Battlegroups in stehende, also dauerhaft einsatzbereite, Einheiten umwandeln solle. Zudem sollen die Mitgliedstaaten intensiver bei der Beschaffung von Rüstungsgütern zusammenarbeiten, die derzeit noch zu ungefähr 80 Prozent über rein nationale Märkte stattfinde. Der Kommission zufolge verursacht diese Praxis jährliche zusätzliche Kosten von bis zu 100 Milliarden Euro. Während seiner Externer Link: Ansprache zur Lage der Union im September 2016 ermahnte Kommissionspräsident Juncker die Mitgliedstaaten, ihre Verteidigungsanstrengungen stärker miteinander zu koordinieren. Die bisher überwiegend politischen Erklärungen der Mitgliedstaaten sind ab diesem Zeitpunkt rechtsverbindlicher geworden und das unterscheidet sich von vergangenen Initiativen in der Verteidigungspolitik.
Kurz erklärtEU-Battlegroups
Seit 2007 verfügt die Europäische Union über voll einsatzfähige, sogenannte Battlegroups. Das sind militärische Verbände, die in Krisen- und Konfliktfällen schnell eingreifen können sollen - und das weltweit.
Jede der bislang aufgestellten 20 Battlegroups setzt sich aus mindestens 1.500 Soldatinnen und Soldaten zusammen. Die meisten Battlegroups sind multinational, bestehen also aus Streitkräften mehrerer EU-Mitgliedstaaten. Beispiele sind die "Nordic Battlegroup" (Schweden, Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Irland, Norwegen) oder die "Weimar Battlegroup" (Deutschland, Frankreich, Polen).
Durchgängig sind zwei Battlegroups einsatzbereit, alle sechs Monate werden die Verbände ausgetauscht. Die Battlegroups sollen in der Lage sein, selbstständig Einsätze von 30 bis zu 120 Tagen durchzuführen.
Bis heute (Stand: September 2018) kam noch nie eine EU-Battlegroup zum Einsatz.
Mehr Informationen: Externer Link: Factsheet der European External Action zu EU-Battlegroups (englisch)
Am 14. November 2016 hatte der Rat zur Umsetzung der EUGS im Bereich der Sicherheit und Verteidigung Externer Link: Zielvorgaben formuliert. Hiermit wurden die sicherheitspolitischen Ambitionen der EU präzisiert, das sogenannte Level of Ambition (LoA) wurde festgelegt (Krisenmanagement, Kapazitätsaufbau bei Partnern, Schutz des Territoriums der EU und ihrer Bürger). Ende November 2016 legte dann die Europäische Kommission den Externer Link: Europäischen Verteidigungs-Aktionsplan (EDAP) vor. Mit dem Europäischen Aktionsplan und dem Europäischen Verteidigungsfonds ist die Kommission faktisch zum sicherheits- und verteidigungspolitischen Akteur avanciert.
Im Dezember 2016 billigte der ER den Umsetzungsplan für Sicherheit und Verteidigung und beschloss konkrete Maßnahmen: eine koordinierte jährliche Überprüfung der Verteidigung, die Einführung der PESCO, die Einrichtung eines militärischen Planungs- und Durchführungsstabs (MPCC) für Ausbildungsmissionen wie EUTM Mali und EUTM Somalia und die Verstärkung des EU-Krisenreaktionsinstrumentariums.
Im Dezember 2017 wurden dann im Rahmen der PESCO vorläufig 17 Projekte im Bereich Ausbildung, Fähigkeitsentwicklung und operative Einsatzbereitschaft beschlossen. Noch weitreichender sind die Finanzierungspläne im Bereich der Sicherheit und Verteidigung. Sollten diese alle umgesetzt werden, würde die EU zum größten Investor in kollektiver Verteidigungsforschung und –Technologie in Europa werden. Zu diesem Zweck will die Kommission die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds sowie die Europäische Investitionsbank (EIB) dabei unterstützen, die Entwicklung von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck (dual use) zu finanzieren. Ferner sollen die allgemeinen Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge auf den Verteidigungs- und Sicherheitsbereich ausgedehnt werden. Auf diese Weise soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit befördert und die Entwicklung gemeinsamer Industrienormen vorangetrieben werden.
Nicht zuletzt entwickelt die Kommission abgeleitet aus der EUGS Pläne zur Umsetzung des "Integrierten Ansatzes", das heißt der kohärenten Nutzung militärischer, ziviler und wirtschaftlicher Instrumente, ebenso einer stärkeren Vernetzung innerer und äußerer Sicherheit. Darüber hinaus haben Kommission und EAD Vorschläge unterbreitet, wie die Resilienz der EU-Nachbarstaaten gestärkt werden soll. Die dahinter liegende Idee ist, dass Europa nur sicherer werden kann, wenn die Nachbarstaaten selbst stabiler werden, um für die EU eine Pufferzone bilden zu können.
Europäisches Weißbuch als Lackmustest
Selbst wenn mit diesen Reformen wichtige Schritte hin zu einer Verteidigungsunion unternommen wurden, sind die Europäer aufgrund ihrer divergierenden strategischen Interessen noch weit entfernt von einer "Armee der Europäer" (Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen). "Die EU kann die Nato nicht ersetzen" und "die EU kann sich nicht allein verteidigen" so die Externer Link: Schlussfolgerungen vom Nato-Generalsekretär, Jens Stoltenberg. Die EU wird daher nicht umhinkommen, sich mit Grundsatzfragen zur außen- und sicherheitspolitischen Weichenstellung und Interessensdefinition der anvisierten Verteidigungsunion zu befassen, die wie einige Politiker fordern, Eingang in ein "Europäisches Weißbuch zur Sicherheit und Verteidigung" finden sollten. Denn die angepeilte "Verteidigungsunion" ist durchaus ambivalent zu betrachten.
Entwickelt sich die "strategische Autonomie" tatsächlich zu einem neuen Kernelement des Integrationsprozesses, kann dies eine normative Gewichtsverlagerung der Union bedeuten, weg vom kosmopolitischen Anspruch der Marktintegration und hin zu einem protektionistischen Integrationsprojekt. Es sollte vermieden werden, dass mit einem Europa der Sicherheit und Verteidigung alte Konfrontationsmuster, Sicherheitsdilemmata und ein womöglich erneuter Rüstungswettlauf zurückkehren.