Matteo Salvini, der amtierende Parteisekretär der Lega Nord, hat einen Sinn für plakative Botschaften. Regelmäßig tritt er zum Beispiel mit bedruckten Pullovern oder T-Shirts auf, die ein politisches Statement sein sollen. Neulich stand auf einem: "Sono un Populista", zu deutsch: "Ich bin ein Populist".
Ein Problem mit dieser Bezeichnung hat er ganz offensichtlich nicht. Und die Argumente, die Salvini vorbringt, wenn man ihn darauf anspricht, sind von Populisten in ganz Europa und auf der ganzen Welt bekannt: Wer auf der Seite "des Volkes" stehe, wer dafür sorge, dass aus der Meinung "des Volkes" Politik wird, der könne ja nicht wirklich etwas falsch machen.
Doch die Lega Nord unter ihrem politischen Führer Matteo Salvini nimmt nicht einfach, wie behauptet, Stimmungen aus der Bevölkerung auf, sondern schürt aktiv Ängste, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und versucht, aus der massiven Verstärkung anti-europäischer und fremdenfeindlicher Ressentiments innenpolitisches Kapital zu schlagen.
Unter den populistischen Bewegungen und Parteien in Europa ist die Lega Nord eine etablierte Größe. 1989 gegründet, ist sie aber auch innerhalb der sehr volatilen Parteienlandschaft Italiens eine Konstante. Sie startete auf nationaler Ebene 1992 mit mehr als acht Prozent der Stimmen für Senat und Abgeordnetenkammer (was 27 Senatoren bzw. 59 Abgeordneten entsprach
Rom galt in der Rhetorik der Lega als "Roma Ladrona", als Räuberin, als Ort, an dem nicht nur benachteiligende Entscheidungen aus der Ferne getroffen werden, sondern wo, wie überhaupt in ganz Süditalien, das Geld der ehrlich arbeitenden Bevölkerung des Nordens verschwendet wird. Politische und vor allem auch fiskalische Unabhängigkeit war ein großes Ziel der Lega als Abspaltungsbewegung. Damit hat die Lega in Norditalien bis heute ein beträchtliches Mobilisierungspotential. Die Zahl der eingeschriebenen Mitglieder hat zwar über die Jahre stark geschwankt, lag aber stets über 100.000.
Nur auf den ersten Blick muss verwundern, dass in diesen Jahren führende Vertreter der Lega Nord, unter anderem die lange aktive Gründungsfigur Umberto Bossi, das Kunststück fertigbrachten, einerseits weiterhin gegen Rom, die dortige Verwaltung und die vermeintliche Fremdbestimmung durch Italien zu hetzen und andererseits lange Jahre an der Regierung Italiens von Rom aus beteiligt zu sein.
Wie die Lega Nord im Parlament arbeitet
Nach dem Zusammenbruch des traditionellen italienischen Parteiensystems in den frühen 1990er Jahren infolge eines gigantischen Korruptionsskandals war die Lega insgesamt rund acht Jahre lang Teil von Regierungskoalitionen, die die Machtbasis für Silvio Berlusconi bildeten. Das Bündnis mit Berlusconi bestand kurze Zeit bereits Mitte der 1990er Jahre und dann recht stabil seit 2001. Die Lega lieferte mit Wahlergebnissen von landesweit zwischen vier und zehn Prozent einen wichtigen Beitrag zur parlamentarischen Mehrheit. Dreimal war sie so an der Regierung beteiligt. Teil des Deals war der Machterhalt für die Gewinner-Parteien in Rom einerseits und andererseits freie Bahn für die Kandidaten der Lega in Regionen und Kommunen Norditaliens. Wahlabsprachen sorgten dafür, dass Berlusconis Forza Italia (die zeitweise "Popolo della Libertà" / "Volk der Freiheit" hieß) für den Preis stabiler Verhältnisse in Rom sich auf kommunaler und regionaler Ebene zurückzog und keine eigenen Kandidaten aufstellte. Davon profitiert die Lega bis heute und stellt in wichtigen Regionen wie Venetien und der Lombardei den Regierungschef und stellte in größeren Städten wie Verona und Padua die Bürgermeister.
Seit Ende 2011 ist die Lega Nord reine Oppositionspartei. Im italienischen Parlament macht sie vor allem durch regelmäßige Ausfälligkeiten im Plenum und destruktive Aktionen von sich reden. Einen zweifelhaften Kultstatus hat sich beispielsweise Roberto Calderoli erworben, derzeit Senator, aber zu Berlusconis Regierungszeiten auch zwei Mal Minister, unter anderem zuständig für Reformen. Schon mehrfach hat Calderoli seine zahlreichen Änderungsanträge zu Gesetzesvorhaben medienwirksam mit der Sackkarre ins italienische Parlament gefahren. Zu der vom früheren Premierminister Matteo Renzi im Jahr 2015 auf den Weg gebrachten Verfassungsreform zur Beschränkung der Befugnisse der zweiten Kammer brachte er rund 82 Millionen Gesetzesänderungen ein, die er mit einem Computerprogramm erstellen ließ. Sein Ziel: Durch schiere Masse den Gesetzgebungsbetrieb lahmlegen. Ein extremes Beispiel, das aber ganz grundsätzlich zeigt, wie die Lega Nord im italienischen Parlament arbeitet.
Die Lega Nord musste sich schon allein deshalb strategisch neu positionieren, weil die politische Großwetterlage in Italien eine andere geworden ist. Silvio Berlusconis Forza Italia scheint derzeit aus gleich mehreren Gründen nicht mehrheitsfähig. Berlusconis politischer Stern sinkt spätestens seit seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung im Sommer 2013 und dem daraus folgenden Verlust seines politischen Mandats. Seit einiger Zeit schon zeigen sich Spannungen zwischen den einstigen Verbündeten, beispielsweise an der zunehmenden Schwierigkeit, sich bei Bürgermeisterwahlen in wichtigen Städten auf gemeinsame Kandidaten zu einigen – so bei der Bürgermeisterwahl in Rom im Sommer 2016.
Umorientierung auf ganz Italien
Matteo Salvini und die Parteispitze der Lega Nord haben auf die Schwäche der Berlusconi-Partei reagiert: Schon seit einiger Zeit wird innerhalb der Lega Nord der Anspruch formuliert, die führende Kraft im Mitte-Rechts-Lager zu sein. Das kann natürlich nur funktionieren, wenn die Lega in ganz Italien wählbar ist. Deshalb machen Salvini und seine Mitstreiter seit Anfang 2015 immer wieder Wahlkampf im Süden Italiens, was bis dato undenkbar war.
Damit das funktioniert, musste das Parteiprofil angepasst werden: Die Abspaltungsrhetorik trat in den Hintergrund, während der populistische Protest gegen "die da in Rom" verstärkt wurde, die Lega wandelte sich so von der "Anti-Zentralstaat Italien-Partei" zur Antisystempartei. Eine Strategie, die auf den ersten Blick Sinn ergibt: Der Frust gegen die Regierung in Rom ist auch in weiten Teilen Süditaliens verbreitet, wenn auch aus ganz anderen Motiven als im Norden: Während eine nicht geringe Zahl an Bürgern im Norden sich vom Staat lösen will und vor allem auf fiskalische Autonomie setzt, die dafür sorgen soll, dass im Norden erwirtschaftete Steuern auch im Norden investiert werden, beklagen viele Süditaliener die Abwesenheit des Staates. Römisches Regierungsversagen zeigt sich in den Augen vieler Menschen hier nicht so sehr im sinnlosen Verbrennen öffentlicher Gelder, sondern an mangelnder oder maroder Infrastruktur, unterentwickelter Wirtschaftsförderung, am schlechten Zustand vieler Bildungseinrichtungen und letztendlich auch am Raum, den hier die unterschiedlichen Formen der Mafia einnehmen können.
Die Lega Nord versucht den Spagat, beide Protestmotivationen populistisch zu verstärken und in Wählerstimmen umzumünzen. Ob der Partei mit dem Wort Nord im Namen dies ausgerechnet im Süden gelingt, den Parteivertreter über Jahre als eine Art Bad Bank Italiens bezeichnet haben, ist zweifelhaft. Auch deshalb ist die Partei im Süden zunächst unter dem Listennamen "Noi con Salvini" angetreten, also ohne den Nord-Bezug im Namen. Es dürfte, wenn überhaupt, noch Jahre dauern, bis die Neuausrichtung der Lega Nord dazu führt, dass sie landesweit mehrheitsfähig ist. Zurzeit scheint es nicht, als könne die Lega Nord das Vakuum auffüllen, das nach dem Rückzug Berlusconis im rechten Lager entstanden ist.
Die Einordnung der Lega Nord als rechtspopulistische Partei liegt aus mehreren Gründen auf der Hand:
Schon den Begriff "Partei" (Partito) verwenden Vertreter der Lega äußerst ungern. Lieber wählt man "Bewegung" (Movimento). Das suggeriert eine breitere Unterstützung einer Masse des Volkes. "Partei" ist eher mit dem etablierten politischen System konnotiert, das es zu bekämpfen gilt.
Von völkischer Rhetorik, dem Rückgriff auf einen vermeintlichen Volkskörper, machen Vertreter der Partei häufig Gebrauch. Etwa in sozialen Netzwerken, in denen Matteo Salvini sehr aktiv ist
. In seinen Twitter-Nachrichten und Facebook-Posts gilt das Motto: "Italiener zuerst." Der Hashtag #primagliitaliani wird dort häufig verwendet, sei es im Zusammenhang mit der Erdbebenkatastrophe in Mittelitalien 2016, oder beim Thema Flucht nach Europa. Migranten werden in Salvinis Posts und Tweets in der übergroßen Mehrzahl als Wirtschaftsflüchtlinge beschrieben, die sich den Asylstatus unberechtigterweise erschleichen wollen . Es gibt auch mitfühlende Äußerungen, doch als Subtext kann interpretiert werden: Das sei die Ausnahme, die Zahl der Menschen in Not, um die sich Europa wirklich kümmern müsse, sei verschwindend gering. Die Politik hingegen vernachlässige die Italiener, Flüchtlinge seien im Vergleich zu Einheimischen sogar häufig besser gestellt, so die völkische Propaganda der Lega, die in den Kommentarspalten regen Widerhall findet. In diesem Sinne ist auch Abgrenzung ein rechtspopulistisches Merkmal der Lega Nord. Diese Abgrenzung spricht aus der Warnung vor der fortschreitenden Islamisierung und "Afrikanisierung" Italiens, mit denen Krankheiten und Terror in das Land kämen, die die Kultur des Landes zerstörten und eine Gefahr für die öffentliche Ordnung seien. Dabei bringt die Lega bewusst falsche Zahlen über die Ursachen der Migration nach Europa oder über die Versorgung von Migranten in Umlauf. Zum Beispiel in diesem Tweet vom 12. November 2016: "Unsere Jungen wandern ins Ausland aus, um Arbeit zu finden, wir importieren ILLEGALE, um sie in ihre Wohnungen zu schicken."
Die Lega Nord wurde unter der Führung von Matteo Salvini immer weiter am rechten Rand positioniert. Während sich die Partei schon seit Anfang der 1990er Jahre an einer Umdeutung und Aufwertung der faschistischen Vergangenheit Italiens beteiligte
, ist die Rhetorik der Partei inzwischen offen fremdenfeindlich. Auch die Stilisierung als Law-&-Order-Partei passt in das rechtspopulistische Schema. Immer wieder hat Matteo Salvini zum Beispiel die Kastration für Sexualstraftäter und mehr Härte im Umgang mit Migranten gefordert. Um die Stimmung gegen Geflüchtete zu verstärken, twittert Salvini Fälle wie diesen: "Erst verlangt er 'politisches Asyl', dann BELÄSTIGT er ein achtjähriges Kind." (15. November 2016)
Wie bei vielen rechtspopulistischen Gruppierungen in Europa gehört eine explizite Anti-Europa-Politik zur Ausrichtung der Lega Nord. Unter Matteo Salvini hat sich diese Parteilinie noch weiter verschärft. Die Tatsache, dass er seit 2004 Abgeordneter im Europäischen Parlament ist (Parteichef ist er erst seit Ende 2013), ist für ihn kein Widerspruch. Den Euro hat er als "kriminelle Währung" bezeichnet. Er hofft darauf, die nächste Parlamentswahl zu einer Abstimmung über den Verbleib Italiens im Euro zu stilisieren, die Brexit-Entscheidung der Briten gibt seinem Kurs Rückenwind, und natürlich auch das Verfassungsreferendum vom 4. Dezember 2016, bei dem die Regierung mit ihren Vorschlägen sehr deutlich scheiterte und nach dem Ministerpräsident Matteo Renzi seinen Rücktritt erklärte. Seitdem fordert die Lega Nord schnellstmögliche Neuwahlen, deutlich vor dem Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2018.
Mit anderen antieuropäischen, rechtspopulistischen Bewegungen in Europa will die Lega an einem Strang ziehen, sitzt gemeinsam mit ihnen in der Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF) der Rechtspopulisten im Europaparlament. Dort wettert man unter anderem gegen die Islamisierung Europas. Marine Le Pen vom französischen Front National, die um die Französische Präsidentschaft kämpft, gilt als Vorbild für eine Machtoption in Italien.
Wie auch der Front National und viele andere rechtspopulistische Bewegungen in Europa fährt die Lega Nord einen Putin-freundlichen Kurs
Populistische Konkurrenz
Im Unterschied zur Lage in Frankreich ist eine Machtübernahme Salvinis und seiner Lega Nord in Italien aber vorerst nicht zu erwarten. Das liegt an der unklaren politischen Zukunft Italiens, zum Beispiel an der Frage, wie lange die jetzige Übergangsregierung im Amt bleibt, wann es Neuwahlen gibt. Es ist aber auch unklar, aus welchem Wählerpotential die Lega Nord zurzeit schöpfen kann, nicht nur wegen des bereits angesprochenen Zustands des Mitte-Rechts-Lagers. Es gibt noch einen weiteren Grund: Die Lega Nord hat nämlich bei ihrem populistischen Stimmenfang einen starken Konkurrenten: die Fünf-Sterne-Bewegung, MoVimento 5 Stelle. Diese Protestbewegung hat es, als sie das erste Mal bei einer landesweiten Wahl im Februar 2013 antrat, mit 25,56 Prozent der Stimmen auf Anhieb geschafft, stärkste Einzelpartei im italienischen Abgeordnetenhaus zu werden. In Sachen Populismus stehen die Fünf Sterne der Lega Nord in nichts nach, sie sind jedoch politisch schwerer einzuordnen und werden sowohl von Wählern des rechten wie auch linken Lagers gewählt. Ihre EU- und Eurofeindlichen Töne mischen sich mit der eher linken Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Auch explizit fremdenfeindliche Töne gehörten schon zum Repertoire einiger Vertreter der Fünf Sterne.
Gleichzeitig haben die Fünf Sterne durch zahlreiche öffentlichen Kundgebungen eine erhebliche Mobilisationskraft entwickelt, die oft von den Performances des gelernten Komikers Beppe Grillo geprägt sind und dadurch einen gewissen Unterhaltungscharakter haben. Das und die moderne webbasierte Aufstellung und Partizipationskultur der Partei, beispielsweise über den Blog Beppe Grillos und Online-Abstimmungsplattformen, trägt dazu bei, dass die Fünf Sterne vor allem für junge Protestwähler attraktiv sind. Vor allem im Anti-Europa-Protest schwimmen Fünf Sterne, wenn auch mit anderen Akzentuierungen, auf der gleichen Welle wie die Lega Nord. Während die Lega den Euro abschaffen und die italienische Lira wieder einführen will, gibt es unter den Fünf Sternen beispielsweise Sympathisanten für eine Parallelwährung.
Protest gegen "das System", die vorgeblich etablierte Politik und Stimmenfang in für populistische Töne empfänglichen Wählergruppen sind also kein Alleinstellungsmerkmal der Lega Nord. Geht man davon aus, dass der Teil der Wählerschaft, der für diese Töne empfänglich ist, begrenzt ist, heißt das, dass Lega und Fünf Sterne zum Teil in denselben Gewässern fischen und ihr Wählerpotenzial nicht voll ausschöpfen können. Die Fünf Sterne sind bisher erfolgreicher, während die Lega Nord bei einer landesweiten Wahl vermutlich nur mit Mühe ein zweistelliges Ergebnis einfahren könnte, glaubt man den Umfragen
Als rechtspopulistische Partei wird die Lega Nord der politischen Landschaft in Italien sicher auch in den kommenden Jahren erhalten bleiben. Das italienische Parteiensystem ist überaus wandelbar und kann sich auch in den kommenden Monaten wieder stark verändern. Die Lega Nord hat es geschafft, anti-europäische und fremdendfeindliche Stimmungen in Italien vor allem im Zusammenhang mit der Migration nach Europa zu verstärken. Das ist gefährlich für die italienische Gesellschaft – und für Europa.