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Was versteht man unter "Populismus"?

Tim Spier

/ 7 Minuten zu lesen

Populismus ist ein häufig genutzter Begriff. In der politischen Auseinandersetzung taucht er als Stigmawort auf, um andere Politiker oder Parteien zu diffamieren. In der Wissenschaft wird er z.B. benutzt, um bestimmte Programme, Positionen und Kommunikationsweisen zu beschreiben. Eineindeutig ist Populismus jedenfalls nicht. Der Politologe Tim Spier erklärt, warum.

Plakat aus einer Kampagne der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) gegen den Bau von Minaretten. (© picture-alliance/dpa)

Es ist das ironische Schicksal des Populismus-Begriffs, populär geworden zu sein. So sieht es zumindest der französische Populismus-Forscher Pierre-André Taguieff. Und in der Tat: Die Popularität des Begriffs erschwert eine einigermaßen neutrale wissenschaftliche Verwendung ungemein. Zwei Probleme ergeben sich hier: Das Wort "Populismus" ist außerordentlich wertgeladen und noch dazu unpräzise.

Mit Wertgeladenheit ist zunächst gemeint, dass der Populismus-Vorwurf ein gern genutztes Mittel in der politischen Auseinandersetzung ist. Kaum ein Politiker, der nicht schon andere Parteien und Politiker bezichtigt hätte, "populistische" Forderungen zu verbreiten. Das soll den politischen Gegner abwerten und die Ernsthaftigkeit und Realisierbarkeit seiner Forderungen in Abrede stellen. Die mit dem Populismus-Vorwurf einhergehenden Assoziationen reichen von "Stammtisch-Niveau" bis hin zu "Demagogie". Der angebliche Populist zielt in dieser Sichtweise darauf ab, die Gunst der Massen zu erringen, indem er Versprechungen macht, ohne auf deren Umsetzbarkeit zu achten. Versteht man Populismus in diesem Sinne vor allem als ein Stilmittel, das auf eine größtmögliche mediale Aufmerksamkeit abzielt, so kann man den Populismus-Vorwurf durch Politiker selbst als "populistisch" bezeichnen.

So schillernd der Begriff "Populismus" ist, so ist er kaum präzise oder gar eindeutig. Man findet ihn immer wieder in medialen und politischen Alltagsdiskursen. Er wird als Bezeichnung für die verschiedensten historischen und aktuellen Parteien, Bewegungen und Politiker genutzt, gleich welcher politischen Ausrichtung. Offenbar gibt es rechte Populisten genauso wie linke. Man braucht nicht lange zu suchen, um auch andere vermeintliche Spielarten des Populismus zu finden: So ist von „Nationalpopulismus“, "Ökopopulismus" oder "Steuerpopulismus" die Rede – die Liste ließe sich fortführen. In den seltensten Fällen wird jedoch klar, was genau mit "Populismus" gemeint ist.

Populismus als Politikstil

Um der Begriffsverwirrung zu begegnen, soll hier der Versuch einer Definition unternommen werden, die den Begriff beschreibt und einordnet. Sie begreift Populismus einerseits als einen Politikstil, der sich an vier Elementen festmachen lässt. Einige davon können sich, wie bereits erwähnt, bei allen Parteien oder Politikern finden. Treten diese Elemente aber gemeinsam auf und wird die Bezugnahme auf ein abgrenzend definiertes "Volk" zentral, dann kann andererseits durchaus von einem eigenen Parteientypus gesprochen werden.

  1. "Das Volk"
    Ein erstes Merkmal ist der Bezug auf "das Volk". Denn dies ist die lateinische Wurzel des Wortes, abgeleitet von populus ("das Volk"). Populisten sprechen in ihren Reden und Medienbeiträgen "das Volk", "die einfachen Leute" oder – häufig ganz selbstverständlich auf die männliche Version beschränkt – "den kleinen Mann auf der Straße" an. Dabei wird suggeriert, dass "das Volk" eine Einheit sei. Interessengegensätze, die es in modernen Gesellschaften in vielfacher Weise gibt, werden so implizit geleugnet.

    Der Appell an das nicht näher spezifizierte "Volk" erlaubt Populisten, eine möglichst große Zielgruppe anzusprechen. Eine große Zahl von Menschen soll sich zugehörig fühlen können. Zugleich wird "das Volk" häufig romantisch überhöht: Es wird in der Rhetorik der Populisten als "ehrlich", "hart arbeitend" und "vernünftig" dargestellt. Dies ist eine identitätsstiftende Strategie der Populisten, die auf diese Weise eine imaginäre Gemeinschaft konstruieren, die ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln soll.


  2. Identität: Gemeinschaft durch Abgrenzung
    Identitätspolitik ist zentral für die Agitation der Populisten. Identität wird in der Rhetorik von Populisten jedoch nicht nur dadurch erzeugt, dass man die Adressaten in eine romantisch überhöhte Gemeinschaft einschließt, sondern – vielleicht noch viel effektiver – dadurch, dass man andere aus dieser Gemeinschaft ausschließt. Erst durch die Abgrenzung gegenüber Dritten wird ganz deutlich, wer vermeintlich zur Gemeinschaft gehört und wer nicht. Die Stimmungsmache gegen – mitunter gar nicht reale – Feindbilder ist eines der wichtigsten Stilmittel von Populisten.

    Dabei lassen sich typischerweise zwei Gruppen von Feindbildern unterscheiden: Einerseits politische, ökonomische oder kulturelle Eliten, die in ein antagonistisches Verhältnis, also in einen feindschaftlichen Gegensatz, zum „einfachen Volk“ gesetzt werden: "Wir" gegen "die da oben". Diese Eliten werden als abgehoben, korrupt, selbstsüchtig und nur am eigenen Machterhalt interessiert dargestellt.

    Andererseits greifen Populisten auch immer wieder marginalisierte Bevölkerungsgruppen an, gleich ob es sich um soziale, kulturelle, religiöse oder sprachliche Minderheiten handelt. Bei Rechtspopulisten sind es typischerweise Migranten. Durch die aggressive Abgrenzung gegenüber Minderheiten soll die Zielgruppe der Populisten davon überzeugt werden, dass sie zur imaginierten Gemeinschaft gehört ("wir" gegen "die anderen"). Zugleich werden die Minderheiten als Sündenböcke für alle möglichen sozialen oder anderen Missstände verantwortlich gemacht.


  3. Die Führungsfiguren
    Ein drittes, fast immer anzutreffendes Merkmal des Populismus ist seine Abhängigkeit von charismatischen Führungsfiguren. Kaum eine populistische Partei kommt ohne einen selbsternannten "Volkstribunen" aus, der ihr als Gesicht und Aushängeschild dient. Diese Anführer versuchen, über die Medien in eine möglichst direkte Beziehung zu ihrer Zielgruppe zu treten, wobei sie sich eines festen Kanons aufmerksamkeitserregender Stilmittel bedienen: radikale Lösungen für komplexe Probleme, gezielte Tabubrüche und Provokationen, Personalisierung, Emotionalisierung sowie das Schüren von Angst und Hass auf "die da oben" oder "die anderen".

    Es ist daher kein Wunder, dass die meisten populistischen Bewegungen und Parteien mit einer bestimmten Person verbunden werden: Die Beispiele von Pim Fortuyn in den Niederlanden, Jörg Haider in Österreich oder Ronald Schill in Deutschland zeigen, dass mit dem Wegfall des Anführers meist auch die dahinterstehende Organisation zusammenbricht.


  4. Die Organisation: Bewegung ≠ Partei
    Typisch für Populismus ist viertens, dass er sich als Bewegung organisiert. Populisten meiden in der Regel den Begriff "Partei" als Selbstbezeichnung ihrer Organisation, schon um sich von den etablierten Parteien abzugrenzen. Stattdessen nennen sie sich Bund, Liga, Liste, Front oder eben Bewegung. Die Bewegung suggeriert eine tiefe Verwurzelung im "Volk". Zudem unterstreicht sie die Rolle des Anführers, der durch sein Charisma die unter Umständen sehr heterogene Gruppe der Anhänger zusammenhält.

    Dabei sind populistische Bewegungen nur selten basisdemokratisch aufgebaut. Häufig haben sie gar keine formelle Mitgliedschaft, die mit Rechten und Pflichten ausgestattet ist. Viel eher findet sich eine strikt hierarchische Entscheidungsstruktur, die meist ganz auf die zentrale Rolle des Anführers zugeschnitten ist.

Populismus als "dünne" Ideologie

Wenn Populismus bisher vor allem als Politikstil beschrieben wurde, so soll damit nicht der Eindruck erweckt werden, dass es keine ideologischen Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen populistischen Phänomenen gibt. Vielmehr ist Populismus das, was Michael Freeden eine "dünne" Ideologie nennt ("thin-centred ideology"): Eine solche hat nur einen begrenzten ideologischen Kern. Im Fall des Populismus besteht die zentrale Idee dieser "dünnen" Ideologie in der Unterscheidung von "Volk" und "Elite", wobei sich die Populisten auf der Seite "des Volkes" sehen und vorgeben, das, was sie für den Volkswillen halten, durchzusetzen helfen. Diesen ideologischen Kern kann man bei ganz unterschiedlichen populistischen Bewegungen und Parteien identifizieren. Etwa beim amerikanischen "Populist Movement" oder den russischen Interner Link: "Narodniki" (Volkstümlern) des 19. Jahrhunderts; bei der französischen Poujade - ebenso wie bei der amerikanischen Interner Link: McCarthy-Bewegung der 1950er Jahre. Über den zentralen Bezug auf das "einfache Volk" hinaus hatten diese vier Phänomene wenig gemeinsam, sondern waren inhaltlich sehr unterschiedlich ausgerichtet.

Insofern gibt es nicht "den" Populismus, sondern vielmehr Populismen unterschiedlicher ideologischer Ausrichtungen. An die "dünne" Ideologie des Populismus lassen sich andere Ideologieelemente andocken, die ihn inhaltlich näher qualifizieren. Beim Rechtspopulismus ist das typischerweise ein radikaler Nationalismus, der die eigene Nation, das eigene "Volk", über alle anderen stellt. Hinzu kommt häufig eine ausgeprägte Fremdenfeindlichkeit, die sich daran festmachen lässt, dass Rechtspopulisten oft Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund schüren. Ein drittes, immer wieder vorzufindendes Ideologieelement ist der Autoritarismus. Die Gesellschaft soll sich in der Vorstellung der Rechtspopulisten an strikten Ordnungsvorstellungen orientieren, die um jeden Preis einzuhalten sind. Beispiele hierfür sind Forderungen nach der Einführung der Todesstrafe, nach schnelleren und härteren Urteilen von Gerichten oder nach einer stärkeren Polizeipräsenz. Weitere Elemente wie Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie können zusätzlich hinzukommen, sind jedoch nicht bei allen rechtspopulistischen Phänomenen zu beobachten.

Da Populismus in ganz verschiedenen ideologischen Ausrichtungen daherkommt, ist es schwierig, diese unterschiedlichen Phänomene über einen Kamm zu scheren. Viele zutreffende negative Bewertungen von Populismen hängen nämlich vor allem mit den angedockten Ideologieelementen zusammen. Den Bezug auf "das Volk" selbst als problematisch zu qualifizieren, fällt schwer, handelt es sich dabei doch um den demokratischen Souverän. Die westlichen Demokratien sind in aller Regel repräsentative Demokratien, in der diese Volkssouveränität vor allem in der Wahl von Abgeordneten in Volksvertretungen besteht. Deswegen sind Forderungen nach direktdemokratischen Partizipationsformen, die der Bevölkerung ein wesentlich unmittelbareres Mitspracherecht einräumen, nicht pauschal abzulehnen. Viele Populisten fordern diese unmittelbare Mitbestimmung des Volkes, aber dies macht noch nicht alle Befürworter direkter Demokratie zu Populisten.

Viel problematischer ist, dass die meisten Populisten einer Art "Führerdemokratie" das Wort reden: Die charismatischen Führungsfiguren der Populisten geben vor, sie selbst wüssten besser als alle anderen Politiker, was "das Volk" will und was dessen Interessen sind. Sie geben vor, diesen vermeintlichen Volkswillen gegen alle Widerstände durchzusetzen, ohne "faule Kompromisse". Eine moderne pluralistische Demokratie hingegen erkennt an, dass es in modernen Gesellschaften eine Vielfalt unterschiedlicher Meinungen und Interessen gibt, die im politischen Prozess gegeneinander austariert werden. Dies führt häufig zu politischen Kompromissen, die in der Regel komplex sind, nicht immer allen einleuchten und selten alle Seiten vollständig zufriedenstellen – dafür aber meist auch keine Meinungen und Interessen komplett außer Acht lassen und keine Minderheitenrechte ignorieren. Die Forderungen von Populisten sind demgegenüber viel einfacher, vielleicht auch leichter verständlich – doch sie suggerieren, dass es für komplexe Probleme einfache Lösungen gäbe. Dies ist in modernen Gesellschaften selten der Fall.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Text greift auf Argumente zurück, die sich in einer Monographie des Verfassers finden: Tim Spier, Modernisierungsverlierer? Die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa, Wiesbaden 2010, S. 18ff.

  2. Pierre-André Taguieff, Political Science Confronts Populism, in: Telos, H. 103 (1995), S. 9-43, hier: S. 4.

  3. Michael Freeden: Is Nationalism a Distinct Ideology, in: Political Studies, Bd. 46 (1998), S. 748-765.

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Dr. disc. pol, geb. 1975; Vertreter der Professur "Politisches System der Bundesrepublik Deutschland und Public Administration" an der Universität Siegen, Fachbereich 1/Politikwissenschaft, Adolf-Reichwein-Straße 2, 57068 Siegen. E-Mail Link: tim.spier@uni-siegen.de