In der Stunde des Triumphes verliert man leicht die Fassung: 17. September 2006, der Abend der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Als alle Fernseh-Sondersendungen vorbei sind, trifft sich die NPD zur Wahlparty in einem Gartenlokal unweit des Schweriner Schlosses, um ihren Einzug in den Landtag gebührlich zu feiern. Es gibt Grillhaxe, Sauerkraut, Brezeln und Bier. Für eine halbe Stunde sind auch Journalisten zugelassen.
Es gibt einige Reden von Parteikadern, das Fußvolk lauscht aufmerksam. Die Berichterstatter machen sich eifrig Notizen. Plötzlich werde ich angerempelt: "Drecksau", zischt einer der kräftigen Jungs vom Ordnungsdienst der NPD, die sonst immer sehr auf korrektes Auftreten achten. "Gibt es ein Problem?", frage ich zurück. Die Antwort: "Sie sind doch Toralf Staud, oder?"
Es ist nicht einfach, als Journalist über Rechtsextremisten zu schreiben. Aber die gelegentlichen, kleinen Anfeindungen oder Bedrohungen sind nicht das, was es kompliziert machen. Die wohl größte Schwierigkeit der Berichterstattung sind die Konjunkturen des Themas, verursacht durch spektakuläre Wahlergebnisse oder Aufsehen erregende Gewalttaten. Es gibt Wochen, da sind die Medien voll vom Rechtsextremismus, und dann herrscht wieder monatelang Sendepause. Irgendwann schlagen wieder die Wellen der Aufmerksamkeit hoch, aber praktisch nichts von öffentlicher Erkenntnis aus dem vorherigen Zyklus schafft es in den neuen. Immer und immer wieder, auch noch 15 Jahre nach Hoyerswerda, Solingen und Rostock-Lichtenhagen, nach München, Dessau und Potzlow stellen zum Beispiel Radiomoderatoren in Interviews nach einer rechtsextremistischen Straftat die Frage, ob es sich denn hierbei um einen Einzelfall handelt.
Um kompetent über Rechtsextremismus zu schreiben, braucht man gute Vorbereitung, Neugier, Geduld und Erfahrung. Und sicherlich braucht man auch Abwechslung, man sollte zwischendurch immer auch über andere Themen schreiben, um neben alten und neuen Nazis nicht den Rest der Welt und ihre schönen Seiten aus den Augen zu verlieren. Vier kurze Thesen:
1. Rechtsextremisten nicht unterschätzen, aber auch nicht überschätzen
Ein Nazi ist nicht automatisch dumm, unter den Kadern der NPD zum Beispiel gibt es intelligente Leute mit Hochschulabschluss. Das ist eine banale Feststellung, aber sie ist notwendig angesichts des Bildes, was sich auch Journalisten von Rechtsextremisten machen. Die NPD ist eine straff geführte Partei mit einem geschlossenen Weltbild und klarer Strategie. Darüber muss man als Journalist Bescheid wissen, wenn man sich in die Szene begibt.
Ein Gutteil der Rechtsextremisten ist aber doch ziemlich dumm, der Mangel an halbwegs fähigem Personal zum Beispiel ist das größte Problem der NPD, Inkompetenz und Verfehlungen ihrer eigenen Leute ist der größte Stolperstein der Partei. Texte, die sich nur darüber lustig machen, sind genauso gefährlich wie reißerische Illustriertenstories, die Nazis zu mächtigen Dämonen aufbauschen und dem Leser wohlig-grausiges Schauern über den Rücken laufen lassen.
2. Korrekt behandeln, aber nicht kumpelhaft
Ein Journalist kann schwerlich über Menschen schreiben, mit denen er nicht gesprochen hat. Auch das ist trivial, muss aber angesichts der Scheu von Kollegen, sich wirklich mit Rechtsextremisten zu beschäftigen, nochmals betont werden. Wer wissen will, was Nazis wollen, kommt um Interviews mit ihnen nicht herum. Der Grund dafür ist aber nicht die alte Journalistenregel "audiatur et altera pars" (lat.: "man höre auch die andere Seite"), denn "die Rechten" sind nicht einfach "die andere Seite", deren Aussagen man gleichberechtigt neben die von Demokraten Stellen kann. Sondern ganz einfach, weil ein Journalist für gute Berichte und anschauliche Reportagen Informationen aus erster Hand braucht.
Daher sind Rechtsextremisten erstmal Gesprächspartner wie alle anderen: Der Fragende sollte neugierig sein, gut vorbereitet. Und er hat sich an Absprachen zu halten – wenn ein Journalist seinem Gegenüber zusagt, Interviewaussagen vor einer Veröffentlichung noch einmal vorzulegen, dann muss er sich auch bei Rechtsextremisten daran halten. Der Journalist kann höflich sein, und trotzdem kritisch fragen (aber klar, manchmal gebietet es die Selbstachtung auch, scharf zu widersprechen oder ein Gespräch abzubrechen). Professionelle Korrektheit ist etwas ganz anders als Kumpanei. Es ist ein großer Unterschied, ob man einen Interviewpartner zum Kaffee einlädt oder zum Bier.
Mit Rechtsextremisten zu sprechen heißt nicht, ihnen das Wort zu überlassen. In Talkshows zum Beispiel sollten NPD-Kader niemals gleichberechtigt neben Politikern anderer Parteien sitzen. Und damit solche Auftritte nicht entgleisen, muss der Gastgeber extrem gut vorbereitet sein. Als am Abend der sächsischen Landtagswahl im September 2005 eine überforderte TV-Moderatorin dem NPD-Mann Holger Apfel ins Wort fiel und ihm das Mikrofon wegzog, brachte dem das nur Sympathien beim Zuschauer. Wenn Horden von Korrespondenten nach einem Nazi-Vorfall in ostdeutsche Dörfer und Kleinstädte einfallen und tatsächlich oder vermeintlich skandalöse Alltagszustände schildern, hinterlässt das dort oft nur Kopfschütteln und Verwüstungen. Und hat für das Publikum wenig Erkenntniswert.
Nachfragen, Nachfragen, Nachfragen...
3. Neugierig und offen sein, aber nicht wertfrei
Die drei wichtigsten Dinge bei Interviews mit Rechtsextremisten sind: Nachfragen, Nachfragen, Nachfragen. Selbst gut geschulte NPD-Kader kommen oft ins Schleudern, wenn man nur hartnäckig genug nachhakt. Was meinen Sie damit? Wie stellen Sie sich das konkret vor? Glauben Sie das wirklich? Oft verwickeln Rechtsextremisten sich dann in Widersprüche, offenbaren die Flachheit ihrer Argumente, verfallen irgendwann in den Jargon des Dritten Reichs. Um gründlich nachbohren zu können, muss man selbst einen festen Standpunkt haben. Wer wertfrei in Interviews mit Rechtsextremisten geht, wird scheitern. Da muss man wissen, warum Pluralität besser ist als eine Diktatur oder worin sich die Würde des Menschen gründet. Es kann nie schaden, solche Dinge mal durchdacht zu haben – aber für Gespräche mit Rechtsextremen ist es unerlässlich.
Es hat aber keinen Sinn, in einem Interview ideologische Kämpfe auszufechten. Zwar kommt ein Nazi manchmal bei einem gründlichen Gespräch ins Nachdenken (denn die meisten reden nur selten mit Menschen außerhalb ihres engen Kreises); doch ein Journalist wird es nicht schaffen, ihn von seiner Meinung abzubringen und zu "bekehren". Genauso wenig sinnvoll ist es, sich in Interviews zu verstellen. Ich erinnere mich an kein Gespräch in der "Szene", in dem ich mich hätte verstellen müssen. Die meisten Rechtsextremisten hat das nicht gestört, im Gegenteil: Sie waren oft froh, sich mitteilen zu können. NPD-Kader glauben, ihr Parteiprogramm habe Antworten auf alle Probleme der Welt. Sie meinen, ihre Weltanschauung erkläre alle Probleme und Übel – und die Menschen müssten Ihnen nur folgen, dann würde alles gut. Sie ähneln Missionaren, deshalb wollen Sie mit Journalisten reden. Auch wenn sie diese gleichzeitig als "liberalistische Feindpresse" oder "Agenten des Weltjudentums" schmähen.
Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung kam vor zwei Jahren zu dem Ergebnis, dass die Berichterstattung über Rechtsextremisten meist von moralischer und emotionaler Distanzierung geprägt ist. Vermutlich funktionieren Medien nicht ohne Moral und Emotion. Aber viel wichtiger für guten Journalismus ist es, zu analysieren und zu argumentieren.
4. Zitieren? Ja! Aber stets einordnen, analysieren, bewerten
Nichts ist so entlarvend wie Zitate, auch und gerade bei Rechtsextremisten. Aber nichts wäre verkehrter, Aussagen von Rechtsextremisten "einfach so" zu zitieren. Denn sie sind darauf spezialisiert, Worte zu verdrehen. Rechtsextremisten verwenden Vokabeln anders als der Rest der Öffentlichkeit (manchmal mit Absicht, manchmal auch unbemerkt). Wenn ein Demokrat von "Demokratie" spricht, meint er (hoffentlich) etwas anderes als ein NPD-Mann. Wenn zum Beispiel ein Rechtsextremist "Volk" sagt oder "Deutsche", dann grenzt er damit implizit deutsche Staatsbürger mit "falschen" Erbanlagen bzw. Vorfahren aus. Ein sorgfältiger Journalist muss das seinem Leser auch mitteilen, er muss deshalb Zitate von Rechtsextremisten stets einordnen, analysieren, bewerten.
Wenn sich die NPD als sozialer Robin Hood darstellt und gegen Hartz IV polemisiert, dann muss man als Journalist klarstellen, dass ihr Gegenkonzept das einer nach innen kuscheligen, nach außen aber abgrenzenden Volksgemeinschaft ist. Wenn die Partei für Umweltschutz eintritt, muss man die zugrunde liegende Blut-und-Boden-Ideologie offen legen. Es ist nicht so schwer, das Programm der NPD zu demaskieren. Natürlich, eine inhaltlich entlarvende Berichterstattung über Rechtsextremismus ist mühsam, und vermutlich macht es mehr Spaß, über Fußball zu schreiben. Aber ich sehe keine Alternative.