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Nach Köln: Zwischen Willkommens- und Ablehnungskultur | Rechtsextremismus | bpb.de

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Nach Köln: Zwischen Willkommens- und Ablehnungskultur

Vanessa Guinan-Bank

/ 10 Minuten zu lesen

Die Neujahrsnacht 2015/2016 von Köln, in der Hunderte von Frauen sexuell belästigt und einige vergewaltigt wurden, ist zur Zäsur in der Diskussion um die deutsche Flüchtlingspolitik geworden. Auf den Sommer der Willkommenskultur folgte eine Ablehnungskultur und vielfach die Entladung rassistischer Ressentiments. Vanessa Guinan-Bank zeichnet nach, wie sich die Gemütslage "nach Köln" verändert hat.

Ein Mann wird am 01.01.2016 in Köln am Hauptbahnhof von Polizeibeamten abgeführt. (© picture-alliance/dpa)

In der Neujahrsnacht 2015/2016 waren Hunderte von Frauen am Kölner Hauptbahnhof und rund um den Kölner Dom massiven sexuellen Übergriffe ausgesetzt. Die Frauen wurden am ganzen Körper begrapscht, teilweise von mehreren Männern gleichzeitig. Bei fünf von ihnen wurde laut ihrer Strafanzeige ein Finger in die Vagina eingeführt, sechzehn Frauen meldeten den Versuch. In rund der Hälfte der Fälle war das Begrapschen mit Diebstahl verbunden.

Insgesamt rund 1.200 Strafanzeigen sollten im Laufe der nächsten Monate bei der Kölner Polizei mit Bezug zur Silvesternacht eingehen. Knapp 500 davon beziehen sich auf Sexualdelikte, die an 650 Frauen verübt wurden (einige der Frauen gaben ihre Anzeigen gemeinsam auf, daher die Divergenz). Bei den restlichen Anzeigen handelt es sich um Diebstähle von Handys, Geldbeuteln und Ähnlichem. Das Bundeskriminalamt (BKA) schätzt die Anzahl der Täter aus der Silvesternacht auf rund 2.000 Männer, die (hauptsächlich in Köln, aber auch in Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf) Frauen sexuell belästigten, sowie Feiernde und Durchreisende bestahlen. Einige Täter sollen Zeugenaussagen zufolge alkoholisiert gewesen sein und unter Drogeneinfluss gestanden haben. Ermittelt wurden allerdings nur 120 Verdächtige. Die Hälfte von ihnen war zum Zeitpunkt der Tat weniger als ein Jahr in Deutschland. Die meisten Verdächtigen stammen aus Nordafrika.

Die einsetzende öffentliche Debatte konzentrierte sich weniger auf sexuelle Gewalt gegen Frauen oder Sexismus im öffentlichen Raum. Stattdessen wurde vornehmlich über die Herkunft der Täter spekuliert und über Migration und Geflüchtete gestritten.

Wer die Täter jedoch waren, das war eine Woche nach Silvester noch vollkommen unklar. Mal wurde von Syrern, mal von Nordafrikanern, mal von Ausländern und Migranten und dann wiederum von Muslimen gesprochen. Hauptsächlich basierten diese Annahmen auf Zeugen- und Opferaussagen, also auf einer Beschreibung wie die Männer aussahen und in welcher Sprache sie mutmaßlich kommunizierten. Zunächst ließ der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers am 5. Januar 2016 verlauten, man habe noch keine Erkenntnisse über die Täter. Einen Tag später gab er bekannt, dass die mutmaßlichen Täter "dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum" stammten. Zu diesem Zeitpunkt lagen circa 100 der letztendlich rund 1.200 Strafanzeigen vor, vier mutmaßliche Täter waren ermittelt, zwei davon saßen bereits in Untersuchungshaft. Die mutmaßliche Herkunft auch weiterer Täter bei einem so frühen Stand der Ermittlungen zu veröffentlichen, ist recht ungewöhnlich für die auflagenstarken Medien in Deutschland. Die Mutmaßungen basierten vor allem auf dem äußeren Erscheinungsbild der Täter und ihrer Sprache. Der Pressekodex sieht vor, dass die Zugehörigkeit von Tätern oder Verdächtigen zu einer Minderheit nur erwähnt wird, wenn es für das Verständnis des Tatbestandes unerlässlich ist. Auf der einen Seite argumentierten einige Journalistinnen und Journalisten dafür, bei den Verdächtigen die vermutete Herkunft daher nicht zu nennen, weil sie nichts mit der Tat zu tun habe. Andere vertraten die Ansicht, dass die Herkunft der Täter wesentlich war, um die Taten einordnen zu können. So zog die feministische Journalistin Alice Schwarzer Parallelen zu den Übergriffen während der Proteste auf dem Kairoer Tahir-Platz im Jahr 2011. Heiko Maas, Minister für Justiz und für Verbraucherschutz, vermutete hingegen "irgendeine Form" der Planung, warnte jedoch davor, von der Herkunft eines Menschen Straffälligkeitstendenzen abzuleiten.

An Polizei und überregionaler Presse war aber bezüglich der Berichterstattung zur Kölner Silvesternacht in den vorangegangenen Tagen massive Kritik geübt worden. In sozialen Medien, besonders in der Facebook-Gruppe "Nett-Werk Köln", berichteten Frauen schon in der Silvesternacht und den darauffolgenden Tagen davon, was sie am Kölner Hauptbahnhof erlebt hatten. Trotz etlicher Anzeigen in der Nacht selbst veröffentlichte die Polizei dennoch am Neujahrsmorgen, dass die Silvesterfeiern weitgehend ruhig verlaufen und die Stimmung überwiegend gut gewesen sei. Auch in einschlägiger Tages- und Wochenpresse wurde erst am Montag nach den Ereignissen, am 4. Januar 2016, über die Vorfälle berichtet. Diese späte Berichterstattung ließ Vorwürfe laut werden, die Medien hätten die mutmaßliche Herkunft der Täter verschweigen und mit der Zuwanderung einhergehende Probleme nicht ansprechen wollen. Allerdings machten die Polizei und Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker erst am genannten Montag das Ausmaß der Übergriffe bekannt, woraufhin die Nachricht sofort bundesweit aufgriffen wurde. Zuvor hatten schon einige Regionalzeitungen Berichte über sexuelle Übergriffe in der Silvesternacht veröffentlicht. Darin bestätigte die Polizei zwar auch, dass Übergriffe stattgefunden hatten, nannte aber keine Daten, die Hinweise auf das Ausmaß hätten geben können.

In der Folge der bundesweiten Bekanntmachung verurteilten Politiker aus allen Parteien die Vorfälle, reagierten dabei aber auf unterschiedlichste Weise. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte, Geflüchtete, die Frauen sexuell belästigten, sofort abzuschieben, während Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) davor warnte, geflüchtete Menschen unter Generalverdacht zu stellen. Grüne Spitzenpolitiker mahnten, die Taten nicht für rassistische Zwecke zu instrumentalisieren, und auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) betonte, dass Täter und Taten unabhängig von Religion und Herkunft ermittelt und bestraft werden müssten. Die nordrhein-westfälische Landesregierung kündigte einen Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag an. Er sollte klären welche Verantwortung die Sicherheitsbehörden und das Innenministerium für die Vorfälle tragen.

Parteiübergreifend wurde eine schnelle Aufklärung und konsequente Strafverfolgung verlangt. Die Unterschiede zwischen den Parteien taten sich jedoch in Schwerpunkten und Herangehensweise auf. Neben der Forderung nach umfassender Aufklärung konzentrierte sich die Grünen-Spitze darauf, Gewalt und Übergriffe gegen Frauen zu verurteilen. CSU-Innenpolitiker Stephan Meyer hingegen rief dazu auf, die Herkunft der Täter nicht zu verschweigen, CDU-Politiker Jens Spahn fragte auf Twitter – in Anspielung auf die feministische Kampagne #aufschrei –, wo denn der Aufschrei bleibe, wenn man ihn brauche.

Medien reagierten mit rassistischen Klischees

Die Initiatorinnen der #aufschrei-Kampagne starteten kurz darauf zusammen mit anderen Unterstützerinnen den Aufruf #ausnahmslos. Darin verurteilten sie, dass ihrer Meinung nach in der Debatte um die Kölner Silvesternacht "feministische Anliegen von Populist_innen instrumentalisiert werden, um gegen einzelne Bevölkerungsgruppen zu hetzen" und dass sexualisierte Gewalt nur dann thematisiert werde, wenn die Täter nicht-deutsch seien oder einen Migrationshintergrund hätten. Ihr Aufruf richtete sich "Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus" immer und überall, und sie stellten Forderungen an Gesellschaft, Politik und Medien mit Maßnahmen, Lösungen und Ansätzen zu Prävention und Umgang mit sexualisierter Gewalt und Rassismus.

Einer ihrer medialen Ansätze war: "Die Bildsprache ist frei von rassistischen und sexistischen Klischees zu halten", denn Bilder würden unterbewusst wirken und könnten sogar eine differenzierte Berichterstattung torpedieren. In der vorangegangen Woche hatten sich das Magazin Focus (9.1.2016) und die Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung (SZ, 9.1.2016) mit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht befasst. Die jeweiligen Titelbilder hatten in sozialen Medien einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen. Den Publikationen wurde vorgeworfen, rassistische Klischees zu bedienen und alte Kolonialbilder neu aufzubereiten. Die Süddeutsche Zeitung hatte eine Schwarz-Weiß-Illustration gewählt, die vor schwarzem Hintergrund den unteren Teil eines weißen Frauenkörpers zeigte. Die Lücke zwischen den Beinen wurde von einem schwarzen Arm gefüllt – die schwarze Hand griff dem weißen Frauenkörper direkt in den Schritt. Der Titel des Focus zeigte eine nackte weiße Frau, die mit Abdrücken schwarzer Hände übersät war. Brüste und Intimbereich der Frau bedeckten rote Balken mit den Slogans "Frauen klagen an" und "Nach den Sex-Attacken von Migranten: Sind wir noch tolerant oder schon blind?".

Nach den Entrüstungen entschuldigte sich der Chefredakteur der SZ: Es habe nicht der Absicht der Zeitung entsprochen, dass die Illustration so verstanden werden könnte, "als habe sexuelle Gewalt mit Hautfarbe zu tun". Der Focus hingegen rechtfertigte sich damit, man hätte sich entschieden, "symbolisch darzustellen, was in Köln geschah".

Die veränderte Flüchtlingspolitik nach Köln

In den folgenden Wochen und Monaten blieb das Thema der Kölner Silvesternacht weiterhin prominent und beeinflusste auch die breitere Flüchtlingsdebatte. Bundesinnenminister Thomas de Maizière kündigte noch im Januar an, er strebe eine Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsländer an. Die vermuteten Herkunftsländer der Täter der Silvesternacht – Marokko, Algerien und Tunesien – sollten hinzugefügt werden. De Maizière sagte: "Sie wollen Arbeit, sie wollen ein besseres Leben, und leider kommen auch manche aus diesen Ländern, um hier Straftaten zu verüben." CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer stellte das Vorhaben aber in einen direkten Zusammenhang zu den Tätern der Silvesternacht. Bislang wurde eine Entscheidung diesbezüglich im Bundesrat vertagt, da die Grünen Pauschalurteile für Asylsuchende aus diesen Ländern befürchteten.

In einem Interview mit Zeit Online fasste die amerikanisch-ägyptische Wissenschaftlerin Shereen El Feki zusammen, wie sich die Flüchtlingsdebatte seit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht verändert hat: "Seitdem geht es um arabische Männer, die angeblich ihre Sexualität nicht im Griff haben und unsere freie Lebensweise zerstören. In dieser Debatte überlagern Emotionen rationale Argumente. […] Mit Köln wird eine abstrakte Angst geschürt, die Vorurteile gegen männliche Flüchtlinge verhärtet." Autoren wie der algerische Autor Kamel Daoud betonten hingegen: "Das für die westliche Moderne so fundamentale Verhältnis zur Frau wird zumindest dem Durchschnittsmann unter den Flüchtlingen lange unverständlich bleiben." Eine Debatte über Sexualität und die Rolle der Frau in der islamischen Welt, wie er in seinem Beitrag in der Frankfurter Allgemeine Zeitung betont, sei deshalb durchaus wichtig, denn "die Frau wird verleugnet, abgewiesen, getötet, vergewaltigt, eingeschlossen oder besessen. Darin zeigt sich ein gestörtes Verhältnis zur Phantasie, zum Wunsch nach Leben, zur Schöpfung und zur Freiheit". Auch wenn die Flüchtlinge sich nicht auf eine Minderheit von Kriminellen reduzieren ließen, brächten sie das Problem von "Werten" ins Spiel, die es zu teilen, durchzusetzen, zu verteidigen und verständlich zu machen gelte.

Besonders die tageszeitung (taz), einige Politiker der Grünen und Linken sowie die #ausnahmslos-Aktivistinnen versuchten, Ressentiments und Vorurteilen etwas entgegen zu setzen. Sie mahnten weiterhin an, sexualisierte Gewalt nicht pauschal auf die Religion oder die Herkunft von Männern zu reduzieren. CDU-Politikerin Diana Kinnert hingegen sagte, es dürfe nicht tabuisiert werden, wer die Täter seien und warum sie gehandelt hätten. So seien Tätermerkmale der Öffentlichkeit zumutbar und auch wichtig, um strukturelle Probleme zu erkennen.

Der muslimische Mann als Talkshow-Thema

Kaum ein Thema wurde im letzten Jahr so häufig in Talkshows, Leitartikeln und Interviews diskutiert wie jenes, ob der muslimische Mann frauenfeindlich sei und ob seine Frauenverachtung etwas mit dem Islam zu tun habe. Etwas differenziertere Beiträge dazu, so wie der Titel, den die Wochenzeitung Die Zeit "dem arabischen Mann" widmete, konnten sich zumeist jedoch nicht gegen die dominante Vorstellung vom männlichen Muslim als Frauenfeind durchsetzen. Erschwerend kam hinzu, dass es Monate dauerte, bis endlich Fakten über die Täter der Silvesternacht bekannt wurden.

In der ARD-Talkshow "maischberger", die den Titel trug "Mann, Muslim, Macho: Was hat das mit dem Islam zu tun?" beispielsweise kristallisierte sich, ähnlich wie in der bisher aufgezeigten Debatte, ein ähnliches Muster heraus: Diskutanten, die einen klaren Zusammenhang zwischen Islam und Abwertung der Frau konstatierten – und solchen, die darauf verwiesen, dass es sich um eine Gruppe von Männern handelte, die sich gegenseitig anstachelten und unter Alkohol- und Drogeneinfluss standen. Ferner wurde argumentiert, dass diese Männer keine Perspektive hätten, sich machtlos fühlten und ihnen langweilig war, die sich durch die Erniedrigung anderer ermächtigt gefühlt und die schlicht gemerkt hätten, dass die Polizei nicht einschritt.

Im Juni 2016 veröffentlichte das BKA seinen Bericht zu den Tätern der Silvesternacht. Abgesehen von Zeugenaussagen und den bis dato wenigen Gerichtsverhandlungen, war dies die erste konkrete Zusammenfassung der Ermittlungsergebnisse zu den Männern der Silvesternacht. Trotzdem beschränkt sich das Wissen auf die Festgenommenen, von geschätzten 2.000 Tätern konnten bisher nur 120 Männer gefasst werden. Von diesen 120 Verdächtigen stammt ein Großteil aus Algerien, Marokko und Syrien.

Das Gutachten des Wiesbadener Kriminologen Rudolf Egg, das vom Düsseldorfer Landtag in Auftrag gegeben und im Oktober veröffentlicht wurde, kommt entgegen vorheriger Ermittlungsergebnisse zu dem Schluss, dass die Täter sich über soziale Medien in Köln verabredetet hatten. Allerdings sei davon auszugehen, dass sie ursprünglich nicht beabsichtigt hatten, Straftaten zu begehen. Vielmehr hätten sie gemerkt, dass die Polizei nicht einschreite, dadurch sei die Hemmschwelle gesunken, und die Übergriffe hätten einen Massencharakter angenommen. Die Ergebnisse des Gutachtens deuten darauf hin, dass die sexualisierte Gewalt der Kölner Silvesternacht nicht ausschließlich auf die Herkunft der Täter zurückzuführen sei. Wer die restlichen, nicht gefassten Täter sind, woher sie kommen und was sie zu ihren Taten verleitet hat, wird wohl offenbleiben. Zumindest zieht BKA-Präsident Holger Münch mit Blick auf die bisherigen Ermittlungsergebnisse diesen Schluss.

Die nächste Silvesternacht sollte anders werden. Zum Jahreswechsel 2016/2017 wurden mehr als 1.500 Polizisten in der Kölner Innenstadt eingesetzt, um eine Wiederholung der Ereignisse des letzten Jahres zu verhindern. Absperrgitter und Einlasskontrollen sollten Sicherheit am Hauptbahnhof gewährleisten. Auch in diesem Jahr wurden Schätzungen der Kölner Polizei und der Bundespolizei zufolge rund "2.000 nordafrikanisch beziehungsweise arabisch aussehende junge Männer im Bereich des Kölner Hauptbahnhofs und des Deutzer Bahnhofs" gesichtet. Die Bundespolizei meldete zunächst 900 Platzverweise und 300 Personenkontrollen, die Kölner Polizei 650 Identitätsüberprüfungen. Eine Arbeitsgruppe der Kölner Polizei arbeitet die Ereignisse derzeit auf.

Ob die polizeilichen Maßnahmen angemessen waren oder unverhältnismäßig in die Freiheitsrechte der Menschen eingriffen, ob die berichteten Eindrücke überhaupt der Wahrheit entsprechen, was die Männer nach Köln führte und ob sie eine Gefahr darstellten, wird öffentlich heiß debattiert. In der Kritik steht auch der Begriff "Nafris" für "nordafrikanische Intensivtäter", den die Kölner Polizei offiziell auf Twitter verwendete, von dem sie sich aber auf starke Kritik hin kurz nach Silvester wieder distanzierte. Einige Stimmen warfen der Polizei "Racial Profiling" vor, woran sich eine heftige Debatte in Politik und Medien entspann. Mitte Januar 2017 gab die Kölner Polizei einen Zwischenstand mit neuen Zahlen bekannt, der erneut Aufsehen erregte: Von 425 Personen, deren Nationalität man überprüft habe, waren 99 Iraker, 94 Syrer, 48 Afghanen und 46 Deutsche. Nur insgesamt 30 Personen, 17 Marokkaner und 13 Algerier, kamen aus nordafrikanischen Staaten. Klar ist: Die Diskussion über die Folgen der Kölner Silvesternacht sind auch ein Jahr später immer noch nicht abgeschlossen.

Vanessa Guinan-Bank ist freie Journalistin in Berlin, sie schreibt unter anderem für die ZEIT und Radio Bremen. Sie hat in Freiburg und Damaskus studiert.