September 2016, ein ganz normaler Donnerstag – und dies sind die Top-Nachrichten, wenn man morgens den Computer anschaltet: "Flüchtlingshelferin: Familiennachzug in vollem Gange! Wir schaffen es nicht!" und "Anstieg der Krankenkassenbeiträge – Viele Flüchtlinge haben ab Juni 2017 Anspruch auf Vollversorgung". Oder: Die Staatsanwaltschaft im hessischen Hanau meldet die Festnahme eines 21-jährigen Asylbewerbers, der mehrere Kinder sexuell belästigt haben soll. Im sächsischen Bautzen sind Bilder eines Flüchtlings mit Kalaschnikow aufgetaucht. Und was gibt’s Neues im Ausland? In Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina ist es zu schweren Krawallen gekommen, nachdem Polizisten erneut einen Afroamerikaner erschossen hatten. Und der ehemalige Nato-Generalsekretär Rasmussen fordert die USA auf, "Weltpolizist" zu sein und schärfer gegen Wladimir Putin vorzugehen.
Willkommen in der Welt, wie sie sich bei Kopp-Online darstellt, auf PI-News oder in all den anderen Internet-Medien, die am rechten Rand der Gesellschaft sehr populär sind.
Für die breite Öffentlichkeit sind an diesem Morgen ganz andere Sachen wichtig. Die News-Websites von ARD und ZDF, tagesschau.de und heute.de, melden an erster Stelle: Bund und Länder haben sich in der Nacht auf eine Reform der Erbschaftssteuer geeinigt. Der alternative Nobelpreis geht in diesem Jahr an die türkische Zeitung Cumhuriyet und die syrisch-oppositionelle Hilfsorganisation Weißhelme. In den überregionalen Tageszeitungen wird breit über den Jahresbericht zur Deutschen Einheit berichtet, den die Bundesregierung am Vortag vorgelegt hatte – und in dem der zunehmende Rechtsextremismus in Ostdeutschland als Risiko für die dortige wirtschaftliche Entwicklung und den sozialen Frieden bezeichnet wurde. Einzig die Unruhen in der US-Stadt Charlotte sind auch in den "Mainstream"-Medien ein bedeutendes Thema.
Praktisch jede und jeder kann heutzutage jegliche Informationen produzieren und/oder in Online-Magazinen und Sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter verbreiten. Auch am rechten Rand gibt es mittlerweile eine Vielzahl mehr oder weniger professionell gemachter Angebote von Meldungen und Meinungen, etliche von ihnen liegen bei den Klickzahlen deutlich vor den Angeboten klassischer Massenmedien. Sie zeichnen ein ganz eigenes Bild der Wirklichkeit und grenzen sich bewusst vom "Mainstream" ab: "Die Welt, die diese Medien darstellen, befindet sich immer im Ausnahmezustand", erklärt die Wiener Politikwissenschaftlerin, Bloggerin und Buchautorin Natascha Strobl. "Es herrscht Krieg, den man gegen die bösen Linken, gegen die Flüchtlinge und andere gewinnen muss."
Das Informationsangebot ist heute so groß, dass sich Rechte jeder Couleur heute tage- und nächtelang ausschließlich auf ihren eigenen Websites bewegen können – ohne in Kontakt zu anderen Medien und zur Mehrheitsgesellschaft zu kommen. Auf Facebook&Co. wirkt zudem der sogenannte Filterblasen-Effekt: Bestimmte Algorithmen in diesen Netzwerken sorgen dafür, dass man bevorzugt solche Inhalte und Werbebotschaften angezeigt bekommt, die dem bisherigen Nutzungsverhalten nachempfunden sind. Wo aber Menschen – gerade bei politischen Streitfragen oder Verschwörungstheorien – fortwährend mit Informationen konfrontiert sind, die ihre eigenen Interessen, Meinungen, Vorurteile und Weltsichten bestätigen, besteht die Gefahr einer Radikalisierung innerhalb dieser Kommunikationsräume. Dieser sogenannte Echokammer-Effekt ist besonders in Sozialen Medien zu beobachten. Für politische Debatten kann das zum Problem werden: Wer sich in Parallelgesellschaften bewegt, ist für Argumente im Prozess der Kompromissfindung, der für Demokratien konstitutiv ist, nur noch schwer oder gar nicht mehr zu erreichen.
Von Theoriezeitschriften und Skinhead-Blättchen zu Gratis-Lokalzeitungen und Web-TV
Dass die rechte Szene ihre eigenen Publikationen hat, ist an sich nichts Neues.
Im Internet sind rechte Websites oft erfolgreicher als viele etablierte Medien
Erheblich gemäßigter sind die
In den täglichen, wöchentlichen oder monatlichen "Charts", die 10000flies.de erstellt, rangieren rechte Szenemedien regelmäßig weit vorn. Die Website der Jungen Freiheit zum Beispiel kam im August 2016 auf Rang 22 – und lag damit deutlich vor dem Online-Angebot der ZDF-Hauptnachrichtensendung heute und denen anderer Breiten-Medien wie SportBild oder Stern. Vielgelesene Publikationen sind dieser Statistiken zufolge auch
Daneben gibt es auch Medien, die nicht direkt aus der rechten Szene kommen, aber dort stark genutzt werden. Hierzu zählt etwa KenFM, ein Web-TV-Format des ehemaligen RBB-Radiomoderators Ken Jebsen. Mehr als eine halbe Million Mal wurden seine Internetvideos etwa über Verschwörungstheorien zum islamistischen Terrorismus oder die vermeintlichen Pläne von Eliten in Deutschland und den USA angeklickt. Noch beliebter ist beispielsweise die Internet-Seite des
Ebenfalls erfolgreich in der Szene sind Sputnik-News (Werbeslogan: "berichtet, worüber andere schweigen") oder Russia Today (RT), die aus Russland finanziert werden und nach Einschätzung von Beobachtern staatliche Propaganda verbreiten. Die RT-Inhalte sind nicht explizit rechts, aber sie bedienen und bestärken die Weltbilder von
Wenn man nur noch mit Gleichgesinnten kommuniziert: Radikalisierung in der Filterblase
Neben der Zahl der Publikationen und der Fülle ihres Angebots hat sich in den vergangenen Jahren noch etwas Wichtiges geändert: das Rezeptionsverhalten. Früher wurden rechte Medien isoliert konsumiert, man las sie allein im stillen Kämmerlein, allenfalls gab es Lesekreise, die sich jedoch nur in größeren Abständen trafen. Heute hingegen fließen die Beiträge in stete und oft schrille Gesprächsströme ein, die rund um die Uhr in Sozialen Medien wie Facebook und Twitter wogen – und bekommend dadurch eine viel intensivere Wirkung.
Was dort oft genug abläuft, ist von Sozialwissenschaftlern vielfach analysiert worden. Seit langem ist etwa bekannt, dass Menschen nicht etwa offen sind für jedwede neue Information, sondern dass sie solche Informationen bevorzugen, die eine bereits bestehende Meinung stützen. Wer beispielsweise Fan des FC Bayern ist, merkt sich Zeitungsberichte besonders gut, die den Fußballclub loben. Als confirmation bias und motivated reasoning wird das Phänomen in der Kognitionspsychologie bezeichnet. Ebenso gut erforscht ist die sogenannte group polarization, zu Deutsch: Gruppenpolarisierung. Wenn Gleichgesinnte beratschlagen, fasst der Harvard-Professor Cass Sunstein den Mechanismus zusammen, "dann ist Ergebnis oft eine extremere Version der anfänglichen Ansichten". Die Meinung mäßigt sich nicht, sondern verschärft sich.
Nun kommunizieren etwa auf Facebook viel mehr Menschen viel schneller als früher. Altbekannte Denk- und Verhaltensmuster beschleunigen und verstärken sich dadurch. Eine typische Debatte in Sozialen Netzwerken, so der Politologe und Populismusforscher Frank Decker von der Universität Bonn, "wird nicht durch Argumente und Gegenargumente, sondern durch gegenseitige Bewunderung und durch den Wettstreit strukturiert, immer dasselbe so auffällig und scharf wie möglich zu formulieren. Das Diskussionsforum wird zum Hallraum, in dem parallele Realitäten produziert werden." Im Englischen spricht man von echo chambers ("Echokammern").
Der Effekt wird noch verstärkt durch Algorithmen, wie sie für Plattformen wie Facebook üblich sind: Um die Nutzerinnen und Nutzern zu binden, werden ihnen automatisch Meldungen und Postings angezeigt, die ihren Vorlieben entsprechen. Auch Internet-Suchmaschinen wie Google "personalisieren" die angezeigten Ergebnisse danach, was der jeweilige Nutzer vorher bereits angeschaut hat. Der US-amerikanische Netz-Experte Eli Pariser prägte dafür den Begriff der "Filterblase" (filter bubble), in der sich viele Internet-Nutzer zunehmend bewegen. Diese Entwicklung sei politisch gefährlich, warnt er. Bekommen Menschen nur noch Informationen, die ihren Überzeugungen entsprechen, vergessen sie die Meinungsvielfalt und bekommen ein falsches Bild von der Realität. "Im schlimmsten Fall", sagt die Bielefelder Soziologin Jasmin Siri, "führt das dann zu Kollektivneurosen."
Der Filterblasen-Effekt ist keine Besonderheit des rechten Rands, aber offenbar kann er dort besonders wirken, weil gerade hier starke Gruppenidentitäten vorzufinden sind. Deutlich stärker nämlich als der Durchschnitt sind Anhänger der AfD in Sozialen Netzwerken von Personen gleicher politischer Ausrichtung umgeben. Laut einer Studie der Universität Bonn zur politischen Nutzung von Facebook fand etwa ein Viertel der User in ihrem Umfeld "immer" oder "meistens" die eigenen Meinungen wieder. Beim Blick auf die Parteiidentifikation zeigten sich markante Unterschiede: Bei den SPD-Anhängern zum Beispiel sagten 33 Prozent, die Mehrheit ihrer Facebook-Freunde sympathisiere mit derselben Partei. Bei den Anhängern von CDU/CSU gaben 37 Prozent diese Antwort. Mit Abstand am größten war der Anteil Gleichgesinnter bei der AfD, dort betrug er 58 Prozent. "Gerade die Anhänger der AfD", so die Studie, "nehmen also eine sehr homogene Meinung in ihrem Netzwerk wahr."
Die AfD bedient und benutzt die rechte "Gegenöffentlichkeit" im Internet
So ist am rechten Rand in den vergangenen Jahren im Zusammenspiel von Medien und Nutzern eine regelrechte "Gegenöffentlichkeit" entstanden, ein dynamisches Universum abgeschotteter Informationsveröffentlichung und -rezeption, in dem ein eigenes Bild der Wirklichkeit konstruiert wird. Ist diese Weltsicht erst einmal etabliert, können jegliche Informationen eingepasst werden. Berichten die sonst argwöhnisch betrachteten Mainstream-Medien etwa über Gewalt in Flüchtlingsunterkünften, werden die Artikel als Bestätigung gewertet und die Links in den rechten Echokammern weit geteilt, üblicherweise versehen mit zuspitzenden, gehässigen Kommentaren. Findet sich in diesen hingegen etwas, was den eigenen Ansichten und der gefühlten Realität widerspricht, dann sieht man dies als weiteren Beleg für eine angebliche "links-rot-grün-versiffte"
Welchen Sog die rechte Gegenöffentlichkeit auszuüben vermag, hat der ZEIT-Redakteur Malte Henk im Frühjahr 2016 in einer mehrseitigen Reportage anschaulich beschrieben. Er meldete sich unter einem Fantasienamen ("Matthias Weiß") bei Facebook an. Als Profilbild wählte er ein Porträt des im Nationalsozialismus vielfach verehrten Philosophen Friedrich Nietzsche. Dann schickte Weiß alias Henk fünf wildfremden Leuten eine Kontaktanfrage – deren einzige Gemeinsamkeit war, dass sie ihr Profilfoto mit einem AfD-Logo unterlegt hatten. Ergebnis: "Alle fünf wollten sich mit mir anfreunden."
Es dauert nicht lange, bis die ersten Kontaktanfragen von Freunden der Unbekannten einlaufen, Henk bestätigt. Dann geht es Schlag auf Schlag: "Schon am ersten Tag bekommt er 72 Kontaktanfragen. Er ist sofort beliebt, er wird umarmt von einer Gemeinschaft. Jemand postet einen Strauß Blumen auf Matthias' Profil. Ein Mann, offenbar aktiv in einem AfD-Kreisverband, schickt eine Nachricht: 'Hallo und vielen Dank für deine Freundschaft. Ich bin total entsetzt über das, was hier in Deutschland jeden Tag passiert.'".
Nach einer Woche hat Henk/Weiß 238 Facebook-Freunde. Und die "stöbern ständig irgendwelche Nachrichten auf, schreiben etwas dazu und teilen den Link dann mit ihren Freunden. Teilen, kommentieren, teilen, kommentieren." Fast immer geht es dabei um Flüchtlinge, fast immer sehen sie die Bundesrepublik kurz vor dem Untergang. Und mehr noch als Migranten, so Henk, sind die sogenannten "Gutmenschen" das allgemeine Feindbild. Am rabiatesten geht es gegen Angela Merkel. "Matthias Weiß erfährt auch, dass die Muttersprache der Kanzlerin Hebräisch ist. Im Bund mit den Zionisten plant sie die Zerstörung unseres Landes durch die Flüchtlinge, mithilfe einer 'Migrationswaffe'. Als ich die Profilseiten derer anschaue, die so denken, schreien mir Fotos von Heinrich Himmler und SS-Soldaten entgegen. Nazis also. Definitiv. Dies sind nicht die AfD-Leute, mit denen ich anfing; aber ihre Kontakte oder Kontakte von Kontakten."
In seiner Reportage beschreibt Henk auch, wie die AfD die rechte Gegenöffentlichkeit füttert. Er besucht den Leiter der Facebook-Redaktion der Partei, einen freundlichen Herrn Anfang sechzig. Fast 300.000 "Freunde" hat die Partei auf Facebook, mehr als doppelt so viele wie etwa die CDU mit ihrer zwanzigfachen Zahl von Parteimitgliedern. Jeden Tag baut der AfD-Redakteur kleine Bildchen mit politischen Botschaften. Die Anhänger verbreiten sie dann zehntausendfach weiter
Vorbild Österreich: Die rechtspopulistische FPÖ verfügt längst über eigene Medien
Als Vorbild für rechtspopulistische Medienarbeit gilt die österreichische FPÖ. Sie hat in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe eigener Kommunikationskanäle aufgebaut, auf Berichte in etablierten Zeitungen oder Rundfunksendern ist sie immer weniger angewiesen. "Keine andere Partei in Österreich investiert so viel in die Produktion hochglänzender PR", sagt der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje. Über ihre Facebook-Profile erreiche die Partei Millionen von Leuten. Daneben gibt es den professionell produzierten Web-Sender FPÖ-TV oder die News-Plattform unzensuriert.at. "Das ist problematisch", sagt der Wiener Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell, "weil man an diesen Teil der Gesellschaft nicht mit anderen Informationen herankommt." Auch Politikberater Hillje sieht in der "digitalen Parallelrealität" eine Gefahr für die ganze Gesellschaft: Im politischen Streit und in Wahlkämpfen "sollte es um die besten Konzepte im Umgang mit der Realität gehen." Wenn aber eine Gesellschaft in unterschiedliche Teilöffentlichkeiten zerfalle, die gar kein gemeinsames Bild von der Realität und den tatsächlichen Problemen mehr habe, "dann drohen demokratische Gesellschaften diskursunfähig zu werden."
Und wie endete der Facebook-Selbstversuch des ZEIT-Redakteurs Malte Henk? Nach sechs Wochen hatte er als Matthias Weiß bereits knapp 700 "Freunde". Henk bezeichnet sich selbst als linksliberal und Anhänger der Merkelschen Flüchtlingspolitik – aber selbst bei ihm und seiner Weltsicht habe das "Facebook von rechts" tiefe Spuren hinterlassen. "Ich konnte zu jeder beliebigen Zeit auf meine Seite gehen und sah neue Meldungen über gewaltsame Übergriffe durch Flüchtlinge." Dies seien keine Lügenmeldungen gewesen, wie er anfangs dachte, sondern tatsächlich wahr – aber doch gezielt aus den Millionen der täglichen Nachrichten zusammengesucht und so in ihrer Bedeutung verstärkt.
"Wo viele Millionen Menschen zusammenleben, kann man für fast jede Verallgemeinerung Belege finden, man muss nur lange genug suchen", machte sich Henk den psychologischen Mechanismus klar. "Vorstellbar wäre ein Freundeskreis, der Beweise für die Gewalt von Wanderern gegen Mountainbiker zusammenträgt. Oder von Putzfrauen gegen Haustiere. Sechs Wochen volle Dosis auf Facebook, und ich wäre in großer Sorge um die deutsche Hauskatze und hätte einen Hass auf Putzfrauen. So sind es jetzt die Flüchtlinge." Dennoch stellte Henk an sich eine besorgniserregende Entwicklung fest: "Obwohl ich wusste, dass ich Opfer einer selektiven Wahrnehmung war, begann ich mich zu fragen, ob diese Fremden vielleicht doch gefährlich sind. Und wie es wohl wäre, wenn die Freunde von Matthias Weiß auf Dauer meine einzige Nachrichtenquelle bleiben würden."