Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Toralf Staud: "Soll man mit Neonazis reden?" | Rechtsextremismus | bpb.de

Rechtsextremismus Was ist Rechtsextremismus? Rassismus Was ist eigentlich Rassismus? Rassen? Gibt's doch gar nicht! Warum ist es so schwer, von Rassismus zu sprechen? Alltagsrassismus Rassentheorien und Rassismus in Asien im 19. und 20. Jahrhundert Infografik Rassismus Verschwörungstheorien Jüdische Weltverschwörung, UFOs und das NSU-Phantom Die Reichsideologie Die Protokolle der Weisen von Zion Debatte: Extremismustheorie Der Extremismusbegriff Kritische Anmerkungen zum Extremismuskonzept Weiterführende Literatur Ideologie Rechtsextreme Einstellungen Zur Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland Was denkt die NPD? Rechtsextremismus: die internationale Debatte Intellektueller Rechtsextremismus Muslimfeindlichkeit Islamfeindlichkeit, Islamophobie, Islamkritik Interview Hafez Muslimfeindlichkeit als rechtsextremes Einfallstor Virtuelle Kreuzritter Konkurrenz der Leidtragenden Quellentext: Islamfeindlichkeit und Antisemitismus ähneln einander Antisemitismus Antisemitismus heute Interview mit Marina Chernivsky Antisemitismuskritische Bildungsarbeit Die AfD und der Antisemitismus Verbreitung des Antisemitismus in Deutschland Ungezählte Opfer Ursachen und Prävention des Rechtsextremismus Wie organisieren sich Rechtsextreme? Internationale Netzwerke Die Eurasierbewegung und die Neue Rechte Die APF: Europas rechtsextremer Rand Rechtsextreme US-Szene Wie Russland den rechten Rand in Europa inspiriert Globalisierte Anti-Globalisten Die Identitären Neonazis in Russland Hammerskins Kampfsport, Runen, Rassenhass Rechtsextremistische Parteien in Europa Rechtsextremismus in Russland (Miss-)Erfolge der „Identitären“ NPD Mehr als 50 Jahre rechtsextrem Das Parteiprogramm der NPD Frauen in der NPD Radikal besorgte Bürger Wer wählt eigentlich rechtsextrem? NPD-Taktiken Das Potenzial der NPD NPD-Verbot und Parteienfinanzierung Autonome Nationalisten Turnschuhe statt Springerstiefel "Dortmund ist unsere Stadt" Aussteigerinterview Webtalk: Autonome Nationalisten Rechtsextreme Parteien in Europa Rechtsextreme Akteure in Deutschland Rechtsextreme Szenen und Medien Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft Interview mit Eberhard Seibel Heimatliebe, Nationalstolz und Rassismus Graue Wölfe Nationalismus und Autoritarismus auf Türkisch Antisemitismus bei Muslimen Russlanddeutsche GMF bei Polnischstämmigen Debatte: "Deutschenfeindlichkeit" Jugendkulturen Runen gestern, heute, morgen Jugendkulturen im Wandel Codes der rechtsextremen Szene Interview mit Christoph Schulze Tipps für Jugendeinrichtungen Burschenschaften Kameradschaften Neonazis hinter weißen Masken Kameradschaften im Visier Einführung Jugendkultur Kampfsport Was liest der rechte Rand? Geschichte der rechtsextremen Presse Gegenöffentlichkeit von rechtsaußen Der rechte Rand: Verlage Der rechte Rand: Publikationen Audio-Slideshow Männer Männliche Überlegenheitsvorstellungen Homosexualität Rechtsextreme Männerbilder Soldatische Männlichkeit Burschenschafter Autoritär-rechte Männlichkeiten Musik Die neonazistische Musik-Szene Neue Töne von Rechtsaußen Rechtsrock für's Vaterland Rechtsrock: Millionen mit Hass Verklausulierte Volksverhetzung Interview mit David Begrich Elf rechte Bands im Überblick Frauen Auf die sanfte Tour Feminismus von rechts Rechte Aktivistinnen Frauen in der NPD Rechtsradikale Frauen Rechtsextrem orientierte Frauen und Mädchen Frauen im rechtsextremen Spektrum Aussteigerinnen Nazis im Netz Roots Germania Rechtsextremismus im Internet Das braune Netz Neonazis im Web 2.0 Zocken am rechten Rand TikTok und Rechtsextremismus Das Internet als rechtsextreme Erfolgsgeschichte? Rechtsextremismus und Presse Interview mit Ulrich Wolf Der NSU und die Medienberichterstattung Umgang mit Leserkommentaren Ein kurzer Ratgeber für Journalisten Krimi gegen Rechts Tonangebende rechtsextreme Printmedien Wenn Neonazis Kinder kriegen Die nächste Generation Hass Umgang mit Kindern von Neonazis Eine Mutter und ihre Kinder steigen aus "Mein Kampf" "Wir wollen den Zünder ausbauen" Helfen Gesetze gegen "Mein Kampf"? Gemeinfrei: "Mein Kampf" Hitlers "Mein Kampf" – ein unterschätztes Buch Rechtsextreme Kampagnen-Themen "Gender" und "Genderwahn" Ökologie Grüne Braune Wie grün waren die Nazis? Interview mit Elisabeth Siebert Debatte: Kommunale Flüchtlingspolitik Nach Köln Flüchtlingsunterkünfte Interview mit Oliver Malchow Was kommunale Flüchtlingspolitik leisten kann – und muss Deutsche Asylpolitik, europäischer Kontext Wer erhält welches Asyl? "Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, aber …" – Ein Faktencheck Anstoß in der Kreisklasse Handlungsspielraum der Kommunen Meinung: Die Probleme waren schon vor den Flüchtlingen da Meinung: Kommunale Flüchtlingspolitik aus der Sicht des Bundes Meinung: Probleme und Lösungswege in der kommunalen Flüchtlingspolitik Meinung: Flüchtlingsarbeit in den Kommunen – Eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft TwitterChat: Kommunale Flüchtlingspolitik Fußball Judenhass im Fußball Film: Rechtsextremismus und Diskriminierung in deutschen Fußballstadien Interaktiver Webtalk: Über den rechten Flügel – Neonazis und Fußball Fußball und Rechtsextremismus Interaktive Grafik: Rechtsextreme Vorfälle in Fußballstadien Angriff von rechtsaußen Rechtsextreme BVB-Fans Audio-Interview: Martin Endemann über Rassismus im deutschen Fußball Audio: Ronny Blaschke über rechte Fangesänge im Stadion Vereine und Verbände Extrem rechte Fußballfans und die Nationalmannschaft des DFB Die Erzählung vom ‘großen Austausch’ Krisen, Unsicherheit und (extrem) rechte Einstellungen Grauzonen Die "Neue Rechte" Interview mit Maren Brandenburger Der rechte Rand des politischen Systems der Bundesrepublik Die völkische Bewegung Die Junge Freiheit Das Institut für Staatspolitik Völkische Jugendbünde Die "Neue Rechte" in der Bundesrepublik Querdenken und Verschwörungserzählungen in Zeiten der Pandemie Rechtsextreme Esoterik Rechtsextreme Diskursstrategien Rechtsextreme Gewalt Rechtsextreme Gewalt Angriff auf die Lokalpolitik Rechtsterrorismus Der Einzeltäter im Terrorismus Der Weg zum NSU-Urteil NSU-Verfahren Storify des Chats zu #3JahreNSUprozess Der Anschlag auf Henriette Reker Video: Die migrantische Community und der NSU Der NSU-Untersuchungsausschuss Protokolle NSU-Ausschuss Chat: NSU-Untersuchungsausschuss Interaktive Grafik: Die Taten des NSU Der NSU Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) Die rechtsextreme Szene und der NSU Der Rechtsterrorismus im Verborgenen Chronik des Rechtsterrorismus Rechtsterrorismus in Europa PMK – Methoden und Debatten PMK – Statistiken Opfergruppen und Feindbilder Wo Demokraten gefährlich leben Die Geschichte des Orazio Giamblanco Wohnungslose Menschen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Was ist Sozialdarwinismus? Wer sind die Opfer? Ausstieg Warum und wie aussteigen? Debatte über echten Ausstieg Interview mit Aussteiger Rochow Pädagogische Arbeitsfelder Netzwerke in Norddeutschland Gewalt gegen Geflüchtete Unvollständige Erinnerung Umgang mit Rechtsextremismus Debatte: Soll man mit Neonazis reden? Toralf Staud: Soll man mit Neonazis reden? Cornelius Weiss: Argumentieren auf allen Ebenen Grit Hanneforth: keine Nazis auf Veranstaltungen Stefan Niggemeier: Ablehnung begründen Andreas Hechler: Entscheidend ist der Kontext Klaus-Peter Hufer: Argumente wirken Simone Rafael: Rassismus widersprechen Initiativen und Zivilgesellschaft Debatte: Was tun bei einem rechtsextremen Aufmarsch? Der rechtsextreme "Kampf um die Straße" Wolfgang Thierse: Wir müssen den öffentlichen Raum gegen die Besetzung durch Rechtsextreme verteidigen Hans-Ernst Böttcher: Man muss nur das Recht anwenden … wollen! Anna Spangenberg: Erfolgreich rechtsextreme Aufmärsche verhindern Herbert Trimbach: Versammlungsfreiheit ist ein Menschenrecht Politische Konzepte Wie sag ich Dass Auschwitz sich nie wiederhole... Denkanstöße aus dem Kanzleramt Bildung, Bildung, Bildung NPD trockenlegen? Wie kann Aussteigern geholfen werden? Interview MVP Forderungen von Projekten an die Politik HDJ-Verbot Strategien im Umgang mit der NPD in Parlamenten Noch mehr Vorschläge Schule Hakenkreuze an der Tafel Interview Reinhard Koch Analyse Albert Scherr Aufsatz Scherr / Schäuble Schülerzeitung Martinshorn Neonazis auf SchülerVZ Studie Uni-Seminar Was können Schülerinnen und Schüler tun? Antidemokratische Positionen und Einstellungen in Schulen Strategien Offener Brief an einen Oberbürgermeister Wie man Hakenkreuze kreativ entschärfen kann Gewalt vermeiden, aber wie? Parolen parieren! Was tun als Opfer rechter Gewalt? Engagement – lohnt das denn? Guter Rat, wenn Nazis stören Rezepte gegen Rechtsextremismus Argumente gegen rechte Vorurteile Vom Hass verabschieden Marke gegen Rechtsextremismus Und Du? Podcasts und Audios Glossar und FAQs Videos und Bilderstrecken Angaben zur Redaktion

Toralf Staud: "Soll man mit Neonazis reden?"

Toralf Staud

/ 7 Minuten zu lesen

Bei kaum einer Frage ist die Unsicherheit und Uneinigkeit unter Demokraten so groß wie bei dieser. Bei der Antwort stehen sie vor einem grundsätzlichen Dilemma – und egal wie sie sich entscheiden, immer scheinen die Rechtsextremen profitieren zu können.

Rund 500 Menschen demonstrieren am 08.12.2014 in Kassel gegen eine Kundgebung von KAGIDA (Kassel gegen die Islamisierung des Abendlandes). (© picture-alliance/dpa)

Der Abend der sächsischen Landtagswahl am 19. September 2004, das Wahlstudio des ZDF in Dresden, kurz nach 19 Uhr: Wie es Tradition ist, haben sich für die Nachrichtensendung heute um einen Stehtisch die Spitzenkandidaten jener Parteien versammelt, die den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft haben. Das Besondere des Abends: Neben CDU, PDS, SPD, FDP und Grünen ist dies – erstmals seit 1969 – auch der NPD gelungen. Nach den anderen Parteivertretern richtet die Moderatorin Bettina Schausten schließlich eine Frage an den NPD-Vertreter, und sie ist ziemlich konfrontativ: "Wann sagen Sie den Wählern, die Sie hier gewählt haben, dass Sie eigentlich Neonazis sind?" Holger Apfel antwortet nicht darauf, sondern versucht, ein offenbar vorbereitetes Statement loszuwerden: "Heute ist ein großartiger Tag für alle Deutschen, die noch Deutsche sein wollen. Es ist die verdiente Quittung für eine immer asozialere Sozialpolitik, für eine asoziale Wirtschaftspolitik und …" In dem Moment verlassen die Politiker der demokratischen Parteien das Studio. Die Moderatorin bricht daraufhin das Interview ab, zieht dem NPD-Mann das Mikrofon weg. Apfel aber redet weiter, für die Zuschauer sind noch Wortfetzen zu verstehen. Schausten herrscht ihn an: "Bitte seien Sie still, bitte seien Sie still" - dann wird das Bild ausgeblendet.

Mehr als ein Jahrzehnt ist seit diesem Abend vergangen, aber kaum eine Szene bringt die Schwierigkeiten bei Gesprächen mit Rechtsextremen so klar auf den Punkt. Soll man mit Rechtsextremen reden? Und wenn ja, wie? Oder falls nein, warum nicht? An jenem Wahlabend im Jahr 2004 entschieden sich die Politiker für die Kommunikationsverweigerung und verließen demonstrativ den Stehtisch. Die Journalistin hingegen versuchte ein Gespräch, das ihr aber schnell entglitt. Alle sahen schlecht aus – außer Holger Apfel, der herüberkam als jemand, der unfair und unfreundlich behandelt wird.

Immer wieder stehen Demokraten vor der Frage, ob sie mit Rechtsextremen reden sollen: Journalistinnen und Politiker ebenso wie Lehrerinnen und Sozialarbeiter – oder auch jeder Durchschnittsbürger, wenn er oder sie sich in einem Internetforum oder beim Gespräch am Gartenzaun plötzlich rechtsextremen Positionen gegenübersieht. In unregelmäßigen Abständen wird die Frage auch in der breiten Öffentlichkeit debattiert, etwa 2014/15 parallel zum Anwachsen der Pegida-Demonstrationen: Während die meisten Politiker Gespräche mit deren Teilnehmern ablehnten, signalisierte beispielsweise der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) Dialogbereitschaft, der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nahm gar an einer Diskussion mit Pegida-Vertretern teil – beide wurden dafür scharf kritisiert.

Bei der Entscheidung für oder gegen Gespräche stehen Demokraten vor einem grundsätzlichen Dilemma: Zu den Prinzipien eines demokratischen Umgangs gehört, dass man miteinander redet und etwaige Konflikte verbal austrägt. Daher wirkt es auf den ersten Blick durchaus legitim, wenn Rechtsextreme fordern, dass auch mit ihnen geredet wird – sei es in Radio- oder Fernsehsendungen, bei Bürgerversammlungen, bei Podiumsdiskussionen im Vorfeld von Kommunalwahlen und so weiter. Wird Rechtsextremen die Teilnahme verweigert, stellen sie sich häufig als Märtyrer dar und behaupten kurzschlüssig: Wer nicht mit uns redet, ist kein Demokrat.

Ja ... Das Spektrum der Antworten von Demokraten auf die Gesprächsforderungen von Rechtsextremen ist sehr breit. Am einen Ende steht die Position (oft vertreten von Sozialarbeitern oder auch Theologen), selbst der schlimmste Neonazi sei immer noch Mensch – und man müsse als Demokrat und Humanist mit allen Menschen reden. "Wo immer die Hoffnung besteht, mit vertretbarem Aufwand Menschen für die demokratische Gesellschaft zurückzugewinnen, muss dieser Versuch unternommen werden", schrieb beispielsweise vor einigen Jahren der SPD-Politiker Matthias Brodkorb. (Wobei aber auch er nicht dafür plädierte, immer und überall und mit jedem Rechtsextremen zu reden.)

oder ... Kritiker halten dieser Position entgegen, dass durch – vor allem öffentliche – Gespräche die Rechtsextremen und ihre Positionen aufgewertet würden, dass sie eine Bühne bekämen. Dass allein durch den Beginn eines Gesprächs ihren Aussagen ein gewisses Verständnis und eine gewisse Legitimität entgegengebracht werde. Nicht zuletzt bestehe die Gefahr, dass schon das Zulassen von Rechtsextremen zu Gesprächen eine Reihe anderer Menschen von genau diesen Gesprächen ausschlösse – weil die sich durch die Präsenz Rechtsextremer bedroht fühlten. Schließe man Neonazis nicht von Veranstaltungen aus, Interner Link: schreibt beispielsweise Grit Hanneforth vom Kulturbüro Sachsen in ihrem Beitrag zu dieser Debatte, nehme man "damit in Kauf, dass Perspektiven von Menschen, die potenziell von rassistischer Gewalt betroffen sind, die sich klar pro Demokratie, Menschenrechte und Asyl positionieren und dafür engagieren und damit zum 'Feindbild' von Neonazis gehören – dass diese Menschen in der Diskussion fehlen."

nein ... Am anderen Ende des Meinungsspektrums steht die strikte Ablehnung von Gesprächen mit Neonazis. Ein Ausschluss von Rechtsextremen sei nicht undemokratisch, betont beispielsweise die Berliner Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) in einer Handreichung. Ein Ausschluss solle aber stets inhaltlich begründet werden, nämlich damit, dass Rechtsextreme die Grundbedingungen eines demokratischen Diskurses (die Gleichberechtigung aller Menschen) ablehnen.

Auf die Spitze getrieben wurde die Gesprächsverweigerung vom Satiriker Wiglaf Droste. "Muss man an jeder Mülltonne schnuppern?", polemisierte er vor mehr als zwanzig Jahren in einem Artikel. Was Neonazis denken oder wie es ihnen gehe, interessiere ihn nicht im Geringsten. "Ob sie hungern, frieren, bettnässen, schlecht träumen usw. geht mich nichts an. Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins: daß man sie hindert, das zu tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht hindert – die bedrohen und nach Möglichkeit umbringen, die nicht in ihre Zigarettenschachtelwelt passen."

Doch auch die Gesprächsverweigerer müssen sich mit dem Paradox auseinandersetzen, dass bereits die Ablehnung von Gesprächen dem Abgelehnten Aufmerksamkeit verschaffen kann. Dies geschah beispielsweise im Frühjahr 2016 im Vorfeld der Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, als über die Teilnahme von Vertretern der rechtspopulistischen AfD an Fernsehdiskussionen gestritten wurde.

Ja, aber ... Die meisten Antworten auf die eingangs gestellte Frage nehmen Positionen zwischen einem eindeutigen Ja oder Nein ein – so auch die Beiträge in dieser Debatte. Sie differenzieren (Interner Link: wie etwa der Bildungsforscher Klaus-Peter Hufer) bei der Entscheidung für oder gegen ein Gespräch, ob es sich bei dem Rechtsextremen um einen harten Holocaust-Leugner handelt oder um einen Führungskader einer rechtsextremen Organisation, ob er ein sogenannter Mitläufer ist oder lediglich loser Sympathisant. Sozialarbeiter verweisen häufig darauf, dass man unterscheiden müsse zwischen politischen Gesprächen und persönlichen; und dass man zugleich politisch klar widersprechen, aber trotzdem für die Sorgen, Wünsche und Hoffnungen rechtsextremer Jugendlicher ein offenes Ohr haben könne – ja sogar müsse, weil dies ein großer Teil dessen sei, was die sogenannte "Kameradschaft" in der Szene ausmache und man sie nur durch kommunikative Gegenangebote dort herauslösen könne.

Für die Entscheidung Pro oder Contra ist zudem wichtig, in welcher Situation man sich befindet: Private und persönliche Gespräche werden anders beurteilt als eine Kommunikation vor Publikum, etwa in einer Bürgerversammlung oder in einer Talkshow. In Internetforen (siehe speziell hierzu den Interner Link: Beitrag von Simone Rafael) sollte man sicherlich anders reagieren als in der Sitzung eines Gemeinderats oder eines Landtags. Beispielsweise kann man dort selbst dem härtesten Rassisten, wenn er ein Mandat errungen hat, das parlamentarische Rederecht nicht verweigern – aber es gibt für Demokraten eine Vielzahl von Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Seine Erfahrungen aus dem Umgang mit der NPD im Sächsischen Landtag nach 2004 Interner Link: beschreibt in dieser Debatte der damalige SPD-Fraktionschef Cornelius Weiss. Und wie man als Journalist mit Rechtsextremen umgehen sollte (oder auch nicht), behandelt Interner Link: der Beitrag von Stefan Niggemeier.

Ein paar Worte zur "Wortergreifungsstrategie" der NPD Rechtsextreme selbst jedenfalls beantworten die Frage klar: Sie wollen, dass mit ihnen geredet wird. So fordert die NPD ihre Mitglieder und Anhänger explizit dazu auf, Demokraten zu Gesprächen zu nötigen, beispielsweise offensiv auf öffentlichen Veranstaltungen anderer Parteien aufzutreten. "Drängen wir ihnen unsere Gedanken auf, ja, zwingen wir sie dazu, sich mit uns, unseren Forderungen und Zielsetzungen zu beschäftigen", erklärte der damalige NPD-Vorsitzende Udo Voigt 2004 in einer Parteitagsrede den Zweck der sogenannten "Wortergreifungsstrategie". Es geht darum, in öffentlichen Veranstaltungen die Themen zu setzen und Raum einzunehmen.

Das Kalkül dabei ist klar: Wenn man sie zu Gesprächen zulässt, können Rechtsextreme ihre Positionen in die Debatten einspeisen – und sie wirken schnell als legitimer Teil des demokratischen Meinungsspektrums. Dabei sind Demokraten in öffentlichen Diskussionsveranstaltungen strukturell im Nachteil, Interner Link: warnt der politische Bildungsreferent Andreas Hechler: "Das sattsam bekannte Parolenspringen kann man nur verlieren." Soll heißen: Die oft kurzen, zugespitzten, demagogischen Aussagen von Rechtsextremen können meist nur durch komplexe und komplizierte Antworten widerlegt werden – was in öffentlichen Veranstaltungen mit begrenzter Zeit und Publikumsaufmerksamkeit schwierig ist.

Die NPD-Nachwuchsorganisation Junge Nationaldemokraten ließ 2006 in einem Grundsatzbeschluss ein weiteres Ziel der "Wortergreifung" aufschimmern: "In der direkten Konfrontation mit dem Gegner soll dieser nicht mehr in der Lage sein über Nationalisten, sondern nur noch mit ihnen zu diskutieren." Im Klartext: Durch die eigene Teilnahme will man konstruktive Gespräche über Strategien gegen Rechtsextremismus unmöglich machen. Bei einer Entscheidung für oder gegen das Reden mit Neonazis sollte man dies daher immer im Hinterkopf haben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. vgl. u.a.: http://www.zeit.de/2004/40/Medien_2fRradikale, http://www.bildblog.de/195/die-geister-die-sie-riefen/, http://www.focus.de/politik/deutschland/npd-eklat-im-zdf_aid_86703.html, http://www.zdf-jahrbuch.de/2004/programmarbeit/schausten.htm

  2. stellvertretend für die damalige Debatte http://www.spiegel.de/politik/deutschland/pegida-mit-pegida-reden-ja-nein-vielleicht-a-1013943.html, http://www.sueddeutsche.de/politik/debatte-in-der-spd-sigmar-gabriel-irritiert-mit-pegida-dialog-1.2319610, http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-01/pegida-dialog-gefuehlspolitik-essay, http://www.n-tv.de/politik/Staatssekretaer-trifft-sich-mit-Pegida-article14665501.html, http://www.ndr.de/info/sendungen/kommentare/Dialog-mit-Pegida-Anhaengern-ist-sinnlos,pegida384.html

  3. vgl. http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2008/02/15/darf-man-eigentlich-mit-rechtsextremisten-reden-man-muss_236

  4. http://www.mbr-berlin.de/materialien/publikationen-handreichungen/wir-lassen-uns-das-wort-nicht-nehmen/

  5. Drostes Polemik erschien in der Ausgabe Nr. 3 (Winter 1993/94) der linksradikalen Zeitschrift Arranca! und findet bis heute ein großes Echo, zum Beispiel in Internet-Blogs und Sozialen Netzwerken: http://rivva.de/252063972

  6. vgl. z.B. http://www.sueddeutsche.de/politik/tv-debatten-tv-boykott-ist-ein-geschenk-fuer-die-afd-1.2828874, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-in-der-elefantenrunde-ausblenden-hilft-nicht-kommentar-a-1073226.html, Pro&Contra in der tageszeitung http://www.taz.de/!5270735/ oder der ZEIT http://www.zeit.de/2016/05/afd-landtagswahl-tv-debatte-dialog-pro, http://www.zeit.de/2016/05/afd-landtagswahl-tv-debatte-dialog-contra

  7. zit. nach: Jahresbericht 2004 des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz, S. 177

  8. zit. nach: http://www.netz-gegen-nazis.de/lexikontext/mit-gewalt-zur-diskussion-die-wortergreifungsstrategie

  9. Weitere Hintergründe zur „Wortergreifungsstrategie“ in einer Handreichung des Kulturbüros Sachsen: http://kulturbuero-sachsen.de/index.php/dokumente/handreichungen.html?download=27:wortergreifungsstrategien

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Toralf Staud für bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE und des/der Autors/-in teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

Toralf Staud war von 1998 bis 2005 Politikredakteur der ZEIT, heute schreibt er als freier Autor unter anderem über Rechtsextremismus. Zwei seiner Bücher erschienen auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Er war 2010 und 2013 an den Recherchen von ZEIT und Tagesspiegel zu Todesopfern rechter Gewalt beteiligt. Zuletzt veröffentlichte er bei Kiepenheuer&Witsch: Neue Nazis. Jenseits der NPD – Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts.