Kleine Kommunen und Gemeinden und mit ihnen ihre Landräte, Oberbürgermeister, Bürgermeister, Stadträte und Gemeinderäte, vor allen Dingen in Ostsachsen und dort im ländlichen Raum und in Kleinstädten, sind vor eine große Herausforderung gestellt. Die Häufung der Krisen in der Welt, Bürgerkriege, Kriege und Hunger treiben immer mehr Flüchtlinge und Asylbewerber nach Deutschland. Verteilt werden diese Flüchtlinge durch einen Einwohnerschlüssel. Verantwortliche Politiker und Vorsteher von Verwaltungen sehen sich einer Flut von neuen Herausforderungen ausgesetzt. Sie müssen sich unter anderem mit diffusen Ängsten in der Bevölkerung vor Überfremdung auseinandersetzen, die zum einen auf subjektiver Wahrnehmung beruhen oder durch demografische Entwicklung bedingt sind. Diese Aufgaben hatten sie zum Zeitpunkt ihrer Wahl in ihrer Verantwortung meistens nicht "auf dem Schirm". Versetzen wir uns kurz in die Situation eines Bürgermeisters einer Kleinstadt in der Oberlausitz.
Er bekommt Flüchtlinge zugewiesen und hat die Pflicht, diese Flüchtlinge unterzubringen bzw. einem Ort zuzuteilen. Er hat die Entscheidung zwischen zentraler und dezentraler Unterbringung. Dabei ist er der Diskussion im Gemeinderat ausgesetzt, muss Geld aufbringen und Geld beantragen und muss geeignete Unterkünfte, Wohnungen und Häuser in seiner Gemeinde finden.
Er ist Bürgerinitiativen ausgesetzt, die aus Angst oder aus fremdenfeindlicher Ablehnung gegen diese Unterbringung demonstrieren und sich organisieren. Diese Bürgerinitiativen reichen oft von besorgten Mitbürgern, Eltern und Anwohnern bis hin zu rechtsextremen oder rechtspopulistischen Parteien und Kameradschaften. Rechtsextreme Strukturen nutzen diese Entwicklung und treten als Organisatoren offen oder verdeckt in Erscheinung. Nicht selten gehen von ihnen Drohungen aus, und die Präsenz auf der Straße erzeugt einen hohen Druck auf den Bürgermeister.
Dem gegenüber stehen sehr oft flüchtlingsfreundliche Bürgerinitiativen und Organisationen wie pro Asyl, Willkommensinitiativen, die Patenschaften für Flüchtlinge übernehmen, sich für sie einsetzen und Asylbewerber in den Heimen unterstützen.
Dies geht einher mit gefühlter oder tatsächlicher Gefährdung des sozialen Friedens im Ort.
Diese ganze Situation, dieser gesamte Vorgang wird begleitet von der Presse, im positiven, wie im negativen Sinne. Ein Bürgermeister, ein Verantwortungsträger, hat die Aufgabe, sich mit der Presse auseinanderzusetzen, muss Fragen beantworten, die eine immense Wichtigkeit für ihn als Bürgermeister, vor allem aber für seine Kommune und das Image der Kommune haben.
Beeinflusst wird der Bürgermeister von Fachleuten, von der Polizei, von Staatsschutz, Verfassungsschutz oder von Ausländerbeauftragten.
Dieser gesamten Gemengelage ist ein Bürgermeister in den meisten Fällen nicht gewachsen. In vielen kleinen Gemeinden, in Dörfern wie auch in Kleinstädten, ist es nicht einfach, Menschen zu finden, die bereit sind, ehren- oder hauptamtlich die Verantwortung für die Kommunalverwaltung zu übernehmen. Bürgermeister und Ortsvorsteher kommen oft aus den Strukturen des Gemeinwesens vor Ort. Sie finden ihre Wähler und Anhängerschaft oftmals in den Reihen ihres ehrenamtlichen Engagements, bei der Feuerwehr, in Faschingsvereinen, in Bürgerinitiativen, in Heimatvereinen und im Sport.
Die Themenbereiche, die nun anstehen, die zusätzlichen Aufgaben, der mediale und bürgerliche Druck, der Umgang mit Menschen aus allen Teilen der Welt, standen nicht auf ihrer Agenda. Ihnen fehlen oft Erfahrung und Ausbildung in diesen Bereichen, Wissen über Flucht und Flüchtlinge, demokratisches Selbstverständnis und Wissen um hilfreiche Angebote und Möglichkeiten. Dringend ist es hier geboten, die Verantwortlichen in die Lage zu versetzen, sich diesen Problemen stellen zu können.
Situation vor Ort
Wie ist die Situation vor Ort? Exemplarisch soll hier die Situation in Löbau in der Oberlausitz skizziert werden. Löbau ist eine Stadt mit sinkenden Einwohnerzahlen, in den letzten 15 Jahren schrumpfte die Gemeinde von 20.000 auf 13.000 Einwohner. Dabei ziehen vor allen Dingen fitte, bewegliche und gut ausgebildete, meistens weibliche Personen weg. Dementsprechend wächst prozentual der Anteil der männlichen Personen mit eher bildungsfernem Hintergrund, die Überalterung in den Orten nimmt zu,
Ich gehe nach 18 Uhr in die Stadt und treffe kaum noch einen Menschen, Senioren und Ältere sind tagsüber auf dem Markt und beleben den Ort, ziehen sich dann aber in den Abendstunden zurück. Öffentliche Räume wie Parkanlagen, Plätze, Haltestellen, Bahnhöfe und Märkte sind leer und wirken verlassen. Nun kommen die Menschen aus den Flüchtlingsheimen, aber auch aus den Wohnungen der dezentralen Unterbringung in die Stadt. Sie versuchen ihr neues Umfeld zu erkunden. Sie versuchen, den Ort kennen zu lernen und sich zu orientieren. Dabei kommen sie natürlich durch die Orte, treffen sich in der Sonne, auf Parkbänken und freuen sich über Wiesen, die sie in den Parks finden. Dadurch entsteht die Wahrnehmung, dass die Gäste bzw. "die Fremden" den Heimatort besetzen oder in Beschlag nehmen. Dazu kommt ein unsicherer Umgang mit diesen Menschen, da wir als Bürger oft nicht in der Lage sind, ihre Sprache zu sprechen. Oder es treten kulturelle Unterschiede derart offensichtlich zu Tage, dass das Trennende eher im Mittelpunkt steht als das Verbindende oder Helfende.
Player und Handlungsoptionen auf kommunaler Ebene
Es stellt sich die Frage, was zu tun ist, um den Flüchtlingen, den Asylbewerbern, den Menschen, die vor Krieg und Elend fliehen, aber auch den Bürgern und Bewohnern vor Ort zur Seite zu stehen, um die Situation so zu gestalten, dass alle Menschen einbezogen sind und sich verstanden fühlen. Dazu bedarf es dringend eines Austauschs zwischen Bürgern und Verwaltung, zwischen Verantwortungsträgern und Spezialisten, um von vornherein Missverständnissen, Gerüchten und Verschwörungstheorien aus dem Wege zu gehen.
Verantwortungsträger und Verwaltungen müssen in rechtlichen Fragen und in Fragen von Strategie und Methodik im Umgang mit der Problematik geschult und ausgebildet werden. Der Druck, der auf diesen Verantwortungsträgern lastet, ist eine zusätzliche Aufgabe, und es ist davon auszugehen, dass nur wenige Ortschaftsräte, Gemeinderäte oder Stadträte freiwillig zu einer solchen Weiterbildung gehen werden. Das kann sowohl an der eigenen Unsicherheit als auch in manchen Fällen an mangelnder Beratungsbereitschaft liegen. Doch wir müssen Wege finden, Verantwortungsträger an den Schlüsselstellen zu motivieren, so dass sie an Schulungen und Weiterbildungen teilnehmen (wollen). Nur so lässt sich verhindern, dass fehlende Erfahrung und fehlende Methodenkenntnisse sich negativ auf den Prozess auswirken.
Denn es ist die Aufgabe der Bürgermeister und Verwaltungen, die Rahmenbedingungen zu stellen und ein Partizipationsklima zu schaffen. Sie müssen in dieser Situation zum Beispiel darüber aufklären und informieren, welche Ansprechpartner für welche Belange zur Verfügung stehen und welche Netzwerke es auf staatlicher und nichtstaatlicher Ebene gibt, an die sich informationsbedürftige Bürger wenden können. Auch sollten Verwaltungen und Bürgermeister sich Unterstützung holen und sich mit anderen Kommunen in gleicher oder ähnlicher Situation vernetzen und austauschen. Falsche Eitelkeiten und die Angst davor, dem Image der eigenen Stadt zu schaden, dürfen hier nicht im Wege stehen. Nicht zuletzt obliegt es der Kommunalverwaltung, die Öffentlichkeit stets auf dem Laufenden zu halten und den Prozess mit einer aktiven, positiven Öffentlichkeitsarbeit zu begleiten. Neben all diesen Aufgaben sollte sich die Verwaltung mit den anderen Beteiligten auf ein Handlungskonzept verständigt haben, so dass alle gemeinsam den gleichen Lösungsweg beschreiten.
Ganz wichtig ist es bei all diesen möglichen Maßnahmen, die zu initiieren wären, dass die Protagonisten vor Ort, sprich die Ratgeber für die Bürgermeister, Oberbürgermeister und die Landräte die Sprache der Menschen sprechen, die dort leben. Akademische Sprache oder unbekannte Dialekte bzw. Soziolekte bauen Barrieren auf, die einen einvernehmlichen Prozess behindern. Die Menschen vor Ort sind selten interessiert an wissenschaftlichen Abhandlungen oder an umfassenden Statistiken, sie sind selten am Wissen interessiert, dass es in anderen Ortschaften noch viel schlimmer ist als bei ihnen und sie mit ihrer Situation doch zufrieden sein könnten. Die Menschen vor Ort müssen ihre Sprache loswerden können, diese Sprache muss verstanden werden und wieder zurückgegeben werden. Das sind die einfachsten Regeln der Kommunikation, die leider in den letzten Monaten zu kurz gekommen sind. Denn Menschen, die nicht mitgenommen wurden, fühlen sich überfahren. Sie fühlen sich von einer, vermeintlich überheblichen, Politikerkaste in Situationen gebracht, in der sie selber das Heft des Handelns verloren haben.
Es ist daher dringend erforderlich, Bürger aus Initiativen, egal welcher Richtung, sofern sie nicht menschenverachtend, rassistisch oder neonazistisch sind, einzubinden. Es muss vor Ort Partizipationsmöglichkeiten geben, bei denen, durch gute Moderation und Methode, möglichst viele Menschen mitgenommen werden und offen gesprochen werden darf. Dies dürfen keine Alibiveranstaltungen sein, sondern sie müssen zu Wegen führen, zu Konzepten und Handlungsstrategien, an deren Ende Ziele stehen, die öffentlich zugänglich sind und an deren Entwicklung alle beteiligt waren.
Diese Partizipationsmöglichkeiten sollte es zu verschiedensten relevanten Themen vor Ort geben, zu Stadtgestaltung, zur Beteiligung von Vereinen, Verbänden und Initiativen. Bürgerbeteiligung sollte durchgängig zugelassen werden, und nicht nur, wenn der Druck so groß ist, dass man ihm nicht mehr ausweichen kann. Ganz wichtig ist es auch, für die Kommunikation mit den Menschen vor Ort Berater und Unterstützer einzubinden, die ebenfalls aus der Gegend, möglichst aus der Region, wenn nicht gar aus der gleichen Stadt stammen. Diese Menschen kennt man, zu ihnen kann man eine Verbindung aufbauen, es handelt sich bei ihnen nicht um „Außenstehende“, die von der Situation nicht betroffen sind und daher nicht wirklich mitreden können. Dies geht meiner Ansicht nach am allerbesten über die in den Kommunen verankerten gesellschaftlichen Systeme wie Sport, Feuerwehr, Kulturvereine, Heimatvereine, aber auch Jugendvereine etc.
Bürgerbeteiligung, das sei noch eingeworfen, setzt einen ehrlichen Umgang von Seiten der Stadtverwaltungen voraus. Bei wichtigen Fragen darf es kein Verstecken und Verschönern geben, die Dinge müssen direkt und ehrlich angesprochen werden. Sind es wirklich Familien aus Syrien, die kommen, oder sind es in der Mehrzahl junge Männer aus Nordafrika oder aus Serbien und dem Kosovo? Wie ist die Situation in den Heimen und um sie herum bezüglich Sauberkeit und Kriminalität? Wer ist verantwortlich? Wie viele Menschen kommen? Nur wer seinen Bürgern offen und ehrlich Rede und Antwort steht und ihnen nicht das Gefühl gibt, hintergangen worden zu sein, kann auf die Entwicklung einer Willkommenskultur vor Ort vertrauen.
Als ganz wichtig erachte ich, dass durch diese gemeinsame Arbeit, durch die Teilhabe, durch die demokratische Bildung der Verantwortungsträger und die methodische Sicherheit ein positives, gastfreundliches Heimatgefühl hergestellt werden kann. Eine Identifikation mit einer Region, mit seinem Ort, mit seinen Menschen, auf Grundlage einer menschenfreundlichen, gastfreundlichen Heimat.
All dies kommt den Menschen zugute, die hier bei uns Zuflucht suchen – den Flüchtlingen. Eine Kommune, die Verantwortung übernimmt und eine Willkommenskultur bietet, kümmert sich um diese Menschen. Sie klärt über deutsche Verwaltungen und Zuständigkeiten auf und über das demokratische System in Deutschland, im Bundesland und in den Ortschaften. Wer neu ist, kennt selten Sitten, Gebräuche und Religion in der jeweiligen Region. Unkenntnis ist aber nicht Unwille und schon gar keine Ignoranz. Es obliegt den Menschen vor Ort, ihre neuen Mitbewohner aufzuklären und sie mit den Gegebenheiten vor Ort bekannt zu machen.
Bekannt gemacht werden sollten die Neuankömmlinge auch mit ihrer neuen Umgebung – auf Wanderungen ins Umfeld beispielsweise oder auf Stadtführungen. Ich halte es auch für wichtig, sie mit Obrigkeiten wie zum Beispiel der Polizei bekannt zu machen und sie so mit der Vertrauenswürdigkeit und Rechtschaffenheit der demokratischen Kräfte in unserer Gesellschaft vertraut zu machen. Unerlässlich ist es, die Flüchtlinge beim Erlernen der deutschen Sprache zu unterstützen! Ohne eine gemeinsame Sprache können sie sich nicht integrieren, nicht teilhaben und nicht in die Beteiligungsprozesse vor Ort eingebunden werden.
Wir wollen uns nichts vormachen – weder die Flüchtlinge noch die kleinen oder größeren Gemeinden stehen vor einem einfachen und konfliktfreien Prozess, wenn es um die Aufnahme und die Integration der Geflüchteten geht. Und doch erscheinen viele Probleme, vor denen vor allem kleine Gemeinden heute stehen, unter den dargestellten Voraussetzungen lösbar. Am Ende dieses Prozesses helfen wir nicht nur den Menschen, die aus den Krisengebieten bei uns Hilfe suchen, sondern partizipieren als Kommune, als Gemeinwesen an sich.