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Schwule Nazis?! (Männliche) Homosexualität und Homosexuellenfeindlichkeit in der extremen Rechten | Rechtsextremismus | bpb.de

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Schwule Nazis?! (Männliche) Homosexualität und Homosexuellenfeindlichkeit in der extremen Rechten

Yves Müller

/ 8 Minuten zu lesen

Schwule gehören noch immer zu den beliebtesten Feindbildern von Neonazis. Und: Das Thema Homosexualität spaltet die rechtsextreme Szene. Neben offener Ablehnung und Homophobie gibt es auch Stimmen, die Neonazismus und Homosexualität für bedingt miteinander vereinbar halten.

Dezember 2013: Holger Apfel, der die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) mit "seriöser Radikalität" zum Erfolg führen wollte, tritt als Bundesvorsitzender zurück und aus der Partei aus, nachdem ihm vorgeworfen wird, sich einem "jungen Kameraden" unsittlich angenähert zu haben. Apfel weist die Vorwürfe als seine "Ehre" verletzend zurück, doch die Stigmatisierung als homosexuell bleibt in den Machtkämpfen der extremen Rechten eine starke Waffe, um Kontrahenten in den eigenen Reihen loszuwerden. Denn auch bei der "Homo-Affäre" um Apfel ging es um den parteiinternen Richtungsstreit bei der Frage der Spitzenkandidaten zur Europawahl 2014.

Schwule Nazis? Geht denn das? Dass es homosexuelle Männer geben könnte, die sich als politisch extrem rechts verorten, irritiert und fasziniert zugleich. Sind Neonazis heute und waren nicht schon die Nationalsozialisten damals eindeutige Homosexuellenfeinde? In der Tat ist das so: Homosexuellenfeindlichkeit ist eines der zentralen Ideologieelemente der extremen Rechten – und dennoch gibt es – wie überall in der Gesellschaft – selbstverständlich auch Neonazis, die mehr oder weniger offen homosexuell sind. Warum und wen aber das Phänomen "schwule Nazis" so sehr interessiert, lässt Rückschlüsse über die heteronormativ geprägten Männlichkeitsvorstellungen jener zu, die diese Frage stellen, aber auch auf gesellschaftliche Diskurse, die immer noch stark von starren Konzepten von Sexualität beeinflusst sind. Doch zuerst ein Blick in die extrem rechte Szene.

Homosexuellenfeindlichkeit in der extremen Rechten

Homosexualität gilt in Teilen der Gesellschaft bis heute als moralisch verwerflich. Auch wenn Homosexuellen auf den ersten Blick vielfach gleiche Rechte zugesprochen werden, ist der Vorwurf, sie würden die heterosexuelle Familie verdrängen, nicht passé. Das zeigt sich beispielsweise in den erstarkenden christlich-fundamentalistischen Strömungen und den Stuttgarter Protesten gegen "Gender-Ideologie" und die angebliche "Sexualisierung unserer Kinder per Bildungsplan". Besonders männliche Homosexuelle, aber auch Transsexuelle werden als Abweichung von der (eigenen) heterosexuellen Norm wahrgenommen. Sie stellen die starre Geschlechterordnung infrage und bedrohten tendenziell das vorgelebte Männlichkeitsideal. Schon die in der Homosexualität angelegte Möglichkeit, als Mann zum Objekt sexuellen Begehrens von Männern zu werden, widerspricht dem Anspruch männlicher Überlegenheit. In einer starren Geschlechterordnung wird Männlichkeit als relationale Kategorie betrachtet und bedeutet die Überlegenheit gegenüber Weiblichkeit und anderen Männlichkeiten. Raewyn Connell bezeichnet dieses Konzept als hegemoniale Männlichkeit. Sie dient der Aufrechterhaltung der gegebenen Geschlechterordnung sowie der Reproduktion anderer, ineinander greifender Machtrelationen - wie ethnische Zugehörigkeit, Klassenzugehörigkeit und sexuelle Orientierung. Daher kann es Connell zufolge keine hegemoniale Männlichkeit geben, die nicht homophob strukturiert ist. Hegemoniale Männlichkeit konstruiert daher den "verweiblichten", "unmännlichen" Mann, also den Homosexuellen als Anti-Typus.

So verwundert es nicht, dass die extreme Rechte in der Agitation gegen Homosexualität Schnittmengen zum Meinungsspektrum in der Gesellschaft entdeckt. Homosexuellenfeindlichkeit ist ein – oft vergessenes – Kernelement extrem rechter Ideologie. Im Neonazismus existiert ein homosexuellenfeindlicher Diskurs, der dazu dient, Begriffe wie "Volk", "Nation", "Gemeinschaft", "Familie", "Ehe" usw. einführen zu können. Die neonazistische Homosexuellenfeindlichkeit dient, ähnlich wie Sexismus und Antifeminismus, der ideologisch motivierten Feind-Konstruktion, ohne die das Gerüst aus "weiß"-männlichem Vormachtstreben, "Volksgemeinschaft" und "Blut-und-Boden"-Mythologie in sich zusammen brechen würde. Die Homosexuellenfeindlichkeit dient der Inszenierung einer "wahren" Männlichkeit.

Die Ablehnung von Homosexualität kommt implizit auch in der Familienpolitik der extremen Rechten zum Ausdruck. Die Familie dient als "Keimzelle" der "Volksgemeinschaft". Die NPD brachte ihre Ablehnung gegen die "Homo-Ehe" wie folgt zum Ausdruck: "Schützenswert und förderungswürdig ist alleine die Verbindung von Mann und Frau, weil nur diese Verbindung Kinder hervorbringen kann. Kinder sind die Lebensquelle eines jeden Volkes und Existenzvoraussetzung unseres Sozialstaates, der nur durch nachwachsende Beitragszahler seine sozialen Sicherungssysteme erhalten kann. Homosexuelle tragen biologisch nichts zum Fortbestand des Volkes bei." (Männliche) Homosexualität wird fortwährend biologisiert und pathologisiert – nicht nur von der NPD. Anlässlich des Welt-AIDS-Tages 2008 mutmaßte der christlich-fundamentalistische Pro-Köln-Arbeitskreis Christen pro Köln über den "möglichen Zusammenhang" zwischen einer hohen Infektionsrate in der Domstadt und der angeblich ausufernden Förderung von Homosexuellen.

Es ist unter Homophoben vor allem die männliche Homosexualität, die als regelrechte Gefahr für die heterosexuelle Matrix gilt, während weibliche Homosexualität eher exotisiert wird und gemäß der traditionellen Geschlechteraufteilung (männlich/weiblich, stark/schwach, aktiv/passiv) als harmloser angesehen wird. Auch die extreme Rechte befasst sich hauptsächlich mit männlicher Homosexualität und hat besonders prominente schwule Männer aus Politik und Fernsehen zu Feindbildern auserkoren. Weibliche Homosexualität, aber auch Transsexualität, werden in Debatten der extremen Rechten hingegen selten gesondert erwähnt.

(Männliche) Homosexualität in der extremen Rechten

Trotzdem: Es gibt in der extremen Rechten auch schwule Männer. Die eigene Homosexualität wird mit Hilfe von Hypermaskulinität legitimiert. Wer schwul ist und in extrem rechten Kreisen bestehen möchte, muss ideologische Widersprüche ausgleichen, darf die heterosexuelle Matrix nicht infrage stellen und hat seine Stärke und Männlichkeit stets aufs Neue unter Beweis zu stellen. So berichtete ein Neonazi in der Dokumentation "männer helden schwule nazis" (2006) von Rosa von Praunheim, dass keineswegs alle "Kameraden" Probleme mit Schwulen hätten. Und er ergänzt: "Wir Schwulen streben ja vielfach einem Männlichkeitsideal nach. Ich persönlich bin ein sehr intoleranter Schwuler. Ich kann mit diesen Tatütata-Huschen überhaupt nichts anfangen. [...] Ich bin ja nicht schwul geworden, um auf so was Feminines abzufahren. Ich bin schwul geworden, um auf Kerle zu stehen."

Ein Michael Kühnen, der einige Jahre als Führungsfigur der bundesrepublikanischen Neonaziszene galt, spaltete die "Szene" in den 1980er Jahren nachhaltig durch seine Streitschrift "Nationalsozialismus und Homosexualität" (1986). Die Vorgeschichte: 1981 verübten Neonazis einen bestialischen, homophob motivierten Mord an dem Neonazi Johannes Bügner. Schließlich brach während einer mehrjährigen Haftzeit Kühnens innerhalb der von Kühnen geführten "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF) ein Richtungsstreit aus, in dessen Verlauf ein Kontrahent den Rauswurf der "Schweine, Kranken und Perversen" forderte. In "Nationalsozialismus und Homosexualität" erklärte Kühnen den homosexuellen Männerbund zur wahren Keimzelle des nationalsozialistischen Staates. Kühnen unternahm den Versuch, Homosexualität in das Bild von extrem rechter Männlichkeit zu integrieren. Sowohl seine Definition von Homosexualität als auch seine historische Darstellung verbinden die Existenz schwuler Männer mit der Entstehung großer Zivilisationen, die geprägt gewesen wären durch den Typus des kriegerischen Mannes, der sich im militärischen Männerbund verwirkliche. Jeglichen Gedanken, dass Homosexualität jenseits traditioneller Zweigeschlechtlichkeit existieren könnte und somit einer weniger durch Härte, Kraft und Dominanz als der des militärischen Typs geprägten Männlichkeit entspräche, lehnte Kühnen ab. Der von ihm beschriebene homosexuelle Mann steht in vollem soldatischen Einsatz für Volk und Vaterland.

Noch heute wird Kühnen von ehemaligen Weggefährten als überaus charismatische Persönlichkeit beschrieben, die es verstand, Menschen in ihren Bann zu ziehen. In den 1980er Jahren war er an vielen Aktivitäten des Neonazispektrums federführend beteiligt, was ihm teilweise den Ruf eines zweiten "Führers" einbrachte. Erst seine AIDS-Erkrankung, die 1991 zu seinem Tod führte, beendeten die Aktivitäten des als charismatisch beschriebenen Neonazis. Bis heute dient das (Fremd-)Outing als homosexuell innerhalb extrem rechter Kreise erfolgreich der Diskreditierung.

"Schwule Nazis" als heterosexistische Konstruktion des "Anderen"

Die homosexuellenfeindliche Stigmatisierung ist allerdings keine extrem rechte Eigenart. Im Gegenteil, die Ursachen für Homosexuellenfeindlichkeit sind in der Gesellschaft zu suchen. Auch wenn Homosexualität in den Medien inzwischen als "total normal" herausgestellt wird und Umfragen eine allgemeine Akzeptanz von Homosexualität in der Bevölkerung belegen, werden Schwule und Lesben in unserer Gesellschaft nach wie vor diskriminiert.

Bezeichnend dafür ist das ungebrochen große Interesse am "schwulen Nazi". Auch die These, es bestünde eine originäre Verbindung von Homosexualität und (Neo)Nazismus ist weiterhin aktuell. In der politischen wie wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Faschismus kann von einer regelrechten Traditionslinie der Denunzierung von Homosexualität und damit der Täter-Opfer-Umkehr gesprochen werden, die sich vom Braunbuch über bedeutende Theoretiker wie Wilhelm Reich oder Theodor W. Adorno bis hin zu Klaus Theweleit erstreckt, der in dem Buch Männerphantasien (1977) eine gewisse Attraktivität der "Bereiche des 'Homosexuellen' für den faschistischen Mann" erkannte. Inzwischen belebt Jonathan Littell mit seinem fiktionalen Roman "Die Wohlgesinnten" (deutsch, 2008) die Konstruktion des "schwulen Nazis". Jüngst faszinierte die Medien besonders die Homosexualität des wegen Beihilfe zum Mord angeklagten NSU-Unterstützers Carsten S.. Die Tageszeitung Die Welt attestierte ihm eine "Faszination für Uniformen und Springerstiefel, die Carsten S. erotisch anzogen".

Tatsächlich ist die Suche nach dem "schwulen Nazi" in aller Regel einem heterosexistischen Exotismus, einer Suche nach dem "Anderen", geschuldet und sagt mehr über die heteronormative Gesellschaft als irgendetwas über Homosexualität aus. Doch der Fakt, dass es in der extremen Rechten homosexuelle Frauen und Männer gibt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Homosexuellenfeindlichkeit zentraler Bestandteil extrem rechter Ideologie ist. Die extreme Rechte ist für Homosexuelle eben nicht besonders attraktiv, auch wenn dies – wie erwähnt – oft zumindest angedeutet wird. Um in den Kreisen der extremen Rechten bestehen zu können, müssen homosexuelle Männer stets ihre "Männlichkeit" unter Beweis stellen, und sie dürfen das traditionelle Geschlechter- und Familienmodell auch nicht infrage stellen. Wer sich mit dem "schwulen Nazi" beschäftigt, findet daher auch recht wenig über eine angebliche Verbindung von Homosexualität und extrem rechter Ideologie heraus, dafür umso mehr über Geschlechterverhältnisse und Männlichkeitskonstruktionen in der extremen Rechten.

Zum Weiterlesen:

  • Robert Claus/Yves Müller, Männliche Homosexualität und Homophobie im Neonazismus, in: Dies./Esther Lehnert (Hg.), "Was ein rechter Mann ist…" Männlichkeiten im Rechtsextremismus, Berlin 2010, S. 109 – 126

  • Robert W. Connell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Wiesbaden 2006

  • Yves Müller, Männliche Homosexualität und Homophobie im deutschen und österreichischen Rechtspopulismus, in: Forschungsgruppe Europäische Integration (Hg.), Rechtspopulismus in der Europäischen Union, Hamburg 2012, S. 79 – 97

  • Andreas Pretzel, Schwule Nazis. Narrative und Desiderate, in: Michael Schwartz (Hg.), Homosexuelle im Nationalsozialismus, München 2014, S. 69 – 76

Fussnoten

Fußnoten

  1. Homepage-Beitrag "Homo-Affäre: NPD-Vorsitzender Holger Apfel tritt zurück", Freies Netz Süd vom 21.12.2013.

  2. So das Motto einer Demonstration am 19.10.2014.

  3. Die Theorie der hegemonialen Männlichkeit von Raewyn (vormals Robert W.) Connell versteht Männlichkeit relational gegenüber Weiblichkeit und im Verhältnis zu anderen Männlichkeiten. Dabei werden der hegemonialen Männlichkeit andere Männlichkeiten gegenüber gestellt: untergeordnete – also homosexuelle –, marginalisierte – beispielsweise migrantische oder Schwarze – sowie komplizenhafte Männlichkeiten. Dabei wird das Konzept hegemonialer Männlichkeit nicht als individuelle Eigenschaft, sondern als Resultat sozialen Handelns, des "Doing Masculinity", verstanden. Vgl. Robert W. Connell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Wiesbaden 2006.

  4. Homepage-Beitrag "NPD-Fraktion brandmarkt Homo-Kult und Gleichstellungswahn", Mitteilung der sächsischen NPD-Landtagsfraktion vom 14.03.2013.

  5. "Zum Welt-AIDS-Tag" vom 1.12.2008, http://www.christen-pro-koeln.de/weltaidstag.htm, die Seite ist inzwischen abgeschaltet.

  6. "Der deutsche Faschismus versucht es derzeit mit aller Macht, sich in den psychischen Strukturen zu verankern und legt daher das grösste Gewicht auf die Erfassung der Jugend und der Kinder. Er hat keine anderen Mittel zur Verfügung, als Weckung und Pflege der Hörigkeit zur Autorität, deren psychologische Grundvoraussetzung die asketische, sexualverneinende Erziehung ist. Die natürlichen sexuellen Strebungen zum anderen Geschlecht, die von Kindheit an zur Befriedigung drängen, werden im wesentlichen durch verstellte, abgelenkte homosexuelle und sadistische Gefühle, teils auch durch asketische Neigungen ersetzt." In: Reich, Wilhelm: Massenpsychologie des Faschismus, Kopenhagen 1933, S. 259 f. Desweiteren Wilhelm Reich: "... weil die Homosexualität eine ausserordentlich starke psychische Verankerung der faschistischen Ideologie darstellt." Ohne Nennung des Autoren in: Orgone Energy Bulletin, Heft 3/4, Jg. 5, p. 25

  7. Theodor W. Adorno: "Totalität und Homosexualität gehören zusammen." In: Minima Moralia, S. 52. zit. nach Theweleit, Klaus: Männerphantasien, Frankfurt/M. 2005, S. 62. oder Adorno, Theodor W.: Minima Moralia, Frankfurt/M. 1951, S. 72-73

  8. Artikel "Springerstiefel zogen Carsten S. erotisch an", Die Welt vom 04.06.2013.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Yves Müller für bpb.de

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Yves Müller ist Historiker und Mitarbeiter am Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick, Berlin. Seine Themenschwerpunkte sind die extreme Rechte und Männlichkeiten im Nationalsozialismus.