Dezember 2013: Holger Apfel, der die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) mit "seriöser Radikalität" zum Erfolg führen wollte, tritt als Bundesvorsitzender zurück und aus der Partei aus, nachdem ihm vorgeworfen wird, sich einem "jungen Kameraden" unsittlich angenähert zu haben. Apfel weist die Vorwürfe als seine "Ehre" verletzend zurück, doch die Stigmatisierung als homosexuell bleibt in den Machtkämpfen der extremen Rechten eine starke Waffe, um Kontrahenten in den eigenen Reihen loszuwerden. Denn auch bei der "Homo-Affäre"
Schwule Nazis? Geht denn das? Dass es homosexuelle Männer geben könnte, die sich als politisch extrem rechts verorten, irritiert und fasziniert zugleich. Sind Neonazis heute und waren nicht schon die Nationalsozialisten damals eindeutige Homosexuellenfeinde? In der Tat ist das so: Homosexuellenfeindlichkeit ist eines der zentralen Ideologieelemente der extremen Rechten – und dennoch gibt es – wie überall in der Gesellschaft – selbstverständlich auch Neonazis, die mehr oder weniger offen homosexuell sind. Warum und wen aber das Phänomen "schwule Nazis" so sehr interessiert, lässt Rückschlüsse über die heteronormativ geprägten Männlichkeitsvorstellungen jener zu, die diese Frage stellen, aber auch auf gesellschaftliche Diskurse, die immer noch stark von starren Konzepten von Sexualität beeinflusst sind. Doch zuerst ein Blick in die extrem rechte Szene.
Homosexuellenfeindlichkeit in der extremen Rechten
Homosexualität gilt in Teilen der Gesellschaft bis heute als moralisch verwerflich. Auch wenn Homosexuellen auf den ersten Blick vielfach gleiche Rechte zugesprochen werden, ist der Vorwurf, sie würden die heterosexuelle Familie verdrängen, nicht passé. Das zeigt sich beispielsweise in den erstarkenden christlich-fundamentalistischen Strömungen und den Stuttgarter Protesten gegen "Gender-Ideologie" und die angebliche "Sexualisierung unserer Kinder per Bildungsplan"
So verwundert es nicht, dass die extreme Rechte in der Agitation gegen Homosexualität Schnittmengen zum Meinungsspektrum in der Gesellschaft entdeckt. Homosexuellenfeindlichkeit ist ein – oft vergessenes – Kernelement extrem rechter Ideologie. Im Neonazismus existiert ein homosexuellenfeindlicher Diskurs, der dazu dient, Begriffe wie "Volk", "Nation", "Gemeinschaft", "Familie", "Ehe" usw. einführen zu können. Die neonazistische Homosexuellenfeindlichkeit dient, ähnlich wie Sexismus und Antifeminismus, der ideologisch motivierten Feind-Konstruktion, ohne die das Gerüst aus "weiß"-männlichem Vormachtstreben, "Volksgemeinschaft" und "Blut-und-Boden"-Mythologie in sich zusammen brechen würde. Die Homosexuellenfeindlichkeit dient der Inszenierung einer "wahren" Männlichkeit.
Die Ablehnung von Homosexualität kommt implizit auch in der Familienpolitik der extremen Rechten zum Ausdruck. Die Familie dient als "Keimzelle" der "Volksgemeinschaft". Die NPD brachte ihre Ablehnung gegen die "Homo-Ehe" wie folgt zum Ausdruck: "Schützenswert und förderungswürdig ist alleine die Verbindung von Mann und Frau, weil nur diese Verbindung Kinder hervorbringen kann. Kinder sind die Lebensquelle eines jeden Volkes und Existenzvoraussetzung unseres Sozialstaates, der nur durch nachwachsende Beitragszahler seine sozialen Sicherungssysteme erhalten kann. Homosexuelle tragen biologisch nichts zum Fortbestand des Volkes bei."
Es ist unter Homophoben vor allem die männliche Homosexualität, die als regelrechte Gefahr für die heterosexuelle Matrix gilt, während weibliche Homosexualität eher exotisiert wird und gemäß der traditionellen Geschlechteraufteilung (männlich/weiblich, stark/schwach, aktiv/passiv) als harmloser angesehen wird. Auch die extreme Rechte befasst sich hauptsächlich mit männlicher Homosexualität und hat besonders prominente schwule Männer aus Politik und Fernsehen zu Feindbildern auserkoren. Weibliche Homosexualität, aber auch Transsexualität, werden in Debatten der extremen Rechten hingegen selten gesondert erwähnt.
(Männliche) Homosexualität in der extremen Rechten
Trotzdem: Es gibt in der extremen Rechten auch schwule Männer. Die eigene Homosexualität wird mit Hilfe von Hypermaskulinität legitimiert. Wer schwul ist und in extrem rechten Kreisen bestehen möchte, muss ideologische Widersprüche ausgleichen, darf die heterosexuelle Matrix nicht infrage stellen und hat seine Stärke und Männlichkeit stets aufs Neue unter Beweis zu stellen. So berichtete ein Neonazi in der Dokumentation "männer helden schwule nazis" (2006) von Rosa von Praunheim, dass keineswegs alle "Kameraden" Probleme mit Schwulen hätten. Und er ergänzt: "Wir Schwulen streben ja vielfach einem Männlichkeitsideal nach. Ich persönlich bin ein sehr intoleranter Schwuler. Ich kann mit diesen Tatütata-Huschen überhaupt nichts anfangen. [...] Ich bin ja nicht schwul geworden, um auf so was Feminines abzufahren. Ich bin schwul geworden, um auf Kerle zu stehen."
Ein Michael Kühnen, der einige Jahre als Führungsfigur der bundesrepublikanischen Neonaziszene galt, spaltete die "Szene" in den 1980er Jahren nachhaltig durch seine Streitschrift "Nationalsozialismus und Homosexualität" (1986). Die Vorgeschichte: 1981 verübten Neonazis einen bestialischen, homophob motivierten Mord an dem Neonazi Johannes Bügner. Schließlich brach während einer mehrjährigen Haftzeit Kühnens innerhalb der von Kühnen geführten "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF) ein Richtungsstreit aus, in dessen Verlauf ein Kontrahent den Rauswurf der "Schweine, Kranken und Perversen" forderte. In "Nationalsozialismus und Homosexualität" erklärte Kühnen den homosexuellen Männerbund zur wahren Keimzelle des nationalsozialistischen Staates. Kühnen unternahm den Versuch, Homosexualität in das Bild von extrem rechter Männlichkeit zu integrieren. Sowohl seine Definition von Homosexualität als auch seine historische Darstellung verbinden die Existenz schwuler Männer mit der Entstehung großer Zivilisationen, die geprägt gewesen wären durch den Typus des kriegerischen Mannes, der sich im militärischen Männerbund verwirkliche. Jeglichen Gedanken, dass Homosexualität jenseits traditioneller Zweigeschlechtlichkeit existieren könnte und somit einer weniger durch Härte, Kraft und Dominanz als der des militärischen Typs geprägten Männlichkeit entspräche, lehnte Kühnen ab. Der von ihm beschriebene homosexuelle Mann steht in vollem soldatischen Einsatz für Volk und Vaterland.
Noch heute wird Kühnen von ehemaligen Weggefährten als überaus charismatische Persönlichkeit beschrieben, die es verstand, Menschen in ihren Bann zu ziehen. In den 1980er Jahren war er an vielen Aktivitäten des Neonazispektrums federführend beteiligt, was ihm teilweise den Ruf eines zweiten "Führers" einbrachte. Erst seine AIDS-Erkrankung, die 1991 zu seinem Tod führte, beendeten die Aktivitäten des als charismatisch beschriebenen Neonazis. Bis heute dient das (Fremd-)Outing als homosexuell innerhalb extrem rechter Kreise erfolgreich der Diskreditierung.
"Schwule Nazis" als heterosexistische Konstruktion des "Anderen"
Die homosexuellenfeindliche Stigmatisierung ist allerdings keine extrem rechte Eigenart. Im Gegenteil, die Ursachen für Homosexuellenfeindlichkeit sind in der Gesellschaft zu suchen. Auch wenn Homosexualität in den Medien inzwischen als "total normal" herausgestellt wird und Umfragen eine allgemeine Akzeptanz von Homosexualität in der Bevölkerung belegen, werden Schwule und Lesben in unserer Gesellschaft nach wie vor diskriminiert.
Bezeichnend dafür ist das ungebrochen große Interesse am "schwulen Nazi". Auch die These, es bestünde eine originäre Verbindung von Homosexualität und (Neo)Nazismus ist weiterhin aktuell. In der politischen wie wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Faschismus kann von einer regelrechten Traditionslinie der Denunzierung von Homosexualität und damit der Täter-Opfer-Umkehr gesprochen werden, die sich vom Braunbuch über bedeutende Theoretiker wie Wilhelm Reich
Tatsächlich ist die Suche nach dem "schwulen Nazi" in aller Regel einem heterosexistischen Exotismus, einer Suche nach dem "Anderen", geschuldet und sagt mehr über die heteronormative Gesellschaft als irgendetwas über Homosexualität aus. Doch der Fakt, dass es in der extremen Rechten homosexuelle Frauen und Männer gibt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Homosexuellenfeindlichkeit zentraler Bestandteil extrem rechter Ideologie ist. Die extreme Rechte ist für Homosexuelle eben nicht besonders attraktiv, auch wenn dies – wie erwähnt – oft zumindest angedeutet wird. Um in den Kreisen der extremen Rechten bestehen zu können, müssen homosexuelle Männer stets ihre "Männlichkeit" unter Beweis stellen, und sie dürfen das traditionelle Geschlechter- und Familienmodell auch nicht infrage stellen. Wer sich mit dem "schwulen Nazi" beschäftigt, findet daher auch recht wenig über eine angebliche Verbindung von Homosexualität und extrem rechter Ideologie heraus, dafür umso mehr über Geschlechterverhältnisse und Männlichkeitskonstruktionen in der extremen Rechten.
Zum Weiterlesen:
Robert Claus/Yves Müller, Männliche Homosexualität und Homophobie im Neonazismus, in: Dies./Esther Lehnert (Hg.), "Was ein rechter Mann ist…" Männlichkeiten im Rechtsextremismus, Berlin 2010, S. 109 – 126
Robert W. Connell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Wiesbaden 2006
Yves Müller, Männliche Homosexualität und Homophobie im deutschen und österreichischen Rechtspopulismus, in: Forschungsgruppe Europäische Integration (Hg.), Rechtspopulismus in der Europäischen Union, Hamburg 2012, S. 79 – 97
Andreas Pretzel, Schwule Nazis. Narrative und Desiderate, in: Michael Schwartz (Hg.), Homosexuelle im Nationalsozialismus, München 2014, S. 69 – 76