Der Erfolg war flächendeckend: In 72 von 91 dänischen Wahlkreisen erhielt die Dänische Volkspartei bei der Europawahl im Mai die meisten Stimmen.
Wieso haben sich so viele Dänen hinter eine EU-skeptische und einwanderungsfeindliche Partei gestellt? Eine Erklärung ist sicherlich, dass die Dänen sich um den eigenen Wohlstand sorgen, um Sozialleistungen, die sie nicht mit Einwanderern aus anderen EU-Ländern teilen möchten. Ein anderer Grund ist der verbreitete Argwohn gegenüber muslimischen Immigranten, die – so suggeriert es die Dänische Volkspartei - die Kultur des Landes verändern und seine Sicherheit bedrohen würden. Dazu kommt die Ansicht vieler Dänen, Brüssel nehme zu viel Einfluss auf die Politik in Kopenhagen. Diese Gründe sorgen seit Jahren dafür, dass die Dänische Volkspartei Wähler gewinnt.
Die Antieuropa-Debatte entzündete sich am Kindergeld
Dass sie bei der Europawahl aber besser abschnitt als je zuvor, hat sie vor allem einer Debatte zu verdanken: Dem Streit um das Kindergeld in Dänemark. Dieser hat in den Wochen vor der Wahl die Medien im Land bestimmt wie kein anderes Thema. 2010 hatte die damalige liberal-konservative Regierung festgelegt, dass Ausländer das volle Kindergeld erst erhalten sollten, nachdem sie zwei Jahre in Dänemark gearbeitet haben. Im Sommer 2013 forderte die Europäische Kommission Dänemark auf, EU-Bürger aus anderen Mitgliedsländern nicht zu diskriminieren. Jeder solle dieselben Leistungen erhalten, sobald er in Dänemark gemeldet ist. Die Regierung, inzwischen unter sozialdemokratischer Führung, kündigte an, das Gesetz zu ändern. Geschätzte Mehrkosten: rund 20 Millionen Kronen pro Jahr (gut 2,6 Millionen Euro) – eine kleine Summe im Vergleich mit den jährlichen Kosten für das Kindergeld, die bei rund 17 Milliarden Kronen (knapp 2,3 Milliarden Euro) liegen.
Trotzdem schlug das Thema bereits damals hohe Wellen. Das Kindergeld stand stellvertretend für die generelle Sorge, dass sogenannte Wohlfahrtstouristen aus EU-Staaten mit schwächeren Sozialsystemen scharenweise nach Skandinavien kommen könnten. Eine Angst, die nicht nur die Dänische Volkspartei schürte: "Das ist eine Bombe unter unserem Wohlfahrtssystem, die die Regierung nicht zu erkennen scheint", sagte etwa Brian Mikkelsen, Sprecher der Konservativen Volkspartei.
Wie Europa vermeintlich das dänische Parlament entmachtet
Im Februar 2014 stellte die sozialdemokratische Regierung, im Parlament in der Minderheit, ein Gesetz vor, dass Dänemark auf EU-Linie bringen sollte. Es fand keine Mehrheit. Die Dänische Volkspartei reichte gemeinsam mit den Konservativen und unterstützt von der Venstre einen Gegenvorschlag ein, der das alte Recht mehr oder weniger erhalten sollte. Die Parteien stritten über Wochen, die Opposition nutzte das Thema für ihren Wahlkampf. "Die Regierung ist völlig unbesorgt darüber, wie wir dänische Sozialleistungen für die Zukunft sichern und denkt offenbar, es sei vernünftig, dass ausländische Arbeiter Kindergeld von dem Tag an nach Hause schicken können, an dem sie einen Fuß ins Erdbeerfeld setzen", so Ellen Thrane Nørby, politische Sprecherin der Venstre.
Die Dänische Volkspartei ging weiter als die anderen: Sie forderte eine dänische Ausnahme, ein Opt-Out von den EU-Verträgen in Sachen Sozialleistungen – ein ebenso unrealistischer wie verlockender Vorschlag für viele Dänen. "Die Dänische Volkspartei hat von dieser Debatte profitiert. Sie hat sich selbst als wahre Verteidigerin des Wohlfahrtsstaates dargestellt. Die pro-europäischen Politiker haben keine klaren Argumente gebracht"
Die Krise der dänischen Sozialdemokratie
Schon lange vor der Europawahl hatten die regierenden Sozialdemokraten wegen ihrer Sparpolitik viel Unterstützung verloren. 2011 waren sie nur dank ihrer Partner an die Macht gekommen, die Partei selbst hatte das schlechteste Wahlergebnis seit Jahrzehnten erzielt. Davor hatte eine liberal-konservative Koalition zehn Jahre lang regiert – unterstützt von der Dänischen Volkspartei, die so Einfluss vor allem auf die Einwanderungspolitik Dänemarks nehmen konnte. 2011 aber wählten die Dänen den Wechsel – und wurden enttäuscht. Denn die neue sozialdemokratische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt konnte viele ihrer Wahlversprechen wegen der schlechten Wirtschaftslage nicht einhalten.
Vor der Europawahl trafen in der Kindergeld-Debatte zwei Ängste der Dänen zusammen: Die Sorge um den Sozialstaat und die Angst, von Brüssel aus regiert zu werden. Um den EU-Vorgaben in Sachen Kindergeld zu folgen, musste Thorning-Schmidt die Entscheidung des dänischen Parlaments ignorieren – und wurde von der Dänischen Volkspartei dafür heftig angegriffen: "Haben wir eine Minderheitsregierung, der es völlig gleichgültig ist, was das Parlament denkt?", fragte Kristian Thulesen Dahl, der Vorsitzende der Dänischen Volkspartei. Der Ministerpräsidentin blieb kaum etwas anderes übrig, als auf geltendes EU-Recht zu verweisen.
Dänemark – ein Land der Europaskeptiker
Die Dänen gelten als besonders EU skeptisch, obwohl sie mehr als andere Länder vom europäischen Binnenmarkt profitieren.
An der Spitze der Europaskeptiker steht die Dänische Volkspartei. Einen EU-Austritt fordert sie zwar nicht. Doch in ihrem Parteiprogramm von 2002 steht, sie werde nicht erlauben, dass Dänemark seine Souveränität aufgibt. Als Konsequenz lehne sie die EU ab.
Stimmenfang mit dem Feindbild Islam
Im Land herrscht Misstrauen vor allem gegenüber Migranten aus nicht-westlichen Ländern. "Eine große Minderheit, etwa 40 Prozent, lehnen Einwanderung von Muslimen ab", sagt Thomsen, der zum Thema geforscht hat. Eine Umfrage im Herbst 2013 ergab, dass jeder dritte Däne der Meinung ist, Dänemark sei zu tolerant gegenüber seiner muslimischen Bevölkerung.
Die Angst vor dem Islam kommt der Dänischen Volkspartei zugute: Seit ihrer Gründung besetzt sie das Thema und schürt den Islamhass im Land. Vor einem Jahr veröffentlichte sie in einer ganzseitigen Anzeige eine Liste mit rund 700 Namen von Einwanderern, die die dänische Staatsbürgerschaft bekommen sollten. "Eine Person auf dieser Liste ist eine Gefahr für die dänische Sicherheit. Er wird nun Däne werden“, stand darüber. Die Anzeige wurde von anderen Parteien und Journalisten scharf kritisiert. Sie schüre Hass und stelle unschuldige Menschen unter Generalverdacht, weil sie Einwanderer seien.
"Anti-Immigration-Politik und Politik gegen Muslime hat viel Popularität in Dänemark gewonnen“, sagt der Journalist Larsen. Andere Parteien hätten es aufgegeben, die Dänische Volkspartei dafür zu kritisieren, manche einfach ihre Ansichten übernommen. Zum Beispiel die rechtsliberale Partei Venstre. Im Juli 2014 forderte die Parteisprecherin und ehemalige Arbeitsministerin Inger Støjberg strengere Regeln für Immigranten aus nicht-westlichen Ländern. Es sei nicht notwendig, dieselben Forderungen an alle Einwanderer zu stellen, schrieb sie in einem Gastkommentar für die Tageszeitung Berlingske: Zwischen einem christlichen Amerikaner oder Schweden einerseits und einem muslimischen Somalier oder Pakistaner andererseits gebe es große Unterschiede in Fähigkeit und Willen, sich zu integrieren.
Es mag ein Versuch gewesen sein, der Dänischen Volkspartei Stimmen bei den kommenden Nationalwahlen abzuwerben. Bisher haben solche Forderungen jedoch vor allem den Rechtspopulisten genutzt. Nicht nur, dass die anderen Parteien die Abneigung gegen Einwanderer salonfähig gemacht haben. Sie hätten, so Larsen, den Dänen damit auch suggeriert, dass die Rechtspopulisten von Anfang an Recht gehabt hätten.