Er ist jung, redegewandt und bestens mit der militanten Szene vernetzt. Patrick Schröder aus Mantel in der Oberpfalz ist Vorzeige-Multifunktionär und NPD-Kader. Wie viele jüngere Aktivisten kommt er aus dem Spektrum der "Autonomen Nationalisten". Er organisiert Rechtsrock-Konzerte, ist Ordner bei Aufmärschen, strahlt 24 Stunden am Tag ein eigenes Internet-Radio aus und ist an der erfolgreichen Neonazi-Marke "Ansgar Aryan" beteiligt. Doch am bekanntesten ist Schröder für seine Online-Fernsehsendung Frei Sozial National-TV (FSN). Einmal die Woche tritt er in seinem zum Studio umgebauten Schlafzimmer vor die Kamera. Zwei Stunden lang gibt es dann eine Mischung aus Blödeleien, Musik und Hetze gegen Migranten, Juden, den Staat und Linke. Im Studio-Hintergrund prangt eine erhobene Faust im Graffiti-Stil, der Ko-Moderator ist mit einer "Anonymous"-Maske vermummt. Mehr als 1.000 Zuschauer schauen jede Folge. Neben klassischem Rechtsrock von Hassgesang, Stahlgewitter oder Sturmwehr wird auch schon mal das aktuelle Album der Chartband Frei.Wild rezensiert. "Wenn man mit den Jugendlichen sprechen möchte, bringt es nichts, denen etwas vom Zweiten Weltkrieg zu erzählen", sagt Schröder. Er spreche lieber über die letzte Simpsons-Folge, "das kommt besser an".
Regelmäßig interviewt er live in seiner Sendung NPD-Funktionäre oder Neonazi-Bands, die Zuschauer können sich im Chat mit eigenen Fragen beteiligen. Auch der frühere NPD-Chef Udo Voigt ließ sich interviewen. Wer eine Sendung verpasst, kann sie später bequem auf YouTube anschauen. Für Neonazis mit Smartphone gibt es sogar eine FSN-App.
Rechtsextreme Öffentlichkeitsarbeit in den Sozialen Netzwerken
Das Internet hat die rechtsextreme Öffentlichkeitsarbeit in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Nie war der Kontakt untereinander und mit Neuinteressenten so einfach wie heute. Jede noch so bedeutungslose Nazigruppierung hat eine eigene Webseite. Musste man früher als Jugendlicher erst einen Treffpunkt von Rechtsextremisten herausfinden und dann auch noch den Mut aufbringen, dort vorzusprechen, reicht inzwischen eine unverbindliche Mail an die örtlichen Neonazis. Die Möglichkeiten für virtuelle Propaganda-Aktionen sind nahezu grenzenlos und kaum mit Kosten verbunden.
Die Öffentlichkeit ist oft überrascht, wenn sie im Internet auf professionell gemachte Neonazi-Auftritte stößt. Viele glauben, alle Neonazis seien tumbe, arbeitslose Männer mit wenig Technik- und Online-Kompetenz. Tatsächlich ist der Großteil der heutigen Neonazi-Webseiten schlecht gemacht und wenig attraktiv für Jugendliche. Aber im rechtsextremen Spektrum gab und gibt es eine Reihe von Computer- und Video-Freaks, die für hochprofessionelle Online-Auftritte sorgen.
Die Bedeutung neuer Medien hatte schon die NSDAP erkannt. Sie wusste die zu jener Zeit modernen Kommunikationstechniken zu nutzen, neben der Presse waren Kinowochenschauen und das damals noch ganz junge Radio zentrale Propagandainstrumente: dank des preiswerten "Volksempfängers" wurde der Rundfunk zum wirklichen Massenmedium. "Die Phantasie muss alle Mittel und Methoden in Anspruch nehmen, um die neue Gesinnung modern, aktuell und interessant den breiten Massen zu Gehör zu bringen, interessant und lehrreich, aber nicht belehrend", erklärte Propagandaminister Joseph Goebbels im März 1933.
Auch das Internet entdeckten – einige – Rechtsextreme früh. Schon 1992 starteten Neonazis einen Info-Dienst im Btx-Service der Bundespost, und sofort nach seinem Amtsantritt 1996 erklärte der damalige NPD-Chef Udo Voigt "die verstärkte Nutzung" des Internets zu einem "Hauptziel der Partei". "Ohne das Internet könnten wir niemals so viele junge Menschen für unsere Theorien und Ideen interessieren. Es ist billig, schnell und sauber. Wir lieben es", schwärmte die Betreiberin der Webseite des Holocaustleugners Ernst Zündel im selben Jahr. Auch der Rest der Szene erkannte das Potenzial des Webs früh. Anfang der 1990er Jahre entstand das "Thule Netz", ein Verbund von Computer-Mailboxen, in den sich Rechtsextreme per Modem einwählen und so Daten austauschen konnten.
Ausgerechnet ein V-Mann des Verfassungsschutzes half fleißig beim Aufbau des damals geradezu revolutionären Kommunikationsnetzwerkes. Knapp 800 D-Mark monatliches Honorar und zusätzlich Geld für die Hardware soll Spitzel Kai D. seit 1987 über einen Zeitraum von zehn Jahren bekommen haben. Experten schätzen, dass der bayerische Verfassungsschutz auf diesem Weg rund 150.000 Mark an die erste Generation der "Internet-Nazis" verteilt hat.
Heute braucht man als Rechtsextremist kaum noch Geld, um Propaganda im Netz zu betreiben. Das Internet ist ein preiswertes und weit reichendes Kommunikationsmittel. Ein einfacher Computer und ein Internetanschluss reichen aus. Über die letzten Jahre wuchs die Zahl rechtsextremer Websites rasant, allerdings, wie gern übersehen wird, langsamer als das Internet insgesamt. Laut der Beobachtungsstelle Jugendschutz.net gibt es derzeit rund 1.500 rechtsextreme Seiten. Allein die NPD betreibt demnach mehr als 200 Homepages, hinzu kommen knapp 140 einschlägige Online-Versandhändler. Neonazis verbreiten ihre Filme auf YouTube, beim Online-Radio LastFM mit Millionen Nutzern weltweit haben zahlreiche Szene-Bands eigene Profile, die NPD twittert live von ihren Bundesparteitagen und Aufmärschen. Bei Seiten wie Facebook, Jappy oder Wer-kennt-wen finden sich tausende rechtsextreme Profile.
Allein durch die Masse an rechtsextremen Inhalten schaffen es die Neonazis, tausende Menschen zu erreichen, an die sie über klassische Wege, etwa mit Flugblättern oder Aufmärschen, niemals herankommen würden. Von einer „Breitenwirkung, die über herkömmliche Kommunikationswege der Szene nicht ansatzweise erreichbar wäre“, spricht der sächsische Verfassungsschutz. Der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest hat festgestellt, dass nahezu jeder vierte Internetnutzer zwischen 12 und 19 Jahren bereits Kontakt mit rechtsextremistischen Netzangeboten hatte. „Breitenwirksamer als in Zeiten des Internets dürften deutsche Rechtsextremisten nach 1945 kaum zuvor gewesen sein“, warnt der Sozialwissenschaftler Thomas Pfeiffer.
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien versucht inzwischen immer häufiger, Naziwebseiten wegen Jugendgefährdung, Volksverhetzung oder Aufrufen zu Straftaten zu indizieren. "Es geht uns darum, die Sichtbarkeit solcher Angebote einzuschränken", sagt die stellvertretende Vorsitzende Petra Meier. Doch zumindest bei Seiten, die auf ausländischen Servern liegen, ist der Kampf aussichtslos. Zwar taucht eine indizierte Homepage bei großen Suchmaschinen wie Google und Yahoo nicht mehr auf. Wer aber die Webadresse direkt in den Browser tippt oder Links von anderen Websites folgt, kann die Seite weiterhin problemlos erreichen. Ausländische Server ganz abzuschalten, ist so gut wie unmöglich. Nur selten werden die Verantwortlichen ermittelt und noch seltener verurteilt.
Anders als die Öffentlichkeit bisweilen glaubt, haben sich einige Protagonisten der Szene inzwischen das nötige Fachwissen erarbeitet, um im Internet und den Sozialen Medien Propaganda für die rechtsextreme Sache zu machen. Der NPD-Pressesprecher Frank Franz beispielsweise besitzt eine Internetfirma. Auch NSU-Helfer Ralf Wohlleben bemühte sich lang Zeit darum, der Szene die Ausstattung für professionelle Online-Auftritte bereitzustellen. Schon vor gut zehn Jahren startete er sein Projekt Netzspeicher24.de. Es sollte dazu dienen, Neonazigruppen einen sicheren Speicherplatz im Netz zu bieten. Die hatten zu der Zeit immer größere Probleme mit normalen Anbietern, die rechtsextreme Inhalte nicht dulden wollten und Verträge kündigten. Dass Netzspeicher24.de als politisches Unterstützerprojekt zu verstehen war, machte die Ankündigung des gelernten Informatikers Wohlleben deutlich: "Eventuell erwirtschaftete Überschüsse" sollten "selbstverständlich wieder in die politische Arbeit" fließen.
Propaganda und Imagearbeit in den Sozialen Netzwerken
Geradezu hyperaktiv agieren im Netz die jungen Neonazis aus den Reihen der Autonomen Nationalisten. Ihren professionell produzierten Webseiten und YouTube-Videos ist deutlich anzumerken, dass sie die ersten Digital Natives der extremen Rechten sind. Sie sind mit diesen Medien aufgewachsen und wissen genau, wie sie andere Jugendliche online rekrutieren können. Weil die Autonomen Nationalisten praktisch keinerlei Berührungsängste mit englischen Slogans, linksalternativer Ästhetik und moderner Jugendkultur haben, gehen sie noch erfolgreicher als andere Neonazis mit Online-Propagandainstrumenten um. Ganz selbstverständlich sind sie auf eigenen Homepages wie auch auf Facebook, YouTube und Twitter aktiv. Während traditionelle Neonazis noch immer konsequent von "Klapprechner" und "E-Post", von "Weltnetz" und "Heimatseite" sprechen, haben Autonome Nationalisten (AN) kein Problem mit den üblichen Bezeichnungen Laptop und E-Mail, Internet und Homepage.
Der Internet-Auftritt der AN ist genauso zeitgemäß wie ihre martialischen Aufmärsche in der realen Welt. Eine Mischung aus Gewaltästhetik, rebellischem Pathos und direkter Ansprache ("Werde aktiv in deiner Stadt!") soll zum Mitmachen anregen. Selbst Bart Simpson aus der beliebten US-Zeichentrickserie wird im Internet für die Eigeninszenierung genutzt. Ein Bild der Comicfigur im dunklen Kapuzenpullover mit der Aufschrift "Fuck off Israel" wird eingerahmt von der Parole "Autonom und militant. Nationaler Sozialismus jetzt!" Elemente der Street-Art gepaart mit Bildern von Vermummten und englischen Slogans wie "Support your local ns-black block!" sollen Dynamik vermitteln. Action steht im Vordergrund, politische Inhalte sind zweitrangig. Das ist ein völliges anderes Bild, als es etwa Webseiten der NPD oder deren Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) transportieren.
Ähnlich funktionieren die durchaus professionellen Internet-Videos der AN. Wenige Tage nach größeren Aufmärschen taucht in der Regel eine filmische Zusammenfassung des Tages auf YouTube auf, in der man die Realität kreativ zurechtbiegt. War man früher, um Öffentlichkeit zu erreichen, noch auf Journalisten der "Feindpresse" angewiesen, sind der eigenen Propaganda heute kaum noch Grenzen gesetzt. Mit einer semi-professionellen Kamera und entsprechender Software lassen sich innerhalb weniger Stunden qualitativ hochwertige Clips produzieren. Mit schnell geschnittenen Einstellungen, im Zeitraffer abgespielt und mit harter Musik unterlegt, wird selbst aus einem ereignislosen Mini-Treff von hundert "Kameraden" ein aufregender Event. Kleinste Rangeleien mit der Polizei werden zu ruppigen Auseinandersetzungen zurechtmontiert. Sitzblockaden von Gegendemonstranten tauchen praktisch nie auf. In diesen Clips wird beinahe jede Aktivität als spannender Guerilla-Einsatz verkauft, selbst das Verkleben von Stickern auf Mülltonnen oder das wahllose Werfen von Papierschnipseln mit der eigenen Webseitenadresse in der Fußgängerzone. Rechtsextreme Graffiti-Sprayer filmen sich bei ihren Einsätzen, stellen ihre Vorlagen unter Strassenkunst.info ins Netz und rufen zur Nachahmung auf. All das soll vermitteln: Die rechtsextreme Szene bietet spannendes Abenteurertum inmitten einer spießigen Umwelt.
Grassrootsjournalismus von rechtsaußen
Ein entscheidender Punkt rechtsextremer Online-Propaganda ist der Wunsch, eine "Gegenöffentlichkeit" zur verhassten "Systempresse" zu schaffen. Unter dem Namen Media Pro Patria entstand aus diesem Grund vor knapp zehn Jahren eine neonazistische Video-Gruppe, die nach eigener Aussage "ein mediales Gegengewicht zur verlogenen und einseitigen Systempresse schaffen" wollte. Neben Videoberichten zu Aufmärschen und Konzerten veröffentlichte Media Pro Patria erstmals das, was man in der Werbebranche Image-Filme nennt. Junge, hip gekleidete Darsteller wurden im Gehen gefilmt, um Dynamik auszudrücken. In kurzen Sätzen erklären sie in diesen Clips die rechtsextreme Ideologie. Mit schrägen Kameraeinstellungen und angeschnittenen Gesichtern werden die Sehgewohnheiten des jungen Publikums bedient. Da posiert beispielsweise ein tätowierter Neonazi in Cargohose und "Straight Edge"-Shirt und spricht lässig in die Kamera: "Nur ein Volk ohne Identität wird zur leichten Beute des Großkapitals.""Das Volk blutet, und das Kapital kassiert", ergänzt ein "Kamerad" mit Baseballmütze und Lippenpiercing. Naturverbundenheit wird in dem Video vermittelt – im Hintergrund sieht man eine sonnige Flusslandschaft – und Geschichtsbewusstsein: Gefilmt wurde auf einer Burg. "Augen auf – du bist im Krieg" und "reih dich ein in die nationale Bewegung", wird der Zuschauer in einem anderen Clip aufgefordert. Die Szene reagierte begeistert.
Obwohl sich die Media Pro Patria bereits 2010 aufgelöst hat, weil mehrere Mitglieder aus der Szene ausstiegen, kursieren Kopien der Videos bis heute auf YouTube und anderen Videoportalen. Das Internet-Gedächtnis vergisst nichts. Die YouTube-Standardfunktion, die Usern automatisch themenverwandte Videos vorschlägt, hilft den Rechtsextremisten: Wer zufällig auf eines ihrer Videos stößt, kann sich anschließend stundenlang durch die Neonazi-Welt klicken. Zehntausende Clips finden sich allein bei YouTube. Während Videos mit viel nackter Haut vom US-Konzern sofort gelöscht werden, bleiben sogar (in Deutschland) strafrechtlich relevante Neonazivideos oft Wochen oder Monate online.
Auch Facebook bietet eine virtuelle rechtsextreme Erlebniswelt. Die Logik des sozialen Netzwerks sorgt dafür, dass jedem, der einmal einen Neonazi zu seiner Freundesliste hinzugefügt hat, laufend weitere Rechtsextreme und ihre Organisationen vorgeschlagen werden. Mit jedem Klick gleitet der Nutzer tiefer in den rechtsextremen Kosmos. Schnell beginnen Neonazis mit Facebook-Nachrichten "Neulinge" zu Veranstaltungen einzuladen und empfehlen ihnen weitere rechtsextreme User als Freunde. Auch Facebook zeigt bislang kaum Interesse, sich gegen die neonazistischen Umtriebe auf seinem Portal zur Wehr zu setzen. Gelöscht wird kaum, selbst wenn (wiederum in Deutschland) verbotene Symbole auf den Seiten zu finden sind.
Von verschwörungsgläubigen Islamhassern bis zur offiziellen Parteiseite der NPD, von nordischen Rassisten (mit Profilnamen wie "Eiserne Wölfin") bis zu offenen Neonazis ("Adolf88") ist bei Facebook alles zu finden. Live und in Farbe kann man ihnen beim Agitieren zuschauen: So wird das emotionale Thema Kindesmissbrauch geschickt instrumentalisiert, um Ressentiments gegen den vermeintlich tatenlosen Rechtsstaat zu schüren, Migranten als angeblich besonders häufige Täter zu präsentieren und NPD-Forderungen ("Todesstrafe für Kinderschänder") unters Volk zu bringen. Reihenweise gründeten Rechtsextreme in den vergangenen Jahren Gruppen zum Thema Kindesmissbrauch und erreichten damit bis zu 240.000 Fans: Es ist eines der beliebtesten Themen rechtsextremer Agitation im Internet. Das Rekrutieren im Netz funktioniert für Rechtsextreme offensichtlich gut: Mit knapp 60.000 "Likes" liegt die NPD bei Facebook im proportionalen Vergleich zu den realen Wählerstimmen mit weitem Abstand vor allen anderen Parteien. Simone Rafael vom Projekt No-Nazis.net sagt: "Die NPD ist in der Nutzung der interaktiven Möglichkeiten des Web 2.0 viel weiter als die demokratischen Parteien."
Klassische Neonazi-Homepages spielen für die rechtsextreme Nachwuchssuche vermutlich bald nur noch eine Nebenrolle. "Die Kommunikation zwischen rechtsextremistischen Personen verlagert sich immer mehr in nicht-extremistische Communitys", heißt es beim Verfassungsschutz Sachsen. In den sozialen Netzwerken ist die Kontaktaufnahme schließlich erheblich einfacher. Von subtil bis ganz offen sind die Rechtsextremen hier aktiv, auch, weil Indizierungen und Verbote buchstäblich an Grenzen stoßen. Auf die Frage, was man als User tun kann, sind sich die Experten einig: Über rechtsextreme Argumente und Codes informieren – und im Netz besser hinschauen.
Quelle: V-Mann & Thule-netz | http://www.sueddeutsche.de/bayern/nsu-ausschuss-im-bayerischen-landtag-das-staatliche-neonazi-netz-1.1523498