Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Das braune Netz | Rechtsextremismus | bpb.de

Rechtsextremismus Was ist Rechtsextremismus? Rassismus Was ist eigentlich Rassismus? Rassen? Gibt's doch gar nicht! Warum ist es so schwer, von Rassismus zu sprechen? Alltagsrassismus Rassentheorien und Rassismus in Asien im 19. und 20. Jahrhundert Infografik Rassismus Verschwörungstheorien Jüdische Weltverschwörung, UFOs und das NSU-Phantom Die Reichsideologie Die Protokolle der Weisen von Zion Debatte: Extremismustheorie Der Extremismusbegriff Kritische Anmerkungen zum Extremismuskonzept Weiterführende Literatur Ideologie Rechtsextreme Einstellungen Zur Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland Was denkt die NPD? Rechtsextremismus: die internationale Debatte Intellektueller Rechtsextremismus Muslimfeindlichkeit Islamfeindlichkeit, Islamophobie, Islamkritik Interview Hafez Muslimfeindlichkeit als rechtsextremes Einfallstor Virtuelle Kreuzritter Konkurrenz der Leidtragenden Quellentext: Islamfeindlichkeit und Antisemitismus ähneln einander Antisemitismus Antisemitismus heute Interview mit Marina Chernivsky Antisemitismuskritische Bildungsarbeit Die AfD und der Antisemitismus Verbreitung des Antisemitismus in Deutschland Ungezählte Opfer Ursachen und Prävention des Rechtsextremismus Wie organisieren sich Rechtsextreme? Internationale Netzwerke Die Eurasierbewegung und die Neue Rechte Die APF: Europas rechtsextremer Rand Rechtsextreme US-Szene Wie Russland den rechten Rand in Europa inspiriert Globalisierte Anti-Globalisten Die Identitären Neonazis in Russland Hammerskins Kampfsport, Runen, Rassenhass Rechtsextremistische Parteien in Europa Rechtsextremismus in Russland (Miss-)Erfolge der „Identitären“ NPD Mehr als 50 Jahre rechtsextrem Das Parteiprogramm der NPD Frauen in der NPD Radikal besorgte Bürger Wer wählt eigentlich rechtsextrem? NPD-Taktiken Das Potenzial der NPD NPD-Verbot und Parteienfinanzierung Autonome Nationalisten Turnschuhe statt Springerstiefel "Dortmund ist unsere Stadt" Aussteigerinterview Webtalk: Autonome Nationalisten Rechtsextreme Parteien in Europa Rechtsextreme Akteure in Deutschland Rechtsextreme Szenen und Medien Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft Interview mit Eberhard Seibel Heimatliebe, Nationalstolz und Rassismus Graue Wölfe Nationalismus und Autoritarismus auf Türkisch Antisemitismus bei Muslimen Russlanddeutsche GMF bei Polnischstämmigen Debatte: "Deutschenfeindlichkeit" Jugendkulturen Runen gestern, heute, morgen Jugendkulturen im Wandel Codes der rechtsextremen Szene Interview mit Christoph Schulze Tipps für Jugendeinrichtungen Burschenschaften Kameradschaften Neonazis hinter weißen Masken Kameradschaften im Visier Einführung Jugendkultur Kampfsport Was liest der rechte Rand? Geschichte der rechtsextremen Presse Gegenöffentlichkeit von rechtsaußen Der rechte Rand: Verlage Der rechte Rand: Publikationen Audio-Slideshow Männer Männliche Überlegenheitsvorstellungen Homosexualität Rechtsextreme Männerbilder Soldatische Männlichkeit Burschenschafter Autoritär-rechte Männlichkeiten Musik Die neonazistische Musik-Szene Neue Töne von Rechtsaußen Rechtsrock für's Vaterland Rechtsrock: Millionen mit Hass Verklausulierte Volksverhetzung Interview mit David Begrich Elf rechte Bands im Überblick Frauen Auf die sanfte Tour Feminismus von rechts Rechte Aktivistinnen Frauen in der NPD Rechtsradikale Frauen Rechtsextrem orientierte Frauen und Mädchen Frauen im rechtsextremen Spektrum Aussteigerinnen Nazis im Netz Roots Germania Rechtsextremismus im Internet Das braune Netz Neonazis im Web 2.0 Zocken am rechten Rand TikTok und Rechtsextremismus Das Internet als rechtsextreme Erfolgsgeschichte? Rechtsextremismus und Presse Interview mit Ulrich Wolf Der NSU und die Medienberichterstattung Umgang mit Leserkommentaren Ein kurzer Ratgeber für Journalisten Krimi gegen Rechts Tonangebende rechtsextreme Printmedien Wenn Neonazis Kinder kriegen Die nächste Generation Hass Umgang mit Kindern von Neonazis Eine Mutter und ihre Kinder steigen aus "Mein Kampf" "Wir wollen den Zünder ausbauen" Helfen Gesetze gegen "Mein Kampf"? Gemeinfrei: "Mein Kampf" Hitlers "Mein Kampf" – ein unterschätztes Buch Rechtsextreme Kampagnen-Themen "Gender" und "Genderwahn" Ökologie Grüne Braune Wie grün waren die Nazis? Interview mit Elisabeth Siebert Debatte: Kommunale Flüchtlingspolitik Nach Köln Flüchtlingsunterkünfte Interview mit Oliver Malchow Was kommunale Flüchtlingspolitik leisten kann – und muss Deutsche Asylpolitik, europäischer Kontext Wer erhält welches Asyl? "Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, aber …" – Ein Faktencheck Anstoß in der Kreisklasse Handlungsspielraum der Kommunen Meinung: Die Probleme waren schon vor den Flüchtlingen da Meinung: Kommunale Flüchtlingspolitik aus der Sicht des Bundes Meinung: Probleme und Lösungswege in der kommunalen Flüchtlingspolitik Meinung: Flüchtlingsarbeit in den Kommunen – Eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft TwitterChat: Kommunale Flüchtlingspolitik Fußball Judenhass im Fußball Film: Rechtsextremismus und Diskriminierung in deutschen Fußballstadien Interaktiver Webtalk: Über den rechten Flügel – Neonazis und Fußball Fußball und Rechtsextremismus Interaktive Grafik: Rechtsextreme Vorfälle in Fußballstadien Angriff von rechtsaußen Rechtsextreme BVB-Fans Audio-Interview: Martin Endemann über Rassismus im deutschen Fußball Audio: Ronny Blaschke über rechte Fangesänge im Stadion Vereine und Verbände Extrem rechte Fußballfans und die Nationalmannschaft des DFB Die Erzählung vom ‘großen Austausch’ Krisen, Unsicherheit und (extrem) rechte Einstellungen Grauzonen Die "Neue Rechte" Interview mit Maren Brandenburger Der rechte Rand des politischen Systems der Bundesrepublik Die völkische Bewegung Die Junge Freiheit Das Institut für Staatspolitik Völkische Jugendbünde Die "Neue Rechte" in der Bundesrepublik Querdenken und Verschwörungserzählungen in Zeiten der Pandemie Rechtsextreme Esoterik Rechtsextreme Diskursstrategien Rechtsextreme Gewalt Rechtsextreme Gewalt Angriff auf die Lokalpolitik Rechtsterrorismus Der Einzeltäter im Terrorismus Der Weg zum NSU-Urteil NSU-Verfahren Storify des Chats zu #3JahreNSUprozess Der Anschlag auf Henriette Reker Video: Die migrantische Community und der NSU Der NSU-Untersuchungsausschuss Protokolle NSU-Ausschuss Chat: NSU-Untersuchungsausschuss Interaktive Grafik: Die Taten des NSU Der NSU Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) Die rechtsextreme Szene und der NSU Der Rechtsterrorismus im Verborgenen Chronik des Rechtsterrorismus Rechtsterrorismus in Europa PMK – Methoden und Debatten PMK – Statistiken Opfergruppen und Feindbilder Wo Demokraten gefährlich leben Die Geschichte des Orazio Giamblanco Wohnungslose Menschen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Was ist Sozialdarwinismus? Wer sind die Opfer? Ausstieg Warum und wie aussteigen? Debatte über echten Ausstieg Interview mit Aussteiger Rochow Pädagogische Arbeitsfelder Netzwerke in Norddeutschland Gewalt gegen Geflüchtete Unvollständige Erinnerung Umgang mit Rechtsextremismus Debatte: Soll man mit Neonazis reden? Toralf Staud: Soll man mit Neonazis reden? Cornelius Weiss: Argumentieren auf allen Ebenen Grit Hanneforth: keine Nazis auf Veranstaltungen Stefan Niggemeier: Ablehnung begründen Andreas Hechler: Entscheidend ist der Kontext Klaus-Peter Hufer: Argumente wirken Simone Rafael: Rassismus widersprechen Initiativen und Zivilgesellschaft Debatte: Was tun bei einem rechtsextremen Aufmarsch? Der rechtsextreme "Kampf um die Straße" Wolfgang Thierse: Wir müssen den öffentlichen Raum gegen die Besetzung durch Rechtsextreme verteidigen Hans-Ernst Böttcher: Man muss nur das Recht anwenden … wollen! Anna Spangenberg: Erfolgreich rechtsextreme Aufmärsche verhindern Herbert Trimbach: Versammlungsfreiheit ist ein Menschenrecht Politische Konzepte Wie sag ich Dass Auschwitz sich nie wiederhole... Denkanstöße aus dem Kanzleramt Bildung, Bildung, Bildung NPD trockenlegen? Wie kann Aussteigern geholfen werden? Interview MVP Forderungen von Projekten an die Politik HDJ-Verbot Strategien im Umgang mit der NPD in Parlamenten Noch mehr Vorschläge Schule Hakenkreuze an der Tafel Interview Reinhard Koch Analyse Albert Scherr Aufsatz Scherr / Schäuble Schülerzeitung Martinshorn Neonazis auf SchülerVZ Studie Uni-Seminar Was können Schülerinnen und Schüler tun? Antidemokratische Positionen und Einstellungen in Schulen Strategien Offener Brief an einen Oberbürgermeister Wie man Hakenkreuze kreativ entschärfen kann Gewalt vermeiden, aber wie? Parolen parieren! Was tun als Opfer rechter Gewalt? Engagement – lohnt das denn? Guter Rat, wenn Nazis stören Rezepte gegen Rechtsextremismus Argumente gegen rechte Vorurteile Vom Hass verabschieden Marke gegen Rechtsextremismus Und Du? Podcasts und Audios Glossar und FAQs Videos und Bilderstrecken Angaben zur Redaktion

Das braune Netz

Toralf Staud Johannes Radke Johannes Radke Toralf Staud

/ 9 Minuten zu lesen

Schon vor Jahren hat die rechtsextreme Szene das Propaganda-Potential des Internets erkannt. Tausende rechtsextreme Seiten finden sich im Netz. Ganz offen und legal bei Youtube, Facebook und Twitter oder anonym auf geschützten Servern im Ausland. Viele Seiten sind amateurhaft und unattraktiv. Doch es gibt einige Experten in der Szene, die hochprofessionell und erfolgreich im Netz agieren.

Infografik: Zahlen zu Neonazis im Netz (© bpb)

Er ist jung, redegewandt und bestens mit der militanten Szene vernetzt. Patrick Schröder aus Mantel in der Oberpfalz ist Vorzeige-Multifunktionär und NPD-Kader. Wie viele jüngere Aktivisten kommt er aus dem Spektrum der "Autonomen Nationalisten". Er organisiert Rechtsrock-Konzerte, ist Ordner bei Aufmärschen, strahlt 24 Stunden am Tag ein eigenes Internet-Radio aus und ist an der erfolgreichen Neonazi-Marke "Ansgar Aryan" beteiligt. Doch am bekanntesten ist Schröder für seine Online-Fernsehsendung Frei Sozial National-TV (FSN). Einmal die Woche tritt er in seinem zum Studio umgebauten Schlafzimmer vor die Kamera. Zwei Stunden lang gibt es dann eine Mischung aus Blödeleien, Musik und Hetze gegen Migranten, Juden, den Staat und Linke. Im Studio-Hintergrund prangt eine erhobene Faust im Graffiti-Stil, der Ko-Moderator ist mit einer "Anonymous"-Maske vermummt. Mehr als 1.000 Zuschauer schauen jede Folge. Neben klassischem Rechtsrock von Hassgesang, Stahlgewitter oder Sturmwehr wird auch schon mal das aktuelle Album der Chartband Frei.Wild rezensiert. "Wenn man mit den Jugendlichen sprechen möchte, bringt es nichts, denen etwas vom Zweiten Weltkrieg zu erzählen", sagt Schröder. Er spreche lieber über die letzte Simpsons-Folge, "das kommt besser an".

Regelmäßig interviewt er live in seiner Sendung NPD-Funktionäre oder Neonazi-Bands, die Zuschauer können sich im Chat mit eigenen Fragen beteiligen. Auch der frühere NPD-Chef Udo Voigt ließ sich interviewen. Wer eine Sendung verpasst, kann sie später bequem auf YouTube anschauen. Für Neonazis mit Smartphone gibt es sogar eine FSN-App.

Rechtsextreme Öffentlichkeitsarbeit in den Sozialen Netzwerken

Das Internet hat die rechtsextreme Öffentlichkeitsarbeit in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Nie war der Kontakt untereinander und mit Neuinteressenten so einfach wie heute. Jede noch so bedeutungslose Nazigruppierung hat eine eigene Webseite. Musste man früher als Jugendlicher erst einen Treffpunkt von Rechtsextremisten herausfinden und dann auch noch den Mut aufbringen, dort vorzusprechen, reicht inzwischen eine unverbindliche Mail an die örtlichen Neonazis. Die Möglichkeiten für virtuelle Propaganda-Aktionen sind nahezu grenzenlos und kaum mit Kosten verbunden.

Die Öffentlichkeit ist oft überrascht, wenn sie im Internet auf professionell gemachte Neonazi-Auftritte stößt. Viele glauben, alle Neonazis seien tumbe, arbeitslose Männer mit wenig Technik- und Online-Kompetenz. Tatsächlich ist der Großteil der heutigen Neonazi-Webseiten schlecht gemacht und wenig attraktiv für Jugendliche. Aber im rechtsextremen Spektrum gab und gibt es eine Reihe von Computer- und Video-Freaks, die für hochprofessionelle Online-Auftritte sorgen.

Die Bedeutung neuer Medien hatte schon die NSDAP erkannt. Sie wusste die zu jener Zeit modernen Kommunikationstechniken zu nutzen, neben der Presse waren Kinowochenschauen und das damals noch ganz junge Radio zentrale Propagandainstrumente: dank des preiswerten "Volksempfängers" wurde der Rundfunk zum wirklichen Massenmedium. "Die Phantasie muss alle Mittel und Methoden in Anspruch nehmen, um die neue Gesinnung modern, aktuell und interessant den breiten Massen zu Gehör zu bringen, interessant und lehrreich, aber nicht belehrend", erklärte Propagandaminister Joseph Goebbels im März 1933.

Toralf Staud über Neonazis im Netz

Video

Toralf Staud über Neonazis im Netz

Welche Strategien verfolgen Neonazis im Netz, auf welchen Plattformen sind sie unterwegs und welche Rolle spielt das Netz für die ideologische Mobilisierung? Toralf Staud über Neonazis im Netz.

Auch das Internet entdeckten – einige – Rechtsextreme früh. Schon 1992 starteten Neonazis einen Info-Dienst im Btx-Service der Bundespost, und sofort nach seinem Amtsantritt 1996 erklärte der damalige NPD-Chef Udo Voigt "die verstärkte Nutzung" des Internets zu einem "Hauptziel der Partei". "Ohne das Internet könnten wir niemals so viele junge Menschen für unsere Theorien und Ideen interessieren. Es ist billig, schnell und sauber. Wir lieben es", schwärmte die Betreiberin der Webseite des Holocaustleugners Ernst Zündel im selben Jahr. Auch der Rest der Szene erkannte das Potenzial des Webs früh. Anfang der 1990er Jahre entstand das "Thule Netz", ein Verbund von Computer-Mailboxen, in den sich Rechtsextreme per Modem einwählen und so Daten austauschen konnten.

Ausgerechnet ein V-Mann des Verfassungsschutzes half fleißig beim Aufbau des damals geradezu revolutionären Kommunikationsnetzwerkes. Knapp 800 D-Mark monatliches Honorar und zusätzlich Geld für die Hardware soll Spitzel Kai D. seit 1987 über einen Zeitraum von zehn Jahren bekommen haben. Experten schätzen, dass der bayerische Verfassungsschutz auf diesem Weg rund 150.000 Mark an die erste Generation der "Internet-Nazis" verteilt hat.

Heute braucht man als Rechtsextremist kaum noch Geld, um Propaganda im Netz zu betreiben. Das Internet ist ein preiswertes und weit reichendes Kommunikationsmittel. Ein einfacher Computer und ein Internetanschluss reichen aus. Über die letzten Jahre wuchs die Zahl rechtsextremer Websites rasant, allerdings, wie gern übersehen wird, langsamer als das Internet insgesamt. Laut der Beobachtungsstelle Jugendschutz.net gibt es derzeit rund 1.500 rechtsextreme Seiten. Allein die NPD betreibt demnach mehr als 200 Homepages, hinzu kommen knapp 140 einschlägige Online-Versandhändler. Neonazis verbreiten ihre Filme auf YouTube, beim Online-Radio LastFM mit Millionen Nutzern weltweit haben zahlreiche Szene-Bands eigene Profile, die NPD twittert live von ihren Bundesparteitagen und Aufmärschen. Bei Seiten wie Facebook, Jappy oder Wer-kennt-wen finden sich tausende rechtsextreme Profile.

Allein durch die Masse an rechtsextremen Inhalten schaffen es die Neonazis, tausende Menschen zu erreichen, an die sie über klassische Wege, etwa mit Flugblättern oder Aufmärschen, niemals herankommen würden. Von einer „Breitenwirkung, die über herkömmliche Kommunikationswege der Szene nicht ansatzweise erreichbar wäre“, spricht der sächsische Verfassungsschutz. Der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest hat festgestellt, dass nahezu jeder vierte Internetnutzer zwischen 12 und 19 Jahren bereits Kontakt mit rechtsextremistischen Netzangeboten hatte. „Breitenwirksamer als in Zeiten des Internets dürften deutsche Rechtsextremisten nach 1945 kaum zuvor gewesen sein“, warnt der Sozialwissenschaftler Thomas Pfeiffer.

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien versucht inzwischen immer häufiger, Naziwebseiten wegen Jugendgefährdung, Volksverhetzung oder Aufrufen zu Straftaten zu indizieren. "Es geht uns darum, die Sichtbarkeit solcher Angebote einzuschränken", sagt die stellvertretende Vorsitzende Petra Meier. Doch zumindest bei Seiten, die auf ausländischen Servern liegen, ist der Kampf aussichtslos. Zwar taucht eine indizierte Homepage bei großen Suchmaschinen wie Google und Yahoo nicht mehr auf. Wer aber die Webadresse direkt in den Browser tippt oder Links von anderen Websites folgt, kann die Seite weiterhin problemlos erreichen. Ausländische Server ganz abzuschalten, ist so gut wie unmöglich. Nur selten werden die Verantwortlichen ermittelt und noch seltener verurteilt.

Anders als die Öffentlichkeit bisweilen glaubt, haben sich einige Protagonisten der Szene inzwischen das nötige Fachwissen erarbeitet, um im Internet und den Sozialen Medien Propaganda für die rechtsextreme Sache zu machen. Der NPD-Pressesprecher Frank Franz beispielsweise besitzt eine Internetfirma. Auch NSU-Helfer Ralf Wohlleben bemühte sich lang Zeit darum, der Szene die Ausstattung für professionelle Online-Auftritte bereitzustellen. Schon vor gut zehn Jahren startete er sein Projekt Netzspeicher24.de. Es sollte dazu dienen, Neonazigruppen einen sicheren Speicherplatz im Netz zu bieten. Die hatten zu der Zeit immer größere Probleme mit normalen Anbietern, die rechtsextreme Inhalte nicht dulden wollten und Verträge kündigten. Dass Netzspeicher24.de als politisches Unterstützerprojekt zu verstehen war, machte die Ankündigung des gelernten Informatikers Wohlleben deutlich: "Eventuell erwirtschaftete Überschüsse" sollten "selbstverständlich wieder in die politische Arbeit" fließen.

Propaganda und Imagearbeit in den Sozialen Netzwerken

Infografik: Das Verhältnis von Facebook-Likes zu Zweitstimmen bei den Bundestagswahlen 2013 (© bpb)

Geradezu hyperaktiv agieren im Netz die jungen Neonazis aus den Reihen der Autonomen Nationalisten. Ihren professionell produzierten Webseiten und YouTube-Videos ist deutlich anzumerken, dass sie die ersten Digital Natives der extremen Rechten sind. Sie sind mit diesen Medien aufgewachsen und wissen genau, wie sie andere Jugendliche online rekrutieren können. Weil die Autonomen Nationalisten praktisch keinerlei Berührungsängste mit englischen Slogans, linksalternativer Ästhetik und moderner Jugendkultur haben, gehen sie noch erfolgreicher als andere Neonazis mit Online-Propagandainstrumenten um. Ganz selbstverständlich sind sie auf eigenen Homepages wie auch auf Facebook, YouTube und Twitter aktiv. Während traditionelle Neonazis noch immer konsequent von "Klapprechner" und "E-Post", von "Weltnetz" und "Heimatseite" sprechen, haben Autonome Nationalisten (AN) kein Problem mit den üblichen Bezeichnungen Laptop und E-Mail, Internet und Homepage.

Der Internet-Auftritt der AN ist genauso zeitgemäß wie ihre martialischen Aufmärsche in der realen Welt. Eine Mischung aus Gewaltästhetik, rebellischem Pathos und direkter Ansprache ("Werde aktiv in deiner Stadt!") soll zum Mitmachen anregen. Selbst Bart Simpson aus der beliebten US-Zeichentrickserie wird im Internet für die Eigeninszenierung genutzt. Ein Bild der Comicfigur im dunklen Kapuzenpullover mit der Aufschrift "Fuck off Israel" wird eingerahmt von der Parole "Autonom und militant. Nationaler Sozialismus jetzt!" Elemente der Street-Art gepaart mit Bildern von Vermummten und englischen Slogans wie "Support your local ns-black block!" sollen Dynamik vermitteln. Action steht im Vordergrund, politische Inhalte sind zweitrangig. Das ist ein völliges anderes Bild, als es etwa Webseiten der NPD oder deren Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) transportieren.

Ähnlich funktionieren die durchaus professionellen Internet-Videos der AN. Wenige Tage nach größeren Aufmärschen taucht in der Regel eine filmische Zusammenfassung des Tages auf YouTube auf, in der man die Realität kreativ zurechtbiegt. War man früher, um Öffentlichkeit zu erreichen, noch auf Journalisten der "Feindpresse" angewiesen, sind der eigenen Propaganda heute kaum noch Grenzen gesetzt. Mit einer semi-professionellen Kamera und entsprechender Software lassen sich innerhalb weniger Stunden qualitativ hochwertige Clips produzieren. Mit schnell geschnittenen Einstellungen, im Zeitraffer abgespielt und mit harter Musik unterlegt, wird selbst aus einem ereignislosen Mini-Treff von hundert "Kameraden" ein aufregender Event. Kleinste Rangeleien mit der Polizei werden zu ruppigen Auseinandersetzungen zurechtmontiert. Sitzblockaden von Gegendemonstranten tauchen praktisch nie auf. In diesen Clips wird beinahe jede Aktivität als spannender Guerilla-Einsatz verkauft, selbst das Verkleben von Stickern auf Mülltonnen oder das wahllose Werfen von Papierschnipseln mit der eigenen Webseitenadresse in der Fußgängerzone. Rechtsextreme Graffiti-Sprayer filmen sich bei ihren Einsätzen, stellen ihre Vorlagen unter Strassenkunst.info ins Netz und rufen zur Nachahmung auf. All das soll vermitteln: Die rechtsextreme Szene bietet spannendes Abenteurertum inmitten einer spießigen Umwelt.

Grassrootsjournalismus von rechtsaußen

Ein entscheidender Punkt rechtsextremer Online-Propaganda ist der Wunsch, eine "Gegenöffentlichkeit" zur verhassten "Systempresse" zu schaffen. Unter dem Namen Media Pro Patria entstand aus diesem Grund vor knapp zehn Jahren eine neonazistische Video-Gruppe, die nach eigener Aussage "ein mediales Gegengewicht zur verlogenen und einseitigen Systempresse schaffen" wollte. Neben Videoberichten zu Aufmärschen und Konzerten veröffentlichte Media Pro Patria erstmals das, was man in der Werbebranche Image-Filme nennt. Junge, hip gekleidete Darsteller wurden im Gehen gefilmt, um Dynamik auszudrücken. In kurzen Sätzen erklären sie in diesen Clips die rechtsextreme Ideologie. Mit schrägen Kameraeinstellungen und angeschnittenen Gesichtern werden die Sehgewohnheiten des jungen Publikums bedient. Da posiert beispielsweise ein tätowierter Neonazi in Cargohose und "Straight Edge"-Shirt und spricht lässig in die Kamera: "Nur ein Volk ohne Identität wird zur leichten Beute des Großkapitals.""Das Volk blutet, und das Kapital kassiert", ergänzt ein "Kamerad" mit Baseballmütze und Lippenpiercing. Naturverbundenheit wird in dem Video vermittelt – im Hintergrund sieht man eine sonnige Flusslandschaft – und Geschichtsbewusstsein: Gefilmt wurde auf einer Burg. "Augen auf – du bist im Krieg" und "reih dich ein in die nationale Bewegung", wird der Zuschauer in einem anderen Clip aufgefordert. Die Szene reagierte begeistert.

Obwohl sich die Media Pro Patria bereits 2010 aufgelöst hat, weil mehrere Mitglieder aus der Szene ausstiegen, kursieren Kopien der Videos bis heute auf YouTube und anderen Videoportalen. Das Internet-Gedächtnis vergisst nichts. Die YouTube-Standardfunktion, die Usern automatisch themenverwandte Videos vorschlägt, hilft den Rechtsextremisten: Wer zufällig auf eines ihrer Videos stößt, kann sich anschließend stundenlang durch die Neonazi-Welt klicken. Zehntausende Clips finden sich allein bei YouTube. Während Videos mit viel nackter Haut vom US-Konzern sofort gelöscht werden, bleiben sogar (in Deutschland) strafrechtlich relevante Neonazivideos oft Wochen oder Monate online.

Auch Facebook bietet eine virtuelle rechtsextreme Erlebniswelt. Die Logik des sozialen Netzwerks sorgt dafür, dass jedem, der einmal einen Neonazi zu seiner Freundesliste hinzugefügt hat, laufend weitere Rechtsextreme und ihre Organisationen vorgeschlagen werden. Mit jedem Klick gleitet der Nutzer tiefer in den rechtsextremen Kosmos. Schnell beginnen Neonazis mit Facebook-Nachrichten "Neulinge" zu Veranstaltungen einzuladen und empfehlen ihnen weitere rechtsextreme User als Freunde. Auch Facebook zeigt bislang kaum Interesse, sich gegen die neonazistischen Umtriebe auf seinem Portal zur Wehr zu setzen. Gelöscht wird kaum, selbst wenn (wiederum in Deutschland) verbotene Symbole auf den Seiten zu finden sind.

Von verschwörungsgläubigen Islamhassern bis zur offiziellen Parteiseite der NPD, von nordischen Rassisten (mit Profilnamen wie "Eiserne Wölfin") bis zu offenen Neonazis ("Adolf88") ist bei Facebook alles zu finden. Live und in Farbe kann man ihnen beim Agitieren zuschauen: So wird das emotionale Thema Kindesmissbrauch geschickt instrumentalisiert, um Ressentiments gegen den vermeintlich tatenlosen Rechtsstaat zu schüren, Migranten als angeblich besonders häufige Täter zu präsentieren und NPD-Forderungen ("Todesstrafe für Kinderschänder") unters Volk zu bringen. Reihenweise gründeten Rechtsextreme in den vergangenen Jahren Gruppen zum Thema Kindesmissbrauch und erreichten damit bis zu 240.000 Fans: Es ist eines der beliebtesten Themen rechtsextremer Agitation im Internet. Das Rekrutieren im Netz funktioniert für Rechtsextreme offensichtlich gut: Mit knapp 60.000 "Likes" liegt die NPD bei Facebook im proportionalen Vergleich zu den realen Wählerstimmen mit weitem Abstand vor allen anderen Parteien. Simone Rafael vom Projekt No-Nazis.net sagt: "Die NPD ist in der Nutzung der interaktiven Möglichkeiten des Web 2.0 viel weiter als die demokratischen Parteien."

Klassische Neonazi-Homepages spielen für die rechtsextreme Nachwuchssuche vermutlich bald nur noch eine Nebenrolle. "Die Kommunikation zwischen rechtsextremistischen Personen verlagert sich immer mehr in nicht-extremistische Communitys", heißt es beim Verfassungsschutz Sachsen. In den sozialen Netzwerken ist die Kontaktaufnahme schließlich erheblich einfacher. Von subtil bis ganz offen sind die Rechtsextremen hier aktiv, auch, weil Indizierungen und Verbote buchstäblich an Grenzen stoßen. Auf die Frage, was man als User tun kann, sind sich die Experten einig: Über rechtsextreme Argumente und Codes informieren – und im Netz besser hinschauen.

Quelle: V-Mann & Thule-netz | http://www.sueddeutsche.de/bayern/nsu-ausschuss-im-bayerischen-landtag-das-staatliche-neonazi-netz-1.1523498

Toralf Staud war von 1998 bis 2005 Politikredakteur der ZEIT, heute schreibt er als freier Autor unter anderem über Rechtsextremismus. Zwei seiner Bücher erschienen auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Er war 2010 und 2013 an den Recherchen von ZEIT und Tagesspiegel zu Todesopfern rechter Gewalt beteiligt. Zuletzt veröffentlichte er bei Kiepenheuer&Witsch: Neue Nazis. Jenseits der NPD – Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts.

ist freier Journalist mit dem Themenschwerpunkt Rechtsextremismus und Jugendkultur. Er betreut für ZEIT-Online seit Juli 2009 den Störungsmelder. Gemeinsam mit Toralf Staud hat er das ZEIT-Portal "Netz gegen Nazis" gestartet und an dem "Buch gegen Nazis" mitgeschrieben.