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Quellentext: Islamfeindlichkeit und Antisemitismus ähneln einander | Rechtsextremismus | bpb.de

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Quellentext: Islamfeindlichkeit und Antisemitismus ähneln einander

Prof. Dr. Wolfgang Benz Wolfgang Benz

/ 15 Minuten zu lesen

Mit seiner These, dass in den Quellschriften des Antisemitismus aus dem 19. Jahrhundert ähnliche Argumentationslinien und Schuldzuweisungen zu finden seien, wie sie heute Islamfeinde nutzen, löste Wolfgang Benz, ehemaliger Leiter des Zentrums für Antisemitismusfoschung, in der Wissenschaft und in den Medien eine heftige Debatte aus. Für seinen vergleichenden Blick auf Islamfeindlichkeit und Antisemitismus erntete er sehr viel Kritik, zum Teil aber auch Unterstützung. Um die Kontroverse nachvollziehbar zu machen, erscheint hier als Quellentext ein Auszug aus seinem Buch "Wir oder Scharia – Islamfeindliche Kampagnen im Rechtsextremismus" (Wochenschau-Verlag 2011), in dem Benz seine These näher erläutert.

Beitrag zur Debatte

Der Politikwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders hat die Debatte über den Vergleich von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit sehr genau verfolgt und einen Text verfasst, worin er die Argumente beider Seiten kritisch betrachtet.

Interner Link: Hier geht's zum Text von Thorsten Gerald Schneiders.

Der Hausmeister eines großen Berliner Wohnhauses hat seine Jugend in Ägypten verbracht, weil seine deutsche Mutter einen Ägypter geheiratet hat. Das ist Jahrzehnte her, aber der Mann erinnert sich noch an viele Begebenheiten. Darunter ist diese: In einem Jahr gab es in ganz Ägypten keinen Zucker. Kein Krümel war auf dem Markt aufzutreiben, erzählte er. Denn die Juden hätten allen Zucker aufgekauft und damit die Mehrheitsbevölkerung schwer geschädigt. Der Berichterstatter ist überzeugt, dass diese Geschichte wahr ist, seine Mutter habe sie ihm erzählt. Und die Mutter habe ihn doch ganz gewiss nicht angelogen... So funktionieren Vorurteile, die für den, der sie übermittelt, Gewissheiten sind. So werden Verschwörungstheorien und Fantasien über die Juden, ihre Macht, ihr Streben nach Herrschaft, ihr Wesen "bewiesen" und transportiert. Die Ressentiments können sich auch gegen andere Minderheiten richten, und sie haben eines gemeinsam, sie grenzen diejenigen, die davon betroffen sind, aus, seien es Muslime oder Juden, Roma oder Asylbewerber.

Die Ausgrenzung erfolgt durch Vorurteile und über Feindbilder. Im 19. Jahrhundert entstand der "moderne Antisemitismus" als Ideologie in Traktaten und Schriften, in denen stereotyp argumentiert wurde, dass Juden Fremde seien, deren Ansprüche auf Herrschaft und Dominanz abgewehrt werden müssten. Wilhelm Marr, einer der Begründer des Rassenantisemitismus, argumentierte: "Ein Volk von geborenen Kaufleuten unter uns, die Juden, hat eine Aristokratie, die des Geldes, ge­schaffen, welche alles zermalmt von oben her, aber, zugleich auch eine kaufmännische Pöbelherrschaft, welche durch Schacher und Wucher von unten herauf die Gesellschaft zerfrißt und zersetzt. Zwischen der semitischen Oligarchie und der dito Ochlokratie [Herrschaft der Masse] wird die Gesellschaft zerrieben wie Korn zwischen zwei Mühlsteinen."

Ressentiments gegen andere heben das eigene Selbstbewusstsein

Das war um das Jahr 1880. In unseren Tagen ist das Feindbild Islam aktuell. Die Methode der Diskriminierung ist von einer Gruppe auf andere übertragbar. So behauptet ein Feind des Islam, der von Interessenten als Experte gehandelt wird, Hans-Peter Raddatz: "[E]in Christ missbraucht seine Religion, wenn er Gewalt anwendet, und ein Muslim missbraucht seine Religion ebenso, wenn er Gewalt nicht anwendet." Raddatz unterstellt damit, Muslime seien durch Gebote ihrer Religion zu Bösem verpflichtet. In diesem Sinne trieben einst die Propagandisten des Antisemitismus Talmudhetze. Gegen Muslime gerichtet, klingt es heute ähnlich, wenn ein Agitator in der Attitüde des Sachverständigen behauptet, "der Islam" folge einer "eingewachsenen Tendenz zu einer ganz natürlichen und historisch vielfach bestätigten Dominanz".

Die als negativ empfundene Eigenart der "anderen" – kulturell, eth­nisch, religiös oder wie auch immer definiert – dient der Hebung des eigenen Selbstbewusstseins. Dieses wird gefestigt durch die Gewissheit, dass die anderen nicht integrationsfähig oder assimilationsbereit oder von ihrer Konstitution her kriminell, asozial und aggressiv seien, bis hin zu Verschwörungsfantasien, denen zufolge eine Minderheit nach Do­minanz über die Mehrheit strebe. Die Stereotype in der Wahrnehmung von Minderheiten dienen also der Selbstvergewisserung der Mehrheit und der Fortdauer des prekären sozialen Status der jeweiligen Minorität. Sozialpsychologisch ist die Existenz von Vorurteilen und ihre Attraktivität leicht zu erklären – das darin gestaute Konfliktpotenzial ist erheblich und bedeutet für das Zusammenleben der Menschen in einer komplexen Gesellschaft eine latente Bedrohung.

Ressentiments gegen den Islam haben seit dem 11. September 2001 weltweit Konjunktur. Die Ermordung des niederländischen Filme­machers Theo van Gogh im November 2004 löste emotionale Reakti­onen im Publikum aus, die sich zu einem weitverbreiteten Phänomen steigerten: Das Feindbild Islam ist auf Ressentiments gegründet, agiert mit Stereotypen und instrumentalisiert verbreitete Ängste. Es hat sich auf einem politisch-sozialen Aktionsfeld etabliert, das Impulse von Moscheebau-Projekten, aus Debatten über Kopftuch und Zwangsehe sowie über die von obskuren Publizisten beschworene Gefahr einer Islamisierung Europas erhält.

Ein Kulminationspunkt war im September 2008 erreicht, als Islam-Feinde sich mit Rechtsextremen in Köln zum Protest gegen Liberalität und Toleranz vereinten. Der erste "Anti-Islamisierungs-Kongress" freilich scheiterte (dank der großen Zahl der Gegendemonstranten und dank bürgerlichen Engagements gegen xenophobe Hysterie), statt die machtvolle "Kraftprobe gegen die Political Correctness" zu werden, die eine rechtsgerichtete Zeitung, die Junge Freiheit, im Vorfeld angekündigt hatte. Dasselbe Blatt sprach von "Landnahme" und propagier­te Widerstand gegen Überfremdung angesichts eines vermuteten Ansturms auf Europa. Differenziert wird dabei – und darum geht es – nicht oder nicht genug zwischen der Mehrheit friedlicher Anhänger der islamischen Religion und einer kleinen Minderheit extremer und gefährlicher Islamisten. Diejenigen, die solchem Verfolgungseifer ab­geneigt sind und Toleranz als Grundverabredung der demokratischen Gesellschaft verstehen, wurden diffamiert als "Quislinge und Karrieristen, die früh in das Lager der kommenden Mächte übergelaufen sind und als eloquente Konvertiten, Vorzeige-Imame oder Verbandsfunktionäre ihren Renegatenfanatismus ganz in den Dienst der Bewegung stellen".

Islamfeinde argumentieren, wie man es von frühen Antisemiten kannte

Aus der Perspektive der Vorurteilsforschung ist das Phänomen der Islamfeindschaft deshalb interessant, weil weithin mit Stereotypen argumentiert wird, die aus der Antisemitismusforschung bekannt sind: etwa der Behauptung, die jüdische bzw. die islamische Religion sei inhuman und verlange von ihren Anhängern unmoralische oder aggressive Verhaltensweisen gegenüber Andersgläubigen. Anlass für die intensive Beachtung dieses Problemfelds besteht also durchaus. Die Horrorszenarien, mit denen Überfremdungsängste stimuliert werden, finden sich nicht nur am rechten Rand, sie werden auch in angesehenen Zeitungen und Zeitschriften entfaltet und von "Ex­perten" vorgetragen. Ressentiments grassieren vor allem im Internet. Auf diesen Wegen weiten sich irrationale Verschwörungsmythen und Fremdenfeindlichkeit aus, die auf Bedrohungsfantasien beruhen, mit der Gleichsetzung von Islam und Islamismus verbunden sind und sich gegen die Idee der Toleranz als einer zentralen Kategorie der demokratischen Werteordnung richten. Vor diesem Hintergrund steht das Plädoyer für eine vergleichende Betrachtung antisemitischer und islamfeindlicher Feindbilder und für die Untersuchung entsprechender Strukturen und Wirkungen.

Der Blick auf Propagandamuster, die aus der Antisemitismusfor­schung geläufig sind, macht bestimmte Parallelen auf Anhieb deutlich. Eines der bösartigsten und wirkungsmächtigsten Pamphlete gegen die Emanzipation der Juden erschien 1791 anonym mit dem Verlagsort "Germanien" unter dem Titel "Über die physische und moralische Ver­fassung der heutigen Juden". Die im Untertitel apostrophierte "Stimme eines Kosmopoliten" war die des preußischen Justizrats Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer. Das Buch bezeichnet den Übergang vom Anti-Ju­daismus zum Antisemitismus (der Begriff war noch nicht geprägt, und die rassistische Argumentation war noch nicht entwickelt, warf aber ihre Schatten voraus). Die Begründungen, die Grattenauer für seine Ressentiments fand, wurden stilbildend: Zum Bestandteil des antisemi­tischen Repertoires wurden die Stereotype, die er verwandte ebenso wie seine Metaphorik, in der Juden als Fäulniserreger und Schädlinge erschienen und mit unangenehmen physischen Eigenschaften behaftet waren.

Grattenauer konstatierte, die jüdische Religion gipfele in einer schlechten Sittenlehre, und deshalb mache die Ausübung ihrer Religi­on die Juden zu schlechten Menschen und untauglich als Bürger. Sie hielten es "für einen Glaubens-Artikel, die Christen zu betrügen, und zu hintergehen, und machen sich vermöge ihrer schlechten Moralität ein Verdienst daraus, treulos, unredlich, falsch, und lieblos gegen die Bekenner des christlichen Namens zu seyn. Aus diesem Gesichtspunkt, muss man die Juden betrachten, und da sie so verstockt, und hartnäckig in ihrem verkehrten Glauben sind, daß sie jeder bessern Einsicht und Erkenntnis, im Geist, und in der Wahrheit muthwillig widerstreben, so folgt schon daraus, daß sie qua Juden, zu Bürgern untüchtig sind." Die Schrift, in der Grattenauer Vorschläge zur Ghettoisierung und Deporta­tion machte, war sensationell erfolgreich und löste eine öffentliche, mit Traktaten und Pamphleten ausgetragene Debatte aus, die 1803 von der preußischen Zensur gestoppt wurde.

Grattenauer war keineswegs der Erste, der Judenfeindschaft in schrift­liche Formen brachte. Der wahrscheinlich wirkungsmächtigste Judenfeind, der seinen Judenhass als Frucht jahrzehntelanger Gelehrsamkeit ausübte, war Johann Andreas Eisenmenger, geboren 1654 in Mannheim (dort ist er 1704 auch gestorben). Er war ab 1700 Professor für orientalische Spra­chen in Heidelberg. Sein zweibändiges, 1700 im Selbstverlag publiziertes Werk "Entdecktes Judentum" war das Initial einer Judenfeindschaft, die in der Tradition des christlichen, religiös fundamentierten Anti-Judaismus argumentierte, aber die Säkularisierung der Judenfeindschaft durch Zuschreibungen über ihr Wesen und ihren Charakter vorbereitete und die wichtigsten Stereotype über "die Juden" fixierte.

Die Wirkung Eisenmengers bestand in der Installation der Vorstellung vom Juden, der durch die Lehren seiner Religion zu abscheulichen Handlungen im täglichen Leben verpflichtet ist, zu Handlungen wie Betrug, Diebstahl, Wucher, sexueller Lüsternheit, und zwar gerichtet gegen Nichtjuden. Eisenmenger stützte sich auf die Exegese des Talmuds und rabbinischer Literatur – mit der Autorität des Wissenschaftlers verkündete der Philologe seine für Laien nicht nachvollziehbaren, aus hebräischem Schrifttum gewonnenen Erkenntnisse.

Zu den Folgen von Eisenmengers Buch gehört nicht nur die weit­verbreitete und vielzitierte Abhandlung des katholischen Theologen August Rohling, die unter dem Titel "Der Talmudjude" 1871 erschien. Die Denunziation des Talmuds als geheimnisvolle Gebrauchsanweisung jüdischer Heimtücke wurde gängige Ingredienz des antisemitischen Weltbilds bis zum Rechtsextremismus der Gegenwart. Ein anderer Epigone Eisenmengers – einer von Hunderten – war Christian Frank, der sich ausdrücklich auf dessen Talmud-Polemik bezog und sie zu einem Bild verdichtete, in dem "die Juden" revolutionären Umsturz gegen die christlichen Staaten planten, die Weltmacht durch Geldherrschaft anstrebten, die öffentliche Meinung vergifteten und erklärte Feinde von Christentum und Sittlichkeit seien.

Verschwörungsfantasien sind typisch für alle Arten von Gruppendiskriminierung

Von dieser Argumentation aus ist der Weg geradlinig und kurz zu einem ebenso unerfreulichen wie wirkungsmächtigen Fanal des modernen Antisemitismus: den "Protokollen der Weisen von Zion" (vgl. Benz 2007). Gerade dieses Beispiel (das islamische Extremisten übernommen haben als Waffe gegen Israel und "die Juden") lehrt uns, wie Vorurteile gegen eine Gruppe destilliert und dann instrumentalisiert werden. Es zeigt auch, wie zählebig solche Konstrukte der Stigmatisierung sind und wie verantwortungslos es ist, sie in die Welt zu setzen: Die "Protokolle der Weisen von Zion" sind heute, mehr als hundert Jahre nach ihrer Entstehung, weltweit verbreitet wie nie zuvor, nicht zuletzt durch die Möglichkeiten, die das Internet Fanatikern eröffnet.

Verschwörungsfantasien gehören zur Grundausstattung aller Arten von Gruppendiskriminierung. Die "Protokolle der Weisen von Zion" sind ein zentraler Text verschwörungstheoretischer antisemitischer Diffamierung: am Ende des 19. Jahrhunderts mit bösartiger Fantasie als judenfeindlicher Traktat in einer Fälscherwerkstatt kompiliert und mit großem Erfolg weltweit in Umlauf gebracht. Das Streben nach Eroberung der Welt durch "die Juden" soll mit der Schrift bewiesen werden, die als angeblich geheime jüdische Quelle Authentizität beansprucht. Der Text ist längst als Fälschung entlarvt, was seine Verbreitung aber nicht beeinträchtigt, denn Antisemiten lassen sich durch Tatsachen nicht be­irren. Wer "die Juden" als Bedrohung empfinden will, um damit Ängste zu kanalisieren, den beirrt weder die elende Argumentation des Falsifikats noch die Reihung abstruser Fiktionen.

Auch Islamfeinde benutzen schlichte Welterklärungen, wie sie Verschwörungstheorien bieten. So entwirft Udo Ulfkotte ein düsteres Gemälde, mit dem er die bevorstehende "muslimische Weltrevolution" beschwört. In seinem Buch "Heiliger Krieg in Europa" schildert er die Bedrohung durch den "zentralen Geheimbund, der mit grenzenlosem Hass und einer langfristigen Strategie die europäische Kultur zu zer­stören sucht". Autor Uffkotte hat den verschwörerischen Geheimbund in der "Muslim-Bruderschaft" ausgemacht, die 1982 einen "Masterplan" zur Eroberung der Welt ausgeheckt habe, der 2001 in der Schweiz bei einer Hausdurchsuchung gefunden worden sei. Dass es die "Muslim-Bruderschaft" tatsächlich gibt, weiß jeder Zeitungsleser; der Rest entsprang Ulfkottes Fantasie: "Die Muslim-Bruderschaft hat einen geheimen Plan zur Unterwanderung nichtmuslimischer Staaten. Das ist keine Verschwörungstheorie, denn sie bekennt sich freimütig zu diesem Ziel." Das kann der Autor zwar nicht beweisen, aber Gläubigen genügt die Versicherung des jeweiligen Vordenkers, es verhalte sich so, wie er es schildere - egal ob es sich um die "Protokolle der Weisen von Zion" handelt oder um Ulfkottes Heiligen Krieg.

Publizisten wie Hans-Peter Raddatz oder Udo Ulfkotte bemühen sich publikumswirksam darum, als Experten für die Gefahren aus dem Orient wahrgenommen zu werden. In Talkshows sind solche Populisten willkommen, die Ängste schüren und Gefahren beschwören, die nicht existieren. Die Panikmache verkauft sich gut. In einer ganzseitigen farbigen Anzeige wurde in einem weitverbreiteten Magazin, der Mitgliederzeitschrift des ADAC (Heft 12/2008), für ein Buch Ulfkottes geworben, das unter dem Titel "SOS Abendland. Die schleichende Islamisierung Europas" gegen "den Islam" Stimmung macht. Der Autor ist gewiss nicht allzu ernst zu nehmen, der Verlag gehört ebenfalls nicht zu den renommierten Häusern – aber die Leser, deren Ängste angerührt sind, interessiert das wahrscheinlich nicht.

Der Werbetext stimuliert das Bedürfnis vieler nach schlichten Welterklärungen und mobilisiert Feindbilder mit suggestiven Fragen: "Wissen Sie, in welchem europäischen Land die wachsende Zahl von Vergewaltigungen durch Mitbürger aus dem islamischen Kulturkreis mit dem ’Klimawandel’ begründet wird? Muslime in arabischer Sprache darüber aufgeklärt werden, dass die Einheimischen nicht Menschen zweiter Klasse sind, sondern auch Menschenrechte haben? 70 Prozent der inhaftierten Straftäter Muslime sind?" Die Ankündigung in dem Inserat ist Verheißung und Drohung zugleich: "In diesem Buch lesen Sie die Chronologie der Ausbreitung des Islam in Europa. Hier erfahren Sie, was Ihnen die deutschen Massenmedien darüber verschweigen. Fakten, die Ihnen den Atem stocken lassen – in einer Fülle, die erdrückend ist. Was schon lange prophezeit wurde, scheint nun Realität zu werden: Der Untergang des Abendlands!"

An anderer Stelle, im bereits zitierten Artikel der Jungen Freiheit, finden wir Argumente gegen Muslime in der Migrationsgesellschaft, die demselben Muster folgen. "Für Europa und speziell für die Deutschen hat die islamische Herausforderung eine eigene, demographische Brisanz. Den altersmüden Einheimischen und ihrer vom Drang zum kollektiven Aussterben gezeichneten Kinder- und Zu­kunftsverweigerung steht eine vitale muslimische Einwanderung gegen­über, die längst nicht mehr allein über die ohnehin meist abmontierten Schlagbaume führt, sondern tagtäglich in den Kreißsälen stattfindet."

Heute wie im 19. Jahrhundert: Furcht vor Überwältigung und Überfremdung

Die Botschaft solcher Niedergangsliteratur (die einst mit Oswald Spenglers "Untergang des Abendlandes" begann) wurde mit sozialdar­winistischer, kulturrassistischer Stoßrichtung von Thilo Sarrazin aufge­nommen und zu einem Pamphlet verarbeitet, das rasch zur Ikone von Ängsten geplagter Wutbürger wurde. Frappierend am Erfolg des mäßig recherchierten und wenig argumentierenden apodiktischen Buches ist sein Publikum: besitzendes, gebildetes Bürgertum, keineswegs die an den Reibeflächen der Integration lebenden Bewohner sozial prekärer Stadtviertel.

Ähnliche Probleme wurden, im 19. Jahrhundert beginnend, auf dem Rücken der jüdischen Minderheit ausgetragen: Angeführt vom Historiker Heinrich von Treitschke, der 1879 vor den aus dem Osten hereinflutenden Juden warnte und die demographische Katastrophe prophezeite - die Sarrazin 130 Jahre später abermals ausmacht, lediglich die Angreifer sind andere -, fanden sich Propagandisten für Unterwanderungs- und Überwältigungsfantasien. Diese Propagan­disten organisierten sich in Antisemitenparteien, machten viel Lärm, hatten politisch zunächst keinen Einfluss, lieferten aber dann, in der richtigen historischen Konstellation nach dem Ersten Weltkrieg, Hitler den Baustoff seiner Ideologie.

Die mediale Arena der Islamfeindschaft ist vor allem das Internet, eine der wichtigsten Seiten der Weblog "Politically Incorrect", gegründet im Herbst 2004 vom Diplom-Sportlehrer Stefan Herre. Die Islamfeinde sind mit großem zeitlichen Abstand von den gleichen Ängsten getrieben wie die Antisemiten des späten 19. Jahrhunderts: der Furcht vor Überwältigung und Überfremdung. Sie begründen diese Furcht mit angeblichen Geboten der Religion der vermuteten Aggressoren: "Die Ausbreitung des Islam bedeutet […], dass unsere Nachkommen - und wahrscheinlich schon wir selbst - aufgrund der kulturellen Expansion und der demographischen Entwicklung in zwei, drei Jahrzehnten in einer weitgehend islamisch geprägten Gesellschaftsordnung leben müssen, die sich an der Scharia und dem Koran orientiert und nicht mehr am Grundgesetz und an den Menschenrechten. Wir sehen es daher aus staatsbürgerlichen und historisch gewachsenen Gründen als unsere Verpflichtung an, einer sich ankündigenden religiösen Diktatur in Deutschland durch Information und Aufklärung gemäß dem Motto entgegenzutreten: ’Nie wieder!’"

Die Sorge, durch die demographische Entwicklung ins Hintertreffen zu geraten, plagte schon die Gründergeneration des Antisemitismus. Otto Böckel predigte zur Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einem dankbaren Publikum, das sich durch die Doktrin der Über­fremdung in seinen Existenzängsten bestätigt sah, die Lehre von den Gefahren der Migration: "Die Juden haben sich besonders stark auch durch Einwanderung vermehrt. Bekanntlich sitzen sie in großer Zahl in Polen, Litauen, Weiß- und Rotrußland, in Podolien und der Ukraine. Dort wohnt beinahe die Hälfte aller europäischen Juden. Hier befindet sich die große vagina judaeorum, aus welcher die übrigen Juden Eu­ropas Auffrischung und neuen Zuwachs erhalten. Stets in Bewegung, strömen diese polnischen Juden nach Rumänien, Oesterreich und Deutschland ein."

Fazit

Eine Chance wäre vertan, wenn die Einsichten nicht genutzt würden, die die Beschäftigung mit dem ältesten und folgenreichsten Vorurteil der Welt vermittelt: dem gegen die Juden. Diese Einsichten können herangezogen werden, um gesellschaftliche Probleme zu erkennen und womöglich bei der Lösung Hilfen zu geben. Darum geht es doch, weder um Opferkon­kurrenz noch um Viktimisierung.

Es wäre ein Missverständnis, wenn nicht Schlimmeres, anzunehmen, dass es sich um einen Empathie-Entzug für die Sache der Juden und des Staates Israel handelte, wenn man gesellschaftliche Entwicklungen in den Blick nimmt und Analogien in struktureller Hinsicht feststellt. Um es ganz deutlich zu sagen: Es geht um Entwicklungen und Trends in der deutschen Gesellschaft. Es geht um Ausgrenzung durch Vorurteile und Feindbilder, und dabei hat Antisemitismusforschung paradigmatische Funktion. Dies übrigens nicht plötzlich oder seit gestern.

Mit dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen modernen Antisemitismus reagierten Teile der Bevölkerung auf einen als bedrohlich empfundenen gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel. Das Feindbild war, wie die Forschung zeigt, auch eine antimo­derne Reaktion auf die Emanzipation der Juden, welche die Antisemiten rückgängig machen wollten. Man kann die Dämonisierung des Islam in der Gegenwart als eine Reaktion auf die Integration von Muslimen betrachten, in deren Verlauf die Bevölkerungsgruppe äußerlich sichtbarer wird, etwa durch den Bau von Moscheen. Im Streit um solche Projekte - das fällt vielen mit dem Antisemitismus des späten 19. Jahrhunderts vertrauten Beobachtern auf – wiederholen sich Motive deutscher Syna­gogendebatten. Salomon Korn hat darauf hingewiesen (vgl. Korn 2008).

Die derzeit beschworene Gefahr einer "Islamisierung Europas", ausgetragen in Kopftuchdebatten, artikuliert im Verlangen nach Mina­rettverboten, agiert mit hasserfüllten Tiraden in der Blogger-Szene, greift auf jahrhundertealte Deutungsmuster zurück. Der aktuelle "islamkri­tische" Diskurs hat erhebliche xenophobe und kulturrassistische Züge, bedient Überfremdungsängste, argumentiert durchgängig mit religiösen Vorbehalten, die seltsamerweise in den säkularisierten Gesellschaften Europas mit großem Ernst vorgetragen und nachempfunden werden. Die Vorstellungen von Despotie (beginnend in der Familie), Gewaltbe­reitschaft oder Bildungsunlust reichen weit zurück. Sie werden bekräftigt durch Verweise auf aktuellen Terrorismus von Islamisten und auf das Unrechtsregime im Iran - in der Absicht, Islam und Islamisierung, die Mehrheit der Muslime mit der Minderheit der Islamisten gleichzusetzen.

Die aktuelle Islamkritik, wie sie auch von jüdischer Seite vehement vorgetragen wird (aus nachvollziehbaren Gründen angesichts der Bedrohung Israels und offensiv gelebter Judenfeindschaft bestimmter Muslime), hat kein historisches Gedächtnis und kein Problembewusstsein für die Austauschbarkeit der Stigmatisierung von Gruppen. Fixiert auf ihr Feindbild, wüten Populisten gegen differenzierende Betrachtungsweisen und verteidigen Demagogen ihre eindimensionale Weltsicht. Dass Islamfeindschaft, die Hass gegen eine fremde Kultur predigt und Intoleranz proklamiert, an anderen Traditionen der Feindseligkeit gegen Menschen, wie dem Antisemitismus oder dem Antiziganismus, zu messen ist, steht wissenschaftlich außer Frage (vgl. Benz 2009).

Es geht aber auch darum, aus der Geschichte der Judenfeindschaft zu lernen. Alle Anstrengungen, den Holocaust zu erforschen und zu verstehen, um die Erfahrung der Katastrophe des Judenmords für die Entwicklung einer demokratischen, humanen und toleranten Gesellschaft zu nutzen, wären vergeblich, wenn anstelle der Juden andere Gruppen stigmatisiert würden.

Zum Thema

Wolfgang Benz löste mit diesem Text eine heftige Kontroverse aus: Darf man Antisemitismus und Islamfeindlichkeit in ein Verhältnis zueinander setzen, gar in einem Atemzug nennen? Der Islam- und Politikwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders hat die Argumente beider Seiten herausgearbeitet und kritisch beleuchtet.

Interner Link: Hier geht's zum Text

Literatur

Bahners, Patrick 2011: Die Panikmacher Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift, München

Benz, Wolfgang (Hrsg.) 2009: Islamfeindschaft und ihr Kontext. Dokumen­tation der Konferenz „Feindbild Muslim - Feindbild Jude", Berlin

Benz, Wolfgang 2007: Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung, München

Benz, Wolfgang 2009: „Der Islam vernichtet alles Andersartige“. Mediale Reaktionen auf den Dresdner Gerichtsmord, in: ders. (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Bd. 18, Berlin, S. 331-342

Deutschlandstiftung Integration (Hrsg.) 2010: Sarrazin. Eine deutsche Debatte, München

Königseder, Angelika 2008: Feindbild Islam, in: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Bd. 17, Berlin, S. 17-44

Korn, Salomon 2008: Zu schwach, um Fremdes zu ertragen?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. 10. 2008, S. 8, www.zentralratdjuden.de/de/article/2076.html

Shooman, Yasemin 2008: Islamfeindschaft im World Wide Web, in: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Bd. 17, Berlin, S. 69-96

Sokolowsky, Kay 2009: Feindbild Moslem, Berlin

Widmann, Peter 2008: Der Feind kommt aus dem Morgenland. Rechtspo­pulistische „Islamkritiker“ um den Publizisten Hans-Peter Raddatz suchen die Opfergemeinschaft mit Juden, in: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Bd. 17, Berlin, S. 45-68

Fussnoten

Fußnoten

  1. Marr, Wilhelm o.J. (1880): Goldene Ratten und rothe Mäuse, Chemnitz, S. 29

  2. Raddatz, Hans-Peter 2004: „Islam bedeutet Frieden? Unfug!" (Interview), in: Die Weltwoche vom 15.4.2004

  3. Ders, 2001: Wer beleidigt Allah?, in: Junge Freiheit vom 6.4.2001, S. 14

  4. Zach, Kurt 2008: Zeichen der Landnahme, in: Junge Freiheit vom 19.9.2008, S. 1

  5. Grattenauer, Karl Wilhelm Friedrich 1791: Über die physische und mo­ralische Verfassung der heutigen Juden. Stimme eines Kosmopoliten, Germanien (Leipzig)

  6. Eisenmenger; Johann Andreas 1893: Entdecktes Judentum. Das ist: Wortgetreue Verdeutschung der wichtigsten Stellen des Talmuds und der sonstigen, den Christen zu einem großen Teile noch ganz unbekannten, hebräisch-rabbinischen Litteratur, welche einen sicheren Einblick in die jüdische Religions- und Sittenlehre gewähren. Zeitgemäß überarb, u. hrsg. von Dr. Franz Xaver Schieferl, Dresden

  7. Rohling, August 1873: Der Talmudjude. Zur Beherzigung für Juden und Christen aller Stände, Münster

  8. Frank, Christian 1816: Die Juden und das Judenthum wie sie sind. Dargestellt aus ihren eigenen Schriften als die erklärten Feinde des Christenthums und der reinen Sittlichkeit, ihrer Geschichte, ihrer Schriften und der Erfahrung gemäß erkannt als offene und geheime Störer des bürgerlichen und moralischen Wohlstandes christlicher Staaten, Köln

  9. Ulfkotte, Udo 2007: Heiliger Krieg in Europa. Wie die radikale Muslim-Bruderschaft unsere Gesellschaft bedroht, Frankfurt/M.

  10. Zach 2008 (Anmerkung 4)

  11. Zur Valenz der Thesen Sarrazins vgl.: Foroutan, Naika (Hrsg.) 2010: Sarrazins Thesen auf dem Prüfstand. Ein empirischer Gegenentwurf zu Thilo Sarrazins Thesen zu Muslimen in Deutschland, Berlin, Externer Link: edoc.hu-berlin.de/oa/articles/reonwY1dcVafw/PDF/26ybhddRzVWd2.pdf

  12. Leitlinien. Gegen den Mainstream, Externer Link: http://www.pi-news.net/leitlinien/ (eingesehen am 6. 12. 2013)

  13. Böckel, Otto 1901: Nochmals: Die Juden-die Könige unserer Zeit. Eine neue Ansprache an das deutsche Volk, Berlin, S. 1

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Geb. 1941, Studium der Geschichte, Politischen Wissenschaft und Kunstgeschichte. Seit 1990 Professor an der Technischen Universität Berlin und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung. Vorsitzender der Gesellschaft für Exilforschung. Mitherausgeber der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft.