Warum hat von Sicherheitsbehörden über Medien bis zur Zivilgesellschaft niemand verstanden, was es mit der Mordserie des NSU an türkischen und griechischen Kleinunternehmern auf sich hatte? In der Diskussion dieser Frage wird – richtigerweise – in erster Linie auf gesellschaftlichen und institutionellen Rassismus hingewiesen. Eine weitere, wichtige Kategorie ist Geschlecht. Denn die Geschichte des NSU zeigt auch, welch dramatisches Ausmaß die gesellschaftliche Ignoranz gegenüber rechtsextremen Frauen hat. Diese Ignoranz fußt auf nicht reflektierten Geschlechterrollen. Trotz der vielen Diskussionen, die es über den Prozess und den NSU gibt, kommt dieser Aspekt in der Auseinandersetzung kaum vor.
Ein Beispiel: Ein Stockwerk über der Wohnung, in der Zschäpe mit ihren Komplizen 2006 lebt, wird durch einen Einbruch ein Wasserschaden verursacht. Zschäpe hilft ihren NachbarInnen, denen sie als Lise D. bekannt ist, später beim Aufräumen und erzählt ihnen, sie sei zum Zeitpunkt der Tat zu Hause gewesen und habe Geräusche aus der Wohnung gehört. Als sie als Zeugin bei der Polizei eine Aussage macht, gibt sie an, Susann E. zu heißen. Ihre NachbarInnen seien fälschlicherweise davon ausgegangen, dass sie Lise D. heiße, erklärt Zschäpe. Dies sei aber nur ihr Spitzname. Und überhaupt seien die NachbarInnen gar nicht ihre NachbarInnen, denn eigentlich wohne sie gar nicht in der Wohnung, sie sei nur oft zu Gast. Dementsprechend könne sie auch nichts zur Tat sagen, denn sie sei zur Tatzeit gar nicht in der Wohnung gewesen. Während sie die Angaben macht, verhaspelt sie sich immer wieder und spricht von der Wohnung als „ihrer“ Wohnung.
Einem Mann mit Migrationshintergrund hätten sie nicht geglaubt
Der Polizist wird nicht stutzig. Ulrich Overdieck, der für die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung den Prozess gegen Zschäpe beobachtet und aus dessen Analysen die erzählte Geschichte stammt, kommentiert: „Man stelle sich vor, statt auf Beate Zschäpe wäre ein polizeilicher Ermittler in einer vergleichbaren Situation auf einen jungen Mann gestoßen, von dem angenommen werden kann, dass er einen sogenannten Migrationshintergrund hat. Hätte diese Person sich gegenüber der Polizei auch in so großem Umfang in Widersprüche über seine Identität und seine Wohnverhältnisse verwickeln dürfen, ohne das Vertrauen in seine Ehrlichkeit zu verspielen?“
Ein weiteres Beispiel, das Overdieck erzählt: 2007 geht die Polizei dem Verdacht nach, die Mordserie an Personen türkischen und griechischen Migrationshintergrunds könne einen rechtsextremen Hintergrund haben. Aufgrund der Konzentration der Morde im Raum Nürnberg fordert die Polizei deshalb vom bayerischen Verfassungsschutz eine Liste aller in der Region lebenden Rechtsextremen an. Als die Polizei die Liste erhält, steht auf ihr auch Mandy S., eine frühe Unterstützerin des NSU, die den drei im Untergrund lebenden Nazis Wohnungen vermittelt hatte und zu der Zeit in Nürnberg lebt. Die Polizei entschließt sich jedoch, die weitere Überprüfung auf Männer zwischen 18 und 35 Jahren zu beschränken. Mandy S. entgeht der Aufmerksamkeit der Polizei, weil sie eine Frau ist; der NSU enttarnt sich vier Jahre später selbst.
Die besorgte Mutter war eine rechtsextreme Frau
Nazis werden tendenziell als Männer gedacht, szenezugehörige Frauen eher als deren Anhängsel. Dies ist eine Reproduktion der überwunden geglaubten Vorstellung von Frauen als per se unpolitischen Subjekten. Als bei der Bürgerversammlung in Berlin-Hellersdorf letzten Sommer, bei der es um das dortige Flüchtlingsheim ging, die beiden NPD-Kader Sebastian Schmidtke und Maria Fank ans Mikrofon traten, wurde Schmidtke erkannt und des Mikrofons verwiesen, während man seine Lebensgefährtin gewähren ließ, die über „unsere Kinder“ und deren vermeintliche Entbehrungen durch die Ankunft der „fremden Kinder“ schwafelte.
In der Wahrnehmung des Moderators mag Maria Fank einfach eine zufällig auf der Bürgerversammlung aufgetauchte, besorgte Mutter gewesen sein. Dass die Äußerung dieser angeblichen Sorgen auf einer Bühne, durchzogen von rassistischen und nationalistischen Vorstellungen, kalkuliert war – das traut man einer Frau, gibt sie sich erst einmal als besorgte Mutter und spricht von „unseren“ Kindern, anscheinend nicht so einfach zu.
Ein unverstellter Blick auf rechte Frauen rüttelt im Zweifelsfall vielleicht an Grundannahmen über das „Wesen“ von Frauen und Männern und somit an den kulturellen und sozialen Grundfesten unserer Gesellschaft. Die Existenz rechtsextremer Frauen überführt generalisierte Vorannahmen über Frauen als friedliebend, harmlos oder einfühlsam der Irrationalität und stellt die als natürlich wahrgenommene Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen infrage.
Sicherlich hat sie sich nur verliebt
Der voreingenommene Blick auf Frauen durchzieht alle gesellschaftlichen Bereiche. Als im Sommer 2012 aufflog, dass die Ruderin Nadja Drygalla mit einem Rechtsextremen zusammen ist, waren sich viele JournalistInnen sicher, Drygalla selbst könne keine Rechtsextremistin sein, sicherlich habe sie sich nur verliebt. „Der Preis der Liebe“, titelte der Stern. Drygalla wurde durch ihre Beziehung zu ihrem Freund geradezu zur Heldin – schließlich verkörperte sie weibliche Grundtugenden: naive Liebe zum Mann und die Treue zu ihm. Eine Initiative in Mecklenburg-Vorpommern wollte ihr auch gleich den Titel „Sportlerin des Jahres“ verpassen.
Längst gehört es zur Strategie der NPD, die gesellschaftliche Wahrnehmung von Frauen als eher sozial, friedfertig und politisch unstrategisch für sich zu nutzen. Es gibt rechtsextreme Erzieherinnen, NPD-Mitglieder in Elternbeiräten, NPD-Kinderfeste, wo Frauen Kuchen und Kaffee verteilen. Frauen sind Sympathieträgerinnen, ihnen wird anscheinend eine Art generalisiertes Vertrauen entgegengebracht.
Frauen sind für die NPD aus zwei Gründen von Interesse. Zum einen, weil sie der vermeintlichen sozialen Ausrichtung der Partei Glaubwürdigkeit verleihen – soziale Belange gelten als Frauenthemen. Die lokale Verankerung, die die Partei anstrebt, erreicht sie zum anderen auch über Frauen, die im vorpolitischen Raum aktiv sind und Kontakte knüpfen. An den letzten Wahlen konnte man beobachten, dass die NPD vor allem dann erfolgreich ist, wenn die Wählerinnen und Wähler die KandidatInnen vor Ort kennen.
Gerade im ländlichen Raum greift die Strategie der Nazis
„Privat ist die sehr nett“, erklärt eine Mutter, an deren Schule eine rechtsextreme Frau Elternsprecherin ist. Gerade im ländlichen Raum, wo die soziale Nähe unter den Menschen groß ist und die Wahrnehmungsfähigkeit von menschenfeindlichen Ideologien schwach ausgeprägt, greift die Strategie der Nazis.
Dass das soziale Engagement von rechten Frauen kalkuliert ist, um die Abgrenzung der Gesellschaft gegen rechtsextreme Positionen und Personen aufzuweichen, ist weitgehend unbekannt. Im ländlichen Raum erfordert die Abgrenzung von Rechtsextremen oft eine höhere Konfliktfähigkeit als in urbanen Räumen.
Und trotzdem – wie ein Jugendsozialarbeiter im Gespräch anmerkte: Auch hier auf dem Land muss man nicht mit allen NachbarInnen befreundet sein. Das Unterschätzen rechtsextremer Frauen macht deutlich, dass die Unterwanderung des öffentlichen Lebens durch Rechtsextreme dann gelingt, wenn ihre Ideologien an Vorstellungen der Mehrheitskultur anknüpfen können und deshalb übersehen werden.
Solange nicht auch Gender zur politischen Querschnittsaufgabe wird, bleibt es schwer, Unterwanderungsstrategien von Nazis zu erkennen und zu unterbinden. Zudem gäbe es eine ganze Reihe praktischer Maßnahmen, die es weiblichen Nazis erschweren würden, in öffentliche Räume vorzudringen und Gewalt auszuüben; sie reichen von Schulungen für die Polizei oder einer nach Geschlecht differenzierten Statistik rechter Gewalt bis zu unterstützenden Maßnahmen für Kindertagesstätten und soziale Einrichtungen, die in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremen bisher weitgehend allein gelassen werden.
Auch innerhalb der demokratischen Zivilgesellschaft muss sich noch einiges bewegen, dass sie das Engagement von Mädchen und Frauen zulässt und fördert. Erst wenn gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe von weiblich sozialisierten Personen als solche selbstverständlich ist, werden rechtsextreme Identitätsangebote für Mädchen und Frauen wirklich uninteressant.
Zuerst erschienen in der taz am 17. Februar 2014 (http://taz.de/!133049/)