Die rechtsextreme Mordserie des NSU hat weltweit für Entsetzen gesorgt. Wie konnten die Täter sich derart radikalisieren? Warum haben die Sicherheitsbehörden versagt? Und wie groß ist das Netzwerk der Rechtsterroristen tatsächlich? Mehrere Untersuchungsausschüsse und ein Gerichtsprozess sollen Antworten liefern.
Eisenach am 4. November 2011. Als sich Polizisten einem Wohnwagen nähern, in dem sie zwei flüchtige Bankräuber vermuten, fallen zwei Schüsse. In dem brennenden Caravan entdeckt die Polizei schließlich die Leichen der mutmaßlichen Täter, die anscheinend ihr Wohnmobil angezündet und anschließend Selbstmord begangen haben. Bald aber stellt sich heraus, dass man nicht nur zwei Bankräubern, sondern der größten rechtsextremen Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik auf die Spur gekommen ist. Die Ereignisse werden zum Wendepunkt im Umgang mit rechter Gewalt und der militanten Neonaziszene. Weder der Verfassungsschutz noch ausgewiesene Szenekenner hatten bis dahin derart kaltblütige und gut organisierte Mordanschläge rechter Terroristen in Deutschland für möglich gehalten.
Mehr als 13 Jahre lang haben Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aus dem Untergrund heraus gemordet, gebombt und mehr als ein Dutzend Banken überfallen. Kurz nach dem Selbstmord ihrer beiden Komplizen zündete Zschäpe das Versteck der Gruppe in Zwickau an und stellte sich wenige Tage später der Polizei. Bald stellten die Ermittler fest: Die blutige Spur der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) zieht sich quer durch die ganze Republik.
Acht türkisch- und ein griechischstämmiger Kleinunternehmer sowie eine Polizistin wurden laut Anklage von dem Trio erschossen. Doch weder Polizei noch Verfassungsschutz vermuteten hinter den Taten ein rechtsextremes Motiv. Hunderte Beamte ermittelten jahrelang in die falsche Richtung. Die Ermittler hätten selbst dann noch am vermuteten Tatmotiv "organisierte Kriminalität" festgehalten, als "Spur um Spur in diese Richtung ergebnislos blieb", kritisierte 2013 der NSU-Untersuchungsausschuss. "Die wenigen Merkmale, die tatsächlich alle Opfer gemeinsam haben […] konnten sie mit keiner bekannten kriminellen Organisation in Konflikt bringen. Nur eine rassistische Tatmotivation traf tatsächlich auf alle Opfer zu", lautet das Fazit des Ausschusses.
Im November 2011 hatten die Ermittler in den Trümmern der Zwickauer Wohnung die Tatwaffen entdeckt, außerdem die Pistole der ermordeten Polizistin. Damit war schlagartig klar geworden, dass hinter den zehn Morden die bis dahin völlig unbekannte Terrorgruppe stand. Auf der Flucht aus ihrer Zwickauer Wohnung hatte Zschäpe noch an 15 Adressen ein grausames Bekenner-Video verschickt. Der viertelstündige Film zeigt den menschenverachtenden Hass, der die Täter antrieb. "Taten statt Worte" fordern die Neonazis darin. Mit einem Mix von Szenen des Zeichentrickfilms "Der rosarote Panther", selbst aufgenommenen Fotos der blutüberströmten Leichen und zynischen Kommentaren verhöhnten die Terroristen ihre Opfer – und ließen erkennen, dass die Mordserie nach zehn Toten eigentlich noch nicht hatte beendet sein sollen: Neben den Fotos der Ermordeten blieben weitere Bilderrahmen für zukünftige Opfer frei.
Die Anfänge in Jena
Die Wurzeln des NSU reichen zurück in die 1990er Jahre. Gewaltbereite Neonazi-Gruppen schießen zu dieser Zeit wie Pilze aus dem Boden. Mit Gewalt und Einschüchterung dominieren Rechtsextreme bald die Jugendkultur, vor allem im ländlichen Raum. Durch die rassistischen Pogrome von Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992) fühlt sich die Szene zusätzlich bestärkt. Die Sicherheitsbehörden scheinen vielerorts vom geballten Hass der neuen Nazis überfordert. In diesem Klima wachsen die drei späteren Rechtsterroristen im thüringischen Jena auf und werden schließlich im rechtsextremen Milieu sozialisiert.
Beate Zschäpe (Jg. 1975) ist in der Stadt geboren und als Einzelkind aufgewachsen. Nach der zehnten Klasse geht sie von der Schule ab und beginnt, nach einer kurzen Anstellung als Malergehilfin, 1992 eine Ausbildung zur Gärtnerin. Zu dieser Zeit lernt sie Mundlos und Böhnhardt in einer rechtsextremen Jugendclique kennen. Ab 1991 wird sie mehrfach, unter anderen wegen Diebstahls verurteilt.
Uwe Mundlos (Jg. 1973), ebenfalls in Jena geboren, hat in der Schule meist gute Noten. Sein Vater war Professor für Informatik an der Fachhochschule Jena, seine Mutter Verkäuferin in einem Lebensmittelgeschäft. Nach der zehnten Klasse geht er ab und macht bei der Firma Zeiss eine Ausbildung als Datenverarbeitungskaufmann. Von 1994 bis 1995 leistet er seinen Grundwehrdienst als Panzergrenadier. Er fällt bei der Bundeswehr durch seine rechte Gesinnung auf, was - das ist üblich - eine Vernehmung durch den Militärischen Abschirmdienst (MAD) zur Folge hat. Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss betonte der MAD 2012, dass Mundlos nicht als Quelle geworben werden sollte, sondern es sich um eine Standardbefragung gehandelt habe. Mundlos' Versuch, sein Abitur nachzuholen, scheitert später. 1991 steht er erstmals wegen Körperverletzung vor Gericht. 1995 wird er wegen des Herstellens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Chemnitz zu einer Geldstrafe verurteilt. Er gilt als der kluge Kopf des Trios.
Uwe Böhnhardt (Jg. 1977), der nie einen Schulabschluss erreicht, schlägt sich mit Gelegenheitsjobs als Bauarbeiter durch. 1996 beendet er eine zweijährige Lehre als Hochbaufacharbeiter. Von ehemaligen Bekannten wird er als gewaltbereiter Waffennarr beschrieben, der als Mitläufer macht, was Mundlos ihm sagt. Mit 16 wird er wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und anderer Straftaten verurteilt. Im Jahr darauf steht er wegen Erpressung, Diebstahl, Volksverhetzung und gefährlicher Körperverletzung vor Gericht. 1996 werden in seinem Auto zahlreiche Waffen gefunden, darunter eine Sturmhaube, ein Handbeil, ein Schlagstock, ein Faustkampfmesser, eine Gaspistole, eine Luftdruckpistole, zwei Magazine mit 15 Gaspatronen und ein Poster mit Wehrmachtsmotiven. Bei der Durchsuchung leistet Böhnhardt Widerstand.
1995 gründen Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt gemeinsam mit Ralf Wohlleben und Holger Gerlach die "Kameradschaft Jena". Schnell steigen sie in der Szene-Hierarchie auf und nehmen an Neonazi-Aufmärschen und -Aktionen in ganz Deutschland teil. Kurze Zeit später schließen sie sich der zu damals bundesweit größten und gefährlichsten Nazi-Kameradschaft "Thüringer Heimatschutz" (THS) an.
1996 beginnt das Trio mit seinen Bombenbasteleien. Sie schicken unter anderem Attrappen von Sprengsätzen an das Rathaus und die Jenaer Polizei sowie eine Zeitungsredaktion. Aufgrund des daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahrens durchsuchen die Ermittler am 26. Januar 1998 die Wohnungen und mehrere Garagen des Trios. Der Zeitpunkt ist schlecht gewählt: der Beamte des LKA Thüringen, der das Verfahren leitet, ist an diesem Tag auf einer Fortbildung. Darüber hinaus ergeht ein Sammeldurchsuchungsbeschluss, der für alle Objekte gilt, statt eines Durchsuchungsbeschlusses für jedes einzelne Objekt. Ein folgenschwerer Fehler. Da durch Verzögerungen nicht alle Garagen gleichzeitig durchsucht werden, wissen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe schnell, was die Polizei in den nächsten Stunden in den zu durchsuchenden Objekten finden wird. Als die Beamten schließlich in einer Garage vier funktionsfähige Rohrbomben und weiteren Sprengstoff entdecken, wird ein Haftbefehl gegen Böhnhardt erlassen. Der aber kommt zu spät: Böhnhardt war zwar anfangs bei der Durchsuchung einer weiteren Garage anwesend. Doch die Beamten vor Ort erfahren zu spät von diesem Haftbefehl. Böhnhardt hat die Garage bereits verlassen, seine Komplizen gewarnt und befindet sich auf der Flucht. Mit seinem Auto, das ihm zur Verfügung stand, denn: "Eine Durchsuchung der Pkw der Beschuldigten lehnte die Staatsanwaltschaft unverständlicherweise ab, da kein ausreichender Bezug zum Tatverdacht gesehen wurde, obwohl die zuvor platzierten Bomben und Bombenattrappen mutmaßlich mit einem PKW transportiert worden sein mussten." Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe tauchen unter.
QuellentextFehler bei den Durchsuchungen am 26. Januar 1998
Seit 1996 führten die Staatsanwaltschaft Gera und das LKA Thüringen ein Ermittlungsverfahren gegen Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und weitere Personen (Ralf Wohlleben, André Kapke und Henning H.) wegen mehrerer im Stadtgebiet Jena platzierter Bomben und Bombenattrappen. Das LfV Thüringen erlangte Anfang Dezember 1997 durch eine Observation einen Hinweis auf die die "Garage Nr. 5" des Garagenvereins "An der Kläranlage" in Jena, in der als Beweisstücke bedeutsame Gegenstände vermutet wurden. Der im Januar 1998 und damit nach Auffassung des Ausschusses zu spät weitergegebene Hinweis führte zu der Entscheidung, von den Beschuldigten genutzte Wohnungen und Garagen am 26. Januar 1998 zu durchsuchen. Der Termin war nicht mit Bedacht gewählt. Der für das Verfahren leitend zuständige Beamte des LKA Thüringen war an diesem Tag auf einer auswärtigen Fortbildung. Für die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft standen die Informationen des LfV Thüringen zunächst nur eingestuft und damit nicht voll verwertbar zur Verfügung.
Statt eines Durchsuchungsbeschlusses für jedes zu durchsuchende Objekt wurde ein gemeinsamer Beschluss für alle Durchsuchungen erlassen – Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe mussten also nach dessen Eröffnung wissen, welche Objekte die Polizei durchsuchte und was sie folglich finden würde. Eine Durchsuchung der Pkw der Beschuldigten lehnte die Staatsanwaltschaft unverständlicherweise ab, da kein ausreichender Bezug zum Tatverdacht gesehen wurde, obwohl die zuvor platzierten Bomben und Bombenattrappen mutmaßlich mit einem PKW transportiert worden sein mussten. Dies hätte nach Auffassung des Ausschusses anders entschieden werden müssen. Dann hätte zudem Böhnhardt sein Auto nicht zur Flucht zur Verfügung gehabt.
Die Vorbereitung der Durchsuchungen durch das zuständige LKA Thüringen war unzureichend: Vor Beginn der Durchsuchungen wurden die Eigentümer der zu durchsuchenden Objekte nicht ermittelt. Dies führte zur ersten Verzögerung, als bekannt wurde, dass die Garage, in der später Sprengstoff gefunden wurde, von einem Polizeibeamten an Zschäpe vermietet worden war. Zur zweiten Verzögerung kam es, als die mit der Durchsuchung beauftragten Beamten bei der Ankunft feststellten, dass die Garage mit einem stabilen Vorhängeschloss gesichert war, das die Polizei erst von der Feuerwehr öffnen lassen musste. Während sich hier die Durchsuchung verspätete, wurde sie bei den anderen Objekten planmäßig begonnen. So gewannen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe den entscheidenden Vorsprung: Sie wussten lange vor den durchsuchenden Beamten um den bevorstehenden Fund. Wären die Garagen dagegen gleichzeitig durchsucht worden, hätte Böhnhardt, der bei der Durchsuchung einer weiteren Garage in der Nähe seiner Wohnung anwesend war, wegen des Sprengstofffunds in der anderen Garage festgenommen werden können. So konnte er Mundlos und Zschäpe warnen und sich schließlich mit ihnen gemeinsam absetzen. Die Polizeibeamten dagegen, die Böhnhardt hätten festnehmen können, erfuhren vom Auffinden dieser Beweisstücke zu spät, so dass sie Böhnhardt nicht am Wegfahren hinderten.
Ebenso unzureichend war die Begleitung der Durchsuchung durch die zuständige Staatsanwaltschaft Gera. Nach Auffassung des Ausschusses wäre die Anwesenheit eines Staatsanwalts bei der Durchsuchung geboten gewesen. Das war jedoch nicht der Fall. Der an sich zuständige Staatsanwalt lag im Krankenhaus, erst im Laufe des Vormittages gelang den durchsuchenden Polizisten eine Kontaktaufnahme zu dessen Stellvertreter. Dieser ordnete nach Auffinden des Sprengstoffs schließlich die Festnahme von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe an. Obgleich der Krankenhausaufenthalt des die Ermittlungen führenden Staatsanwalts im Vorfeld bekannt war, wurde bei der Staatsanwaltschaft Gera nicht dafür Sorge getragen, dass die durchsuchenden Ermittlungsbeamten direkt Kontakt mit dem Stellvertreter aufnehmen konnten. Dies sorgte ebenfalls für Verzögerungen. Obwohl bereits um 10 Uhr in der "Garage Nr. 5" mit der Sicherung der Sprengmittelfunde begonnen wurde, trafen die Einsatzkräfte zur vorläufigen Festnahme des Trios erst um 14.50 Uhr bei deren Wohnungen ein. Da war das Trio längst auf der Flucht.
Die weiteren im Rahmen des Verfahrens wegen der Bomben und Bombenattrappen ermittelten Verdächtigen – zu denen Ralf Wohlleben und André Kapke gehörten – blieben bei der Planung und Durchführung der im Zusammenhang mit der Durchsuchung zu ergreifenden Maßnahmen nach den dem Ausschuss vorliegenden Unterlagen unberücksichtigt. Auch dieser Umstand hat es Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe erleichtert, sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe verließen Jena mutmaßlich mit dem Pkw von Ralf Wohlleben.
Für die Szene gelten die untergetauchten "Kampfgenossen" schnell als Helden. Ein Jahr nach dem Abtauchen des Trios widmet das Nazi-Liedermacher-Duo "Eichenlaub" aus Thüringen den flüchtigen Rechtsterroristen eine Lobeshymne. Zu der Melodie von "Knockin’ on Heaven’s Door" singt eine Frauenstimme theatralisch: "Die Polizei kam euch auf die Spur. Nun hieß es Abschied, für wie lange nur?" Den letzten Satz des Textes kann man als Hinweis auf weitere Aktionen der Flüchtigen deuten: "Die Kameradschaft bleibt bestehen [...] der Kampf geht weiter nur voran, für unser deutsches Vaterland." Aussteiger berichten inzwischen, dass bei mehreren Rechtsrockkonzerten Geld für die Untergetauchten gesammelt wurde.
Das Versagen der Sicherheitsbehörden
Wegen der misslungenen Suche nach Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt und den jahrelangen, erfolglosen Ermittlungen zur Česká-Mordserie, stehen die Sicherheitsbehörden seit der Enttarnung des NSU in der Kritik. Der NSU-Untersuchungsausschuss spricht in seinem Abschlussbericht vom August 2013 von "schweren behördlichen Versäumnissen und Fehlern sowie Organisationsmängeln bis hin zum Organisationsversagen bei Behörden von Bund und Ländern vor allem bei Informationsaustausch, Analysefähigkeit, Mitarbeiterauswahl und Prioritätensetzung". Wichtige Akten wurden geschreddert, Hinweise von V-Leuten nicht weitergegeben und Ermittlungen schlampig geführt. "Fehlleistungen, Fehleinschätzungen und Versäumnisse einzelner Behördenmitarbeiter und -mitarbeiterinnen haben vor allem deshalb erheblich zum Misserfolg der Strafverfolgungsbehörden und Verfassungsschutzämter beigetragen, weil sie teilweise über Jahre nicht erkannt und korrigiert wurden" befand der Ausschuss. Dass die Taten weder verhindert noch die Täter ermittelt werden konnten, sei "eine beschämende Niederlage der deutschen Sicherheits- und Ermittlungsbehörden".
Die Analyse der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern, die in der Vergangenheit stets eine reale rechtsterroristische Gefahr verneinte, wird in dem Bericht als "falsch und grob verharmlosend" kritisiert. Das untergetauchte Trio wurde in mehreren Rechtsextremismus-Analysen erwähnt, aber "ausdrücklich nicht als Beispiel für Rechtsterroristen bewertet". Dabei hätten "sehr wohl Merkmale des bekannten Terrorismus" auf die Drei zugetroffen.Trotz intensiver Ermittlungen fehlen bis heute viele entscheidende Informationen zu den Taten des NSU. Neben dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages gibt es auch in Bayern, Thüringen und Sachsen eigene Ausschüsse, die zur Aufklärung beitragen sollen.
Die wichtigsten Fragen, die bislang ungeklärt geblieben sind, lauten:
Warum wurde das NSU-Bekennervideo zwar aufwendig produziert, aber bis zum Selbstmord von Mundlos und Böhnhardt nicht veröffentlicht?
Warum endete die Mordserie an Migranten 2006?
Warum wurde die Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn erschossen?
Wie wurde der NSU finanziert? Das Geld aus den Banküberfällen hat vermutlich nicht ausgereicht.
Was genau geschah am 4. November 2011 in Eisenach? Warum haben sich Mundlos und Böhnhardt erschossen?
Wer gehört alles zum Unterstützernetzwerk des NSU? Halfen weitere Gesinnungsgenossen bei der Vorbereitung der Morde und Anschläge?
Welche Rolle spielen die zahlreichen V-Leute im näheren Umfeld des NSU-Netzwerkes, und was genau wußten sie?
Wo befand sich Beate Zschäpe in den vier Tagen, bis sie sich bei der Polizei stellte, und was hat sie in der Zeit gemacht?
Welche Taten haben die Drei noch begangen, die bislang nicht mit dem NSU in Verbindung gebracht werden?
Der Prozess
Im Mai 2013 begann in München unter strengen Sicherheitsvorkehrungen und großer medialer Aufmerksamkeit die juristische Aufarbeitung des NSU-Terrors. 84 Prozesstage sind zunächst bis Mitte Januar 2014 angesetzt. Der Prozess wird voraussichtlich zwei Jahre dauern. Mehr als 600 Zeugen sollen gehört werden. Insgesamt 86 Nebenkläger werden von 62 Anwälten vertreten. Mit einem Urteil ist erst im Jahr 2015 zu rechnen.
Laut der 488-seitigen Anklageschrift hatten sich die NSU-Terroristen zum Ziel gesetzt, "durch Mord- und Sprengstoffanschläge ihre nationalsozialistisch geprägten völkisch-rassistischen Vorstellungen von der Erhaltung der deutschen Nation" umzusetzen. Zschäpe wird die Mittäterschaft bei allen Morden, Anschlägen und Überfällen vorgeworfen. Neben Zschäpe stehen in München noch vier weitere Angeklagte vor Gericht:
Ralf Wohlleben (Jg. 1975) gilt als wichtigster NSU-Unterstützer. Neben Zschäpe ist er der einzige Angeklagte, der noch immer in U-Haft sitzt. Als Aufmarsch-Anmelder und Konzert-Veranstalter war er jahrelang eine der zentralen Führungspersonen der Thüringer Neonazi-Szene. Wohlleben kennt die späteren NSU-Terroristen bereits seit Mitte der 1990er Jahre. 1998 soll er die Flucht mitorganisiert und sie in den folgenden Jahren mit Geld und Waffen versorgt haben. Von 2006 bis Mai 2008 war Wohlleben stellvertretender Landeschef der Thüringer NPD. Wohlleben genießt hohes Ansehen in der Szene. Seit seiner Verhaftung läuft eine Solidaritätskampagne für ihn und seine Familie. Die Anklage lautet auf Beihilfe zum Mord in neun Fällen. Er soll unter anderem spätestens 1999 oder Anfang 2000 die Haupt-Mordwaffe vom Typ Česká inklusive Schalldämpfer für den NSU beschafft haben.
André E. (Jg. 1979) wurde am 24. November 2011 von einem GSG-9-Team der Bundespolizei auf dem Bauernhof seines Zwillingsbruders Maik in Brandenburg verhaftet. Er und seine Frau sollen gut mit dem NSU-Trio befreundet gewesen sein und ihnen unter anderem falsche Bahncards besorgt haben. E. macht aus seiner politischen Gesinnung keinen Hehl. Auf seiner Brust hat er die englischen Worte "Die Jew die" (Stirb, Jude, stirb) tätowiert. Ihm wird vorgeworfen, das Bekennervideo des NSU produziert zu haben. Darüber hinaus steht er wegen Beihilfe zum Sprengstoffanschlag in Köln, Beihilfe zum versuchten Mord und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor Gericht. Bislang schweigt er zu den Vorwürfen.
Holger Gerlach (Jg. 1974) soll dem NSU-Trio mehrfach neue Ausweise besorgt und im Auftrag von Wohlleben eine der 20 Schusswaffen des NSU übergeben haben. Er gilt als wichtiger Zeuge, da er im Gegensatz zu Zschäpe, Wohlleben und E. belastende Aussagen gemacht hat. Er bezeichnete Zschäpe als gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe, die für die Finanzen zuständig gewesen sein soll. Sie soll auch bei der besagten Waffenübergabe 2001 dabei gewesen sein. In Bezug auf die Mordserie gibt Gerlach sich aber ahnungslos und behauptet, von den Taten nichts gewusst zu haben. Er gibt an, die untergetauchten Rechtsextremen lediglich aufgrund einer langjährigen Freundschaft unterstützt zu haben. 2004 habe er sich von der Neonazi-Szene losgesagt. Die Anklage wirft ihm Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor. Wegen seiner Aussagen befindet er sich in einem Zeugenschutzprogramm. Die Kronzeugenregelung könnte sein Strafmaß deutlich verringern.
Carsten S. (Jg. 1980) ist im Jahr 2000 glaubhaft aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen und belastet Wohlleben mit seinen Aussagen schwer. Dieser habe ihn damals beauftragt, für 2500 DM die spätere Mordwaffe inklusive 50 Schuss Munition und einem Schalldämpfer zu kaufen. Als S. sich seiner Homosexualität bewusst wurde, begann er, mit der Szene zu brechen. 2003 zog er nach Düsseldorf und studierte dort Sozialpädagogik. Anschließend arbeitete er bei der AIDS-Hilfe. Er bereut nach eigener Aussage seine früheren Aktivitäten als Neonazi. Trotzdem vertraute er den Kauf der Waffe bis zu seiner Festnahme nie jemandem an. Genau wie Holger Gerlach befindet sich S. im Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamts und könnte ebenfalls von der Kronzeugenregelung profitieren. Er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.
Die Angehörigen der Opfer setzen große Hoffnungen in den Prozess. Sie wollen – neben einer Bestrafung der Täter - erreichen, dass die offenen Fragen zum NSU doch noch aufgeklärt werden. Und tatsächlich brachten bereits die ersten Prozesswochen neue Erkenntnisse. Durch Aussagen von Carsten S. etwa wurde ein weiterer möglicher Bombenanschlag des NSU im Juni 1999 in Nürnberg bekannt. Andere Aussagen von S. zu rechtsextremen Gewalttaten der Szene nach der Wende sorgten für ein neues Ermittlungsverfahren gegen Wohlleben wegen versuchten Mordes. Falls noch weitere Angeklagte ihr Schweigen brechen sollten, ist mit neuen Enthüllungen zum NSU zu rechnen.
Doch der Wunsch der Nebenkläger, auch das Unterstützernetzwerk des NSU näher zu beleuchten, wird wohl unerfüllt bleiben. Schon in den ersten Verhandlungstagen wies die Staatsanwaltschaft entsprechende Anträge von Nebenklägern ab. Der Prozess, so die Begründung, sei kein Ort für die Suche nach weiteren NSU-Helfern.
ist freier Journalist mit dem Themenschwerpunkt Rechtsextremismus und Jugendkultur. Er betreut für ZEIT-Online seit Juli 2009 den Störungsmelder. Gemeinsam mit Toralf Staud hat er das ZEIT-Portal "Netz gegen Nazis" gestartet und an dem "Buch gegen Nazis" mitgeschrieben.