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Infodienst Radikalisierungsprävention: Herr Endres, wie relevant sind die Themen Radikalisierung und Prävention bei Arbeit mit Geflüchteten? Warum engagiert sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in diesem Bereich?
Florian Endres: Wir werden von sehr vielen Einrichtungen aus der Flüchtlingsarbeit kontaktiert. Das haben wir schon seit 2015 festgestellt, zunächst eher in Einzelfällen. Darunter waren Jugendämter und teilweise auch ehrenamtliche Initiativen, die bei von ihnen betreuten Personen Auffälligkeiten entdeckt haben oder nur Informationsbedarf hatten. Seit 2016 bekamen wir immer mehr Anrufe. Im Sommer 2016 gab es eine absolute Spitze, als Geflüchtete in Würzburg und Ansbach terroristische Anschläge begangen haben. Von Juli bis September 2016 kamen knapp 50 Prozent der Anrufe bei der Beratungsstelle Radikalisierung [siehe Kasten] aus dem Kontext der Flüchtlingsarbeit.
Hotline und Beratungsnetzwerk
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat 2012 die Telefon-Hotline der Beratungsstelle Radikalisierung eingerichtet. Seitdem hat die Zahl der Anfragen sehr stark zugenommen. Im Jahr 2016 gingen über tausend Anrufe ein, in manchen Monaten sind es bis zu 150. Das BAMF kooperiert mit einem Netzwerk zivilgesellschaftlicher Träger, welche bei Bedarf die weitere Beratung vor Ort übernehmen.
Was sind die Fragen, die Sie aus dem Bereich der Flüchtlingsarbeit gestellt bekommen – gibt es typische Beispiele?
Florian Endres: Oftmals haben die Fragen mit unbegleiteten Minderjährigen zu tun. Zum Beispiel melden sich Betreuerinnen und Betreuer aus Wohneinrichtungen, die feststellen, dass ein Jugendlicher seine Lebensweise komplett ändert: Plötzlich hat ein Geflüchteter aus Afghanistan oder Syrien, der in Deutschland gut Fuß gefasst hat, intensiv seine Religion für sich entdeckt und den Freundeskreis gewechselt. Oder wenn jemand entsprechende Videos anschaut. Das sind Anlässe, die bei Radikalisierungsprozessen außerhalb des Flüchtlingskontexts auch auftreten.
Es kam auch vor, dass andere Personen aus der Wohngruppe berichteten, jemand mache Propaganda für den IS. Häufiger ging es jedoch um eine Wesensänderung.
In vielen Fällen wurden dann die Beratungsstellen vor Ort tätig und haben den Fall mit dem Betreuer oder der Betreuerin besprochen. Oder sie haben mit einem Dolmetscher die Jugendlichen direkt angesprochen.
Das klingt nach sehr informierten Anfragen.
Florian Endres: Ja, es gab Fälle, bei denen wir schon in der telefonischen Erstberatung erkannt haben, dass eine Klärung vor Ort nötig ist. Aber es gab auch Fälle, da haben wir während des Telefonats gemerkt, dass Betreuer oder Betreuerinnen verunsichert sind. Und beim genaueren Hinschauen wurde deutlich, dass sie zu sensibel reagiert haben. Im Zweifel ist es aber immer besser, in einem solchen Fall professionell abzuklären: Gibt es wirklich eine Radikalisierung?
Wir nehmen alle Hinweise entgegen und können dann gegebenenfalls Beratung durch unsere Netzwerkpartner vor Ort vermitteln. Denn diese sind bundesweit verteilt und daher nah am Menschen präsent. Die vielen Hinweise zu bewerten ist für uns und auch für die Kooperationspartner aber immer eine Herausforderung. Denn es gibt auch Anrufer, die in jeglichen arabischen Schriftzeichen mutmaßliche IS-Propaganda sehen. Wir nehmen auch diese Sorgen entgegen und schauen uns jeden Fall sehr genau an.
Extremistische Aktivitäten erkennen
Für die Arbeit mit Geflüchteten haben mehrere Sicherheitsbehörden Handreichungen herausgegeben: Das Externer Link: Bundesamt für Verfassungsschutz, das Externer Link: Ministerium des Inneren in NRW sowie das Externer Link: Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg.
Wie engagiert sich das BAMF insgesamt in der Prävention und Deradikalisierungsarbeit mit Flüchtlingen?
Florian Endres: Es gibt klassisches Infomaterial wie Handreichungen, das wir an die Einrichtungen herausgeben können. Hinzu kommt, dass wir uns mit anderen Behörden austauschen. Denn auch die Landesämter für Verfassungsschutz oder auch Polizeibehörden bekommen ähnliche Anfragen wie wir.
Das zentrale Angebot ist für uns die Beratung. Die wollen wir stärken. Aufgrund der Vielzahl der Anfragen haben wir zusammen mit dem Bundesinnenministerium entschieden, im Jahr 2017 den Beratungsstellen der NGOs weitere Mittel zur Verfügung zu stellen. Sie sollen zusätzliche Stellen schaffen, um sich speziell mit dem Thema der Radikalisierung von Geflüchteten auseinanderzusetzen. Denn die Anfragen sind so zahlreich, dass die vorhandenen Ressourcen nicht ausreichen.
In den Jahren zuvor hatten wir den großen Informationsbedarf zum Thema Radikalisierung eher im Bereich Schule.
Wo sind die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig, und was sind ihre Aufgaben?
Florian Endres: Die Stellen sind bei den bestehenden Beratungsstellen angesiedelt, in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Berlin und in Sachsen.
Die neuen Fachleute sollen in der Lage sein, auch vor Ort in Flüchtlingseinrichtungen zu arbeiten. Dazu gehört, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sensibilisieren, aber auch die Deradikalisierungsarbeit speziell mit Geflüchteten. Sie bringen professionelle Erfahrungen aus dem Kontext Flucht mit, beispielsweise aus der Flüchtlingshilfe oder der sozialpädagogischen Arbeit in diesem Kontext. Dadurch kennen sie die Strukturen und können einschätzen, welche Möglichkeiten es für ihre Arbeit gibt und wo die Grenzen sind. Außerdem übernehmen sie in Zusammenarbeit mit uns die Aus- und Fortbildung innerhalb der Träger.
Das heißt: Wenn jemand aus dem Flüchtlingsbereich Beratungsbedarf hat, wendet er sich wie bisher an die Beratungsstellen – mit dem Unterschied, dass diese nun spezielles Fachpersonal für diesen Bereich haben?
Florian Endres: Genau.
Was unterscheidet die Arbeit mit Flüchtlingen von der allgemeinen Beratungsarbeit?
Florian Endres: Für viele Beratungsstellen ist das Thema Geflüchtete relativ neu. In den vergangenen Jahren haben sie vor allem mit Personen gearbeitet, die in Deutschland aufgewachsen sind. Dabei ist der wesentliche Ansatz, über das soziale Umfeld an die Betroffenen heranzukommen, um dann mit ihnen zu arbeiten. Das ist im Flüchtlingsbereich nur sehr eingeschränkt möglich, weil hier oft kein enges soziales Umfeld oder Familienumfeld vorhanden ist.
Mit den zusätzlichen Mitteln sind die Beratungsstellen in der Lage, neue Methoden zu entwickeln und neue Strategien zu erproben. Ein Ansatz ist, über Regelstrukturen an die Jugendlichen heranzukommen. Bei unbegleiteten Minderjährigen arbeiten wir zum Beispiel mit den Vormündern, mit den Wohngruppenbetreuern, mit der Schule oder mit Arbeitgebern.
Wie wird das Angebot angenommen und kann man bereits ein Zwischenfazit ziehen?
Florian Endres: Die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind seit etwa Juni/Juli 2017 unterwegs. Das heißt, wir sind am Anfang und müssen schauen, wie sich das entwickelt. Aber die Fachleute sind schon stark gefragt. Ein Teil der Arbeit besteht im Moment darin, in den Einrichtungen in den verschiedenen Bundesländern unterwegs zu sein, zu informieren und das Betreuungspersonal zu beraten. Die neuen Fachleute übernehmen teilweise auch bereits vorhandene Fälle.
Das Gespräch führte Sebastian Kauer.
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