Einleitung
Für den äußeren Betrachter ist die autonome Szene in der Bundesrepublik nur schwer fassbar und zugänglich. Sie tritt nicht als geschlossene Gruppierung auf, gilt als organisationsscheu, und der überwiegende Anteil ihrer Mitglieder lehnt es ab, mit Staat, Medien oder Wissenschaft in einen Dialog zu treten. Um dennoch Kenntnis über diese verhältnismäßig heterogene Gruppierung zu gewinnen, dienen der Wissenschaft und den Sicherheitsbehörden in erster Linie die von der Szene herausgegebenen Publikationsorgane. Gemeint sind damit vor allem Zeitschriften. Im Gegensatz zu Büchern, die unter Autonomen nie eine vergleichbare Bedeutung erlangten, erfüllen Zeitschriften für die Mitglieder der autonomen Szene einige wichtige Funktionen und konnten sich als wesentlicher Bestandteil autonomer Aktivität etablieren. Zwar gilt es zu bedenken, dass die Zeitschriften die Szene nicht in ihrer Gänze abbilden, gleichwohl sind sie eine unverzichtbare Quelle, um ein genaueres Bild der autonomen Szene zu erhalten. Im Folgenden soll die linksautonome Zeitschriftenlandschaft in Deutschland genauer in den Blick genommen werden.
Merkmale und Funktionen der Zeitschriften
Seit den 1980er-Jahren entstand in der noch jungen autonomen Szene der Bundesrepublik eine Fülle von Zeitschriften. Von diesen fanden jedoch nur wenige eine bundesweite Verbreitung und konnten sich folglich über mehrere Jahrzehnte auf dem "Markt" etablieren. Der überwiegende Teil der Zeitschriften rekrutierte seine Leserschaft primär in dem jeweiligen regionalen Umfeld. Oft waren und sind die Zeitschriften eng mit einer Gruppe oder einem autonomen Zentrum verknüpft. So ist etwa die Hamburger Autonomenzeitschrift "Zeck", die einflussreichste und bedeutendste Zeitschrift der Autonomen in Norddeutschland, eng an das autonome Zentrum Rote Flora gebunden. Ein weiteres Beispiel ist die Zeitschrift "Arranca", die von der FelS, einer sich selbst als linksradikal bekennenden Gruppe aus Berlin, initiiert wurde.Eine genaue Anzahl der Zeitschriften, die mittlerweile innerhalb der autonomen Szene verbreitet werden, liegt nicht vor. In den Verfassungsschutzberichten der Jahre 2007, 2008 und 2009 wird angegeben, dass mehr als 50 Szenepublikationen im Umlauf sind. Erhältlich sind diese größtenteils in sogenannten Infoläden, ausgewählten Buchläden bzw. im Internet. Innerhalb der Szene erfüllen die Zeitschriften einige praktische Funktionen. Sie informieren zunächst über geplante oder durchgeführte Aktionen. Darüber hinaus bieten sie oftmals ein Forum für szeneinterne Diskussionen. Letztere kreisen in der Regel um Fragen einer verbesserten Zusammenarbeit und der Organisation innerhalb der autonomen Szene oder dienen der Abwägung unterschiedlicher politischer Positionen. In der Vergangenheit wurden bereits viele Zeitschriften mit dem Anspruch gegründet, zu einer besseren Vernetzung innerhalb der Szene sowie zu einer Einigung unterschiedlicher autonomer Strömungen beizutragen. Dieser hohe Anspruch wurde jedoch in allen Fällen nicht erreicht.
Die Spaltung innerhalb der Szene trug in den vergangenen Jahren vielmehr dazu bei, dass die einzelnen Zeitschriften mittlerweile zunehmend nur noch jeweils eine Richtung repräsentieren. Viele Zeitschriften der autonomen Szene verzichten auf sogenannte konventionelle Publikationsstandards, bedienen sich eines eigenen Jargons sowie einer veränderten Orthografie. Beispielhaft sind dafür Begriffe wie "Wagensportliga" oder "Volxsport", mit denen die Beschädigung oder Zerstörung von Kraftfahrtzeugen bezeichnet wird. Als Stilmittel bedient man sich oftmals der Ironie, vor allem in Zusammenhang mit Bekennerschreiben. Folgendes Zitat bringt dies zum Ausdruck: "Wir haben heute Abend unser Gründungsfest mit einigen Autos gemeinsam gefeiert. Dazu haben wir sie mit einem modernen Design versehen." Als traditionelles Charakteristikum autonomer Zeitschriften gilt zudem die Praxis, eingesandte Briefe und Artikel von Einzelpersonen oder Gruppierungen ungefiltert abzudrucken. Anzumerken ist jedoch, dass dieses Konzept weder in der Vergangenheit bei allen Zeitschriften Anwendung fand noch heutzutage uneingeschränkt auf Zustimmung stößt. Während sich einige Zeitschriften schon von Anfang an dezidiert gegen den Verzicht auf eine redaktionelle Bearbeitung entschieden,rückten einzelne Szeneblätter von dem proklamierten Anspruch redaktioneller Selbstbeschränkung in der Praxis mehrfach ab. Beispielhaft steht dafür die Szenezeitschrift "Zeck", die in einigen Fällen nicht darauf verzichtete, das Abdrucken bestimmter eingereichter Texte abzulehnen bzw. Kürzungen an Artikeln vorzunehmen.
Die Entscheidung entweder lediglich als Dienstleistungsorgan zu fungieren, in dessen Zuständigkeitsbereich Produktion und Vertrieb fallen, oder als unabhängige Redaktion eigene inhaltliche Impulse zu setzen, erwies sich für die meisten Redaktionen in der Praxis als problematisch und führte mitunter zur Spaltung. Die Autorinnen und Autoren, die Beiträge in autonomen Periodika veröffentlichen, bevorzugen in der Regel, anonym zu bleiben. Vor dem Hintergrund strafrechtlicher Schritte, die mehrfach auf der Grundlage von Paragraf 129a Strafgesetzbuch (StGB) gegen Zeitschriften eingeleitet wurden, ist dies jedoch weniger eine Frage des Stils, als eine zwingende Notwendigkeit. Unbehagen mit den eigenen Publikationsorganen, insbesondere einzelnen Zeitschriften, äußerten Mitglieder der autonomen Szene in der Vergangenheit bereits mehrfach. Kritisch heißt es etwa in einer Ausgabe der Zeitschrift "radikal": "Die Theoriefeindlichkeit der Autonomen hat heute mit zum Resultat, dass sie nicht die Medien hervorbrachten, die sie in die Lage versetzen würden, ihre durch Implosion des Realsozialismus, Zerfall der neuen sozialen Bewegungen und deutschen Rechtsruck verursachten Krisen- und Resignationsprozesse angemessen diskutieren zu können". Die vereinzelte Unzufriedenheit mit der eigenen Zeitschriftenlandschaft macht auch der Umstand deutlich, dass in einigen Fällen die Entstehung von Periodika aus der Kritik an bereits bestehenden Szeneblättern resultierte. In der ersten Ausgabe des bundesweit vertriebenen Szeneblatts "Interim" rechtfertigen die Initiatoren die Herausgabe der Zeitschrift damit, dass die Zeitschrift "radikal" sich in der Illegalität versteinert habe und das Periodikum "Autonomie" zu einem Organ der Theoretiker geworden sei. Jahre später wird wiederum der "Interim" von den Herausgebern der Zeitschrift "Arranca" vorgeworfen, dass sie entgegen ihres Anspruches kein Diskussionsforum biete, sondern sich zu einer Flugblattsammlung entwickelt habe.
Das Politikverständnis in den Zeitschriften
Bislang brachte die autonome Szene kein ideologisches Programm hervor und formulierte kaum eigene Inhalte. Zwar werden oftmals anarchistische und kommunistische Theoriefragmente aufgegriffen, gleichwohl lässt eine chronologische Betrachtung linksautonomer Zeitschriften keine Entwicklung eines eigenen ideologischen Konzepts erkennen. Autonome betreiben vielmehr eine Art Kampagnenpolitik und arbeiten sich von Thema zu Thema. Die verschiedenen Kampagnen werden im Wesentlichen unter die Themenfelder Faschismus, Repression, Atomkraft, Kapitalismus, Globalisierung, Antisemitismus, Geschlechterverhältnisse und Gentrifizierung subsumiert. Eine Analyse autonomer Periodika verdeutlicht ferner eine schwerpunktmäßige Auseinandersetzung mit zwei Akteuren. Gemeint ist damit zunächst der politische Kontrahent, die rechtsextreme Szene. Aufrufe zu Demonstrationen gegen Neonazis sowie der Versuch, rechtsextreme Strukturen aufzudecken, sind häufige Inhalte der Beiträge, die in linksautonomen Zeitschriften veröffentlicht werden. Um rechtsextreme Strukturen zu entlarven, werden beispielsweise privatwirtschaftliche Unternehmen, die der rechtsextremen Szene ihre Dienstleistungen zur Verfügung stellen, benannt. Der zweite Akteur ist der Staat. Die Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates erfolgt dabei nicht nur subtil, sondern kommt in einigen Zeitschriften angesichts der Veröffentlichung von Bekennerschreiben sehr offen zum Ausdruck. Beinahe gebetsmühlenartig taucht in den Beiträgen autonomer Periodika die Forderung auf, dass eine Änderung der herrschenden Verhältnisse herbeizuführen ist. Die Ungenauigkeit und Vagheit dieser politischen Zielsetzung lässt viel Raum für Interpretation und trägt dazu bei, dass Differenzen sowie Widersprüche verborgen bleiben.
Von der autonomen Szene wird der Vorwurf des schwachen inhaltlichen Fundaments als Versuch bezeichnet, mit dem ihre politischen Inhalte entleert werden sollen. Dementsprechend wird betont: "Dabei ist wohl nichts politischer als die Tatsache, dass wir den Herrschenden nichts mehr zu sagen haben, dass wir innerhalb ihrer Spielregeln und im Rahmen ihres durchorganisierten Alltags sprachlos geworden sind". Zur Durchsetzung ihrer politischen Zielsetzung ist für Autonome die Anwendung von Gewalt unverzichtbar. Zwar zeigt ein Vergleich verschiedener Szenezeitschriften, dass die Häufigkeit der Beiträge, in denen Gewalt legitimiert wird, erheblich variiert, ein dezidierter Gewaltverzicht lässt sich gleichwohl in den von der Autorin untersuchten Periodika nicht nachweisen. Neben der Veröffentlichung von Bekennerschreiben autonomer Aktivisten oder Positionspapieren einzelner Gruppierungen diente das Thema Militanz bereits in mehreren Zeitschriften als Gegenstand kontrovers ausgetragener Debatten. Diese lassen erkennen, dass über einige Fragen bislang keine Einigkeit erzielt werden konnte. Dazu zählt etwa die Frage, welche Form der Gewalt als legitim erachtet wird. Einige Autonome lehnen etwa die Tötung von Einzelpersonen, unter die auch die sogenannten Handlanger des Staates subsumiert werden, explizit ab. Gleichzeitig räumen jedoch andere ein, dass unter besonderen Umständen, wie der Verschärfung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Tötung von Menschen als legitimes Mittel in Betracht gezogen werden könnte.
Zeitschriftenporträts
"radikal" – von der Sozialistischen Zeitschrift für Westberlin zur bundesweiten Autonomenzeitung
Am 18. Juni 1976 erschien mit einer Auf lage von 3 000 Exemplaren die erste Ausgabe der Zeitschrift "radikal". Zur Verbesserung der Solidarität und des gegenseitigen Verständnisses innerhalb des zur damaligen Zeit erheblich zersplitterten linken Spektrums sollte mit dem Periodikum ein zentrales Informationsorgan, ein Diskussionsforum sowie ein praktisches Instrument im Dienste der antikapitalistischen Gruppierungen Westberlins geschaffen werden. Was dies im Einzelnen zu bedeuten haben sollte, präzisierte die Redaktion der "radikal" in dem zweiten Heft noch einmal genauer: "radikal will in erster Linie nützliche Sachen tun, die potenziell allen Linken Vorteile bringen: Umfassender Veranstaltungskalender, Kleinanzeigen, juristische Tips, Bücherlisten, möglichst viele Berichte über Aktivitäten an der Basis, Raum für Diskussion, Gegenüberstellung von Standpunkten, Platz für Leserbriefe und Zuschriften von unorganisierten Genossen".
Für den Titel "radikal", der innerhalb der Szene nicht nur auf Zustimmung stieß, entschieden sich die Initiatoren der Zeitschrift aus zwei Gründen: Da der Begriff "linksradikal" nach Einschätzung der Redaktion für alle linken Gruppierungen Anwendung fand, sollte bewusst die Gemeinsamkeit der Linken verdeutlicht werden. Betont wurde zudem, dass durch den Begriff "radikal" zum Ausdruck gebracht werden könne, dass es nicht darum geht, an Symptomen herumzukratzen, sondern deren Ursache anzugehen und das Übel an der Wurzel zu packen. Schon früh hob die "radikal"-Redaktion hervor, dass sie selbst als Mittler, technischer Umsetzer und Realisator fungiere, und verpflichtete sich gleichzeitig, bei der Auswahl der eingehenden Artikel möglichst wenig einzugreifen. Thematisch beschränkte sich die Zeitschrift zunächst in erster Linie auf die Aktivitäten der Berliner HausbesetzerInnen. Im Verlauf der Hausbesetzungen in Westberlin grenzte sich die Zeitschrift deutlich von der als linksradikales Zeitungsprojekt entstandenen "die tageszeitung" (taz) ab. Während die taz im Zusammenhang mit den Besetzungen als Sprachrohr der sogenannten VerhandlerInnen bzw. späteren Grünen fungierte, beheimatete die "radikal" den militanten Flügel der HausbesetzerInnen, der Verhandlungen ablehnte. Das Ende der Hochzeit der HausbesetzerInnen markierte eine Zäsur für das Periodikum "radikal" und führte zu einer Art Sinnkrise. Zu den thematischen Schwerpunkten entwickelten sich in den Folgejahren vor allem die Sicherheits- und Ausländerpolitik der Bundesrepublik sowie die Aktivitäten der Anti-AKW-Bewegung. Zahlreiche Beiträge in den 1980er- und 1990er-Jahren setzen sich außerdem mit den Aktivitäten der Rote Armee Fraktion (RAF) auseinander.
Eine einheitliche Positionierung zur RAF konnte angesichts unterschiedlicher Beurteilungen jedoch nicht erzielt werden. Deutlich zeigte sich dies im Zusammenhang mit der Ermordung des Generalbundesanwaltes Siegfried Buback.
In vielen "radikal"-Beiträgen distanzieren sich die VerfasserInnen zwar von der Strategie der RAF, bekundeten jedoch hinsichtlich der Inhaftierungen von deren Mitgliedern oftmals ihre Solidarität. Ungeachtet verschiedener thematischer Schwerpunkte profilierte sich die Zeitschrift "radikal" im Laufe der Zeit immer deutlicher in bewusster Abkehr zum demokratischen Verfassungsstaat. Deutlich zum Ausdruck kam diese Entwicklung seit den 1980er-Jahren. Während es anfangs noch um die Einbindung aller Linker ging, lässt sich anhand der Änderung des Untertitels von "Sozialistische Zeitung für Westberlin" zu "Zeitung für unkontrollierte Bewegungen" ab 1980 der Bruch zwischen der sich in der Entstehung befindenden autonomen Szene und der Alternativbewegung nachvollziehen. Angesichts der intendierten Abschaffung des nicht anzuerkennenden staatlichen Gewaltmonopols sprach sich die Redaktion bereits wiederholt für den Einsatz von Gewalt aus: "Die bestehenden Verhältnisse können nur dann erschüttert werden, wenn sich die linksradikalen Gruppen und Zusammenhänge Fähigkeiten und Strukturen aneignen, um punktuell schon heute wirksame Gegenmacht entwickeln zu können. Dies schließt notwendigerweise militante und auch bewaffnete Interventionen mit ein." Zur Unterstützung der militanten Praxis der Szene lieferte die Szenezeitschrift "radikal" bereits in mehreren Heften Informationen, die zur Durchführung gewaltsamer Aktionen erforderlich sind. Dabei handelte es sich etwa um Anleitungen zum Bau von Brandsätzen, Beschreibungen zur Anfertigung einer Briefbombe oder Ideen für Angriffe gegen Castor-Transporte.
Ihre politische Positionierung brachte der Szenezeitschrift "radikal" seit ihrem Bestehen bereits mehrfach die Einleitung strafrechtlicher Maßnahmen ein. Schon 1977 führten einige Passagen zur Eröffnung eines Prozesses wegen der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener gegen den im Impressum genannten presserechtlich Verantwortlichen. Die Konfrontation mit weiteren strafrechtlichen Schritten blieb für die Herausgeber der Zeitschrift auch in den darauffolgenden Jahrzehnten nicht aus. Medienaufmerksamkeit erzielte die Zeitschrift "radikal" insbesondere im Zusammenhang mit zwei Urteilen, die 1984 gegen die Herausgeber der "radikal" ergingen. Der Journalist Benny Härlin sowie der Student Michael Klöckner wurden vom Berliner Kammergericht zu je zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Während Klöckner zumindest eine redaktionelle und buchhalterische Tätigkeit bei der "radikal" nachgewiesen werden konnte, bekam der Journalist Härlin das gleiche Strafmaß für die Herausgeberfunktion. Journalistenverbände sahen in den Urteilen eine Gefahr für die Pressefreiheit, und die "Süddeutsche Zeitung" bilanzierte gar, dass die Urteile verdeutlichten, wie sehr die mit Terroristenprozessen beschäftigten Kammerrichter ihr Augenmaß verloren hätten. Die Zeitschrift erhielt aufgrund der Schärfe der Urteile zahlreiche Solidaritätsbekundungen. Teilweise fand sie sogar Unterstützung bis in das bürgerliche Milieu, wenngleich sich die betreffenden Personen von dem Inhalt der "radikal" distanzierten und nur die angebliche staatliche Zensur als inakzeptabel befanden.
"Interim" – die bundesweite Zeitschrift der Autonomen
Die Etablierung als wichtigstes Informations- und Diskussionsmedium der Autonomen ist der erstmals im Mai 1988 erschienen Zeitschrift "Interim" gelungen. Sie entstand während der Kampagne gegen das Treffen des Internationalen Währungsfonds im September 1988 in Berlin. Im ersten Heft hob die Redaktion hervor, dass mit der Zeitschrift zwei Lücken geschlossen werden sollen. Diese seien eine Konsequenz des politischen Abgangs der taz und des Umstandes, dass es keine Berliner Info der undogmatischen Linken gebe. Von Anfang an entschieden sich die Initiatoren der "Interim" gegen ein redaktionelles Konzept, das konventionellen Maßstäben entspricht. Dementsprechend handelt es sich bei den Artikeln, die in der "Interim" veröffentlicht werden, um Beiträge, die theoretisch von jedweder Person stammen können. Ein in Berlin ansässiges Redaktionskollektiv druckt die zugesandten Texte ab. Diejenigen Beiträge, die nicht in die Zeitschrift aufgenommen werden, hinterlegt die "Interim"-Redaktion in einem Ordner, der in einem Berliner Infoladen zugänglich ist. Grundsätzlich werden die dort gesammelten Beiträge im Inhaltsverzeichnis der jeweiligen Ausgabe genannt. Mit dem Konzept, zugesandte Artikel unverändert in die Ausgaben der "Interim" aufzunehmen, will die Redaktion einer Vielzahl von Gruppierungen die Möglichkeit geben, eigene Texte und Positionen zu veröffentlichten. Die Grenzen dieses Anspruchs zeigten sich jedoch bereits mehrfach in der Praxis. Beispielhaft ist etwa, dass die Redaktion in einem Fall nicht darauf verzichtete, den Verfasser eines zugesandten Textes im Vorwort einer Ausgabe namentlich anzusprechen und darüber aufzuklären, dass seine politischen Positionen teilweise als problematisch erachtet wurden und der Text daher nicht in die Zeitschrift aufgenommen werden konnte. Auch betonte die Redaktion, dass zugesendete Texte zwar grundsätzlich abgedruckt werden sollen, doch nicht in jedem Fall unkommentiert. "Nicht zensieren, kommentieren", rechtfertigt die Redaktion diese Handhabung. Sie verzichtete zudem nicht auf die Benennung thematisch bevorzugter Themen für noch nicht erschienene Ausgaben. Eine, wenn auch begrenzte, redaktionelle Strukturierung fand und findet insofern statt. Bis 1998 erschien die "Interim" in vielen Städten wöchentlich, seither erscheint das Periodikum in einem Abstand von zwei Wochen. Die Auflage der "Interim" schwankt zwischen 1 500 und 2 500 Exemplaren.
Bei den Beiträgen, die in der "Interim" erscheinen, handelt es sich in erster Linie um Positionspapiere einzelner Gruppierungen, anonyme Bekennerschreiben, Ankündigungen von Demonstrationen sowie Berichte über bereits durchgeführte Aktionen, in denen das eigene Handeln bilanziert wird. Auch die Aktivitäten von Autonomen in anderen Staaten werden in einigen Artikeln thematisiert. Die letzte Seite dient in der Regel der Information über anstehende Termine sowie dem Aufruf zur Teilnahme an Demonstrationen.
In unregelmäßigen Abständen diente die Zeitschrift bereits der Diskussion um szeneinterne Konfliktfelder. Dabei handelte es sich größtenteils um sich wiederholende Debatten entlang der Themengebiete Organisation, Militanz und Geschlechterverhältnisse. Einige wenige "Kontroversen" gilt es, angesichts der Heftigkeit und der Intensität, mit denen sie geführt wurden, zu erwähnen. Dazu zählt zunächst die sogenannte Heinz-Schenk-Debatte, eine Anfang der 1990er-Jahre in der "Interim" ausgetragene, szeneinterne Auseinandersetzung mit der eigenen Kampagnenpolitik. Ausgelöst durch den Beitrag ""Wir sind doch kein Kampagnenheinz" erfolgte eine monatelange Debatte, in der die Wirkung des eigenen politischen Engagements sowie damit verbunden die Frage verbesserter Organisation thematisiert wurde. Intensiv ausgetragen wurde ebenfalls die Paul-und-Paula-Debatte. Gegenstand der Ende der 1990er-Jahre geführten Auseinandersetzung war das Themenfeld Geschlechterverhältnisse.
Das Periodikum "Interim" begreift sich als Teil linksradikaler Widerstandskultur. Die Zeitschrift dient daher vor allem als Forum für Personen und Gruppierungen, die Staat und Gesellschaft ablehnen und zum Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse aufrufen. In den in der "Interim" abgedruckten Bekennerschreiben werden vorwiegend Sachbeschädigungen genannt, die sich gegen die Infrastruktur von Rechtsextremen oder das staatliche Handeln richten können. Die Legitimität gewaltsamer Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele veranschaulichen zudem diejenigen Beiträge, in denen relevante Informationen zur Unterstützung der militanten Praxis, etwa eine Anleitung zur Herstellung von Buttersäure, geliefert werden. Auch die "Interim" musste sich bereits wiederholt mit strafrechtlichen Schritten auseinandersetzen. Auslöser war in jüngster Zeit etwa der Abdruck einer Anleitung zum Bau von Brandbomben in einer Ausgabe der Zeitschrift.
"Clash" – der Versuch einer internationalen autonomen Zeitschrift
Mehrere Infoläden aus insgesamt zwölf westeuropäischen Staaten entwickelten in den 1980er-Jahren die Idee einer internationalen respektive westeuropäischen autonomen Zeitschrift. Ziel des Projekts war, die Aktivitäten von Autonomen verschiedener Länder abzubilden. Im Editorial der ersten Ausgabe der "Clash" kündigte die Redaktion daher an, "die medienpolitik der herrschenden aktiv anzugreifen und die vernetzung der kämpfe voranzutreiben". Mit dem Anspruch, über Autonome verschiedener Staaten zu berichten, verband sich die Hoffnung einer gegenseitigen Ermutigung sowie des Aufbaus einer gemeinsamen europäischen Diskussion. Der Blick auf den Anderen sollte zudem neue Anstöße für das eigene Handeln liefern und zu fantasievolleren Widerstandsaktionen verhelfen. Angesichts des Anspruchs, die Zusammenarbeit von Autonomen verschiedener Staaten zu befördern, wurde zu Beginn entschieden, die "Clash" in deutscher und englischer Sprache zu veröffentlichen. In dem Zeitraum von 1989 bis 1994 erschien die "Clash", die zunächst unter dem Titel "Clash – Zeitschrift vom/für den Widerstand" bzw. "Clash – Newspaper for/of resistance in europe" firmierte, zwei- bis viermal im Jahr. Ihre Auflage betrug zunächst etwa 2 000 Exemplare, von denen etwa 500 in englischer Sprache erschienen. Nachdem zunächst wahllos die zugesandten Artikel abgedruckt wurden, entschied die Redaktion, für die einzelnen Hefte thematische Schwerpunkte zu bilden, um damit Orientierung zu geben und Fragestellungen als Diskussionsanregungen anzubieten. Die Zeitschrift "Clash" erhob den Anspruch, dazu beizutragen, eine Alternative zum bestehenden System aufzubauen. Als Ziel wurde ausdrücklich benannt, die bestehenden, als unterdrückend empfundenen Strukturen zu sprengen. Die "Clash" ließ darüber hinaus eine deutliche Nähe zur RAF erkennen. Ausdrücklich betonte die Redaktion etwa: "So soll CLASH ein Mittel sein (…) damit wir gemeinsam in die Lage kommen europaweit gemeinsame Ziele zu verfolgen und zusammen zu handeln. Mit ›wir‹ meinen wir grundsätzlich alle Menschen und Gruppen (…) Dazu gehören eben auch bewaffnete kämpfende Organisationen wie z.B.die Rote Armee Fraktion (RAF)."
Die offensichtliche Nähe zu den Positionen der RAF führte dazu, dass bereits 1991 ein Ermittlungsverfahren gegen die "Clash" eingeleitet wurde. Konsequenz dessen war, dass die Zeitschrift fortan nicht mehr über ein Postfach in Hamburg, sondern in Amsterdam erreichbar war. Das ursprünglich proklamierte Ziel, die Zusammenarbeit Autonomer aus verschiedenen Staaten zu forcieren, blieb für die Initiatoren des Periodikums unerreicht. Stattdessen zeichnete sich schon früh ab, dass die Zeitschrift den Fokus insbesondere auf die autonome Szene der Bundesrepublik legte. fussnote>Vgl. Clash (Anm. 74), S. 3. Problematisch erwies sich zudem bereits frühzeitig die Zweisprachigkeit. Englische Leser merkten etwa an, dass die englischsprachigen Beiträge in einigen Fällen unverständlich seien und dass die Hilfe von Muttersprachlern bei der Übersetzung von Artikeln herangezogen werden solle. Schwierig gestaltete sich für die "Clash"-Redaktion zudem die Übersetzung politischer Parolen.
"Arranca" – ein Novum autonomer Medienkultur?
Mit dem Anspruch, "das Entstehen einer revolutionären Organisation mitzuermöglichen und ein Forum für die linke Neubestimmung zu bieten", initiierte die Berliner Gruppe FelS 1993 die Zeitschrift "Arranca". Den Ausführungen der Redaktion zufolge waren die wesentlichen Gründe für diese Zielbestimmung, dass Organisierung nicht zufällig erfolge und auch nicht in die Hände einer Art Avantgarde-Gruppe zu legen sei. Die Gruppe FelS positionierte sich zunächst in bewusster Abkehr zu den Autonomen, gleichwohl blieben FelS und "Arranca" mit der autonomen Szene stets verbunden. Zwar war die Gruppe F.e.l.S. für die Entstehung der "Arranca" maßgeblich, gleichwohl wird im Editorial der ersten Ausgabe explizit betont, dass keine völlige Identität zwischen Gruppe und Zeitschrift bestehe. In diesem Zusammenhang sei jedoch angemerkt, dass "Arranca" und FelS nicht voneinander losgelöst sind und einige Inhalte der "Arranca" aus FelSDiskussionen entnommen wurden. Der Titel "Arranca" leitet sich von "arrancar" ab, dem spanischen Wort für starten, beginnen. Das Starten bzw. Loslegen bezieht die Redaktion der "Arranca" auf die Notwendigkeit, eine Organisationsdiskussion jenseits der Vorschläge zum Aufbau einer kommunistischen Partei zu etablieren. Entgegen dem Veröffentlichungskonzept, für das sich etwa die Initiatoren der "Interim" entschieden, lehnte die Redaktion der "Arranca" von Beginn an ab, zugesandte Beiträge wahllos zu veröffentlichen. In der ersten Ausgabe wird vielmehr betont, dass eine gewisse Kanalisierung der Diskussionsbeiträge sowie Schwerpunktsetzung vor dem Hintergrund der angestrebten Zielsetzung unvermeidbar sei. Eine Fokussierung auf bestimmte Themen sollte daher den roten Faden in jeder neuen Ausgabe bilden.
Zu den thematischen Schwerpunkten der "Arranca" zählten zunächst vor allem die Tätigkeiten der autonomen und linken Szene Berlins. Darüber hinaus veröffentlichte die Redaktion jedoch auch Texte über die Aktivitäten Autonomer außerhalb der Bundesrepublik. Im Gegensatz zu anderen Periodika der autonomen Szene nimmt in der "Arranca" seit jeher auch die Behandlung von kulturellen Themen einen wichtigen Stellenwert ein. Eine Beschränkung auf politische Fragen lehnt die Redaktion dezidiert ab.
Trotz der genannten Unterschiede zu anderen linksautonomen Zeitschriften spiegeln auch die in der "Arranca" veröffentlichten Beiträge die zentralen Wesensmerkmale autonomen Politikverständnisses wider. Zwar sprachlich oftmals in ein weniger radikales rhetorisches Gewand gehüllt, werden auch in "Arranca"-Artikeln die bestehenden Verhältnisse explizit abgelehnt und der Einsatz von Gewalt als legitim erachtet. Schon in der Null-Nummer des Heftes werden Überlegungen angestellt, mit welchen Voraussetzungen eine Umwälzung der gegebenen Verhältnisse notwendigerweise gegeben sei. Auch die Redaktion der "Arranca" zog bereits das Interesse der Sicherheitsbehörden auf sich. Ausschlaggebend waren dafür allerdings nicht in der Zeitschrift veröffentlichte Texte In einem Fall etwa zog die Zeitschrift in Zusammenhang mit der Verhaftung der seinerzeitigen RAF-Terroristin Birgit Hogefeld die Aufmerksamkeit auf sich.
Szeneintern wird die Zeitschrift "Arranca" auch als nach-autonome Zeitschrift bezeichnet. Ausschlaggebend sei dafür, dass die "Arranca" mit der gängigen autonomen Theorie und Praxis breche. Mit einem anspruchsvollen Layout und theorielastigen Texten versuche die Zeitschrift, einen neuen Stil autonomer Medienkultur umzusetzen.
Ausblick
Bislang erfüllte die Herausgabe von Zeitschriften zweifellos eine wichtige Integrationsfunktion innerhalb der autonomen Szene und diente dieser heterogenen Gruppierung innerhalb des linksextremistischen Spektrums zur Kommunikation und Information. Fraglich ist jedoch, wie sich die Rolle der traditionellen autonomen Publikationsorgane angesichts der explosionsartigen Verbreitung des Internets weiterhin entwickeln wird. Aufgrund der Erfahrungen mit strafrechtlichen Maßnahmen, die gegen Zeitschriften bzw. Herausgeber in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder eingeleitet wurden, trug die im Internet gebotene Anonymität maßgeblich dazu bei, dass Autonome seit einigen Jahren verstärkt das Internet nutzen. Schätzungen zufolge existieren mittlerweile mehr als 1 000 linksextremistische deutschsprachige Internetseiten. Insbesondere die Internetplattformen Indymedia Deutschland und Nadir werden deutschlandweit genutzt. Das Internet erweist sich jedoch als Fluch und Segen zugleich. Zwar bietet es ein hohes Maß an Anonymität, gleichwohl legen Internetforen keine Grenzen akzeptabler Diskussionsbeiträge fest und sind teilweise der Qualität der Veröffentlichungen eher abträglich. Welche langfristigen Konsequenzen die Ausdehnung des Internets auf die Medienlandschaft der autonomen Szene haben wird, bleibt insofern abzuwarten.
Der Text entstammt dem Buch "Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland" der bpb.