Der Umgang mit und das Problembewusstsein gegenüber dem Linksextremismus in Deutschland folgen politischen Konjunkturen. Wenn es wie im Juli 2017 im Zuge des G20-Gipfels in Hamburg zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt, sagen Politiker militanten Linksextremisten den Kampf an, warnen die Medien vor der Gefahr solcher Gruppierungen und äußern sich große Bevölkerungsteile besorgt über die Bedrohung von Linksaußen. Da eiliger Aktionismus indes selten Nachhaltigkeit entfaltet, ebbt mit zeitlich wachsender Distanz das Interesse rasch wieder ab, zumal der Linksextremismus vor dem Hintergrund der wachsenden Gefährdungen durch Islamismus (vor allem durch Terrorismus) und Rechtsextremismus (vor allem durch die Zunahme an Straf- und Gewalttaten) von vielen Beobachtern nicht als die größte Herausforderung der Inneren Sicherheit angesehen wird.
Zudem lassen sich vielfältige Unterschiede in den Wahrnehmungen und Haltungen ausmachen, was sowohl für linksextreme Phänomene als auch für den öffentlichen Diskurs gilt.
Linksextremismus und Politik
Das Verhältnis der demokratischen Parteien zum Linksextremismus hat sich seit der Wiedervereinigung grundlegend gewandelt. Fand der antiextremistische Konsens – gemeint ist die Ablehnung "brauner" und "roter" Extremismen gleichermaßen – vor dem Hintergrund der Blockkonfrontation zwischen Ost und West nicht zuletzt in den Reihen der Sozialdemokratie weite Anerkennung, wird er mit Ausnahme gewaltbereiter Formen heute nicht überall als Bedrohung für die Demokratie betrachtet. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Haltungen zur Partei Die Linke. Unterschiedliche Bewertungen sind weniger demokratietheoretischen Überlegungen geschuldet, decken sich doch parteiübergreifend die Einschätzungen, dass es sich bei Der Linken um eine grundsätzlich demokratische Partei handelt, die zugleich mehrere linksextremistische Untergruppen beheimatet. Vielmehr spielen strategische Erwägungen beim Umgang eine wesentliche Rolle, wie ein Blick auf die Beobachtungspraxis der Verfassungsschutzbehörden und die Beteiligung an Regierungskoalitionen auf Länderebene zeigt.
Die Linke wird nicht mehr als Gesamtpartei beobachtet (zuletzt in Bayern bis 2013). Durch die Westausdehnung der PDS und ihr Zusammengehen mit der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) sind nach Ansicht von Experten seit 2007 neben Gewerkschaftern und Sozialdemokraten gleichwohl auch viele Trotzkisten in Die Linke gelangt, was zur Stärkung der linksextremen Strömungen geführt habe.
Nirgends, wo sie bzw. ihre Vorgängerorganisationen PDS/Linkspartei (mit-)regierte, wurde sie gleichzeitig in den Verfassungsschutzberichten behandelt. Im Gegenteil: In unmittelbarem Zusammenhang mit den Koalitionsbeteiligungen in Mecklenburg-Vorpommern (1998-2006), in Berlin (2002-2011) und Thüringen (seit 2014) wurde die Überwachung und Erwähnung in den Verfassungsschutzberichten eingestellt – 1999, 2002 und 2014.
Linksextremismus und Öffentlichkeit
In Öffentlichkeit und Medien spielt die Frage der Verfassungsmäßigkeit Der Linken so gut wie keine Rolle – sie wird allenfalls aus politischen Erwägungen abgelehnt. Anders sieht es mit Blick auf die linksextreme autonome Szene aus, zumal wenn diese zur Durchsetzung ihrer Ziele (vor allem Antikapitalismus, Antifaschismus, Antigentrifizierung) gewalttätig agiert.
Entsprechend ambivalent sind die Einstellungen der Bevölkerung gegenüber der linksextremen Szene ausgeprägt. Einerseits gibt es vielfältige Anknüpfungspunkte zu linken demokratischen Kräften: im politischen Bereich etwa zu Parteien wie Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, im gesellschaftlichen Bereich innerhalb der breiten zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen Rechtsextremismus und zu Sportvereinen (z. B. der FC St. Pauli) sowie im kulturellen Bereich durch die Nähe zur linksalternativen Musikszene und den entsprechenden subkulturellen Milieus. Wenngleich Gewalt vom übergroßen Teil linker Demokraten weder akzeptiert, geschweige denn selbst angewendet wird, besteht zumindest die Tendenz, Gewalt als Mittel zur Erreichung – vermeintlich – hehrer Ziele nicht mit der gleichen Entschlossenheit entgegenzutreten wie es im Fall rechtsextremistischer Taten der Fall ist.
Auf die Frage, ob Extremismus ein großes Problem darstelle, bejahten 57 Prozent dies für den Rechtsextremismus, hingegen nur 19 Prozent für den Linksextremismus.
Die häufig verzerrte Wahrnehmung extremistischer Gewaltdelikte hängt zum einen mit der Art der Körperverletzungen zusammen (sowohl was Taten als auch was Opfer betrifft), zum anderen mit der medialen Berichterstattung darüber. Rechte Gewalt richtet sich zumeist gegen Wehrlose (Flüchtlinge, politische Gegner) in unmittelbarer Nähe zu den Opfern (Face-to-Face-Gewalt).
Ein gewisses Verständnis in Teilen der Bevölkerung für linke Gewalt resultiert nicht zuletzt aus der Erklärungsstrategie der Szene: Im Kampf gegen einen – vermeintlich – übermächtigen Gegner befinde man sich in einer Notwehrsituation, um sich gegen die strukturelle und physische Gewalt des Staates (z. B. bei Polizeieinsätzen), des Faschismus, des Kapitalismus und der Globalisierung zu verteidigen. Nach Einschätzungen der – jedoch nicht unumstrittenen – empirischen Studie zum Linksextremismus "Gegen Staat und Kapital – für die Revolution!"
Allerdings hat hier seit der Gewalt vor und während des G20-Gipfels in Hamburg ein Wandel bei der Bewertung linksextremer Gewalt stattgefunden. Vertreter aller politischen Lager und die Medien fordern ein zukünftig entschiedeneres Vorgehen: zur Verhinderung derartiger koordinierter Eskalation im Vorfeld durch die Kriminalämter und Verfassungsschützer, während der Ausschreitungen durch ausreichend und besser vorbereitete Polizeikräfte und im Nachgang eine konsequente Strafverfolgung und Verurteilung linksextremer Gewalttäter. Zudem hat in der Bevölkerung ein Umdenken stattgefunden: Sahen wie im Jahr 2013 im Herbst 2016 etwa ein Fünftel der Bürger (2013: 19 Prozent, 2016: 21 Prozent) im Linksextremismus ein großes Problem, hatte sich der Wert ein Jahr später mehr als verdoppelt (September 2017: 44 Prozent). Ob die veränderte Wahrnehmung mit einem generellen Einstellungswandel einhergeht oder eher temporärer Natur ist, bleibt abzuwarten – vor allem werden wohl erneut rechtsextreme oder islamistische Gewalttaten die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Linksextremismus und Wissenschaft
Im Gegensatz zum facettenreich untersuchten Rechtsextremismus fristen die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Begriff "Linksextremismus" sowie vergleichende Analysen – trotz Fortschritten in den vergangenen zehn Jahren – nach wie vor ein Schattendasein. Das gilt für linksextremistische Organisationsformen (Parteien, Szenen, intellektuelle Strömungen), Aktionsbereiche (Demonstrationsgeschehen, Gewalttaten, Musik), Einstellungen und Verhaltensweisen sowie regionale und internationale Vergleiche.
Als Hauptgrund für diese Asymmetrie lassen sich starke Vorbehalte gegenüber einer vergleichenden Perspektive ausmachen. Was bei Diktaturen inzwischen weithin Akzeptanz erfahren hat (die Anerkennung von rechten wie linken Varianten), gilt für den Vergleich der Extremismen nicht in gleichem Maße. Die Subsummierung und der Vergleich von "rechts" und "links" unter der Begrifflichkeit des Extremismus gilt (nicht nur) vielen Wissenschaftlern als Provokation; sie wehren sich, "links" mit dem Phänomen des Rechtsextremismus über einen Kamm zu scheren.
Linksextremismusforscher und vergleichend arbeitende Wissenschaftler halten dem das vielfältige Erkenntnisinteresse ihrer Arbeit entgegen: die Gefährdung des demokratischen Verfassungsstaates, die Erfolgsbedingungen des Extremismus, mögliche Wechselwirkungen von Links- und Rechtsextremismus (Stichwort Konfrontationsgewalt), der Intensitätsgrad gewaltbereiter und gewaltloser Formationen sowie, im Falle extremistischer Parteien, ihre Wirkungen auf Parteiensysteme. Zudem gehe es nicht um eine – vermeintliche – Gleichsetzung, zielt doch der komparative Ansatz auf das Aufzeigen sowohl von Unterschieden als auch von Gemeinsamkeiten. Als tertium comparationis ist die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit folglich keine marginale Randkategorie, sondern gerade für eine wertgebundene politische Bildung das entscheidende Kriterium. Zugleich sind im Bereich des Linksextremismus in den vergangenen Jahren wichtige Publikationen erschienen: zum "Linksextremismus in Deutschland" die Studie von Armin Pfahl-Traughber sowie ein Sammelband bei der Bundeszentrale für poltische Bildung (herausgeben von Ulrich Dovermann), die Studie von Schroeder/Deutz-Schroeder zu linksextremen Einstellungen sowie die international vergleichende Analyse von Tom Mannewitz über linksextremistische Parteien in Europa
Dabei wäre ein gesellschaftlicher Konsens darüber, was überhaupt als (links-)extremistisch zu gelten hat und was nicht, von großer Bedeutung: Handelt es sich um Demokraten, muss ungeachtet mancher unliebsamen Positionen das Sprechen, Verhandeln und unter Umständen Koalieren miteinander möglich sein. Für Extremisten gilt all dies nicht. In den Medien gehört ein breiter Pluralismus zu den Funktionsvoraussetzungen der Demokratie – solange er sich innerhalb des verfassungsmäßigen Rahmens bewegt. Und gerade die politische Bildung ist innerhalb des demokratischen Spektrums zu politischer Neutralität verpflichtet – gegenüber (links-)extremistischen Auffassungen gilt es dagegen, klar Stellung zu beziehen.