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Repräsentation des Linksextremismus in öffentlichem Diskurs und Wissenschaft

Tom Thieme

/ 11 Minuten zu lesen

Das Verhältnis der demokratischen Parteien zum Linksextremismus hat sich seit der Wiedervereinigung grundlegend gewandelt. Nicht überall wird er heute als Bedrohung wahrgenommen. Auch in der Bevölkerung sind die Einstellungen gegenüber der linksextremen Szene ambivalent. Die Wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Begriff "Linksextremismus" sowie vergleichende Analysen fristen noch immer ein Schattendasein.

Linksextreme Demonstranten am 1. Mai 2016 in Hamburg. (© picture-alliance/dpa)

Der Umgang mit und das Problembewusstsein gegenüber dem Linksextremismus in Deutschland folgen politischen Konjunkturen. Wenn es wie im Juli 2017 im Zuge des G20-Gipfels in Hamburg zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt, sagen Politiker militanten Linksextremisten den Kampf an, warnen die Medien vor der Gefahr solcher Gruppierungen und äußern sich große Bevölkerungsteile besorgt über die Bedrohung von Linksaußen. Da eiliger Aktionismus indes selten Nachhaltigkeit entfaltet, ebbt mit zeitlich wachsender Distanz das Interesse rasch wieder ab, zumal der Linksextremismus vor dem Hintergrund der wachsenden Gefährdungen durch Islamismus (vor allem durch Terrorismus) und Rechtsextremismus (vor allem durch die Zunahme an Straf- und Gewalttaten) von vielen Beobachtern nicht als die größte Herausforderung der Inneren Sicherheit angesehen wird.

Zudem lassen sich vielfältige Unterschiede in den Wahrnehmungen und Haltungen ausmachen, was sowohl für linksextreme Phänomene als auch für den öffentlichen Diskurs gilt. Existiert weitgehend, aber nicht allerorts, Konsens bei der Ablehnung gewaltbereiter linker Szenen, werden gewaltfrei agierende Bestrebungen (z. B. Parteien) selten als antidemokratisch wahrgenommen. Und während überwiegend (nicht ausschließlich) liberal-konservative Vertreter aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft einen gleichen Maßstab im Umgang mit verschiedenen politischen Extremismen fordern, lehnen viele (nicht alle) im linken Lager einen solchen Vergleich als – vermeintlich – falsche Gleichsetzung ab, oder sie bezweifeln die generelle Existenz eines linken Extremismus.

Linksextremismus und Politik

Das Verhältnis der demokratischen Parteien zum Linksextremismus hat sich seit der Wiedervereinigung grundlegend gewandelt. Fand der antiextremistische Konsens – gemeint ist die Ablehnung "brauner" und "roter" Extremismen gleichermaßen – vor dem Hintergrund der Blockkonfrontation zwischen Ost und West nicht zuletzt in den Reihen der Sozialdemokratie weite Anerkennung, wird er mit Ausnahme gewaltbereiter Formen heute nicht überall als Bedrohung für die Demokratie betrachtet. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Haltungen zur Partei Die Linke. Unterschiedliche Bewertungen sind weniger demokratietheoretischen Überlegungen geschuldet, decken sich doch parteiübergreifend die Einschätzungen, dass es sich bei Der Linken um eine grundsätzlich demokratische Partei handelt, die zugleich mehrere linksextremistische Untergruppen beheimatet. Vielmehr spielen strategische Erwägungen beim Umgang eine wesentliche Rolle, wie ein Blick auf die Beobachtungspraxis der Verfassungsschutzbehörden und die Beteiligung an Regierungskoalitionen auf Länderebene zeigt.

Die Linke wird nicht mehr als Gesamtpartei beobachtet (zuletzt in Bayern bis 2013). Durch die Westausdehnung der PDS und ihr Zusammengehen mit der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) sind nach Ansicht von Experten seit 2007 neben Gewerkschaftern und Sozialdemokraten gleichwohl auch viele Trotzkisten in Die Linke gelangt, was zur Stärkung der linksextremen Strömungen geführt habe. Zugleich belegen die Erwähnungen der Verfassungsschutzberichte 2016 erhebliche Umgangs- und Wahrnehmungsunterschiede. In sieben Ländern sowie vom Bund werden einzelne Zusammenschlüsse innerhalb der Partei, wie die Kommunistische Plattform, die Antikapitalistische Linke, die Sozialistische Linke, die Arbeitsgemeinschaft Cuba Si und die Jugendorganisation Solid, beobachtet: in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Auch wenn die Zusammenhänge nicht in allen Fällen zutreffen, zeigen sich klare Tendenzen: Nicht die Ausrichtung der Landesverbände als "reformorientiert" oder "orthodox" erklärt zumeist die unterschiedliche Beobachtungspraxis, sondern wie stark Die Linke verankert ist und welche Parteien in den Ländern regieren. In den östlichen Ländern, wo sich Die Linke vielerorts als zweitstärkste politische Kraft konsolidiert hat, findet außer in Sachsen keine Beobachtung statt. In den sechs westlichen Ländern mit Verfassungsschutzüberwachung ist sie dagegen kaum etabliert; Ende 2017 war sie nur im hessischen Landtag und in der Hamburger Bürgerschaft vertreten. Und während mit Ausnahme der Hansestadt und Niedersachsens derzeit kein weiteres "SPD-Land" Die Linke observiert, sind es überwiegend "Unions-Länder" (Bayern, Hessen, Sachsen sowie für lange Zeit Baden-Württemberg), die daran festhalten.

Nirgends, wo sie bzw. ihre Vorgängerorganisationen PDS/Linkspartei (mit-)regierte, wurde sie gleichzeitig in den Verfassungsschutzberichten behandelt. Im Gegenteil: In unmittelbarem Zusammenhang mit den Koalitionsbeteiligungen in Mecklenburg-Vorpommern (1998-2006), in Berlin (2002-2011) und Thüringen (seit 2014) wurde die Überwachung und Erwähnung in den Verfassungsschutzberichten eingestellt – 1999, 2002 und 2014.

Linksextremismus und Öffentlichkeit

In Öffentlichkeit und Medien spielt die Frage der Verfassungsmäßigkeit Der Linken so gut wie keine Rolle – sie wird allenfalls aus politischen Erwägungen abgelehnt. Anders sieht es mit Blick auf die linksextreme autonome Szene aus, zumal wenn diese zur Durchsetzung ihrer Ziele (vor allem Antikapitalismus, Antifaschismus, Antigentrifizierung) gewalttätig agiert. Zugleich versuchen Linksautonome auf diesen Agitationsfeldern, die nicht per se extremistisch sind, Akzeptanz für ihre Anliegen in der Bevölkerung zu erreichen. Demokraten und Extremisten, Gewaltbereite und Gewaltgegner sind dadurch für die Öffentlichkeit nicht so einfach zu unterscheiden. Zudem verschiebt sich die Wahrnehmung dessen, welche Akteure, welche Positionen und welche Mittel der demokratische Konsens noch duldet und welche nicht.

Entsprechend ambivalent sind die Einstellungen der Bevölkerung gegenüber der linksextremen Szene ausgeprägt. Einerseits gibt es vielfältige Anknüpfungspunkte zu linken demokratischen Kräften: im politischen Bereich etwa zu Parteien wie Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, im gesellschaftlichen Bereich innerhalb der breiten zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen Rechtsextremismus und zu Sportvereinen (z. B. der FC St. Pauli) sowie im kulturellen Bereich durch die Nähe zur linksalternativen Musikszene und den entsprechenden subkulturellen Milieus. Wenngleich Gewalt vom übergroßen Teil linker Demokraten weder akzeptiert, geschweige denn selbst angewendet wird, besteht zumindest die Tendenz, Gewalt als Mittel zur Erreichung – vermeintlich – hehrer Ziele nicht mit der gleichen Entschlossenheit entgegenzutreten wie es im Fall rechtsextremistischer Taten der Fall ist.

Auf die Frage, ob Extremismus ein großes Problem darstelle, bejahten 57 Prozent dies für den Rechtsextremismus, hingegen nur 19 Prozent für den Linksextremismus. Gefragt nach der Kenntnis bzw. Vermutung darüber, von welcher Extremismusform die meiste Gewalt ausgehe, gaben 43 Prozent den Rechtsextremismus an – den Linksextremismus lediglich 5 Prozent. Tatsächlich lag die Zahl politisch motivierter Gewalttaten von links in den vergangenen zehn Jahren stets über jenen von rechts (im Bereich der politisch motivierten Kriminalität allgemein sieht es freilich anders aus). Bei 30 Prozent der Befragten decken sich die Annahmen mit den aktuellen Zahlen der Sicherheitsinstitutionen, nämlich nahezu gleichvieler rechts- und linksextremer Gewaltvorfälle.

Die häufig verzerrte Wahrnehmung extremistischer Gewaltdelikte hängt zum einen mit der Art der Körperverletzungen zusammen (sowohl was Taten als auch was Opfer betrifft), zum anderen mit der medialen Berichterstattung darüber. Rechte Gewalt richtet sich zumeist gegen Wehrlose (Flüchtlinge, politische Gegner) in unmittelbarer Nähe zu den Opfern (Face-to-Face-Gewalt). Linke Gewalt wendet sich indes vornehmlich "nur" gegen "wehrhafte Feinde", zuvorderst Polizisten und Rechtsextremisten, zudem meist aus der Entfernung (Flaschen- und Steinwürfe). Diese Unterschiede bei der Gewaltintensität werden die Opfer linker Gewalt freilich wenig interessieren, zumal wenn ihrem Schicksal in der Öffentlichkeit nicht die gleiche Aufmerksamkeit zuteil wird wie bei rechten Taten. So ist die mediale Empörung bei fremdenfeindlichen Übergriffen zu recht groß, während Gewalt gegen die Polizei (z. B. am 1. Mai) fast schon als Normalität gilt.

Ein gewisses Verständnis in Teilen der Bevölkerung für linke Gewalt resultiert nicht zuletzt aus der Erklärungsstrategie der Szene: Im Kampf gegen einen – vermeintlich – übermächtigen Gegner befinde man sich in einer Notwehrsituation, um sich gegen die strukturelle und physische Gewalt des Staates (z. B. bei Polizeieinsätzen), des Faschismus, des Kapitalismus und der Globalisierung zu verteidigen. Nach Einschätzungen der – jedoch nicht unumstrittenen – empirischen Studie zum Linksextremismus "Gegen Staat und Kapital – für die Revolution!" sind entsprechende Einstellungen in der Bevölkerung verbreitet (17 Prozent). Die Befürwortung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele liegt bei mindestens sieben Prozent.

Allerdings hat hier seit der Gewalt vor und während des G20-Gipfels in Hamburg ein Wandel bei der Bewertung linksextremer Gewalt stattgefunden. Vertreter aller politischen Lager und die Medien fordern ein zukünftig entschiedeneres Vorgehen: zur Verhinderung derartiger koordinierter Eskalation im Vorfeld durch die Kriminalämter und Verfassungsschützer, während der Ausschreitungen durch ausreichend und besser vorbereitete Polizeikräfte und im Nachgang eine konsequente Strafverfolgung und Verurteilung linksextremer Gewalttäter. Zudem hat in der Bevölkerung ein Umdenken stattgefunden: Sahen wie im Jahr 2013 im Herbst 2016 etwa ein Fünftel der Bürger (2013: 19 Prozent, 2016: 21 Prozent) im Linksextremismus ein großes Problem, hatte sich der Wert ein Jahr später mehr als verdoppelt (September 2017: 44 Prozent). Ob die veränderte Wahrnehmung mit einem generellen Einstellungswandel einhergeht oder eher temporärer Natur ist, bleibt abzuwarten – vor allem werden wohl erneut rechtsextreme oder islamistische Gewalttaten die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Linksextremismus und Wissenschaft

Im Gegensatz zum facettenreich untersuchten Rechtsextremismus fristen die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Begriff "Linksextremismus" sowie vergleichende Analysen – trotz Fortschritten in den vergangenen zehn Jahren – nach wie vor ein Schattendasein. Das gilt für linksextremistische Organisationsformen (Parteien, Szenen, intellektuelle Strömungen), Aktionsbereiche (Demonstrationsgeschehen, Gewalttaten, Musik), Einstellungen und Verhaltensweisen sowie regionale und internationale Vergleiche. Ein Blick in die Datenbank der Deutschen Nationalbibliothek belegt das Ungleichgewicht: Die Online-Suche weist für das Schlagwort "Rechtsextremismus" 2575 Treffer auf, unter "Linksextremismus" sind es 151, der Überbegriff "Extremismus" umfasst 682 Titel, wobei es Überschneidungen zu den Einzelkategorien gibt.

Als Hauptgrund für diese Asymmetrie lassen sich starke Vorbehalte gegenüber einer vergleichenden Perspektive ausmachen. Was bei Diktaturen inzwischen weithin Akzeptanz erfahren hat (die Anerkennung von rechten wie linken Varianten), gilt für den Vergleich der Extremismen nicht in gleichem Maße. Die Subsummierung und der Vergleich von "rechts" und "links" unter der Begrifflichkeit des Extremismus gilt (nicht nur) vielen Wissenschaftlern als Provokation; sie wehren sich, "links" mit dem Phänomen des Rechtsextremismus über einen Kamm zu scheren. Christoph Butterwegge geht mit seiner Kritik noch weiter: Die Extremismustheorie mache sich mit ihrer "Gleichmacherei von Rechts und Links" zum Erfüllungsgehilfen des Revisionismus, da sie Rechtsextremismus verharmlose. Differenzierter fällt die Kritik an der wissenschaftlichen Sinn- und Zweckmäßigkeit des Vergleiches verschiedener Extremismusvarianten aus. So beklagt u. a. Richard Stöss, die Unterschiede der Extremismen seien dermaßen gravierend, dass die verengte Festlegung auf das Kriterium der Verfassungsmäßigkeit die mannigfaltigen Differenzen (Größe, Struktur, Organisation, Machtposition) unterschlage und so zu unzulässigen Gleichsetzungen führe. Es sei zwar legitim, "Äpfel mit Birnen" zu vergleichen, einen Mehrwert will Stöss darin allerdings nicht erkennen.

Linksextremismusforscher und vergleichend arbeitende Wissenschaftler halten dem das vielfältige Erkenntnisinteresse ihrer Arbeit entgegen: die Gefährdung des demokratischen Verfassungsstaates, die Erfolgsbedingungen des Extremismus, mögliche Wechselwirkungen von Links- und Rechtsextremismus (Stichwort Konfrontationsgewalt), der Intensitätsgrad gewaltbereiter und gewaltloser Formationen sowie, im Falle extremistischer Parteien, ihre Wirkungen auf Parteiensysteme. Zudem gehe es nicht um eine – vermeintliche – Gleichsetzung, zielt doch der komparative Ansatz auf das Aufzeigen sowohl von Unterschieden als auch von Gemeinsamkeiten. Als tertium comparationis ist die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit folglich keine marginale Randkategorie, sondern gerade für eine wertgebundene politische Bildung das entscheidende Kriterium. Zugleich sind im Bereich des Linksextremismus in den vergangenen Jahren wichtige Publikationen erschienen: zum "Linksextremismus in Deutschland" die Studie von Armin Pfahl-Traughber sowie ein Sammelband bei der Bundeszentrale für poltische Bildung (herausgeben von Ulrich Dovermann), die Studie von Schroeder/Deutz-Schroeder zu linksextremen Einstellungen sowie die international vergleichende Analyse von Tom Mannewitz über linksextremistische Parteien in Europa. Dennoch nimmt das Ungleichgewicht der wissenschaftlichen Repräsentation von Rechts- und Linksextremismus weiter zu. Dies hängt mit dem Umstand zusammen, dass in öffentlichem Diskurs und Wissenschaft zwar vielfach vom "Extremismus" gesprochen wird, damit allerdings meist nur der "Rechtsextremismus" gemeint ist. So fördert beispielsweise das niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport die "Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen" (FoDEx). In ihrem Periodikum ist indes von "Rechtsextremismus", "religiösem Extremismus" und nicht wie zu erwarten von "Linksextremismus", sondern von "linker Militanz" die Rede. Eine Alternative zum Begriff "linksextrem" sei überfällig, da neben einer implizierten Abwertung die Verschiedenheit linker ideologischer Strömungen, Systeme, Parteien, Bewegungen und Subkulturen nicht berücksichtigt werde. Doch der Vorwurf ist in doppelter Hinsicht unberechtigt: Zum einen, da auf Grundlage des Extremismus-Modells sehr wohl eine Differenzierung vorgenommen wird, nämlich die maßgebliche nach der Verfassungsmäßigkeit (oder nicht). Zum anderen ist der Hinweis auf die Heterogenität des linken Lagers für die rechte Seite des politischen Spektrums ebenso zutreffend. Mit Blick auf die nicht gebotene Gleichbehandlung gegenüber jedweden Feinden der Demokratie ist dies ein kritikwürdiger Umstand.

Dabei wäre ein gesellschaftlicher Konsens darüber, was überhaupt als (links-)extremistisch zu gelten hat und was nicht, von großer Bedeutung: Handelt es sich um Demokraten, muss ungeachtet mancher unliebsamen Positionen das Sprechen, Verhandeln und unter Umständen Koalieren miteinander möglich sein. Für Extremisten gilt all dies nicht. In den Medien gehört ein breiter Pluralismus zu den Funktionsvoraussetzungen der Demokratie – solange er sich innerhalb des verfassungsmäßigen Rahmens bewegt. Und gerade die politische Bildung ist innerhalb des demokratischen Spektrums zu politischer Neutralität verpflichtet – gegenüber (links-)extremistischen Auffassungen gilt es dagegen, klar Stellung zu beziehen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. als Überblick zur Kontroverse die Beiträge in Ulrich Dovermann (Hrsg.), Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Schriftreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Band 1135, Bonn 2011.

  2. Vgl. statt vieler Eckhard Jesse, Extremismus und Demokratie, Parteien und Wahlen. Historisch-politische Streifzüge, Köln/Weimar/Wien 2015.

  3. Vgl. zuletzt Jonathan Riedl/Matthias Micus, Der blinde Fleck des Extremismus(-Begriffs), in Demokratie-Dialog Nr. 1/2017, S. 16-22.

  4. Vgl. u. a. Armin Pfahl-Traughber, Linksextremismus in Deutschland. Eine kritische Bestandsaufnahme, Wiesbaden 2014, S. 115 f.

  5. Vgl. hier und im Folgenden für weiterführende Links zu den Externer Link: Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder (Stand: 31. Dezember 2017).

  6. In Brandenburg fand die PDS bzw. Linkspartei bzw. DIE LINKE zu keiner Zeit Erwähnung.

  7. Vgl. hier und im Folgenden ausführlich Tom Mannewitz u. a., Politischer Extremismus – Grundlagen, Erscheinungsformen, Interventionsansätze, Frankfurt a. M. 2018, i. E.

  8. Vgl. zu den Gewaltdiskursen innerhalb der politischen Linken Klaus Schroeder/Monika Deutz-Schroeder, Gegen den Staat und Kapital – für die Revolution. Linksextremismus in Deutschland – eine empirische Studie, Frankfurt a. M. 2015, S. 395-403.

  9. Institut für Demoskopie Allensbach, FAZ-Monatsberichte. Wenig Toleranz gegenüber Extremisten vom 22. Mai 2013, in: Externer Link: http://www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_reportsndocs/Mai13_Extremisten.pdf (Stand: 31. Dezember 2017).

  10. Bundesministerium des Inneren (Hrsg.), Politisch Motivierte Kriminalität im Jahr 2016. Bundesweite Fallzahlen, Berlin 2017, S. 4.

  11. Vgl. Matthias Mletzko, Gewalthandeln linker und rechter militanter Szenen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 44/2010, S. 9-16.

  12. Vgl. ausführlich Klaus Schroeder/Monika Deutz-Schroeder, Linksextreme Einstellungen und Feindbilder. Befragungen, Statistiken und Analysen; Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main, 2016. Zur Kritik am methodischen Vorgehen statt vieler Christoph David Piorkowski, Ganz schön extrem. Der SED-Forschungsverbund der Freien Universität beschwört in einer Studie die Gefahr von links – überzeugt damit aber nicht, in: Der Tagesspiegel vom 28. Oktober 2016.

  13. Siehe als Überblick wissenschaftlicher Veröffentlichungen seit der Wiedervereinigung den umfassenden Literaturteil in Uwe Backes/Eckhard Jesse/Alexander Gallus (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie, 29 Bd., Bonn 1989-1994, Baden-Baden 1995-2017.

  14. Vgl. zur Diskussion um den Extremismus-Begriff Armin Pfahl Traughber, Kritik der Kritik der Extremismustheorie. Eine Auseinandersetzung mit einschlägigen Vorwürfen

  15. Christoph Butterwegge, Rechtsextremismus, Bonn 2002, S. 106-109.

  16. Vgl. hier und im Folgenden zu der Kontroverse Richard Stöss, "Extremistische Parteien" – Worin besteht der Erkenntnisgewinn?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 47/2008, S. 3-7; Eckhard Jesse, "Extremistische Parteien" – Worin besteht der Erkenntnisgewinn?, in: Ebd., S. 7-11.

  17. Vgl. Tom Mannewitz, Linksextremistische Parteien in Europa nach 1990. Ursachen für Wahlerfolge und -misserfolge, Baden-Baden 2012.

  18. Demokratie-Dialog (Anm. 1), S. 2.

  19. Siehe zum Kontroversitätsgebot als Grundprinzip der politischen Bildung Siegried Frech/Dagmar Richter (Hrsg.), Der Beutelsbacher Konsens. Bedeutung, Wirkung, Kontroversen, Schwalbach/Ts. 2017.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Tom Thieme für bpb.de

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Prof. Dr. Tom Thieme ist seit 1. Oktober 2017 Professor für Gesellschaftspolitische Bildung an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg/O.L. Zuvor war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Geschäftsführenden Direktors am Institut für Politikwissenschaft der TU Chemnitz. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören neben der Extremismusforschung die Vergleichende Demokratie- und Diktatur- und Systemwechselforschung, die Parteienforschung und die Osteuropaforschung.