Bis zum September 2017 war die fünfzehnjährige Anna S.
Derartige Konversionen, die in den vergangenen Jahren an mehreren Schulen beobachtet werden konnten, überfordern häufig die betroffenen Lehrkräfte, Schulleitungen und Eltern. Die Gründe hierfür liegen zunächst in der Einordnung und Einschätzung des Phänomens. Was ist Islamismus, in welchen Ausprägungen zeigt sich dieser und wie kann die Schule schließlich dagegen vorgehen?
Was ist Islamismus?
Bereits bei der Definition von Islamismus beginnen die Probleme. Denn trotz jahrzehntelanger wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Diskussion ist der Begriff unscharf geblieben und die politischen Phänomene, die unter diesem Begriff zusammengefasst werden, weisen eine hohe Bandbreite auf. Einig ist man sich lediglich darin, dass Islamismus die umfassende Ideologisierung des Islams bezeichnet. Diese konstruiert nach Mohammed Akroun den Islam als einzig wahre Religion. Nur der Islam enthalte das vollkommene Recht, das zur Regelung aller privaten, gesellschaftlichen und politischen Angelegenheiten herangezogen werden müsse.
Wo beginnt Islamismus in der Schule?
Im schulischen Kontext bedarf diese allgemeine Definition weiterer Konkretisierungen. Am Beispiel von Anna S. lässt sich aufzeigen, dass dies in der Praxis mit Ungewissheiten und Schwierigkeiten einhergehen kann. Zunächst kann festgestellt werden, dass der Religionswechsel von Anna S. ihr gutes Recht darstellt. Mit vierzehn Jahren erreichen Jugendliche in Deutschland die uneingeschränkte Religionsmündigkeit und können frei darüber entscheiden, ob und wenn ja zu welcher Religion sie sich bekennen wollen und wie sie diesen Glauben praktizieren möchten. Dies und auch das grundrechtlich verankerte Recht auf Religionsfreiheit (Art. 4 GG) sind jedoch kein Freibrief für alle religiös begründeten Verhaltensweisen. So können Schülerinnen und Schüler zwar je nach Schulregelung auf dem öffentlichen Schulgelände beten, aber nicht den Unterricht zur Ausübung des rituellen Pflichtgebets verlassen. Auch das Fernbleiben an koedukativen Angeboten (Sportunterricht und Klassenfahrten) ist im Regelfall nicht möglich. Problematisch wird ein religiöses Verhalten in der Schule, wenn es konfrontative Formen annimmt und mit Überwältigungsversuchen einhergeht, die einen Eingriff in die Freiheitsrechte oder die negative Religionsfreiheit anderer Schülerinnen und Schüler darstellen. Dies wäre z. B. der Fall, wenn eine muslimische Schülerin, die im Ramadan fastet, andere nicht fastende muslimische Schülerinnen unter Druck setzt, indem sie unter anderem mit jenseitiger Bestrafung droht oder sie des Unglaubens bezichtigt. Ein derartiges Verhalten kann auf eine islamistische Einstellung hinweisen und bedarf im überprüften Einzelfall eines pädagogischen Eingriffs.
Prävention gegen Islamismus – eine Aufgabe für Schule und Unterricht
Die Schule in einer werteplural orientierten Migrationsgesellschaft erhebt nicht nur den Anspruch, Kompetenzen im üblichen Fächerkanon zu vermitteln. Sie ist auch zuständig für übergreifende Bildungs- und Erziehungsziele. In diesem Kontext erhebt z. B. der LehrplanPLUS für das Gymnasium in Bayern recht hohe Ansprüche. So sollen Schülerinnen und Schüler "Interesse und Offenheit, gegenseitigen Respekt sowie Toleranz gegenüber anderen Menschen mit ihren kulturspezifischen Vorstellungen und Verhaltensweisen, z. B. hinsichtlich Lebensführung, Sprache und Religion" entwickeln. Darüber hinaus üben sie "Selbstbeherrschung, übernehmen Verantwortung und zeigen Hilfsbereitschaft. Sie gestalten Beziehungen auf der Grundlage von Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit, Empathie, Toleranz und Selbstbestimmtheit; sie haben Respekt vor anderen Standpunkten und sind fähig, Kompromisse zu schließen, die der Gemeinschaft nützen."
Die angeführten Zitate, die in ähnlich lautenden Formulierungen auch in anderen Lehrplänen oder den Schulgesetzen der Bundesländer zu finden sind, zeigen, dass in der Schule Menschenrechtsorientierung, Grundrechte- und Demokratieerziehung eine wichtige Rolle zugewiesen wird. Dies bedeutet auch, dass die Prävention gegen Extremismus in seiner ganzen Bandbreite und damit auch der Islamismus Gegenstand schulischen Handelns sein muss.
Modellhafte Darstellung von Präventionstypen
In der Trias der Radikalisierungsprävention
Demokratiepädagogische Grundlage schaffen
Eine solide demokratiepädagogische Grundlage gehört nach Ansicht des Hamburger Pädagogen Kurt Edler zu den Voraussetzungen für eine gelingende Präventionsarbeit in der gesamten Schule. Im Zentrum steht hierbei die Generierung eines Schul-Ethos, der entlang der Frage "Wie wollen wir an unserer Schule ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben in gegenseitigem Respekt realisieren?"
Zu beachten ist ferner, dass Präventionskonzepte in der Lebenswelt Schule einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen sollten. Dies bedeutet zunächst, dass alle schulischen Akteure darin Berücksichtigung finden. Anders formuliert: Die von Edler geforderte Grundrechtsklarheit und Sensibilität für ideologische Versuchungen ist nicht nur eine Haltungsanforderung für die Fachlehrkräfte im Bereich von Ethik, Religion und Gemeinschaftskunde, die quasi von ihrem Lehrfach her für das "richtige" und "gute" Verhalten zuständig sind. Vielmehr müssen alle Lehrkräfte mit ihren Unterrichtsfächern, Schulsozialarbeit und darüber hinaus auch Elternschaft und Schülerschaft beteiligt sein.
Prävention als Gemeinschaftsaufgabe
Prävention ist in der Schule eine professionsübergreifende Gemeinschaftsaufgabe, in der Allianzen zwischen verschiedenen Akteuren eine große Rolle spielen. Prävention ist einerseits Teil des Unterrichtsgeschehens, das im nachfolgenden Kapitel (siehe
Das Konzept der Neuen Autorität
Handlungsstrategien und Methoden in der schulischen Prävention haben sich in den vergangenen Jahren beachtlich entwickelt. Hervorzuheben ist insbesondere das Handlungsspektrum, das der israelische Psychologe Haime Omer unter dem Stichwort "Neue Autorität" mitentwickelt hat. Im Zentrum dieses Konzepts, das an der Schnittstelle von primärer und sekundärer Prävention angesiedelt werden kann, steht die Präsenz der pädagogischen Akteure, die als Quelle der "neuen Autorität"
Fachunterricht und Prävention – das Beispiel islamischer Religionsunterricht
Das Beispiel "Neue Autorität" kann aufzeigen, dass Lehrkräfte aller Unterrichtsfächer mit einer veränderten Haltung wirksame präventive Netzwerke in Schulen bilden können. Darüber hinaus kann auch der Fachunterricht wichtige präventive Funktionen erfüllen. Dies soll abschließend am Beispiel des islamischen Religionsunterrichts dargelegt werden.
Folgt man dem Kernlehrplan islamischer Religionsunterricht für die Sekundarstufe in NRW, der zumindest bis 2019 Gültigkeit beanspruchen kann, dann hat dieser grundsätzlich die Aufgabe, „dass Lebenswirklichkeit und Glaubensüberzeugung immer wieder wechselseitig erschlossen und miteinander vernetzt werden“.
Konkret bedeutet dies
"auf der Grundlage islamischer Quellen (u. a. Koran, Sunna) zu eigenverantwortlichem Leben und Handeln zu motivieren und zum eigenverantwortlichen Umgang mit dem Glauben zu befähigen, […]
innerislamische und gesellschaftliche Pluralität aufzugreifen und für deren Bedeutung und Wert zu sensibilisieren,
zur Entwicklung von Gestaltungskompetenz Perspektiven für Verständigungsbereitschaft, Offenheit, Toleranz und Respekt zwischen Menschen und Gesellschaften mit verschiedenen Religionen und Weltanschauungen zu eröffnen und somit ein gelungenes Zusammenleben der Menschen in Gleichberechtigung, Frieden und gegenseitiger Achtung und Zuwendung zu fördern, […]
die religiöse wie auch interreligiöse Dialog- und Urteilsfähigkeit zu fördern".
Auseinandersetzung mit Quellentexten
Diese Zielsetzungen – insbesondere die Entwicklung von Gestaltungskompetenz, Verständigungsbereitschaft, Offenheit und Toleranz – können in Bezug auf islamistische Narrationen durchaus eine immunisierende Wirkung entfalten. Eine herausragende Bedeutung kommt in diesem Kontext der Auseinandersetzung mit Koran und Sunna
Insbesondere diese Kompetenzen befähigen muslimische Schülerinnen und Schüler, islamistische Narrationen zu erkennen und zu dekonstruieren. Darüber hinaus können sie beschreiben, dass die islamischen Quellen in der Geschichte verschieden interpretiert wurden und es folglich in vielen religiösen Belangen nicht nur eine Sichtweise gibt.