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Standpunkt: Ahmadinejads Mission Warum die iranische Nuklearoption verhindert werden muss

Matthias Küntzel

/ 6 Minuten zu lesen

Erstmals seit dem "Dritten Reich" haben im Iran die Machthaber eines großen Landes den Antisemitismus, die Holocaust-Leugnung und die Absicht, ein UN-Mitgliedsland zu liquidieren, ins Zentrum ihrer Außenpolitik gerückt, meint Matthias Küntzel.

Anti-israelische Kundgebung am "Al-Quds-Tag" (Jerusalem-Tag) in Teheran, Iran. (© AP)

"Sie haben eine schwarze und dreckige Mikrobe – mit Namen 'zionistisches Regime' – geschaffen um sie wie ein wildes Tier auf die Völker der Nation loszulassen", rief der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad am 20. Februar 2008 seinen Anhängern in einer im Staatsfernsehen übertragenen Rede zu. Zwei Tage zuvor hatte bereits einer der höchsten Funktionäre des Iran, General Jaafari, vom "krebsartigen Gewächs Israel" gesprochen und dessen "Verschwinden in naher Zukunft" prophezeit.

Mikrobe, Krebsgewächs - die Wortwahl ist gerade in Deutschland bekannt. Zwar weist die gegenwärtige iranische Führung den Verdacht des Antisemitismus zurück: Demonstrativ umarmt Ahmadinejad Juden, die Israel bekämpfen; medienwirksam nimmt er die 25.000 im Iran lebenden Juden als Beleg, dass das Regime die jüdische Religion achtet und schützt.

Und doch hat bislang kein anderer Regierungschef seit Adolf Hitler so viel Antisemitismus verbreitet wie Mahmoud Ahmadinejad. Er sagt nicht, dass "Juden" die Welt beherrschen. Er sagt: "Die Zionisten beherrschen die Welt." "Die Zionisten" hätten die Mohammed-Karikaturen in Dänemark produziert und die goldene Moschee im Iran zerstört. "Die Zionisten" trügen "für einen großen Teil aller Ungerechtigkeiten in der Welt die Verantwortung. Wo sie sind, ist Krieg."

Das Muster ist vertraut. Ahmadinejad verwendet den Begriff "Zionist" mit derselben Bedeutung, mit der Hitler das Wort "Jude" benutzte: als Urgrund alles Bösen auf dieser Welt. Wer aber Juden für die Übel dieser Erde verantwortlich macht, der ist vom Antisemitismus beherrscht. Er wird Israel als "Keimzelle des Bösen" beseitigen wollen. Er wird den Holocaust leugnen, da der Massenmord seinem Weltbild widerspricht.

Erstmals seit dem Dritten Reich haben im gegenwärtigen Iran die Machthaber eines großen Landes den Antisemitismus, die Holocaust-Leugnung und die Absicht, ein UN-Mitgliedsland zu liquidieren, ins Zentrum ihrer Außenpolitik gerückt.

Ihre Drohungen sind nicht auf Israel beschränkt. "Wir stehen inmitten eines historischen Krieges, der seit Hunderten von Jahren andauert" hatte Ahmadinejad im Oktober 2005 erklärt und damit deutlich gemacht, dass es um den Nahostkonflikt nicht geht. Überall auf der Welt will die Gottesdiktatur die säkulare und freiheitliche Orientierung des Westens durch eine Scharia-Ordnung ersetzen. Überall sollen Frauen, wie im Iran, brachial unterdrückt, Schwule öffentlich gehängt, Gewerkschafter verfolgt, Zeitungen verboten und Sünder gesteinigt werden können. "Unsere Mission transzendiert die geographischen Grenzen der islamischen Welt", erklärt Ahmadinejad. "Unsere Geistlichen stehen in der Verantwortung, die Menschheit als Ganze dazu anzuhalten, die Prinzipien der monotheistischen Herrschaft zu übernehmen."

Ahmadinejad agiert als Weltpopulist, als ein Arafat im Mao-Look, der Länder wie Kuba, Nicaragua oder Venezuela in die Revolutionsfront einbinden will. "Das Zeitalter der Dunkelheit wird enden", schwärmte er im September 2007 vor dem Plenum der Vereinten Nationen, "und die Völker werden in Amerika und in Europa von den Lasten, die die Zionisten ihnen zufügen, befreit sein." Die Verbindung von Befreiung und Antisemitismus, für die der Historiker Saul Friedländer in Bezug auf den Nationalsozialismus den Begriff des "Erlösungsantisemitismus" geprägt hat, ist gefährlich genug. Im Falle des Iran kommt etwas Drittes hinzu: der Glaube an die Wiederankunft des "Zwölften Imam".

Mit dieser mythischen Figur ist der letzte unmittelbare Nachkomme Mohammeds in zwölfter Generation gemeint, der im Jahr 874 als kleiner Junge spurlos verschwand. Die Schia stützt sich auf den Glauben, dass dieser "Imam" irgendwann aus seiner Verborgenheit hervortreten und die Welt von allen Übeln befreien werde. Diese abstrakte Vision von einer Befreiung der Welt haben Ahmadinejad und seine Freunde in ein tagespolitisches Programm verkehrt. So gehörte Anfang 2008 der Bau einer Prachtstraße für den "Messias, der demnächst kommen wird" zu den Wahlkampfversprechungen Ahmadinejads, mit deren Hilfe er die manipulierten Parlamentswahlen im März 2008 gewann. Was würde mit dem Bürgermeister der Heiligen Stadt Rom geschehen, wenn dieser ganze Stadtviertel abreißen ließe, um für die baldige Ankunft des Jesus-Messias eine Prachtstraße zu errichten? Würde er nicht seines Amts enthoben wenn nicht für verrückt erklärt werden? Hingegen betrachtet sich der amtierende Regierungschef des Iran als den unmittelbaren Wegbereiter des 12. Imam. Für ihn ist die Vorbereitungen auf dessen Wiederankunft "die wichtigste Aufgabe unserer Revolution." Er charakterisiert seine Politik als "jene Art von Mission, die auch den göttlichen Propheten anvertraut gewesen war. Sie erlaubt es nicht, dass wir uns ausruhen oder auch nur einen Moment schlafen."

Solch intimer Kontakt zu übernatürlichen Kräften macht Politik unberechenbar. Warum sollte sich ein politischer Führer um die strategischen Realitäten dieser Welt allzu viele Sorgen machen, wenn er weiß, dass schon in Kürze der Messias kommen und die Geschicke dieser Welt übernehmen wird? Noch weniger kann der Umstand beruhigen, dass Ahmadinejad und seine Freunde zwischen dem Herannahen des schiitischen Messias und der Zerstörung Israels einen Zusammenhang sehen. "Das Wiedererscheinen des 12. Imam", prohezeite im November 2006 ein Sprecher des Revolutionsführers Ali Khamenei, "wird einen Krieg zwischen Israel und der Schia mit sich bringen. Der Hauptkrieg wird über das Schicksal der Menschheit entscheiden."

Es ist dieses einzigartige ideologische Gebräu – Antisemitismus, Revolutionsideologie, Messianismus – das die iranische Nuklearentwicklung so beispiellos gefährlich macht - jene Mischung aus Holocaust-Leugnung und High-Tec, aus Welteroberungsphantasie und Raketenforschung, aus apokalyptischer Heilserwartung und Plutonium. Warum treibt der Iran sein Atomprogramm um jeden Preis voran? Ahmadinejad hat die Antwort im August 2007 so formuliert: "Die Nuklearisierung Irans ist der Beginn einer grundlegenden Veränderung in der Welt". Irans Atomtechnik, so versprach er weiter, werde "in den Dienst derer gestellt, die entschlossen sind, den brutalen Mächten und Aggressoren entgegenzutreten."

Diese Aussage zeigt, dass das iranische Atomprogramm weder für Energiezwecke noch für den Zweck der Abschreckung oder gar der Verteidigung konzipiert ist, sondern als ein Instrument "grundlegender Veränderungen" nicht nur in der Region, sondern in der Welt. Ahmadinejads Worte führen zweitens vor Augen, dass der Iran seine nuklearen Fähigkeiten ohne Skrupel an andere Regimes oder Bewegungen weitergeben will. Das iranische Regime lässt keinen Zweifel, an welchem Punkt der Erde es seine "Revolution" zu beginnen gedenkt. "Das zionistische Regime wird wegradiert und die Menschheit befreit werden", versprach der iranischen Präsident den Teilnehmern der Holocaustleugner-Konferenz im Dezember 2006 in Teheran.

Seit 1945 hat sich die Welt an die Vorstellung von Atomwaffen im Besitz von säkularen oder halb-säkularen Mächten gewöhnt. Im Iran aber sind wir mit etwas Neuem konfrontiert. Hier wird erstmals das Zerstörungspotential der Bombe mit dem Furor des erklärten Religionskriegs, mit Paradiesglaube und Märtyrerideologie, vereint. Es ist diese Ankopplung an eine globale religiöse Mission, die das iranische Atomprogramm zur gegenwärtig größten Gefahr auf dem Globus macht. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine iranische Atombombe zum I. Weltkrieg des 21. Jahrhunderts führt, ist einfach zu groß, als dass man es darauf ankommen lassen dürfte.

Dennoch haben die Zivilgesellschaft, die Publizistik und die Politik in Deutschland bislang hauptsächlich weggehört, weggesehen, beschwichtigt und beruhigt. Man möchte in diesem Regime nach wie vor einen "Partner, nicht Gegner" sehen. So erklärte die deutsch-iranische Industrie-und Handelskammer in Teheran im Dezember 2007, zweieinhalb Jahre nach Beginn der Präsidentschaft Ahmadinejads: "Deutschland betreibt mit dem Iran mehr Geschäfte, als jedes andere europäische Land; das jährliche Handelsvolumen wird auf 5 Mrd. € geschätzt. Mindestens 1.700 deutsche Unternehmen sind im Iran aktiv. Rund 75 Prozent aller kleinen und mittelständischen Betriebe im Iran sind mit deutscher Technologie ausgestattet."

Ahmadinejads Wort von der "schwarzen und dreckigen Mikrobe" blieb in den deutschen Medien unerwähnt; die Bundesregierung hielt still. Immerhin kritisierte die von Slowenien gestellte EU-Ratspräsidentschaft seine Äußerung als "unannehmbar, schädlich und unzivilisiert". Das iranische Außenministerium reagierte prompt. Diese Kritik sei "voreingenommen und unverantwortlich" und eine Folge des Drucks, den die "internationale zionistische Lobby" ausgeübt haben. Früher hätte man "Weltjudentum" gesagt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zitiert nach: Middle East Media Research Institute (MEMRI), Clip no. 1694, Februar 20-24, 2008.

  2. Zitiert nach: Jerusalem Post, Februar 20, 2008.

  3. Zitiert nach: Hooman Majd, Mahmoud and Me, in: New York Observer, October 2, 2006.

  4. Zitiert nach: MEMRI, Inquiry & Analysis no. 1714, September 17, 2007.

  5. Zit, nach: MEMRI, Special Dispatch Series No. 1013, October 28, 2005.

  6. Zit. nach: MEMRI, Inquiry & Analysis no. 1714, September 17, 2007.

  7. Rainer Herrmann, Iran zeigt sich unbeeindruckt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 5. März 2008.

  8. Paul Hughes, Iran President Paves the Way for Arabs´ Imam Return, Reuters, November 17, 2005.

  9. Zit. nach MEMRI, Inquiry & Analysis no. 1714, September 17, 2007.

  10. ISNA, 16, November 2006, zit. nach: Honestly Concerned Iran Forschung, Berlin, 17. November 2006.

  11. "Iran´s nuclearization ... is the beginning of a very great change in the world." Ahmadinejad promised to place Iran´s nuclear technology "at the service of those who are determined to confront the bullying powers and aggressors." Zit. nach MEMRI, Inquiry & Analysis no. 1714, September 17, 2007.

  12. Zit. Nach MEMRI, Inquiry and Analysis Series, no. 307, December 15, 2006.

  13. "Partner, nicht Gegner. Für eine andere Iran-Politik", lautet der Titel eines in Kürze erscheinenden Buches von Christoph Bertram, dem ehemaligen Direktor der "Stiftung Wissenschaft und Politik. Siehe: Spiegel 16/2008, 14. April 2008.

  14. Sanctions Hurt German Companies, Stellungnahme der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer vom 24. Dezember 2007; siehe unter: http://iran.ahk.de

Matthias Küntzel, geb. 1955, ist Politikwissenschaftler und Publizist und seit 1992 als Politiklehrer an einer Hamburger Gewerbeschule teilzeitbeschäftigt. Soeben erschien "Islamischer Antisemitismus und deutsche Politik".