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Antisemitismus von links | Antisemitismus | bpb.de

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Antisemitismus von links

Daniel Kilpert

/ 7 Minuten zu lesen

Antisemitismus von links? Das ist vielen auch heute noch neu. Er zeigt sich u.a. als kompromisslose Parteinahme für die Palästinenser und im teilweise antisemitischen Vokabular der Globalisierungskritiker.

Ein orthodoxer Jude küsst seinen Bruder, eine der befreiten Geiseln von Entebbe, Tel Aviv am 4. Juli 1976. Bei der Flugzeugentführung von Entebbe trennte das Terror-Kommando aus Mitgliedern der PFLP und der deutschen "Revolutionären Zellen" die Flugzeuginsassen nach jüdischen und nicht-jüdischen. (© AP)

Dass es auch linken Antisemitismus gibt, ist für viele immer noch neu. Es gibt jedoch auch im linken Spektrum eine Tradition des Antisemitismus. Ein Blick in die Geschichte zeigt den recht gut dokumentierten und erforschten Antisemitismus der Frühsozialisten, der europäischen Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts und der marxistischen Klassiker. In Erinnerung geblieben sind besonders der Antisemitismus in den Ostblockstaaten nach 1945, die stalinistischen Kampagnen und antisemitischen Schauprozesse "gegen Zionismus und Kosmopolitismus", der "Slansky-Prozess" in der Tschechoslowakei und der "Ärztekomplott-Prozess" in der Sowjetunion.

Bei allen Unterschieden im Einzelnen ist bei den Radikalen von rechts oder links nach Ansicht der Extremismusforschung der Alleinvertretungsanspruch, die Ablehnung pluralistisch-demokratischer Systeme, Dogmatismus, das Freund-Feind-Denken und der Fanatismus gleich. Antisemitismus kommt dann ins Spiel, wenn zum Beispiel der "jüdische Kapitalist" als Innbegriff des "raffgierigen Kapitalisten" erscheint, geheime Mächte im Hintergrund als unsichtbare Strippenzieher ausgemacht werden, deren Darstellung an die "Protokolle der Weisen von Zion" erinnern und Israel als "Jude unter den Staaten" als einzigem Land auf der Welt das Existenzrecht abgesprochen wird. Der Antizionismus ist eine spezifische Form des Antisemitismus nach Auschwitz, der bei der radikalen Linken wie auch bei Rechtsextremisten und Islamisten zu finden ist. Eine sehr deutliche Parallele zu rechtsradikalen Antisemiten stellt die "aggressive Erinnerungsabwehr" dar, wozu zum Beispiel die Gleichsetzung von israelischen Militäraktionen mit den Taten der Nationalsozialisten zählt. Dazu gehört auch die Bezeichnung der Palästinenser als "Opfer der Opfer". Auch die Projektion der Politik Israels auf das Verhalten aller Juden in der Welt zählt zu den Indikatoren eines linken Antisemitismus.

Der Soziologe Thomas Haury macht für den linken Antisemitismus das "antiimperialistische Weltbild", welches der radikalen Linken zugrunde liegt, verantwortlich. Dem zufolge ist die moderne Gesellschaft von einem Machtblock aus Kapital und Staat gesteuert, der international agiert und die beherrschte Bevölkerung unterdrückt. Nach diesem binären Weltbild fordern die guten unterdrückten Völker ihre Selbstbestimmung gegen die "böse fremde Herrschaft" und die "imperialistische Ausbeutung". Wendet man das antiimperialistische Schema auf den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern an, kommt man zum Antizionismus. Israel wird als "Brückenkopf" der USA in der arabischen Welt dargestellt und den USA eine sich aus diesem Umstand erklärende einseitige Unterstützung der Interessen Israels vorgeworfen, die sich gegen die "Befreiungsbewegungen" richtet.

Zäsur 1967

Nach 1945 war bis in das Jahr 1967 im linken Spektrum der Bundesrepublik eine pro-zionistische Haltung weit verbreitet. Das änderte sich allerdings schlagartig, als Israel siegreich aus dem Sechstage-Krieg hervorging. In den 1970er und 1980er Jahren war der Antizionismus in der "Szene" nun eine nicht mehr hinterfragte Einstellung. Wer davon abwich, wurde als bürgerlicher Verräter gebrandmarkt.

Ein besonders erschreckendes Beispiel, welches die Nähe des linken Antizionismus zum Antisemitismus aufzeigte, war der Anschlag der "Tupamaros Westberlin" – einer Vorläufergruppe der terroristischen "Bewegung 2. Juni" – auf das jüdische Gemeindehaus in Westberlin in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1969. Erinnert sei auch an die positiven Reaktionen der RAF und linksradikaler Gruppen auf die Ermordung israelischer Olympiasportler 1972 in München. Bei der Flugzeugentführung von Entebbe im Jahre 1976 wurde von einem Kommando, dem Mitglieder der terroristischen Gruppen PFLP wie auch der deutschen "Revolutionäre Zellen" angehörten, eine Selektion der Flugzeuginsassen in jüdische und nicht-jüdische vorgenommen, unter anderem durch den Deutschen Wilfried Böse. Weitere Beispiele sind Demonstrationen gegen den Krieg im Libanon in den achtziger Jahren, die nicht etwa vor israelischen Botschaften sondern vor Synagogen durchgeführt wurden.

Annäherungsversuche

Nach dem Ende des Kalten Krieges und insbesondere angesichts der Bedrohung Israels im Zweiten Golfkrieg 1991 wurde die Frage, ob es einen linken Antisemitismus gibt, auch innerhalb der radikalen Linken zum Thema. Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des kommunistischen Ostblocks im Jahre 1990 gelangten linke Theorie und Praxis an einen Wendepunkt. Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands wurde in der radikalen Linken zudem ein "neues deutsches Großmachtstreben" und ein "Normalisierungsdiskurs" in Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit konstatiert. Bis 1990 hatte man Deutschland ausschließlich als "Handlanger der USA" wahrgenommen. Infolge der Debatten spaltete sich so manche Gruppe. Nachdem in der Zeit der Friedensverhandlungen von Oslo selbst innerhalb der PLO - zumindest offiziell – die Notwendigkeit eines Kompromisses mit Israel eingestanden wurde, verzeichneten die Palästina-Solidaritätsgruppen einen starken Rückgang.

Traditionelle Linke

In der traditionellen Linken wurde der Faschismus seit jeher als die chauvinistischste und reaktionärste Herrschaftsform des Kapitals angesehen. Antisemitismus wird dabei einzig als "Manipulationsinstrument" verstanden – und somit die deutsche Arbeiterbewegung per se vom Vorwurf des Antisemitismus freigesprochen. Innerhalb der Arbeiterbewegung wurde er immer wieder geleugnet, verharmlost oder sogar entschuldigt. Die Aussage, Antisemitismus sei "der Antikapitalismus des dummen Kerls", ist ein beredtes Beispiel dafür, in welcher Weise Linke glaubten, in Antisemiten eigentliche Genossen erkennen zu können, die nur ein bisschen Aufklärung benötigen. Teilweise wurde Antisemitismus aber auch offen propagiert. Ruth Fischer, Zentralkomitee-Mitglied der KPD, forderte etwa 1923 in einer Rede: "Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laternen, zertrampelt sie!"

Auch heute finden sich in sämtlichen Publikationen der Traditionslinken Versatzstücke, die als antisemitisch verstanden werden können. So verhalten sich etwa die Israelis nach Meinung der DKP-Zeitung "Unsere Zeit" (UZ) wie eine "Herrenrasse" und verüben "Pogrome" an den Palästinensern. Die Marxistischen Blätter sehen eine "einflussreiche zionistische Israel Lobby in den USA" am Werke, und für die Zeitung "analyse und kritik" erinnert das Idealbild des zionistischen Juden an "Blut-und-Boden-Ideologie", während die Zeitschrift "Gegenstandpunkt" Israel ein "völkisches Programm" verfolgen sieht. Israel strebe einen "reinen Staat" und die "Endregelung der Palästinenserfrage" an. Die trotzkistische Arbeitermacht meint: "Der zionistische Staat kann nicht reformiert – er muß zerschlagen (...) werden."

In der Tageszeitung junge Welt wird der Zionismus als eine "Form des Rassismus" bezeichnet und behauptet, die Souveränität Israels über ganz Jerusalem sei "alttestamentarischer Unduldsamkeit geschuldet". In einem Artikel wird kommentiert, die "deutschen Antisemitismus-Debatten" würden "nach den Vorgaben israelischer Propagandaoffiziere" verlaufen. In einem Kommentar heißt es: "Der Zionismus hat das kollektive Gedächtnis an die jüdische Leidensgeschichte zum religiös-chauvinistischen Kult der Auserwähltheit pervertiert." Im April 2006 gewann die junge Welt mit Ismail Hanija – dem amtierenden Ministerpräsidenten der Palästinensischen Autonomiegebiete – einen Hamas-Terroristen als Autor.

Wegen der allzu unkritischen junge Welt-Berichterstattung gegenüber den iranischen Ambitionen auf die Atombombe hat ein Kolumnist dem Blatt Anfang 2006 als Autor gekündigt. Sein sehr vorsichtig kritischer Text über den iranischen Staatspräsidenten wurde von dem Blatt aus inhaltlichen Gründen abgelehnt. Daraufhin richteten sechs Autoren einen offenen Brief an die junge Welt, in dem es heißt: "Die Blattlinie der jungen Welt folgt an vielen Punkten einer antiimperialistischen Hauptfeind USA- und -Israel-Linie. In letzter Zeit ergehen sich Kommentatoren der jW in einer unerträglichen Verniedlichung des offen antisemitischen Staatschefs des Iran, was nicht selten wie eine Legitimation dessen Politik wirkt. (...) Wir fragen uns, wie man in Zukunft ähnlichen 'Überlegungen' von Neonazis argumentativ entgegen treten will." Die junge Welt lehnte einen Abdruck des Briefes ab, der schließlich im März 2006 im Internet veröffentlicht wurde.

Antikapitalisten gegen den Krieg

Auch die antikapitalistische Antiglobalisierungsbewegung sieht sich mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert. Eine der größten und bekanntesten Gruppen des Spektrums ist die 1998 in Frankreich gegründete Gruppe Attac, um die es mittlerweile allerdings etwas ruhiger geworden ist. Im Dezember 2002 veröffentlichte Attac ein Papier, um sich von "rechten Rattenfängern" auf dem Antiglobalisierungsticket abzugrenzen. Selbstkritisch räumte man dort zum Beispiel ein, dass an einer von Attac München organisierten Anti-Kriegs-Kundgebung zwei Dutzend Neonazis unbehelligt teilnehmen konnten. So etwas wolle man in Zukunft verhindern. In einem Positionspapier aus dem Oktober 2003 schlug man aber schon wieder ganz andere Töne an und sah den "Kampf gegen die neoliberale Globalisierung" als untrennbar mit dem "Kampf (...) für das politische Selbstbestimmungsrecht der Palästinenserinnen und Palästinensern" verbunden.

Erwähnenswert ist ferner die Gruppierung Linksruck, die aktuell Einfluss auf die WASG bzw. Linskpartei zu nehmen sucht. Zu lesen ist auf ihrer Webseite zum Beispiel: "Zionismus ist eine politische nationalistische Bewegung, die darauf besteht, Juden müßten ihren eigenen Staat haben, weil Nichtjuden gesellschaftlich, von Natur aus und genetisch Antisemiten seien. Er entwickelte sich als Bewegung für die Juden in Osteuropa in direkter Konkurrenz zum Sozialismus." An anderer Stelle bezieht sich die Gruppe positiv auf den Islamismus: "Der militante Islam liegt richtig, wenn er den westlichen Imperialismus und sein Werkzeug im Mittleren Osten, den Zionismus, als Feind benennt. Er liegt richtig, wenn er einen ausgeweiteten Kampf gegen diesen Feind fordert." Als Demonstrations-Slogans werden dementsprechend auf der Linksruck-Webseite vorgegeben: "U.S.A. - internationale Völkermordzentrale" oder "Schluß, schluß, schluß mit dem Krieg - Intifada bis zum Sieg!"

"Deutsche, schüttelt eure Vergangenheit ab!"

Dass es auch innerhalb der Friedensbewegung einen erheblichen Klärungsbedarf in der Antisemitismusfrage gibt, zeigte etwa der Ostermarsch 2002 in Berlin. Dort wurden Plakate hochgehalten, auf denen z.B. zu lesen war: "Deutsche, schüttelt eure Vergangenheit ab! Die Israelis sind keine Opfer!". Fahnen der Hisbollah und Hamas wurden geduldet – wie im Übrigen auch bei allen Demonstrationen gegen den Afghanistan- und Irak-Krieg. Die taz schrieb dazu:

"Dass ein Ostermarsch von einer Gruppe für ihr Anliegen genutzt wird, ist spätestens seit den serbischen Demonstranten vor drei Jahren nichts Neues. Doch anders als damals, als der serbische Block mit seinen nationalistischen Parolen vom Rest der Demonstration faktisch isoliert war, geriet gestern der gesamte Ostermarsch mit seinen knapp 10.000 Teilnehmern zu einer antiisraelischen Demonstration. (...) Schon zur Auftaktkundgebung am Alexanderplatz (...) sagte Jutta Kausch von der Berliner Friedenskoordination: 'Im Nahen Osten herrscht ein furchtbarer Krieg, in dem fast ein Volk ausgelöscht wird.' (...) Von einer Verurteilung palästinensischer Selbstmordanschläge war auf dem gestrigen Ostermarsch keine Rede."
Als ein Offener Brief, unter anderem unterzeichnet von Ralph Giordano und Lea Rosh, die Friedensbewegung auf antisemitische Umtriebe bei Demonstrationen gegen den Irak-Krieg aufmerksam machen wollte, verweigerte diese über die Netzwerk-Friedenskooperative, die sich als eine Art Dachverband versteht, jegliche Diskussion und sah die Friedensdemonstranten diffamiert. Die Kritik des Aufrufes sei "ein Beitrag zur Kriegslogik".

Fussnoten