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Radikalisierungsprävention in der Schule | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de

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Radikalisierungsprävention in der Schule Voraussetzungen und Handlungsfelder im Bereich Islamismus

Michael Kiefer

/ 13 Minuten zu lesen

Radikalisierungsprävention hat die Aufgabe, Probleme frühzeitig zu erkennen und anzugehen. Die Schule bietet dafür grundsätzlich ideale Voraussetzungen, denn hier sind alle jungen Menschen beständig anzutreffen. Was sind die Handlungsfelder der Prävention im Feld Islamismus? Was sind Voraussetzungen für ihr Gelingen im schulischen Kontext?

Die Schule ist der einzige soziale Ort, an dem alle jungen Menschen über viele Jahre beständig anzutreffen sind. Für Präventionsarbeit gleich welcher Art sind dort also ideale Voraussetzungen gegeben. (© Christian Schwier | Adobe Stock)

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Die Radikalisierungsprävention im Bereich Islamismus ist in Deutschland – aber auch in anderen westeuropäischen Ländern – eine junge Disziplin, die sich im Entwicklungsprozess befindet. Wie alle Präventionskonzepte folgt die Radikalisierungsprävention dem Handlungsprinzip, dass man einem negativen Ereignis beziehungsweise einer negativen Entwicklung mit Gegenmaßnahmen zuvorkommen müsse. Sie hat also die Aufgabe, Problemlagen frühzeitig zu identifizieren, kritisch einzuschätzen und angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass sich Menschen extremistischen Ideologien zuwenden. Das Problem hierbei: Während einige Träger und Akteure im Laufe der Jahre erprobte Methodiken entwickelt haben, laufen andere Projekte in eher experimentellen Anordnungen.

Befasst man sich mit den vielfältigen Handlungsfeldern der Radikalisierungsprävention, rücken vor allem die Schule und die Schulsozialarbeit in den Fokus der Betrachtungen. Die Schule ist der einzige soziale Ort, an dem alle jungen Menschen über viele Jahre beständig anzutreffen sind. Für Präventionsarbeit gleich welcher Art sind dort also ideale Voraussetzungen gegeben. Dieser Sachverhalt ist seit geraumer Zeit bekannt, und Präventionsprogramme gegen andere schädliche Phänomene wie Gewalt, Diskriminierung oder Drogen sind seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil des schulischen Alltags. Hinzu kommt seit etwa 2014 die Radikalisierungsprävention gegen Islamismus.

Anlass für die Entwicklung präventiver Angebote in diesem Feld waren der Bürgerkrieg in Syrien und die Aktivitäten des sogenannten Islamischen Staats. Sie führten dazu, dass sich auffällig viele junge Menschen in Deutschland islamistischen Gruppierungen zuwandten und sich radikalisierten. Hunderte von ihnen, darunter auch minderjährige Schülerinnen und Schüler, verließen Deutschland, um in die Kampfgebiete zu reisen und am Aufbau des „Kalifats“ mitzuwirken. Hinzu kamen mehrere islamistische Terroranschläge auch in Europa. Politik, Wissenschaft und Bildungsinstitutionen befassten sich intensiv mit der Frage, wie weitere Ausreisen und Anschläge verhindert werden können und entwickelten neue Ansätze und Methoden, Präventionsangebote und Förderprogramme.

Auch wenn von 2019 bis 2022 die Zahl schwerer Straftaten mit islamistischem Hintergrund deutlich zurückgegangen ist, stellen die gewaltaffinen islamistischen Bewegungen nach wie vor eine erhebliche Gefährdung dar. Hinzu kommt das Anwachsen legalistischer islamistischer Strömungen, die von den Verfassungsschutzbehörden zunehmend als eine Bedrohung der Zivilgesellschaft wahrgenommen werden (zur Infodienst-Serie Interner Link: 'Legalistischer' Islamismus). Insbesondere in verschiedenen Social-Media-Kanälen adressieren diese Gruppierungen junge Menschen mit professionell hergestellten Beiträgen, die Musliminnen und Muslime häufig als Opfer einer angeblich islamfeindlichen Gesellschaft inszenieren und die tatsächlich gemachte Diskriminierungserfahrungen der Community gezielt instrumentalisieren.

Im Kontext der breit gefächerten Gegenmaßnahmen gegen Islamismus kommt der Präventionsarbeit eine herausragende Bedeutung zu. Wie auch in anderen Präventionsfeldern (z. B. Gesundheits- und Suchtprävention) besteht die Radikalisierungsprävention aus einer Trias, die die Teilbereiche primäre (universelle), sekundäre (selektive) und tertiäre (indizierte) Prävention umfasst. In allen drei Teilbereichen wurden neue Formate entwickelt.

Damit die Präventionsformate in der Schule und dem angrenzenden Sozialraum erfolgreich implementiert und durchgeführt werden können, sind jedoch einige Voraussetzungen zu erfüllen (für eine umfassende Darstellung der Präventionsproblematik siehe Ceylan & Kiefer 2013, S. 99-115).

Voraussetzungen einer Radikalisierungsprävention in Schule und angrenzenden Sozialräumen

Von zentraler Bedeutung sind zunächst präzise formulierte Präventionsziele, die von möglichst allen schulischen Akteuren geteilt werden. Dazu gehören Lehrkräfte, Schulsozialarbeit und Elternschaft. Genau hier bestehen oft erhebliche Unschärfen. So ist zum Beispiel unklar, was genau verhindert werden soll. Manche schulischen Akteure halten Salafismus und Islamismus insgesamt für bekämpfenswerte Phänomene, da diese unter anderem die Gleichstellung von Männern und Frauen in Frage stellen. Andere hingegen beschränken sich ausschließlich auf gewaltbefürwortenden Salafismus.

Klärungsprozesse sind an diesem Punkt sehr wichtig, da nicht jede unliebsam erscheinende Form von Religiosität Gegenstand von präventivem Handeln sein kann. Zu bedenken ist in diesem Kontext auch, dass das Recht auf freie Religionsausübung ein hohes Verfassungsgut darstellt und staatliche Akteure in dieser Hinsicht einer Neutralitätspflicht unterliegen. Darüber hinaus sollte gesehen werden, dass viele muslimische Eltern in diesem Bereich eine hohe Sensibilität aufweisen. Hintergrund sind hier negative Erfahrungen aus Islamdiskursen, die mit pauschalen Zuschreibungen Musliminnen und Muslime in ein fragwürdiges Licht rücken. Hinzu kommt, dass ein nicht unerheblicher Teil von nachweislich radikalisierten Personen nicht aus muslimischen Sozialisationskontexten stammt.

In einem engen Zusammenhang mit der Zielsetzungsproblematik steht, dass eine Markierung verhindert werden muss. Projekte der Radikalisierungsprävention adressieren als Zielgruppe nicht selten allgemein muslimische Jugendliche und Moscheegemeinden. Eine solche Vorgehensweise kann – wenn auch unabsichtlich – zu einer negativen Markierung oder gar Stigmatisierung der Zielgruppe führen. Dies zeigt auch die aktuelle Debatte um sogenannte „konfrontative Religionsausübung“ an Berliner Schulen, die in vielen Medien ein sehr hohes Maß an Aufmerksamkeit erreichte (Bachner 2022). Grundsätzlich gilt: Keine Schülerin und kein Schüler möchte von Lehrkräften oder anderen Akteuren in der Schule in einer Gruppe verortet werden, der Risikofaktoren zugeschrieben werden. Zuschreibungen und Bezichtigungen können junge Menschen verletzen und die schulische Zielerreichung behindern oder erschweren.

Darüber hinaus kann eine fehlgeleitete Prävention schlimmstenfalls zu einer Umkehrung der Zielperspektive führen. Im Sinne einer self-fullfilling prophecy kann dies bedeuten: Wenn Akteure der Prävention eine Gefährdungssituation als real definieren, dann sind die Konsequenzen real – das heißt, die Akteure handeln entsprechend einer Gefährdungssituation (Ceylan & Kiefer 2013, S. 104). Bisherige Projekterfahrungen, die unter anderem im Bundesprogramm "Demokratie leben" gesammelt werden konnten, zeigen, dass Zielformulierungen und Ansprachen erforderlich sind, die keine bestimmte soziale, ethnische oder religiöse Gruppe im Lebensraum Schule gesondert hervorheben.

Eine weitere Gelingensbedingung in der schulischen Präventionsarbeit stellt deren strukturelle Verankerung dar. Dies zeigen insbesondere die Erfahrungen des Projektes „CleaRTeaching“, das an ausgewählten Schulen seit 2016 durchgeführt wird (zur Externer Link: Website von CleaRTeaching; zum Infodienst-Beitrag „Interner Link: Clearingverfahren: Wie kann man Radikalisierungsprozesse früh erkennen?“). Auch ein durchdachtes Präventionskonzept kann nur dann nachhaltige Erfolge vorweisen, wenn es im schulischen Alltag von den Fachkräften getragen wird und es klare personelle Zuständigkeiten gibt.

Überaus deutlich wird dies zum Beispiel in Clearingverfahren, die sich mit mutmaßlich radikalisierten Schülerinnen und Schülern befassen. Unter solchen Clearingverfahren wird ein Maßnahmenbündel verstanden, mit dessen Hilfe geprüft wird, ob eine Radikalisierung vorliegt und wie dieser gegebenenfalls mit pädagogischen Mitteln begegnet werden kann. Hierzu zählen verschiedene Beratungsformate und pädagogische Methoden. Ohne eine Fallführung und die systematische Einbindung aller relevanten Akteure aus Schule und Jugendhilfe können effiziente pädagogische Hilfestellungen nicht geleistet werden.

Schließlich bildet das fachliche Handeln eine unabdingbare Voraussetzung. Radikalisierungsprävention ist voraussetzungsreich. Die Akteure müssen mit den Erscheinungsformen des Islamismus und Faktoren der Radikalisierung vertraut sein.

Von großer Bedeutung ist ferner eine profunde pädagogische Expertise. So verlangen Interventionsgespräche und Angehörigenberatung ein hohes fachliches Können und Achtsamkeit. Eine unangemessene oder dilettantische Vorgehensweise kann das Vertrauen der betroffenen Kinder und Eltern massiv erschüttern. In einem solchen Fall droht schlimmstenfalls der vollständige Kontaktabbruch.

Ebenen der Radikalisierungsprävention im schulischen Kontext

In der Radikalisierungsprävention werden in Anlehnung an Gerald Kaplan und Robert S. Gordon drei Ebenen unterschieden: 1. Primäre oder auch universelle Prävention, 2. Sekundäre oder auch selektive Prävention und 3. Tertiäre oder auch indizierte Prävention (Erläuterungen dazu im Infodienst-Beitrag „Interner Link: Zum Konzept der Prävention“). Alle drei Ebenen, auf denen jeweils Handlungsfelder mit spezifischen Anforderungen beschrieben werden können, spielen im schulischen und Jugendhilfekontext eine – wenn auch unterschiedlich gewichtete – Rolle.

Primäre oder auch universelle Radikalisierungsprävention

Pädagogische Maßnahmen der primären oder auch universellen Prävention weisen in der Regel keine Zielgruppenspezifik auf. Angesprochen sind alle gesellschaftlichen Gruppen. Pädagogische Maßnahmen in diesem Bereich zielen weniger auf Verhinderung, vielmehr wollen sie bereits bestehende erwünschte Haltungen stärken. In Schule und Jugendhilfe kommt dieser Präventionsebene eine sehr große Bedeutung zu. Deutlich wird dieser Sachverhalt zum Beispiel durch einen Blick in das nordrhein-westfälische Schulgesetz (Ministerium des Inneren des Landes Nordrhein-Westfalen 2022). In § 2 heißt es zum Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule:

„(6) Die Schülerinnen und Schüler sollen insbesondere lernen

1. selbstständig und eigenverantwortlich zu handeln,

[…]

3. die eigene Meinung zu vertreten und die Meinung anderer zu achten,

4. in religiösen und weltanschaulichen Fragen persönliche Entscheidungen zu treffen und Verständnis und Toleranz gegenüber den Entscheidungen anderer zu entwickeln

[…]

(7) Die Schule ist ein Raum religiöser wie weltanschaulicher Freiheit. Sie wahrt Offenheit und Toleranz gegenüber den unterschiedlichen religiösen, weltanschaulichen und politischen Überzeugungen und Wertvorstellungen. Sie achtet den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Sie vermeidet alles, was die Empfindungen anders Denkender verletzen könnte. Schülerinnen und Schüler dürfen nicht einseitig beeinflusst werden.“


Die Erreichung dieser Zielsetzungen, die ähnlich formuliert auch in anderen Bundesländern in Schulgesetzen zu finden sind, erstreckt sich auf das gesamte Schulleben und ist Aufgabe aller schulischen Akteure. Darüber hinaus finden wir auf der Stundentafel die Fächer der Werteerziehung und des Religionsunterrichts. Diesen Fächern kommt unter anderem die Aufgabe zu, sich aktiv mit fragwürdigen Eindeutigkeitsangeboten oder Ideologien der Ungleichwertigkeit auseinanderzusetzen. Würden die oben genannten Ziele der pädagogischen Arbeit erreicht, wären die Schülerinnen und Schüler bestenfalls resilient gegenüber Ansprachen unterschiedlicher extremistischer Akteure.

In unmittelbarem Bezug auf den Islamismus kommt insbesondere dem islamischen Religionsunterricht eine besondere Bedeutung zu. Auch wenn die Prävention nicht zu den Hauptaufgaben eines islamischen Religionsunterrichts zählt, erlangen hier Schülerinnen und Schüler im Idealfall von der 1. bis zur 10. Klasse unter anderem die Kompetenz, religiöse Inhalte und ihre Quellen kritisch zu reflektieren (zum islamischen Religionsunterricht siehe auch Bauknecht 2014).

In den vergangenen Jahren wurden hierzu hochwertiges Unterrichtsmaterial und Lehrwerke entwickelt. Aufgeführt sei hier nur das Lehrwerk "401 Hadithe für den Islamunterricht" des Gießener Religionspädagogen Yasar Sarikaya, das eine eingeführte Hadith-Sammlung für den islamischen Religionsunterricht bietet. Der arabische Begriff Hadith (Bericht, Erzählung) bezeichnet im Kern die Überlieferungen der Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed (zum Eintrag „Interner Link: Hadith“ im Lexikon der bpb).

In der neosalafistischen Ideologie wird vor allem der Hadith missbraucht, der dekontextualisiert und im Literalsinn dargeboten wird, um mit einfältigen Botschaften Anhängerschaft zu gewinnen. Sarikayas Werk zeigt überzeugend auf, dass diese Lesart des Hadith nicht in der islamischen Tradition verbürgt ist. Nicht zuletzt aufgrund dieses Sachverhalts gehen einige Religionspädagoginnen und -pädagogen davon aus, dass eine profunde religiöse Bildung einen wichtigen Beitrag zur "Immunisierung" gegen radikale Inhalte leisten kann.

Schließlich wären hier noch die zahlreichen Projekte anzuführen, die von Bildungs- und Jugendhilfeträgern im schulischen Kontext durchgeführt werden. Erfolgreich ist hier das Programm "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" (zur Externer Link: Website von Schule ohne Rassismus). Dieses moderierte Schulnetzwerk, dem mittlerweile weit über 3.000 Schulen angehören, hat seit 2010 eine Reihe von Projekten gegen islamistische Eindeutigkeitsangebote durchgeführt. Hierzu zählen auch mehrere Handbücher für Lehrkräfte, die zum Beispiel umfassend zu Ideologien der Ungleichwertigkeit informieren. Hervorzuheben ist ferner die Arbeit des Bildungs- und Jugendhilfeträgers ufuq.de, der bundesweit zahlreiche hochwertige Bildungsformate anbietet (zur Externer Link: Website von ufuq.de).

Sekundäre Prävention oder auch selektive Prävention

Die sekundäre oder selektive Prävention umfasst pädagogische Maßnahmen, die sich an junge Menschen richten, deren Lebenssituation als "belastet" gilt oder die Risikofaktoren aufweisen. Auch dieser Bereich der Radikalisierungsprävention spielt in Schule und Jugendhilfe eine wichtige Rolle. Zum Handlungsfeld gehören jedoch nicht alle Schulen und mit ihr verbundene Sozialräume. Vielmehr geht es hier um schulische Lernorte, die erwiesenermaßen in "Brennpunkten" liegen (zum Beispiel Dinslaken-Lohberg und Wolfsburg) oder beginnende Problemlagen aufweisen. Dies können zum Beispiel große Berufsbildungszentren sein.

In diesem Bereich können indirekte und direkte Maßnahmen unterschieden werden. Zu den indirekten Maßnahmen zählen Fortbildungen für Lehrkräfte und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die unter anderem über Phänomene der Radikalisierung informieren und Handlungsoptionen aufzeigen. Zu den direkten Formaten zählen Fachberatungen und Infoveranstaltungen für Schülerinnen und Schüler, auf denen zum Beispiel Aussteiger authentisch über ihre Erfahrungen mit der gewaltaffinen islamistischen Szene berichten. Derartige Veranstaltungen werden in NRW unter anderem im Rahmen des Präventionsprogramms "Wegweiser" durchgeführt, das im Jahr 2022 über 26 lokale Beratungsstellen verfügte (zum Externer Link: Angebot von Wegweiser auf der Website des Innenministeriums NRW).

Tertiäre oder indizierte Prävention

Schließlich wäre der Bereich der tertiären oder indizierten Prävention anzuführen. Maßnahmen in diesem Bereich richten sich an Personen, die bereits manifeste Problemlagen aufweisen. Es geht also um junge Menschen, die sich bereits radikalisiert haben oder sich im Prozess der Radikalisierung befinden. Maßnahmen und pädagogische Interventionen sollen hier Radikalisierung unterbrechen. Ferner geht es darum, junge Menschen aus extremistischen Bewegungen herauszulösen. Im schulischen Kontext ist die tertiäre oder indizierte Prävention ein wichtiges Handlungsfeld, das an die Präventionsakteure jedoch hohe fachliche Anforderungen stellt. Auch hier können direkte und indirekte Maßnahmen aufgeführt werden.

Zu den indirekten Maßnahmen zählen zum Beispiel zertifizierte Fortbildungen für Lehrkräfte und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die in mehreren Modulen detailreiches Wissen über Radikalisierungsverläufe vermitteln. Weitere Schwerpunkte bilden die Vermittlung von Praxiskenntnissen in strukturierten Clearingverfahren und der Distanzierungsarbeit. Mittlerweile gibt es zahlreiche Angebote, die unter anderem von den Mitglieds-Organisationen der BAG RelEx angeboten werden. So wurde zum Beispiel im Jahr 2021/22 von der Hamburger Fach- und Beratungsstelle Legato eine zertifizierte Weiterbildung für Fachkräfte im Bereich der Radikalisierungsprävention entwickelt. Der Lehrgang vermittelt auf die Beratungspraxis ausgerichtetes Fachwissen. Die Qualifizierungsmaßnahme ist als berufsbegleitende, modularisierte und zertifizierte Weiterbildung vorgesehen (zu Externer Link: Informationen über den Lehrgang auf der Website des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge).

Zu den direkten Formaten zählen Verfahren und Methoden, die geeignet erscheinen, eine beginnende Radikalisierung zu unterbrechen. Von zentraler Bedeutung sind hier mehrstufige strukturierte Clearingverfahren, die auch über einen längeren Zeitraum Hilfestellungen für Schülerinnen und Schüler und deren Angehörige bereitstellen können. Im Rahmen eines solchen Verfahrens kann ein ganzes Bündel von Methoden und pädagogischen Maßnahmen zur Anwendung kommen. Zunächst sollte eine präzise Fallanalyse durchgeführt werden auf der Grundlage verlässlicher Indikatoren, die eine Radikalisierung anzeigen können. Hierzu zählen unter anderem problematische Einstellungsveränderungen und damit einhergehende Beziehungsabbrüche. Weiterhin gehören zum Maßnahmenfächer unter anderem Fallkonferenzen, Interventionsgespräche, externe Fachberatung und gegebenenfalls auch polizeiliche Unterstützung.

Ob und wie diese und andere Maßnahmen zur Anwendung kommen, ist für jeden Fall jeweils aus den spezifischen Erfordernissen zu entscheiden. Wichtig ist hier eine durchgehende Prozesssteuerung, die den Interventionsverlauf im Blick behält. Eine wichtige Prämisse ist ferner die Beteiligung aller relevanten Akteure aus der Lebenswelt der Schülerin oder des Schülers.

Ausblick

Die Schule spielt in der Radikalisierungsprävention eine zentrale Rolle. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die professionellen Akteure der Lebenswelt Schule die bestehenden Problemlagen angemessen und nachhaltig bearbeiten können. Hier sind Zweifel durchaus berechtigt.

Denn erstens kann konstatiert werden, dass die Lebenswelt Schule in den vergangenen Dekaden stets neue Aufgabenfelder bewältigen musste. Neben dem klassischen Bildungsauftrag waren dies auch zunehmend erzieherische Aufgaben, die offenbar in manchen Elternhäusern nur noch unzureichend bewältigt werden konnten. Lehrkräfte und Schulsozialarbeit sehen sich daher mit einem stets wachsenden Aufgabenfeld konfrontiert, welches viele Akteure an die Grenze der Belastungsfähigkeit geführt hat.

In diesem Zusammenhang muss auch gesehen werden, dass die personellen Ressourcen an vielen Schulstandorten trotz neuer Aufgabenstellungen nicht gewachsen sind. An vielen großen Schulen, insbesondere großen Berufsbildungszentren, die teilweise über 4.000 Schülerinnen und Schüler beheimaten, gibt es mitunter nur eine oder zwei Fachkräfte für Schulsozialarbeit. Es liegt auf der Hand, dass in einem solchen personellen Setting eine funktionierende Radikalisierungsprävention nicht zu implementieren ist. In Gänze betrachtet ist die Jugendhilfe im schulischen Kontext zu schwach aufgestellt. An zusätzlichen personellen Ressourcen führt mittelfristig kein Weg vorbei.

Zweitens ist Radikalisierungsprävention immer auch eine Vernetzungsaufgabe, die von allen relevanten Partnern aktiv betrieben werden muss. Es bedarf gemeinsamer konzeptioneller Überlegungen und letztlich einer abgestimmten Präventionsstrategie, die sich auf der alltäglichen Agenda der schulrelevanten Akteure niederschlägt.

Drittens und schließlich bedarf die Präventionsarbeit einer wissenschaftlichen Fundierung. Die Methoden und Instrumente im Praxisfeld können nur dann optimiert werden, wenn das Radikalisierungsgeschehen und die darin wirksamen Faktoren einigermaßen bekannt sind. Die Forschungsanstrengungen in diesem Feld haben in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Auch der Transfer in die Praxis spielt dabei häufig eine wichtige Rolle. So konnte beispielsweise das Forschungsnetzwerk Radikalisierung und Prävention (FNRP), dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Osnabrück und Bielefeld angehören, zwei umfangreiche Studien vorstellen, die sich aus einer interdisziplinären Perspektive mit dem Faktor Religion in Radikalisierungsprozessen befassen. Zum Projektabschluss wurde 2020 eine praxisorientierte Handreichung vorgelegt, die über die wesentlichen Ergebnisse informiert (FNRP 2020). Der Infodienst stellt in einer Interner Link: Übersicht viele weitere Forschungsprojekte im Arbeitsfeld Islamismusprävention vor.

Die Infodienst-Handreichung „Interner Link: Schule und religiös begründeter Extremismus“ gibt erste Antworten auf grundlegende Fragen und stellt Unterrichtsmaterialien und relevante Handreichungen für die Schule vor. Zahlreiche Lehrerbildungsinstitute und andere Träger bieten fundierte Beratung und Fortbildungen im Bereich Radikalisierungsprävention für pädagogische Fachkräfte an. Diese werden kontinuierlich fortentwickelt und den Bedarfen angepasst.

Der Beitrag wurde 2015 für den Infodienst Radikalisierungsprävention verfasst und im April 2022 aktualisiert.

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Quellen / Literatur

Ceylan, Rauf; Kiefer, Michael (2013): Salafismus. Fundamentalistische Strömungen und Radikalisierungsprävention, Wiesbaden.

Bachner, Frank (2022): Externer Link: Wissenschaftler kritisieren geplante Berliner Stelle für „konfrontative Religionsbekundung.“ Auf: tagesspiegel.de, Abruf am 11.5.2022.

Ministerium des Inneren des Landes Nordrhein-Westfalen (2022): Externer Link: Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen. Auf: recht.nrw.de, Abruf am 11.5.2022.

Bauknecht, Bernd R. (2014): Mit Islamischem Religionsunterricht gegen Extremismus. In: Wael El-Gayar, Katrin Stunk (Hrsg.), Integration versus Salafismus.

Sarikaya, Yasar (2011): 401 Hadithe für den Islamunterricht, Hückelhoven. Forschungsnetzwerk Radikalisierung und Prävention (FNRP) (2020): Externer Link: Handreichung „Religion als Faktor der Radikalisierung?“ Auf: irp-cms.uni-osnabrueck.de, Abruf am 11.5.2022.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Umfassende Einblicke in die zahlreichen Aktivitäten bietet zum Beispiel die Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus e. V. auf ihrer Website: Externer Link: https://www.bag-relex.de/ueber-bag-relex/mitglieder/

  2. Während der Begriff "Salafismus" in der islamischen Ideengeschichte konnotiert ist und an die ersten drei, als vorbildlich betrachteten Generationen – die Generation des Propheten Muhammad miteingeschlossen – der frühmuslimischen Gemeinde erinnert, bedeutet des Präfix "Neo" einen Bruch mit der historisch-theologischen Tradition. Einerseits wird zwar für die eigene religiöse Orientierung ein starker Bezug auf die frühislamische Geschichte genommen, andererseits erfährt sie eine erhebliche ideologische und methodische Veränderung. Daher spricht Olivier Roy von "entwurzelten Religionen" oder gar von einer "Mutation", wenn er die gegenwärtigen fundamentalistischen Bewegungen charakterisiert.

  3. Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse liegen hierzu nicht vor. Es kann jedoch festgestellt werden, dass große Teile der Ausgereisten offenbar keine umfassende religiöse Bildung in Anspruch genommen haben.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Michael Kiefer für bpb.de

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Dr. Michael Kiefer ist Islam- und Politikwissenschaftler und ausgebildeter systemischer Berater (DGSF). Er befasst sich seit mehr als 20 Jahren mit den Themenfeldern Antisemitismus, Islamismus und Radikalisierungsprävention und hat dazu zahlreiche Publikationen vorgelegt.