Historischer Hintergrund
Das Land NRW entstand als eigenständiges Land 1946 im Zuge der allgemeinen Neubildung der Länder innerhalb der Besatzungszonen im Nachkriegsdeutschland. Die britische Militärregierung verfügte durch Besatzungsverordnung am 23.08.1946 die Auflösung der Provinzen des ehemaligen Landes Preußen und die Errichtung neuer selbstständiger Länder. NRW umfasste zunächst nur die nördlichen Teile der früheren Rheinprovinz (Regierungsbezirke Köln, Aachen, Düsseldorf) sowie die Provinz Westfalen. Im Jahr 1947wurde dann zusätzlich das Land Lippe-Detmold eingegliedert, so dass NRW seine heutige territoriale Ausdehnung bereits vor der Gründung der BRD erhielt.
Der Gründung des Landes ging während des Krieges eine intensive Diskussion voraus. Dies kam nicht überraschend, denn mit Ausnahme von BB hat keine Region in D so sehr im Mittelpunkt des Interesses der internationalen Öffentlichkeit gestanden. Da sich das Ruhrgebiet bereits während der Industrialisierung im Kaiserreich zum Zentrum der Schwerindustrie in D entwickelt hatte und während beider Weltkriege zu Recht national und international als Rüstungsschmiede angesehen wurde, kam dem Revier eine besondere Bedeutung zu. Bereits nach dem 1. Weltkrieg hatten die Siegermächte Demontagen im Ruhrgebiet vorgenommen und es unter internationale Kontrolle gestellt. Nach dem 2. Weltkrieg unterlag das Ruhrgebiet zunächst strengen Kontrollen der Besatzungsmächte. Es war ihr Ziel, eine eigenständige dt. Nutzung zur Wiedererstarkung des geschlagenen Landes zu verhindern, aber auch die Ressourcen des Reviers für den Wiederaufbau in Europa einzusetzen.
Im Zuge des 1946/1947 offen ausbrechenden Ost-West-Konflikts versuchten die Briten als zuständige Besatzungsmacht, auf alle Fälle eine Viermächteverwaltung über das Ruhrgebiet zu verhindern. Ab Mitte April1946 votierten sie, unterstützt durch die Amerikaner, für die Bildung eines großen Bundeslandes, das aus den Provinzen Nordrhein und Westfalen bestehen sollte. Anglo-Amerikaner zielten auf starke Länder, die ein Gegengewicht zu einer eventuell kommunistisch beeinflussten oder sogar von Kommunisten dominierten Zentralregierung bilden konnten. Die Verbindung von Ruhrgebiet und agrarischem Hinterland sollte zu einer ausgewogenen Wirtschaft in dem neuen Land ebenso beitragen wie zum natürlichen Güteraustausch zwischen Industrie und Landwirtschaft. Außerdem wurde mit der Schaffung des Großflächenstaats NRW innerhalb der britischen Besatzungszone den anderen Besatzungsmächten (insbesondere natürlich der Sowjetunion) der Zugang zum Ruhrgebiet versperrt.
Dt. Politiker waren am Entscheidungsprozess über die Entstehung von NRW nicht beteiligt, und in der Bevölkerung fand die Bildung des Landes angesichts eigener existenzieller Nöte nur geringes Interesse. Im April 1949, noch vor Gründung der BRD, wurde das internationale Ruhrstatut verabschiedet, das sich mittelfristig als erfolgreich für NRW erweisen sollte. Nicht zuletzt durch die 1951 im Rahmen des Schuman-Plans erfolgte Eingliederung der BRD in die neu geschaffene Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) entwickelte sich das Ruhrgebiet zum „Schwungrad“ des wirtschaftlichen Neuaufbaus in Westdeutschland.
Bevölkerung – Gesellschaft – Wirtschaft
NRW lag im Zentrum der BRD und ist durch die Wiedervereinigung etwas an die Peripherie gerückt, besitzt aber innerhalb der EU eine günstige Zentrallage. Flächenmäßig nimmt NRW mit 34.113 qkm nur den vierten Platz aller 16 Bundesländer hinter BY, NI. und BW ein, steht aber mit 17,9 Mio. Einwohnern (E.) klar an der Spitze. Das bedeutet, dass NRW mit 524 E. pro qkm (2017) der am dichtesten besiedelte Flächenstaat in D ist. Die dichte Besiedlung resultiert aus dem hohen Urbanisierungsgrad, da allein von den 80 Großstädten 27 zu NRW gehören. Die Bevölkerung ist von gut 11 Mio. nach dem 2. Weltkrieg bis Anfang der 70er-Jahre, bedingt vor allem durch Zuwanderung, auf über 17 Mio. expandiert, war dann zeitweise etwas rückläufig, um seit Ende der 80er-Jahre wieder zu steigen (Höchststand 2004 18,06 Mio.). Mit 11,8 % Ausländern weist NRW einen höheren Ausländeranteil als der Durchschnitt in D (10,5 % 2016) auf. Das bedeutet, dass 2016 in NRW allein ein Viertel aller registrierten Ausländer lebte. Konfessionell ist NRW ein stärker katholisch ausgerichtetes Land. Durch die Wiedervereinigung hat sich die demographische Dominanz NRWs in D von 27 % auf 21,8 % reduziert.
2017 wurde in NRW von 9,4 Mio. Erwerbstätigen ein BIP von 691 Mrd. EUR erwirtschaftet, was ein gutes Fünftel (20,4 %) des gesamten dt. BIP ausmachte. Im Vergleich mit der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der NRW der schwerindustrielle Motor der BRD war, bedeutet dies allerdings einen Gewichtsverlust. Dennoch ist NRW mit über 20 % der Industriebeschäftigten und ca. 20 % der Exporte Ds nach wie vor deren industrieller Kern mit einer inzwischen breiter gefächerten Branchenstruktur. Besonders hohe Produktionsanteile stellt NRW nicht nur bei Kohle und Stahl, sondern auch bei der Stromerzeugung und der chemischen Produktion. Innerhalb des Landes haben Kohle und Stahl ihre ehemals dominante Position eingebüßt zugunsten der Investitionsgüterindustrie, der Chemie und des Fahrzeugbaus. 2018 sind die beiden letzten Steinkohlenzechen geschlossen worden.
NRW ist Heimat zahlreicher Industrieunternehmen von Weltruf. Trotz der vielen Großunternehmen ist NRW zugleich in wachsendem Maße ein Land des Mittelstands, der den weit überwiegenden Teil nicht nur der Betriebe, sondern auch der Ausbildungsplätze stellt. Es gibt mehr als 600.000 kleine und mittlere Unternehmen. 2017(1950) waren in NRW 0,8 % (12 %) der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft, 22,3 (55 %) im produzierenden Gewerbe und 76,9 % (33 %) im Dienstleistungssektor beschäftigt, wobei der starke Rückgang des produzierenden Gewerbes im Vergleich zur BRD noch unterdurchschnittlich ausfiel. Aus dem Land von Kohle und Stahl ist ein Land mit Kohle und Stahl (und absehbar ohne Kohle) geworden. Die Erwerbsquote, d. h. die Zahl der Erwerbspersonen zwischen 15 und 65 Jahren, lag in NW 2017 mit 75,1 % höher als im Jahr 2000 mit 67,3 %.
Seit der Kohlekrise Anfang der 60er-Jahre und den nachfolgenden wiederholten Stahlkrisen ist NRW im BIP je Erwerbstätigen von den schneller wachsenden südlichen Flächenländern (BW, HE, BY), aber auch HH überflügelt worden. 2017 lag das BIP pro E. in NRW mit 38.645 € leicht unter dem Bundesdurchschnitt (39.477 €).
Neben der im Ruhrgebiet konzentrierten Kohle- und Stahlindustrie hatte auch die Textilindustrie (Rheinland, Münsterland) große Arbeitsplatzverluste zu verzeichnen. Die Arbeitslosenquoten in NRW lagen seitdem kontinuierlich über denen der BRD und die des Ruhrgebiets wiederum erheblich über denen in NRW. So betrug die Arbeitslosenquote 1967 im Bund 1,6 %, in NRW 1,9 % und im Ruhrgebiet 3,0 %. Im Oktober 2018 betrug die Arbeitslosenquote im Bund 4,9 %, in NRW 6,4 % und im Ruhrgebiet lag sie im Juni 2018 bei 8,8 %.
NRW hat insbesondere mit der „Kohlevorrangpolitik“ versucht, den Bergbau zu stützen und mit einer Reihe von Förderprogrammen und enormem Finanzaufwand auch den Strukturwandel begleitet (z. B.1987 die später erweiterte „Zukunftsinitiative Montanregionen“, ZIM). Die Vereinbarungen der Ruhrgebietskonferenz vom Februar 1988 zwischen der Bundes- und Landesregierung sollten ebenso einen Beitrag zur Erneuerung des Landes leisten wie der im Juli 1988 von 35 führenden Unternehmen gegründete „Initiativkreis Ruhrgebiet“. Die im Einzelnen umstrittenen staatlichen Maßnahmen wie v. a. wachsende Privatinitiativen dürften dazu beigetragen haben, dass das Ruhrgebiet trotz erheblicher Verzögerungen und Reibungsverluste im Vergleich zu altindustriellen Ballungsräumen in Europa zunehmend als Beispiel eines erfolgreichen Strukturwandels eingeschätzt wird.
Im horizontalen Länderfinanzausgleich wurde NRW 1985 erstmals ausgleichsberechtigt, nachdem es lange Hauptzahler gewesen war. Insgesamt hat NRW bis 2014 ca. 33 Mrd. € (inflationsbereinigt) in den Länderfinanzausgleich eingebracht (BY: 42 Mrd. €, BW: 78 Mrd. €). NRW war letztmals 2009 mit knapp 59 Mio. € Geberland. Bei der Pro-Kopf-Verschuldung lag NRW 2017 mit 12.706 € unter den Flächenstaaten im Mittelfeld. Die Gesamtverschuldung betrug 2017 etwas mehr als 228 Mrd. €.
Politisches System
Verfassung
Im Winter 1946/1947 begannen erste Verfassungsberatungen in dem von der britischen Besatzungsmacht eingesetzten Landtag, die vom ersten 1947 gewählten Landtag fortgesetzt wurden. Aufgrund der Beratungen über das Bonner Grundgesetz 1948 unterbrach der Landtag seine Verfassungsberatungen, um erst einmal die Grundgesetzberatungen abzuwarten. So erhielt NRW erst am 11. Juli 1950 seine Verfassung, nachdem der Landtag äußerst knapp mit 110 gegen 97 Stimmen – vor allem wegen des Streits um den Vorrang von Konfessions- oder Gemeinschaftsschule und Fragen der Staatsorganisation – für die Verfassung votiert und die Bürger in einer Volksabstimmung sich am 18.06.1950 mit 3,62 Mio. Ja-Stimmen gegen 2,24 Mio. Nein-Stimmen für die Verfassung entschieden hatten.
Die Verfassung ist nicht nur ein Organisationsstatut, sondern trotz ihrer nur 93 Artikel eine Vollverfassung. Der knappe Bezug auf Gott in der Präambel lässt einen christlichen Gehalt der Verfassung erkennen, der sich auch in den Bestimmungen über die Grundrechte, über Ehe und Familie und im Katalog der übergeordneten Erziehungsziele widerspiegelt. Im ersten Teil finden sich Aussagen über die Rolle als Gliedstaat sowie den demokratischen und rechtsstaatlichen Charakter von NRW. Im zweiten Teil werden nicht nur die Grundrechte des GG als unmittelbar geltendes Landesrecht fixiert (Art. 4), sondern er enthält auch umfangreiche Bestimmungen hinsichtlich der Familie, der Schule, Kunst und Wissenschaft, Religion und Religionsgemeinschaften sowie Arbeit und Wirtschaft (z. B. das Recht auf Arbeit und auf Mitbestimmung).
Der dritte Teil regelt schließlich die Organisationsstruktur des Regierungssystems. Die Verfassung von NRW enthält auch Elemente der direkten Demokratie. So sind als unmittelbares partizipatives Element Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid in der Verfassung verankert (Art. 67–69) und ermöglichen der Bevölkerung, vom Landtag erlassene Gesetze aufzuheben, zu ändern und auch Gesetze zu erlassen. Ein Volksbegehren bedarf allerdings der Unterstützung von mindestens 8 % der Stimmberechtigten, nachdem sich die ursprünglichen 20 % als eine zu hohe Hürde erwiesen hatten. Bisher war nur ein von der damaligen CDU-Opposition unterstütztes Volksbegehren im Zusammenhang mit der „kooperativen Schule“ 1978 erfolgreich und veranlasste Landesregierung und Landtagsmehrheit zu einer Korrektur ihrer Schulpolitik.
Verfassungsänderungen bedürfen einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag. Kommt diese nicht zustande, können Landtag oder die Landesregierung durch einen Volksentscheid das direkte Votum des Souveräns suchen. Die Verfassung von NRW hat sich als sehr stabil erwiesen. Beispiele für wichtige Verfassungsänderungen sind die Schwerpunktverlagerung von der Bekenntnisschule zur Gemeinschaftsschule (1968) sowie die Aufnahme eines Grundrechts auf Datenschutz (1978) und die Einführung eines Staatszieles „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ (1985).
Organisation des politischen Systems
Landtag und Landesregierung sind die wesentlichen Teile des politischen Systems, aber insbesondere bei Konflikten über die Auslegung der Verfassung übt auch der landeseigene Verfassungsgerichtshof eine wichtige Funktion aus. Die Legislaturperiode des Landtages ist 1969 von vier auf fünf Jahre verlängert worden. Laut Wahlgesetz beträgt die Zahl der zu vergebenden Mandate seit 2005 insgesamt 181 (vorher 201 bzw. 200). 151 Abgeordnete werden in den Wahlkreisen direkt gewählt, die übrigen 30 Abgeordneten ziehen über Landeslisten in das Parlament. Die Sollzahl von 201 Mandaten ist mehrfach überschritten worden. Bei den Abgeordneten, die über ein freies Mandat verfügen, handelt es sich heute in der Regel um Berufspolitiker, die nicht nur für die, sondern auch von der Politik leben. Dabei ist ein wachsender Teil der Tätigkeit des Abgeordneten mit der Interessenvertretung seines Wahlkreises verknüpft, vor allem gegenüber der vielfältigen Landesverwaltung.
Eine zentrale Funktion des Landtags ist weiterhin die Gesetzgebung, auch wenn sie im Zuge der Verlagerung der Gesetzgebungstätigkeit zum Bund und auch teilweise der EU tendenziell an Bedeutung verloren hat. Von den Gesetzentwürfen auf Landesebene kommen etwa drei Viertel aus der Landesregierung, dennoch bleibt der Landtag in der Gesetzgebung das Zentrum der öffentlichen Diskussion und Entscheidung. Für die Rolle des Landtags ist darüber hinaus seine Wahlfunktion wichtig. Er wählt nicht nur den Ministerpräsidenten, sondern auch vier der sieben Richter des Verfassungsgerichthofes und die Mitglieder des Landesrechnungshofes. Der Landtag besitzt das Recht zur Selbstauflösung, falls sich die Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder dafür entscheidet (Art. 35 Verf. NW). Wird ein vom Landtag abgelehnter Gesetzentwurf der Regierung durch Volksentscheid angenommen, so kann auch die Landesregierung den Landtag auflösen. Die wichtigste Arbeit des Landtags vollzieht sich wie auch im Bundestag in den Ausschüssen.
Die Landesregierung besteht aus dem Ministerpräsidenten und den Landesministern. Der Landtag wählt aus seiner Mitte in geheimer Wahl ohne Aussprache den Ministerpräsidenten mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Mitglieder. Nach seiner Wahl ernennt der Ministerpräsident die Minister. Analog zum Bundeskanzler bestimmt auch der Ministerpräsident in NRW die Richtlinien der Politik. Seine Abwahl ist ebenfalls nur durch ein konstruktives Misstrauensvotum möglich. Die Amtszeit endet automatisch mit dem Zusammentritt eines neu gewählten Landtags oder durch Rücktritt oder vorzeitiges Ausscheiden.
Die nordrhein-westfälischen Landesregierungen zeichneten sich in den ersten Dekaden durch große Stabilität aus. Nach dem parteilosen, von der britischen Besatzungsmacht 1946 eingesetzten, Übergangsministerpräsidenten R. Amelunxen übernahm 1947 der Christdemokrat K. Arnold das Amt und blieb bis 1956 Ministerpräsident, als das erste erfolgreiche konstruktive Misstrauensvotum in der Geschichte von NRW und der BRD den Sozialdemokraten F. Steinhoff zum Regierungschef machte. Die Koalition aus SPD, FDP und Zentrum sollte allerdings nur ein zweijähriges Zwischenspiel bleiben, da nach der Wahl erneut die CDU – ab 1962 zusammen mit der FDP – unter Ministerpräsident F. Meyers von 1958 bis 1966 regierte. 1966 wurde die christdemokratische Regierungszeit beendet, und danach regierten knapp vier Jahrzehnte sozialdemokratische Ministerpräsidenten. Von 1966 bis 1978 amtierte H. Kühn, der von J. Rau abgelöst wurde. Im Sommer 1998 wurde W. Clement neuer Ministerpräsident. Nach seinem Eintritt in das zweite Kabinett Schröder wurde P. Steinbrück im November 2002 zum siebten Ministerpräsidenten von NRW gewählt. Da die SPD bei der Landtagswahl im Mai 2005 deutlich gegen die CDU unterlag, wurde eine Koalition aus CDU und FDP unter dem neuen Ministerpräsidenten J. Rüttgers gebildet. Bereits nach einer Legislaturperiode musste Rüttgers seinen Chefsessel räumen. Im Sommer 2010 übernahm erstmals eine Minderheitsregierung aus SPD und Grünen unter Hannelore Kraft (SPD) das Ruder, die von der Tolerierung durch die Linke abhängig war. Sie scheiterte am Haushalt 2012, woraufhin der Landtag sich einstimmig auflöste. Bei den Neuwahlen im Mai 2012 erzielten SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine Mehrheit im Landtag und konnten somit von 2012 bis 2017 weiter regieren. Doch nicht zuletzt aufgrund der Bildungs- und der Umweltpolitik wurde die Regierung Kraft 2017 abgewählt und von einer Regierung aus CDU und FDP unter A. Laschet (CDU) abgelöst.
Die unmittelbare Landesverwaltung ist wie in den meisten Flächenstaaten dreistufig. Oberste Landesbehörden sind z. B. die Landesregierung und der Landesrechnungshof. Wichtigste Landesmittelbehörden sind die fünf Regierungspräsidien in Düsseldorf, Köln, Arnsberg, Münster und Detmold. Eine Besonderheit in der Verwaltung von NRW stellen die höheren Kommunalverbände dar. Die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe sind Nachfolger der alten preußischen Provinzialverbände. Ihre gesetzlich festgelegten Aufgaben liegen im sozialen Bereich, in der überregionalen Kultur- und Landschaftspflege, im Straßenwesen und in der Kommunalwirtschaft. Der Regionalverband Ruhrgebiet, der kompetenzschwächere Nachfolger des Ruhrsiedlungsverbandes, widmet sich spezifischen Problemen des industriellen Ballungsraumes Ruhrgebiet, das über keinen eigenen Regierungsbezirk verfügt, vielmehr auf drei verschiedene Regierungsbezirke aufgeteilt ist.
Die unterste Ebene der Verwaltung bilden die Kreise und Kommunen. Oberstes Organ der kommunalen Selbstverwaltung (≥ Gemeinden) ist der von den Bürgern auf fünf Jahre gewählte Gemeinderat. Er ist für alle Angelegenheiten der Gemeinde zuständig. Bisher wählte der Gemeinderat den (Ober-)Bürgermeister für eine Wahlperiode als Vorsitzenden des Rates und Repräsentanten der Gemeinde. Als Leiter der Gemeindeverwaltung stand ihm ein auf acht Jahre vom Gemeinderat gewählter und hauptamtlich tätiger Gemeinde- (Ober-)Stadtdirektor mit ebenfalls vom Rat gewählten Beigeordneten gegenüber. Mit der „Revolution“ der Kommunalverfassung von 1994 schaffte NRW die von der britischen Besatzungsmacht eingeführte Doppelspitze im Kommunalsystem ab. Seit 1999 gibt es nur noch einen direkt gewählten Bürgermeister/Oberbürgermeister bzw. Landrat, der auch die Funktionen des Verwaltungschefs wahrnimmt. Die zwischen 1967 und 1975 durchgeführte radikale Gebietsreform hat Gewinne an Verwaltungskraft, aber Verluste an Selbstverwaltungssubstanz mit sich gebracht. Die Zahl der Gemeinden wurde von 2365 auf 396, die der Kreise von 57 auf 31 und die der kreisfreien Städte von 38 auf 23 reduziert. In den kreisfreien Städten wohnt fast die Hälfte (Mitte 2017 45 %) der Bevölkerung.
Parteien, Wahlen, Wählerverhalten
Zwischen 1947 und 2017 haben 17 Wahlen zum Landtag von NRW stattgefunden, die neben landespolitischer auch bundespolitische Bedeutung hatten. In der Retrospektive erweisen sich die Landtagswahlen von 1958, 1966, 1980, 2005, 2010 und 2017 als Zäsuren, die jeweils einen neuen Abschnitt in der Entwicklung des Parteiensystems von NRW markieren. Eine Abfolge von Konzentrations-, Wende-, Konkurrenz-,Dominanz- und Pluralisierungsphase lässt sich feststellen. Die Konzentrationsphase des Parteiensystems in NRW verlief parallel zur Entwicklung auf Bundesebene. Zwischen 1947 und 1958 wurde die CDU zur dominierenden politischen Partei auf beiden Ebenen. Die SPD konnte ebenfalls ihren Anteil steigern, so dass fast 90 % aller abgegebenen Stimmen auf diese beiden Parteien entfielen, während sie 1947 nur über gut zwei Drittel verfügten. Darüber hinaus waren in den ersten drei Landtagen mit der KPD und dem Zentrum weitere Parteien vertreten, die allerdings 1958 die Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht mehr überwinden konnten und deren Wählerpotenzial weitgehend von den beiden großen Parteien absorbiert wurde. In dieser Phase hatte sich das Parteiensystem asymmetrisch zugunsten der CDU entwickelt. Die Landtagswahlen von 1962 und 1966 markieren die Wendephase für das Parteiensystem in NRW. Die SPD gewann kontinuierlich Stimmen hinzu und wurde 1966 mit 49,5 % erstmals stärkste Partei. Die CDU musste Verluste hinnehmen, während sich die FDP bei 7 % stabilisierte. Die SPD bildete 1966 – im Gegensatz zum Bund, wo sie eine große Koalition mit der CDU/CSU einging – zusammen mit der FDP in NRW eine sozial-liberale Koalition. Die SPD erzielte seit der Bundestagswahl 1965 in NRW – im Vergleich zum Durchschnitt auf Bundesebene – deutlich größere Gewinne, die CDU erlitt dagegen in NRW überdurchschnittliche Verluste. Die Zeit zwischen 1970 und 1980 war durch die Konkurrenz von CDU und SPD gekennzeichnet. 1970 und 1975 erreichte die CDU jeweils die meisten Landtagsmandate, doch die Regierung wurde von SPD und FDP gebildet, da beide über eine sichere Mehrheit im Drei-Parteien-Parlament verfügten. Seit Beginn der 80er-Jahre war eine deutliche Dominanz der SPD in NRW festzustellen. Sie erreichte bis 1999 im Land den eindeutig höchsten Stimmenanteil bei Wahlen auf allen vier Ebenen – Bund, Land, Gemeinden und EU: Bei den Kommunalwahlen 1999 dominierte jedoch mit über 50 % der Stimmen die CDU, wobei die aufgrund eines Urteils des Landesverfassungsgerichts abgeschaffte Fünf-Prozent-Klausel zum verstärkten Einzug von kleineren Parteien und kommunalen Wählervereinigungen in die Rathäuser führte. Von 1980 bis 1995 regierte die SPD allein mit absoluter Mehrheit das Land NRW und hatte sich damit vom Bonner Trend abgekoppelt. Diese stabile SPD-Mehrheit war nicht zuletzt auf die Popularität angesehener Persönlichkeiten der SPD, besonders der Ministerpräsidenten Kühn und Rau, eine geschickte Nutzung des wachsenden Landesbewusstseins in der Bevölkerung, eine solide Verankerung bei der Arbeiterschaft im Ruhrgebiet sowie die relativ schwache Position der Grünen in NRW zurückzuführen. Der letztgenannten Partei gelang es im Gegensatz zum allgemeinen Trend der Grünen in der BRD erst 1990, mit 5,0 % der Stimmen in den Landtag einzuziehen. 1995 konnten Bündnis90/Die Grünen ihren Stimmenanteil verdoppeln und damit die absolute Mehrheit der SPD brechen. Somit war die SPD gezwungen, mit den Grünen eine Koalition einzugehen. Die CDU verringerte ihre Wahlchancen in den 80er- und 90er-Jahren durch einen ständigen Wechsel ihrer Spitzenkandidaten (B. Worms, K. Biedenkopf, N. Blüm und H. Linssen) sowie ausgeprägte Rivalitäten zwischen den Landesverbänden Westfalen und Rheinland, obwohl diese 1986 organisatorisch zusammengelegt wurden. Die FDP hatte sich in NW zur dritten Kraft entwickelt, ist jedoch von dieser Position durch Bündnis 90/Die Grünen verdrängt worden. In der Wahlperiode 1980 bis 1985 wie auch 1995 bis 2000 waren die Liberalen nicht im Landtag vertreten. Bei den Landtagswahlen 2000 kehrte die FDP mit 9,8 % der Stimmen in den Landtag zurück, konnte aber die Fortsetzung der Koalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen nicht verhindern. 2005 kam es zu einer erneuten Zäsur. Zum ersten Mal seit 39 Jahren musste die SPD wieder die Rolle der Opposition übernehmen, da sie bei der Landtagswahl 2005 nur auf 37,1 % kam, während die CDU deutlich auf 44,8 % Stimmen zulegen konnte. FDP und Bündnis 90/Die Grünen erzielten jeweils 6,2 % der Stimmen. Bei der Wahl 2010 büßte die Regierungspartei CDU 10,2 Prozentpunkte ein und kam nur auf 34,6 %. Die SPD musste leichte Verluste von 2,6 Prozentpunkten hinnehmen und erreichte 34,5 %. Eigentlicher Wahlsieger waren die Grünen, die ihr Ergebnis mit 12,1 % nahezu verdoppeln konnten. Die FDP blieb mit 6,7 % beinahe auf dem gleichen Stand. Da die Linke mit 5,6 % wieder in den Landtag einzog, erreichten weder CDU/FDP noch SPD/Grüne eine Mandatsmehrheit, und so kam es nach einigen Monaten zur von der Linken tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung Kraft. Nach deren Scheitern beim Haushalt 2012 löste sich der Landtag auf. Bei der Neuwahl erreichten SPD (39,1 %) und Grüne (11,3 %) die Mehrheit und bildeten die neue Regierung, während Die Linke mit 2,5 % mehr als halbiert wurde. Bei der Wahl 2017 drehte sich das Bild. Die CDU gewann mit 33,9 % vor der der SPD mit 31,2 % und der FDP mit 12,6 %. Die Grünen stürzten auf 6,4 % ab. Mit der AfD (7,4 %) kam eine neue national-konservative, populistische Partei in den Landtag, während Die Linke erneut, wenn auch knapp scheiterte (4,9 %) und dadurch CDU und FDP eine Landtagsmehrheit von einem Mandat ermöglicht wurde. Unterstrichen wurde damit aber die Tendenz zur Pluralisierung des Parteiensystems.
Politische Rolle in D
NRW ist bevölkerungsreichstes Bundesland und besitzt ebenso wie BW, BY und NI sechs Stimmen im Bundesrat. Gemessen an seiner Bevölkerungszahl ist NRW damit stark unterrepräsentiert. NRW spielt für die Bundespolitik eine wichtige politische Rolle, stellte es doch bezogen auf die BRD fast 30 % und auf D fast 22 % der Wählerschaft. Dementsprechend sind die nordrhein-westfälischen Landesgruppen innerhalb der Fraktionen des Bundestages (in der 19.Wahlperiode 2017–2021 stellt NRW 142 von 706 Abgeordneten) wie auch innerhalb der Bundesparteien von der Zahl her politische Schwergewichte, haben dieses Gewicht bisher aber eher zurückhaltend zugunsten der Landesinteressen geltend gemacht.
In der Startphase der BRD wurde seitens des Bundes auf NRW starker Einfluss ausgeübt, als z. B. Bundeskanzler Adenauer 1950 die vom damaligen Ministerpräsidenten Arnold gewünschte Große Koalition verhinderte. Dahinter stand die Überlegung, dass die politische und ökonomische Bedeutung des industriellen Kernlandes NRW eine enge Abstimmung zwischen Bund und NRW erforderlich mache. 1966 wurde mit der hohen Niederlage der CDU an Rhein und Ruhr der Sturz von Bundeskanzler Erhard eingeleitet. Das Wahlergebnis (49,5 % der Stimmen für die SPD gegenüber 42,8 % für die CDU) war Ausdruck des Protestes gegen die Wirtschaftspolitik des Bundeskanzlers, dem eine Mitschuld am Niedergang des Ruhrgebiets angelastet wurde. So wurde 1966 in Düsseldorf eine Koalition aus SPD und FDP gebildet, die zum Modell für die sozial-liberale Koalition in Bonn im Jahre 1969 wurde. Mit dem Wechsel der Regierung in Bonn 1982 von SPD/FDP zu CDU/CSU/FDP hatte die SPD-Landesregierung in NRW größere Möglichkeiten, sich als Gegenspieler der Bundesregierung zu profilieren, was durch die Kanzlerkandidatur von Ministerpräsident Rau 1987 einen symbolischen Ausdruck fand. Gleichzeitig konnte diese Entwicklung als Indikator für einen relativen Gewichtsverlust von NRW in der BRD und verstärkt nach der Wiedervereinigung interpretiert werden. Die Regierungsfähigkeit auf Bundesebene war offensichtlich nicht mehr abhängig von der politischen Rückendeckung des bevölkerungsmäßig weiterhin stärksten Bundeslandes. Die unterschiedliche Regierungszusammensetzung in Bonn und Düsseldorf erhöhte gleichzeitig auch das Konfliktpotenzial. So hatte unter der Führung der SPD NRW eine Abkehr von der Kernenergie vorgenommen. Auch in der Verkehrspolitik differierten die Ansätze, als NRW eine eher restriktive Verkehrspolitik (z. B. Konzept der Verkehrsberuhigung in den Städten, zurückhaltender Straßenneubau) betrieb. Seit Bildung der Koalition von SPD und Bündnis90/Die Grünen im Jahr 1995 wurde dieses Zusammengehen als Testlauf für eine rot-grüne Koalition auf Bundesebene nach der Bundestagswahl 1998 gesehen. Sicherlich hat die unter Führung von J. Rau gebildete rot-grüne Regierung an Rhein und Ruhr dazu beigetragen, auch auf Bundesebene eine rot-grüne Koalition einzugehen. Auch die CDU/FDP-Regierung Rüttgers vom Mai 2005 hätte zu einem Testlauf für die Bundestagswahl 2006 werden können, doch die aufgrund des für die SPD katastrophalen Wahlergebnisses in NRW vorgezogenen Bundestagswahlen im September 2005 ließen politisch nur eine Große Koalition zu.
Wegen der Rückwirkungen auf die Landespolitik hatte NRW bereits unter Ministerpräsident Arnold stärkere Mitwirkungsrechte des Landes bei der deutschen Europapolitik verlangt und 1986 auch eine Landesvertretung in Brüssel errichtet. Seit Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages 1993 hat sich die Zahl wichtiger Entscheidungen durch die Europäische Union auf Gebieten der Wirtschafts-,Währungs-, Wettbewerbs-, Handels-, Sozial- und Regionalpolitik erhöht, sodass NRW auch durch die EU Kompetenzeinbußen erlitt.
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Uwe Andersen